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Einleitung

Räumliche Mobilität (d. h. die Beweglichkeit von Personen im geographischen Raum) ist ein grundlegendes, altersunabhängiges, menschliches Bedürfnis. Wir alle wollen uns ein Leben lang, unabhängig von unserem tatsächlichen Lebensalter und ungeachtet möglicher limitierender Lebensumstände, so frei wie möglich bewegen können. Oft ist Mobilität in all ihren Facetten auch einfach eine Selbstverständlichkeit, an die wir keine Gedanken verschwenden.

Im Alter rücken die Beweglichkeit und das sich Vorwärtsbewegen im Raum aufgrund von potentiellen, durch das Altern bedingten körperlichen Einschränkungen und einer erhöhten Verletzlichkeit aber wieder vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dies geschieht auf unterschiedlichen Ebenen: auf einer privaten Ebene durch das Individuum, auf einer gesellschaftlichen Ebene unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit, Infrastruktur oder Nachhaltigkeit, und auch auf einer wissenschaftlichen Ebene, die sich in der Mobilitätsforschung widerspiegelt.

Kaum eine Erfindung hat in den letzten einhundert Jahren das Bedürfnis des Menschen individuell mobil zu sein derart geprägt und auch erfüllt, wie das Automobil. Die mobile Freiheit auf vier Rädern hat aber ihren Preis. Neben der Umweltbelastung, die der Individualverkehr zu verantworten hat, werden trotz zahlreicher aktiver (z. B. Bremsassistenten) und passiver (z. B. Airbags) Sicherheitsvorrichtungen in modernen Fahrzeugen noch immer viel zu viele Menschen auf unseren Straßen verletzt oder verlieren sogar ihr Leben.

Im Jahr 2019 wurden alleine in Österreich bei 35.736 Unfällen im Straßenverkehr insgesamt 45.140 Menschen verletzt und 416 starben. Knapp 45 % (n = 186) dieser tödlich verunglückten Menschen waren 55 Jahre alt oder älter. 48 % (n = 200) der 416 tödlich verunfallten waren dabei als Lenker*innen oder Beifahrer*innen mit dem Auto unterwegs, und von diesen waren wiederum 41 % (n = 82) 55 Jahre oder älter zum Zeitpunkt ihres tödlichen Unfalls. Neben jungen, unerfahrenen und risikofreudigen Verkehrsteilnehmer*innen, bei denen es im Alter zwischen 15 und 30 Jahren zu Unfallhäufungen mit Todesfolge im Straßenverkehr kommt (n = 89, 21 % aller tödlichen Unfälle), sind Personen höheren Alters mit einem Anteil von 45 % damit die Hauptrisikogruppe im Straßenverkehr, denn einerseits erhöht sich durch diverse alterungsbedingte Einschränkungen generell die Gefahr in einen Unfall verwickelt zu werden und andererseits, sind sie, im Falle eines Unfalles, oft physisch verletzlicher als Menschen jüngeren Alters. (Pfeiler & Allex, 2020; Statistik Austria, 2020).

Moderne Fahrassistenzsysteme (kurz: FAS) haben hier das Potential, dazu beizutragen, sowohl das Unfallrisiko zu minimieren – für die Fahrzeuginsass*innen genauso wie für andere Verkehrsteilnehmer*innen – als auch eine längere Fahrtüchtigkeit im Alter zu ermöglichen. Eine wesentliche Rolle für den erfolgreichen Einsatz und die Akzeptanz von FAS spielt aber deren Gebrauchstauglichkeit. Dies gilt besonders für Anwender*innen höheren Alters, die nicht im Zeitalter der allgegenwärtigen Computer und Smartphones aufgewachsen sind, und deren Fahrausbildung in einer Zeit stattgefunden hat, in der Autos noch keine rollenden Computer, d. h. über Chips und Software gesteuerte, vernetzte Maschinen, waren.

Doch wie gestaltet man benutzer*innenfreundliche Schnittstellen im Auto unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Anforderungen Autolenker*innen höheren Alters? Wie sieht es ganz generell mit dem Wissen über solche Systeme und ihrer Akzeptanz in den Generationen, die älter als 55 Jahre sind, aus, und wie können das Wissen um die Funktionsweise und die Nützlichkeit der Fahrassistenzsysteme und in Folge deren Akzeptanz in diesen Generationen erhöht werden?

Das sind einige der zentralen Fragen mit denen sich die Forschungsrichtung der Mensch-Maschine Interaktion auf dem Gebiet der Mobilitätsforschung und Fahrzeugautomatisierung beschäftigt.

Im nachfolgenden Kapitel geben wir einen Einblick in Erkenntnisse zum Autofahren im Alter, stellen aktuelle, verkehrssicherheitsrelevante Initiativen, Gesetze und Forschungsvorhaben vor und diskutieren die Bedeutung von Fahrassistenzsystemen im Spannungsfeld zwischen individueller Mobilität im Alter und Sicherheit auf Europas und Österreichs Straßen. Dabei illustrieren wir die Rolle, die der Mensch-Maschine Interaktion in der Auflösung dieses Spannungsfeldes zu kommt, und beschreiben drei aktuelle Forschungsprojekte des Centers for Human-Computer Interaction der Paris Lodron-Universität Salzburg in diesem Kontext.

Autofahren im Alter

Sowohl im wissenschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Diskurs werden Autofahren und Alter, und Autofahren im Alter, vielfach, aus unterschiedlichsten Perspektiven heraus diskutiert, betrachtet und erforscht.

So hat die aktuell im Altern begriffene Generation der sogenannten Baby Boomer, die in den Jahren 1946 bis 1964 geboren wurde, verglichen mit früheren und späteren Generationen, eine ganz spezielle Beziehung zum Automobil, denn diese Generation ist in einer historischen Periode geboren worden und aufgewachsen, in der der Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Paradigmen zum ersten Mal eine einfache, individuelle Motorisierung ermöglichte. Mit der Baby Boomer Generation begannen zudem auch die Frauen vermehrt Auto zu fahren. War das Führen eines Privatfahrzeugs in früheren Generationen fast ausschließlich Männern vorbehalten, änderte sich das mit dieser Generation nun maßgeblich, was zu einer Zunahme der Führerscheine und einem Ansteigen der Motorisierungsrate aber auch zu einer Vernachlässigung möglicher Transportalternativen führte. (Aguiar & Macário, 2017).

Hinzu kommt, dass die   neuen Alten, wie die Baby Boomer Generation auch genannt wird, als sogenannte aktive Alte im Sinne des active ageing auch jetzt in ihrer (nahenden) Pension unter Druck geraten weiterhin produktiv, d. h. beruflich aktiv, und mobil zu sein, um gesellschaftlich integriert zu bleiben, was die Bedeutung eines eigenen Fahrzeuges und der Fähigkeit es zu lenken auf der persönlichen Ebene weiter erhöht (Richter, 2020).

Bedeutung der Mobilität für Autofahrer*innen in höherem Alter

Unabhängigkeit und sichere Mobilität sind Grundlagen für unsere Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und unser Lebensglück. Im von der Europäischen Union (EU) geförderten Growing Older, stAying mobiLe (GOAL, 2013) Projekt, das bis 2013 die Bedürfnisse Menschen höheren Alters in Bezug auf Gehen, Radfahren und Autofahren untersuchte, wurden diese Mobilitätsformen in ihren diversen Ausprägungen als eine der wichtigsten Voraussetzungen für höhere Zufriedenheit, bessere soziale Integration und längerfristige Gesundheit Erwachsener höheren Alters identifiziert (GOAL, 2013). Die ältere Bevölkerung ist oftmals sogar stärker auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen, um aktiv und autonom zu bleiben und die bestehende Lebensqualität zu sichern als jüngere Menschen. Für viele Personen höheren Alters steht Autofahren synonym für Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und die Kontrolle über das eigene Leben (van der Roest & Stavenuit, 2017).

Das mit dem (eigenen) Personenkraftwagen (PKW) verbundene Mobilitätsbedürfnis bei Autofahrer*innen über 60 Jahren umfasst dabei sowohl die Bereiche Reisen und Ausflüge, Hobbys und Besuche, als auch unmittelbare Erfordernisse wie Fahrten um Alltagserledigung durchzuführen oder um zum Arzt oder zur Apotheke zu gelangen (D’Ambrosio et al., 2008; Färber, 2000).

Die Lebensqualität in höherem Alter steht also erwiesener Maßen in engem Zusammenhang mit dem Grad der verfügbaren Mobilität, sowohl der eigenen physischen als auch der weiterführenden Mobilität z. B. durch die Nutzung von Fahrzeugen wie dem eigenen Automobil. Veränderungen des Gesundheitszustands zum Negativen haben häufig ihren Ursprung in mangelnder körperlicher Mobilität genauso wie fehlender Zugangsmöglichkeit zu weiterführender Mobilität. Umgekehrt wirkt sich der Erhalt sowohl der physischen als auch der weiterführenden Mobilität positiv auf die Lebensqualität Menschen höheren Alters aus und unterstützt ein aktiveres, gesünderes Altern. Gerade der Verlust weiterführender Mobilität geht oft mit sozialer Isolation und Vereinsamung einher (Aguiar & Macário, 2017).

Trotz der Berücksichtigung der Heterogenität älterer Autofahrer*innen, wird das biologische Alter der Fahrzeuglenker*innen jedoch als genereller Risikofaktor im Straßenverkehr erachtet. Daher gibt es Bestrebungen in mehreren Ländern der EU, Fahrtauglichkeitsprüfungen für ältere Autofahrer*innen zu realisieren, die darüber entscheiden, ob eine Person noch als fahrtauglich gilt, demnach noch Autofahren darf, oder ob ihr die Fahrerlaubnis entzogen werden muss.

In Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Italien, den Niederlanden und Portugal ist eine verpflichtende Beurteilung der Fahrtauglichkeit ab dem Erreichen einer gewissen Altersgrenze schon Realität (European Commission, 2020). Österreich hat eine derartige verpflichtende Überprüfung basierend auf dem Alter der Führerscheinbesitzer*innen bislang noch nicht eingeführt.

Unter Berücksichtigung der körperlichen Verletzlichkeit älterer Autofahrer*innen und der nachlassenden Gesundheit und körperlichen Funktionen mit voranschreitendem Alter, ist die Forderung nach einer verpflichtenden altersbedingten Fahrtauglichkeitsüberprüfung einerseits nachvollziehbar, andererseits muss hier mit besonderem Bedacht vorgegangen werden. Immerhin bedeutet ein etwaiger Führerscheinentzug, wie bereits erörtert, einen enormen Einschnitt in die persönlichen Freiheitsrechte und Menschenrechte der Bürger*innen. Zudem sind Fahrtauglichkeitsüberprüfungen gemäß ihrer Natur mit zahlreichen Herausforderungen verbunden und kritisch zu betrachten.

Da wäre einmal die Prüfungssituation als solche. Der Stresslevel ist meist erhöht, immerhin bedeutet mit dem eigenen Auto mobil zu sein für viele Autofahrer*innen weit mehr als nur ein Transportmittel zur Verfügung zu haben. Die eigene Freiheit steht auf einmal auf dem Spiel. Ein Verlust des Führerscheins bringt mitunter eine weitreichende Veränderung des eigenen Lebens und der individuellen Mobilität mit sich und kann im schlimmsten Fall auch Isolation bedeuten.

Außerdem ist es für die meisten Personen in höherem Alter lange her, dass sie eine Prüfung abgelegt haben. Im Gegensatz zu Führerscheinneulingen, die oft während oder gleich nach der Schulzeit den Führerschein machen, sind Erwachsene höheren Alters Prüfungssituationen nicht (mehr) gewohnt. Dies führt oft zu einer weiteren Erhöhung des ohnehin schon hohen Stresslevels. Zudem sind Beurteilungen basierend auf einer einmaligen Einschätzung generell kritisch zu betrachten. Die zuständigen Ärzt*innen können für die Entscheidung verantwortlich gemacht werden, daher werden sie möglicherweise eher restriktiv in ihren Beurteilungen sein.

Auch hat sich gezeigt, dass die Wirksamkeit der altersbedingten Kontrollen nicht eindeutig nachweisbar ist (OECD, 2001). Ein Ergebnis ist jedoch eindeutig: Viele Autofahrer*innen höheren Alters (insbesondere Frauen) stellen freiwillig das Fahren ein, anstatt sich einer ärztlichen Untersuchung oder einer Fahrprüfung zu unterziehen (Braitman & Williams, 2011; D’Ambrosio et al., 2008; Hakamies-Blomqvist & Wahlström, 1998; Levy, 1995; Rudman et al., 2006). Einige geben ihren Führerschein zudem aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund von Fahrschwierigkeiten ab, obwohl noch zu klären wäre, ob diese Einschränkungen in jedem Fall schwerwiegend genug sind, um eine endgültige Fahrunterbrechung zu rechtfertigen (Braitman & Williams, 2011; OECD, 2001).

Viele Studien belegen nämlich, dass ältere im Vergleich zu jüngeren Fahrer*innen einen stärker risikobewussten, selbst regulierenden Fahrstil  zeigen (D’Ambrosio et al., 2008; Rudman et al., 2006). Auch Kim et al. (2013) bestätigen, dass gerade bei Autofahrer*innen ab 65 Jahren festgestellt werden konnte, dass sie z. B. seltener zu schnell fahren oder Alkohol trinken und dennoch ein Fahrzeug lenken, aber gleichzeitig verlässlicher und öfter Sicherheitsgurte anlegen als Fahrer*innen jüngerer Altersgruppen. Dieses für die Fahrsicherheit grundsätzlich positive, defensive Fahrverhalten, kann sich allerdings auch ins Negative kehren und zwar dann, wenn Fahrer*innen höheren Alters die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs aufgrund einer generell zu geringen Fahrgeschwindigkeit behindern und so zu einem ungewollten Sicherheitsrisiko werden.

Alter, Unfälle und Gesundheit

Auch wenn das Unfallrisiko bis zu einem gewissen Alter (<75 Jahre) nicht höher, sondern sogar niedriger ist als in jungen Jahren, wenn man es in Relation zu den gefahrenen Kilometern, der Fahrerfahrung und dem Einhalten von Verkehrsregeln setzt (Langford et al., 2006), ist das Verletzungsrisiko im Alter aufgrund der höheren physischen Verletzlichkeit und des körperlichen Abbaus um ein Vielfaches höher. Wenn also ein Unfall passiert, dann hat dieser oft gravierendere gesundheitliche Folgen für Autofahrer*innen höheren Alters bis hin zur Todesfolge (Bellet et al., 2018; Pfeiler & Allex, 2020; Statistik Austria, 2020).

Mit der abnehmenden körperlichen und gesundheitlichen Kondition steigt das Unfallrisiko ab einem fortgeschrittenen Alter von 75 Jahren bei gleichzeitig niedriger Kilometerleistung außerdem wieder signifikant an (Langford et al., 2006) (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Übersetzt und neu gestaltet nach Langford et al., 2006)

Unfallrisiko nach Lebensalter und gefahrenen Kilometern.

Dieses erhöhte Unfallrisiko bei niedriger Kilometerleistung ist in allen Altersgruppen gleichermaßen, wenn auch weniger ausgeprägt, zu beobachten. Nur junge Autofahrer*innen zwischen 18 und 20 Jahren sind aufgrund der mangelnden Erfahrung und der Bereitschaft höhere Risiken einzugehen noch stärker betroffen (Twisk & Stacey, 2007). In keiner anderen Altersgruppe ist das Verletzungsrisiko aber so hoch wie in der Gruppe der Über-75-Jährigen (Langford et al., 2006).

Auch hat sich gezeigt, dass die Gruppe der Autofahrer*innen höheren Alters (ab 65 Jahren) sehr heterogen ist, und daher keine allgemeingültigen Schlüsse in Bezug auf das Unfallrisiko nur unter Berücksichtigung des Alters gezogen werden können. In etwa die Hälfte der Population westlicher Nationen über 65 Jahren hat eine höhere Wahrscheinlichkeit in einen tödlichen Unfall verwickelt zu werden, während bei der anderen Hälfte das Unfallrisiko sogar niedriger ist als in der Restpopulation (Kim et al., 2013).

Folgende Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit in einen tödlichen Autounfall mit dem eigenen Auto verwickelt zu werden jedoch signifikant (Kim et al., 2013):

  • Das Geschlecht (männliche Autofahrer sind stärker gefährdet)

  • Alkoholeinfluss

  • Nicht situationsgerechte Geschwindigkeit

  • Schlechte Straßenbeleuchtung

  • Das Alter von Fahrzeug und Lenker*in (Ältere Autofahrer*innen ab 65 Jahren, die in einem älteren Fahrzeug unterwegs sind)

Im letzten Punkt dieser Auflistung zeigt sich deutlich, dass moderne Fahrzeugtechnologie zum Schutz der Autofahrer*innen höheren Alters beitragen kann. Das biologische Alter der Fahrer*innen ist nicht mehr der vordergründige Prädiktor in Bezug auf schwerwiegende oder sogar tödliche Unfälle, sobald die Fahrzeugtechnologie modernen Sicherheitsstandards entspricht (Kim et al., 2013).

Als weitere Risikofaktoren für Autofahrer*innen höheren Alters hinzukommen aber auch Erkrankungen, die die Fahrleistung und -tauglichkeit beeinflussen können, und deren Auftreten mit einem höheren Lebensalter statistisch gesehen wahrscheinlicher wird. So haben beispielsweise Untersuchungen der Salzburger Landesaugenklinik gezeigt, dass mehr als 110.000 Österreicher*innen weiterhin Autofahren, obwohl sie unter schwerwiegenden Sehbeeinträchtigungen (z. B. Glaukom, diabetische Retinopathie, oder altersbedingte Makula-Degeneration) leiden, die ein sicheres Autofahren bedeutend erschweren. (Ö1, 2017).

Verkehrsexpert*innen gehen davon aus, dass bei circa zehn Prozent der Verkehrsunfälle eine Erkrankung der Fahrer*innen höheren Alters eine entscheidende Rolle spielt. Sehbeeinträchtigungen kommt hier natürlich eine besondere Bedeutung zu, da gesunde Augen eine Grundvoraussetzung dafür sind, sich sicher im Straßenverkehr bewegen zu können. Österreich ist einer von nur fünf EU-Staaten in denen nach dem Erwerb des Führerscheins keine weiteren gesetzlichen Augenuntersuchungen vorgeschrieben sind. Expert*innen fordern hier schon seit mehreren Jahren, dass auch in Österreich ab dem 50. Lebensjahr regelmäßige augenärztliche Untersuchungen gesetzlich verpflichtend sein sollen (Ö1, 2017).

Verkehrssicherheit und Vision Zero

Angesichts einer kontinuierlich hohen Anzahl an Toten und Schwerstverletzten im Straßenverkehr und des Potentials, das das Voranschreiten der technologischen Entwicklung von Fahrassistenzsysteme in Bezug auf erhöhte aktive und passive SicherheitFootnote 1 verspricht, hat es sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, bis 2050 die Zahl der Verkehrstoten und Schwerstverletzten auf Europas Straßen auf null zu reduzieren. Diese als Vision Zero (Schäfer, 2018) bekannte Zielsetzung ist eine politische Initiative, die auf verschiedensten Strategien und Verordnungen auf nationaler, aber auch auf EU-Ebene basiert.

So hat die österreichische Bundesregierung in ihrem aktuellen Regierungsprogramm Österreich 2020–2024 (Die neue Volkspartei und Die Grünen (Österreich), 2020) zum Thema Verkehrssicherheit festgehalten, dass es 2021 eine Ausarbeitung eines neuen Verkehrssicherheitsprogrammes unter Annäherung an Europas Vision Zero geben soll. Dieses Programm beinhaltet unter anderem Maßnahmen wie eine Ermöglichung von Temporeduktionen in Ortskernen, vor Schulen und an Unfallhäufungsstellen sowie eine Stärkung des Rücksichtnahmeprinzips in der Straßenverkehrsordnung (StVO).

Des Weiteren sind eine vertiefende Ausbildung von LKW-Fahrer*innen im Rahmen der Berufskraftfahrer*innen-Aus- und -Weiterbildung hinsichtlich Verkehrssicherheit und toter Winkel, sowie dazu gehörende Bewusstseinsbildungsmaßnahmen für besonders gefährdete Gruppen von Verkehrsteilnehmer*innen, wie Menschen höheren Alters, inkludiert.

Auch die Einführung einer verpflichtenden Verkehrserziehung inklusive einheitlicher Unterrichtsmaterialien sowie verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse in allen Schulen und ein verstärktes Angebot von Fort- und Weiterbildung für Führerscheinbesitzer*innen, um aktuelles Wissen und Bewusstsein technischer und rechtlicher Neuerungen zu gewährleisten sind angedacht. (Die neue Volkspartei und Die Grünen (Österreich), 2020).

Gerade dieser letzte Punkt richtet sich auch an erfahrene und langjährige Autofahrer*innen höheren Alters, die zwar grundsätzlich das Fahren beherrschen, die aber durch Neuerungen in der Fahrzeugtechnologie und den rechtlichen Rahmenbedingungen vor neue Herausforderungen im Straßenverkehr gestellt werden.

Das schafft auch die Überleitung zum Thema moderne Fahrassistenzsysteme, denn obwohl moderne Fahrassistenzsysteme zuerst einmal die Sicherheit im Auto und im Straßenverkehr erhöhen sollen, ist ihre korrekte Anwendung, ihre Aktivierung, Deaktivierung und das Wissen um ihre Stärken und Schwächen nicht selten ein großes Fragezeichen für ihre Nutzer*innen. Menschen jüngerer Altersgruppen, die in einer stärker von Technologien durchdrungenen Lebenswelt aufgewachsen sind, haben aber dabei den Vorteil, dass es ihnen oft leichter fällt, sich neue Technologien anzueignen als Menschen höheren Alters, deren Alltag noch nicht so sehr von Technologie geprägt war und ist (Färber, 2000).

Das GeFaBe-Projekt

Im „Gemeinsam Fahren Wir Besser“ ForschungsprojektFootnote 2 (kurz: GeFaBe) hat sich das Center for Human-Computer Interaction der Paris Lodron-Universität Salzburg genau dieser Thematik angenommen und gemeinsam mit wissenschaftlich interessierten Bürger*innen erforscht, welche Defizite, Sicherheitslücken aber auch vorbildliche Praktiken es im Umgang mit Fahrassistenzsystemen (kurz: FAS) gibt.

Die Citizen ScientistsFootnote 3 hatten dabei die Möglichkeit über eine App ihre Erfahrungen zu berichten und so mit den Forscher*innen und anderen Nutzer*innen zu teilen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

App um Erfahrungen mit Fahrassistenzsystemen zu teilen

Dabei hat sich gezeigt, dass einige Fahrassistenzsysteme als sehr positiv und vertrauenswürdig wahrgenommen werden, während andere sogar als Gefahr für den Straßenverkehr beurteilt worden sind. So wurde bezüglich des Tempomaten berichtet, dass bei aktiviertem Tempomat entspanntes, angenehmes, und stressfreies Fahren möglich sei, und Geschwindigkeitsübertretungen vermieden werden können, was auch zu einer erhöhten Sicherheit im Straßenverkehr beiträgt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Beurteilung von FAS (2018–2019)

Beim ACC (Adaptive Cruise Control) wurde hingegen z. B. über träges oder sogar gefährdendes Verhalten des Assistenzsystems wegen unnötiger Bremsvorgänge berichtet.

Dichter Stauverkehr, 4-spurige Straße. Durch rechts abbiegende Fahrzeuge ergibt sich auf der rechten Spur gut Platz und die Chance, über dieses Fenster auf der freieren rechten Spur ebenfalls raus zu fahren und eine andere Route zu nehmen. In dem Moment, wo ich gerade zum Rausfahren auf etwa 40 km/h beschleunigt hatte, hat der Fahrassistent, während ich mit dem Lenkrad das Auto nach rechts rüber gezogen habe, festgestellt, dass das Fahrzeug gerade bzw. ansatzweise bereits links von mir zu nahe wäre und die Notbremsung eingesetzt. Nach etwa 2 Sekunden hat das Bremsen wieder ausgesetzt, weil die rechte Spur natürlich frei war. Das völlig sinnlose Bremsmanöver hat die benachbarten Fahrzeuglenker sehr irritiert und beinahe einen Auffahrer von hinten gebracht, weil ich nicht der Einzige war, der dieses Fenster nutzen wollte, sondern auch Fahrer hinter mir. Fazit: Der Fahrassistent reagiert so träge, dass er eine Notbremsung durchführt und mich gefährdet hat. (GeFaBe Teilnehmer, 63 Jahre)

Viele Erlebnisse bezogen sich auch auf die Nutzung vom Einparkassistenten bzw. auf die Einparkhilfen. Während hier schon der generell positive Aspekt der Erleichterung des Einparkens anerkannt wurde, gab es auch negative Aspekte zu berichten, wie zum Beispiel die automatische Aktivierung des Systems in unpassenden Situationen, unnötige oder zu frühe Hinweistöne, oder das generelle Versagen des Systems in bestimmten Verkehrsumgebungen. Auch die Verkehrszeichenerkennung funktionierte nicht immer einwandfrei und sorgte mitunter für überraschende Fahrerlebnisse.

„Ich bin in einer 30-er Zone unterwegs, fahre an einem LKW vorbei, der eine 100 Geschwindigkeitsplakette aufgeklebt hat. Mein Assistent erkennt die Plakette als Geschwindigkeitsbegrenzungstafel und „erlaubt“ mir mit 100 km/h zu fahren. Mitdenken erlaubt!!!“ (GeFaBe Teilnehmerin, 58 Jahre)

Eine wesentliche Rolle bei der Erreichung der Vision Zero spielen also auch die Ingenieur*innen und Techniker*innen, welche die Fahrzeuge und Fahrassistenzsysteme der Zukunft entwerfen, und in deren Überlegungen Autofahrer*innen generell und Autofahrer*innen in höherem Alter im Besonderen, sowie deren Bedürfnisse meist nicht dezidiert Beachtung finden.

Fahrassistenzsysteme – Potential für Autofahrer*innen höheren Alters

Zur Beurteilung der Auswirkungen von assistiertem und automatisiertem Fahren hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft im Jahr 2015 ein interdisziplinäres Projektteam zusammengestellt, um eine Prognose bis zum Jahr 2035 auszuarbeiten (GDV, 2017). Zwar kommen die Expert*innen zu dem Schluss, dass FAS unter realistischen Bedingungen im realen Straßenverkehr weniger Einfluss auf Unfälle und Schäden nehmen als theoretisch unter idealen Bedingungen möglich, ein positiver Effekt auf die Sicherheit im Straßenverkehr wird ihnen aber zugeschrieben. Auch andere Autor*innen gehen von einer Erhöhung der Sicherheit durch FAS aus (z. B. Davidse, 2006; Golias et al., 2002; Louwerse & Hoogendoorn, 2004; Maag et al., 2012; Östling et al., 2019; Reimer, 2014). Zusätzlich wird vermutet, dass FAS positive Auswirkungen auf den Verkehrsfluss haben können (Golias et al., 2002; Maag et al., 2012).

Aus den Ergebnissen des GeFaBe-Projektes wird allerdings deutlich, dass FAS aus der Sicht der Autofahrer*innen nicht immer die nötige Assistenz bieten, sondern auch zu einer Gefahrenquelle im Verkehr werden können, insbesondere, wenn Fahrer*innen nicht mit dem jeweiligen System vertraut sind, beziehungsweise sie das System nicht ausreichend verstehen.

Auch Maag et al. (2012) betonen, dass besonders darauf geachtet werden muss, potentielle negative Auswirkungen von FAS auf die Fahrer*innen hinsichtlich Arbeitsbelastung, Aufmerksamkeit und Emotionen zu vermeiden. Deshalb ist es ausgesprochen wichtig, dass die Besonderheiten der Nutzer*innengruppe bei der Entwicklung und Einführung der Systeme berücksichtigt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass FAS optimal zur Anwendung kommen und keinen gegenteiligen Effekt bewirken.

Vor allem für Autofahrer*innen höheren Alters bergen FAS ein nicht zu unterschätzendes Potential, denn sie könnten die mit dem Alter einhergehenden Probleme und Schwierigkeiten zumindest teilweise kompensieren (Davidse, 2006), und zur Sicherheit der Autofahrer*innen beitragen (Reimer, 2014). In früheren Studien hat sich außerdem herausgestellt, dass älterer Autofahrer*innen durchaus ein Interesse an FAS haben (Abraham et al., 2017; Bellet et al., 2018; Braun et al., 2019; Crump et al., 2016). Besonders wichtig im Hinblick auf die tatsächliche Nutzung von FAS ist dabei, wie nützlich das System von Fahrer*innen höheren Alters empfunden wird. Ein Mangel an wahrgenommener Nützlichkeit wurde von den Autor*innen als Hauptgrund für die Nichtnutzung von FAS identifiziert. Außerdem wird angenommen, dass Nutzungsbarrieren auch durch das Sammeln von Erfahrungen mit FAS abgebaut werden können (Trübswetter & Bengler, 2013).

Trotz der positiven Bewertung von FAS hinsichtlich Verkehrssicherheit sowie der tendenziell positiven Einstellung gegenüber Automatisierungstechnologien in der älteren Bevölkerung, ist zum heutigen Zeitpunkt kein FAS verfügbar, welches speziell für die älteren Generationen entwickelt wurde und somit auf die Bedürfnisse von Autofahrer*innen höheren Alters zugeschnitten ist. Das größte Potential hinsichtlich Verkehrssicherheit wird allerdings bei Systemen vermutet, welche Autofahrer*innen höheren Alters gezielt bei ihren Schwächen unterstützen (Davidse, 2006).

Fahrassistenzsysteme für Autofahrer*innen höheren Alters entwickeln – ein Beispiel aus der Forschung

Um diese Forschungslücke weiter zu beleuchten, wurden die Projekte CuARdian Angel (CARAFootnote 4) und CuARdian Angel II (CARA IIFootnote 5) ins Leben gerufen. Die Projekte wurden im Rahmen des Active Assisted Living (AAL) ProgrammsFootnote 6 realisiert. Unter AAL werden Technologien zusammengefasst, welche vor allem Menschen höheren Alters in ihrem Alltag unterstützen sollen (Neureiter et al., 2018). AAL-Technologien können daher maßgeblich dazu beitragen, ein selbstbestimmtes, freies Leben zu ermöglichen und die Lebensqualität zu erhöhen.

Das übergeordnete Ziel der Projekte CARA und CARA II war es, technische Lösungen zu entwickeln, welche es Personen höheren Alters ermöglichen sollen, länger und unter sicheren Bedingungen mit ihrem Fahrzeug mobil zu bleiben. Neben der Erhöhung der Sicherheit war es ein weiteres wichtiges Projektziel, das Fahrerlebnis möglichst angenehm zu gestalten.

Für die Zielerreichung war es essenziell, die konkreten Bedürfnisse der Zielgruppe zu identifizieren und sie anschließend gezielt zu adressieren. Deshalb wurde die Involvierung der zukünftigen Nutzer*innen im gesamten Projekt als besonders wichtig erachtet. So wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits über 2000 Erwachsene ab einem Alter von 55 Jahren in mehreren europäischen Ländern (hauptsächlich: Österreich, Niederlande und Belgien) auf unterschiedliche Art und Weise (Befragungen, Workshops, Feldtests) in die Entwicklung der technischen Lösungen miteinbezogen.

Zu Beginn des Projekts CARA wurden die Bedürfnisse von Autofahrer*innen höheren Alters in einer breit angelegten Online-Studie sowie mittels vertiefender Interviews erhoben. Im Rahmen der Online-Studie wurden den Teilnehmer*innen Fragen zur Einschätzung ihrer Fahrfähigkeiten, Schwierigkeiten, die beim Fahren erlebt werden sowie ihrer Einstellung zu und Erfahrung mit vorhandenen FAS gestellt und Feedback zu neuen Lösungen eingeholt. Insgesamt nahmen 1.539 Personen zwischen 50 und 95 Jahren (M = 74,02; SD = 6,95) an der Umfrage (weiblich: n = 555, männlich: n = 965, keine Angabe: n = 19) teil.

Basierend auf den kombinierten Ergebnissen aus der Online-Studie und den Interviews wurden zwei FAS konzeptioniert und in einem iterativen Prozess gemeinsam mit zukünftigen Nutzer*innen weiterentwickelt, welche das Potential besitzen, älteren Autofahrer*innen relevante Unterstützung zu leisten. Diese werden in den folgenden Abschnitten kurz erläutert.

Aus der Online-Befragung geht hervor, dass es Situationen und Bedingungen gibt, welche zumindest von einem Teil der Zielgruppe bewusst gemieden werden. Die Ergebnisse dazu sind in Abb. 4 visualisiert. Es hat sich gezeigt, dass ungünstige Wetterbedingungen das größte Problem für ältere Autofahrer*innen darstellen. 10 % der Teilnehmer*innen der Online-Befragung gaben an, innerhalb des letzten Jahres häufig oder sogar immer Schwierigkeiten beim Fahren unter schlechten Wetterbedingungen gehabt zu haben.

Abb. 4
figure 4

Antworten auf die Frage: „Vermeiden Sie manchmal das Autofahren? Bitte geben Sie alle Situationen an, in denen Sie nicht fahren.“ (Mehrfachnennungen möglich); n = 1487

Aber auch bestimmte Verkehrssituationen, wie zum Beispiel Fahrten bei starkem Verkehrsaufkommen oder in unbekannten Gebieten sowie auf Autobahnen werden von einigen älteren Autofahrer*innen gemieden. In den Interviews wurden ähnliche Situationen und Bedingungen als äußerst unangenehm beschrieben.

Diese Ergebnisse aus CARA stehen im Einklang mit früheren Studien, wo unter anderem ebenfalls dichter Verkehr, glatte oder rutschige Straßen, Fahrten in unbekannten Gebieten sowie Nacht- und Autobahnfahrten als schwierig oder unangenehm für ältere Autofahrer*innen identifiziert wurden (Molnar et al., 2013; Siren & Meng, 2013).

Zusätzlich hat sich im Zuge der Online-Studie gezeigt, dass Autofahrer*innen höheren Alters unzufrieden mit der vorhandenen Infrastruktur zu sein scheinen (siehe Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Antwort auf die Frage: „Was würde Ihnen helfen, ein guter Fahrer zu bleiben“) (Mehrfachnennungen möglich), n = 1505

Aus diesen Ergebnissen lässt sich folgende Vermutung ableiten: Wenn man ältere Autofahrer*innen darin unterstützen könnte, die von ihnen als unangenehm oder unsicher empfundenen Situationen und Bedingungen gezielt und konsequent zu meiden, könnte dies ein großer Schritt hin zu einem angenehmeren Fahrerlebnis sein und gleichzeitig auch erhöhte Sicherheit bedeuten.

Aus dieser Überlegung ist die Idee eines Navigationssystems für ältere Verkehrsteilnehmer*innen entstanden. Es schlägt Routen vor, welche an die Präferenzen der Nutzer*innen angepasst sind. Nutzer*innen können Verkehrssituationen und -bedingungen angeben, welche sie persönlich als schwierig oder unangenehm empfinden, wie zum Beispiel Fahrten bei schlechten Wetterbedingungen, Abbiegen an vielbefahrenen Kreuzungen, Autobahnfahrten, nächtliche Fahren auf unbeleuchteten Straßen oder unübersichtliche Kreisverkehre. So lernt das System die Präferenzen des*der Nutzer*in kennen und wird zukünftig personalisierte Routen vorschlagen, welche diese sowie ähnliche Situationen vermeiden und somit einfaches, angenehmes und stressfreies Fahren ermöglichen. Zusätzlich warnt das System vor bevorstehenden, während der Fahrt aufkommenden schlechten Wetterverhältnissen und empfiehlt dementsprechend einen alternativen Fahrtbeginn, falls dies von dem*der Nutzer*in gewünscht ist.

Ein weiteres FAS-Konzept, das im Rahmen des Projekts CARA konzipiert wurde, ist ein System, welches das Fahrverhalten und die Fahrfähigkeiten der Nutzer*innen aufzeichnet. In regelmäßigen Abständen können Autofahrer*innen eine Bewertung ihrer Fähigkeiten in den Kategorien Abstandhalten, Geschwindigkeit, Bremsverhalten, Kurven fahren und Spurhalten über ihr eigenes, passwortgeschütztes Profil in der zugehörigen App einsehen. Die Idee dahinter ist es, Defizite und fehlerhafte Verhaltensweisen frühzeitig aufzudecken, um somit der (altersbedingten) Verschlechterung von für das Autofahren relevanten Fähigkeiten gezielt entgegenzuwirken.

Dieses Konzept kann als nutzer*innenfreundlichere, weniger diskriminierende Alternative zu verpflichtenden Fahrtests ab einem bestimmten Alter in Betracht gezogen werden. Die Beurteilung des Fahrverhaltens durch das System basiert auf einer Vielzahl von Daten, welche in realistischen Fahrsituationen gesammelt werden. Zusätzlich entsteht keine außergewöhnliche, nervenaufreibende Prüfungssituation, in der sich die älteren Autofahrer*innen beweisen müssen. Insgesamt wird vermutet, dass ein derartiges System zu einer realistischeren und zuverlässigeren Bewertung der Fahrfähigkeiten führt als eine klassische Fahrprüfung.

Das System ist nicht als verpflichtend für ältere Autofahrer*innen angedacht. Der im Projekt verfolgte Ansatz ist vielmehr, die Vorzüge eines solchen Systems zu kommunizieren und an die Eigenverantwortung älterer Autofahrer*innen zu appellieren. Durch das Aufzeigen persönlicher Schwächen wird die Aufmerksamkeit auf die eigenen Fahrfähigkeiten gelenkt und zur Reflexion angeregt. Es wird erwartet, dass ältere Autofahrer*innen dadurch häufiger selbstständig Maßnahmen ergreifen, die zum Erhalt ihrer Fahrfähigkeiten beitragen.

Auch dieser Ansatz basiert auf empirischen Daten. Von 1505 Personen, die im Rahmen der Online-Studie befragt wurden, ob sie persönliches Feedback zu ihren Fahrfähigkeiten erhalten möchten, gaben nur 20 % (n = 299) an, kein Interesse daran zu haben. Von den verbleibenden 80 % (n = 1206) der Teilnehmer*innen, sind 73 % (n = 879) bereit das Feedback mit Fahrlehrer*innen zu teilen, um ein personalisiertes Fahrtraining zu erhalten und 61 % (n = 735) würden das Ergebnis sogar mit ihrer Versicherung teilen, wenn sie dann eine geringere Prämie zahlen müssten.

In den weiteren Projektphasen wurde jeder Entwicklungsschritt der FAS von Autofahrer*innen höheren Alters begleitet. Die Konzepte bzw. Prototypen wurden den potentiellen zukünftigen Nutzer*innen regelmäßig vorgestellt und deren Meinung dazu eingeholt. Bis jetzt haben beide Systeme Interesse in der Zielgruppe geweckt. Die Beteiligung an den Studien war stets sehr hoch und die Erkenntnisse aus den angeregten Diskussionen wurden für die Weiterentwicklung der Systeme genutzt. Nach Abschluss der technischen Entwicklung der Systeme, ist noch eine abschließende Langzeit-Feldstudie geplant, um die Systeme unter realen Bedingungen zu testen.

Zusätzlich zu den technischen Lösungen wurde im Rahmen des Projekts ein Selbsttest entwickelt. Dieser soll zukünftig online für alle interessierten Autofahrer*innen höheren Alters zur Verfügung gestellt werden und verfolgt das Ziel, diese dazu anzuregen, über ihr eigenes Fahrverhalten und ihre Fahrfähigkeiten zu reflektieren. Damit soll vordergründig Verzerrungen der Selbstwahrnehmung entgegengewirkt werden. Einige Studienergebnisse deuten nämlich darauf hin, dass auch Autofahrer*innen höheren Alters die Tendenz haben, ihre Fahrfähigkeiten zu überschätzen (De Craen et al., 2011; Freund et al., 2005).

Im Rahmen des Selbsttests werden mittels verschiedener Module eine Reihe an für das Autofahren relevante Fähigkeiten getestet, wie zum Beispiel Reaktionszeit, geteilte Aufmerksamkeit oder Wahrnehmung von Risikofaktoren im Straßenverkehr. Anschließend erhalten die Testteilnehmer*innen eine Auswertung sowie personalisierte Empfehlungen zur Verbesserung oder weiteren Überprüfung der Fahrfähigkeiten oder des Gesundheitszustandes basierend auf den Testergebnissen. Diese Empfehlungen können sowohl geeignete Technologien oder spezialisierte Fahrtrainings umfassen, als auch gegebenenfalls auf eine empfohlene Untersuchung bei einem Arzt hinweisen.

Der Selbsttest ist aber keineswegs als Ersatz für einen Arztbesuch oder eine objektive Einschätzung der Fahrtauglichkeit zu verstehen, was den Testnehmer*innen auch explizit so kommuniziert wird. Vielmehr soll er ebenfalls eine Alternative zu einer altersbedingten verpflichtenden Fahrprüfung darstellen, indem er Bewusstsein für die eigene Fahrtauglichkeit schafft sowie Möglichkeiten aufzeigt, eigenverantwortlich individuellen Defiziten gezielt und vor allem auch rechtzeitig entgegenzuwirken.

Über die Entwicklung der Technologien hinaus, sollen die Projekte CARA und CARA II außerdem dazu beitragen, die Kooperation zwischen Autofahrer*innen höheren Alters und für den Straßenverkehr relevanten Akteur*innen wie zum Beispiel Fahrschulen, Automobilclubs aber auch Ministerien und Versicherungen zu fördern und Verständnis für die jeweiligen Bedürfnisse und Ansichten zu schaffen. So kann es in Zukunft auch leichter gelingen, die Straßen zu einem sicheren Ort für alle Verkehrsteilnehmer*innen werden zu lassen.

Zusammenfassung und Ausblick

Da Autofahrer*innen höheren Alters besonders gefährdet sind, sich bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen zuzuziehen oder sogar tödlich zu verunglücken, ist es im Rahmen der europäischen Vision Zero essenziell, diese Risikogruppe im Straßenverkehr vermehrt zu schützen und zu unterstützen.

Wie am Beispiel der auf Autofahrer*innen höheren Alters zugeschnittenen CARA-Fahrassistenzsysteme dargestellt, kann Technologie dabei eine wesentliche Rolle spielen. Das Potential von innovativen, technischen Lösungen zur Verbesserung der Lebensqualität für die ältere Bevölkerung ist dabei selbstverständlich nicht auf Verkehrssicherheit limitiert. So werden viele verschiedene AAL-Technologien dazu verwendet, Personen höheren Alters dabei zu unterstützen länger selbstständig und selbstbestimmt den Alltag zu gestalten. Konkrete Anwendungsbereiche umfassen dabei beispielsweise Gesundheits- und Aktivitätsüberwachung, Unterstützung bei altersbedingter Verschlechterung kognitiver Fähigkeiten und spezielle Unterstützung für Demenzerkrankte (Rashidi & Mihailidis, 2012). Auch Menschen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen können maßgeblich von AAL-Technologien profitieren (Memon et al., 2014; van Heek et al., 2017).

Unabhängig von Anwendungsbereich und Zielgruppe ist es aber unabdinglich, die zukünftigen Nutzer*innen in die verschiedenen Schritte der Erforschung und Entwicklung solcher Systeme einzubinden. Nur so kann gewährleistet werden, dass reale Bedürfnisse der Zielgruppe, auch in Hinblick auf die Bedienung dieser Systeme, adressiert und die Systeme ausreichend akzeptiert und somit auch tatsächlich benutzt und in den Alltag integriert werden können.

Gleichzeitig muss auch klar sein, dass das alleinige Vorhandensein intelligenter Assistenzsysteme in den verschiedenen Kontexten noch keine sichere und systemgerechte Handhabung sicherstellt. Das hat unter anderem das Projekt GeFaBe sehr anschaulich für den Automobilbereich, genauer unterschiedlichste Fahrassistenzsysteme, verdeutlicht. Eine einfache und nutzer*innenfreundliche Bedienbarkeit der Systeme spielt eine große Rolle. Die Nutzer*innen müssen die Systeme verstehen und Möglichkeiten haben, ihre korrekte und sichere Bedienung zu erlernen, denn nur so können die Assistenzsysteme, sei es im Straßenverkehr oder in einem anderen Kontext, ihre positive Wirkung entfalten.