Das Bild des Alterns in der modernen Gesellschaft ist heute nicht mehr ganz so einheitlich geprägt, wie es sich uns vielleicht noch vor wenigen Jahrzehnten präsentiert hat. Dem Jugend- und Anti-Aging Kult eines Forever young steht heute der Ruf nach Verbesserung der sozialen Existenz im Alter, nach Ermöglichung gewünscht langer Mobilität und Teilhabe an der Gesellschaft, nach guter Pflege und schmerzfreiem Sterben in Würde gegegüber. So scheint es zumindest. Oder ist auch dies ein Trugbild? Ist das Alter mit seinen vielfältigen Krankheiten doch Abstellgleis, gesellschaftlicher Sackbahnhof und von vielen als lästig empfundene Vorstufe nutzlos gewordener Existenz zum Tode hin? Vermutlich sind unsere Bilder vom Altern selbst in einer scheinbar homogenen Gesellschaft so vielfältig wie diese Gesellschaft selbst sich kulturell zu einer Gemeinschaft ihrer Glieder entwickelt hat, die sich von irrationalen Sehnsüchten nach Homogenität und Gleichförmigkeit in den letzten Jahrzehnten schnell unumkehrbar entfernt hat. Der Blick auf historische Schlaglichter des Alterns in Krankheit und Gesundheit, in geistiger und körperlicher Rüstigkeit aber auch in Gebrechlichkeit bis zur Demenz von der Antike bis heute zeigt, dass es diese Perspektivenvielfalt immer gegeben hat. Vermutlich wird es sie auch weiterhin geben. Entscheidend ist allerdings, wie unsere Perspektive auf Alter, Altern und Alterskranksein die Realität des Umgangs mit diesen Stadien menschlicher Existenz angesichts moderner Möglichkeiten der Medizin und bewusster Verantwortung eines sozialen Staates prägt. Auch hier lohnt der Blick in die Geschichte dieser Verhältnisse (Eckart, 2000).

Antike

„Wer keine Kraft zu einem sittlich guten und glückseligen Leben in sich selbst trägt, dem ist jedes Lebensalter eine Last; wer aber alles Gute von sich selbst verlangt, dem kann nichts, was das Naturgesetz zwangsläufig mit sich bringt, als ein Übel erscheinen. Dazu gehört in erster Linie das Alter; alle wünschen es zu erreichen; haben sie es dann erreicht, dann beklagen sie sich darüber; so inkonsequent und unlogisch sind sie, die Toren (Cicero, 1982, S. 23).“

Keinem Geringeren als Marcus Tullius Cicero (106–43), dem römischen Politiker, Redner und Philosophen des ersten Jahrhunderts vor Christus, verdanken wir diese Zeilen über die letzten Lebensjahre. Sie finden sich am Anfang des wohl 44 entstandenen Dialogs Cato der Ältere über das Alter, den Cicero schwer durch den Tod der geliebten Tochter Tullia getroffen, bedrückt aber auch bereits durch die „Last“ des eigenen „Alters“ (Cicero, 1982, S. 19.2) dem Freund Atticus und sich selbst als Trostschrift geschenkt hatte. Kritisch setzt sich der Römer mit den landläufigen Urteilen seiner Zeit über das Greisenalter auseinander. Dass dieses die Kraft der Jugend vermissen lasse, werde aufgewogen durch vorzüglichere Geisteskräfte; auch von einem Mangel an Sinneslust könne keine Rede sein, mürrisches, zänkisches Wesen und Geiz dürfe man nicht in Abhängigkeit vom Alter sehen, sondern müsse es dem Charakter zuschreiben.

Es ist wahr. In Ciceros idealisierendem Alterslob verliert der letzte Akt des Lebensschauspiels jeden bitteren Beigeschmack. Ruhe, Weisheit und Unabhängigkeit von den Tagesgeschäften („abstractus a rebus gerendis“) bestimmen seinen Lauf. Aber Cicero beschreibt nicht, er entwickelt ein Ideal und gewährt damit zugleich einen Blick auf das wirkliche Leben, das eben so beschaffen nicht war, wie wir mit Blick auf den Ausspruch des römischen Komödiendichter Terenz (195/190–159) vom Alter als Krankheit („Senectus ipsa morbus“) in seiner Kommödie „Phormio“ (IV. Akt) vermuten dürfen (Terenz, 1837, S. 616). Auch die im ersten Jahrhundert nach Christus niedergeschriebene Klage des römischen Enzyklopädisten Cornelius Celsus (1. Jh. n. Chr.) lässt aufhorchen: Die doch so vielfältig entwickelte Heilkunde lasse gleichwohl nur wenige Leute das Greisenalter erreichen (Celsus, Praefatio, 5). Tatsächlich ist aus Altersangaben auf Grabsteinen des röm. Imperiums das dritte Lebensjahrzehnt als häufiges Sterbealter errechnet worden, und eine durchschnittliche Lebenserwartung in diesem Bereich dürfte realistisch sein (Lexikon d. Alten Welt, 130). Mit dem dreißigsten Lebensjahr war bereits ein hohes Alter erreicht, mit dem vierzigsten die Grenze zum Greisenalter sicher überschritten. Wir wissen heute, daß es neben Tuberkulose und Gicht wohl vorwiegend Abnutzungserscheinungen des Bewegungsapparates waren, die dem alternden Menschen der Antike den Lebensabend verbitterten und mit stoischer Gelassenheit kaum zu ertragen waren. Knochenbefunde deuten darauf hin, daß mehr als 80 % der alten römischen Bevölkerung an degenerativen Erkrankungen der Knochen und Gelenke gelitten hat. Der römische Politiker und Redner, Plinius der Jüngere, er lebte um die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert nach Christus in Rom und an der Südküste des Schwarzen Meeres, beschreibt den erbarmenswerten Zustand des gebrechlichen alten Domitius Tullus:

„Verkrüppelt und deformiert an allen Gliedern, konnte er sich seines unermeßlichen Reichtums nur noch in der Betrachtung erfreuen; nicht einmal mehr das Herumdrehen im Bett war ihm ohne fremde Hilfe möglich. Auch mußte er sich die Zähne säubern und bürsten lassen - um nur ein elendes und bedauernswertes Detail herauszugreifen - und wenn er über die Erniedrigung seiner Gebrechlichkeit jammerte, so konnte man oft hören, dann soll er sich sogar vor seinen Sklaven erniedrigt haben“ (Plinius, Ep. 8.18.9–10) (Jackson, 1988).

Auch die antike Medizin hat sich dem Alter und seinen Krankheiten zugewandt. Ihrem Hauptvertreter in römischer Zeit, dem ehemaligen Gladiatorenarzt Galenos von Pergamon (129–199), verdanken wir die Einordnung der Alterskrankheiten in das System der Qualitäten- und der Humoral- oder Säftepathologie, einer Krankheitslehre, die die ungleichgewichtige, schlechte Mischung der vier Elementarqualitäten (warm, feucht, kalt, trocken) und der Körpersäfte, insbesondere der vier Kardinalsäfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle), für alle Krankheitszustände verantwortlich machte. Der Gesundheit hingegen, so nahm man an, liege eine gleichgewichtige, harmonische Mischung der Körpersäfte (Synkrasie, Eukrasie) zugrunde. Wie in einem Koordinatensystem konnten so alle möglichen Krankheiten nach den sie bestimmenden Mischungsverhältnissen erklärt werden.

Galenos von Pergamon sah im Alter einen vorwiegend kalten und trockenen Körperzustand (Galen/Kühn, 6, 357). Aus der Dominanz dieser Qualitäten ließen sich nicht nur die äußeren Erscheinungsmerkmale wie eine kalte, dunkle bis bläuliche Haut, sondern eben auch die Alterskrankheiten als Krankheiten der Trockenheit und der Kälte erklären: Apoplexia, Erschlaffung der Nerven, Stumpfsinn, Zittern und Krämpfe, Katarrh, Krankheiten der Luftröhre. Nahezu das ganze Blut schwinde den Greisen und mit ihm zusammen auch die rote Hautfarbe. Und mehr noch, die ganze Verbrennung Verdauung und Durchblutung, Aufnahmefähigkeit, Ernährung und Appetit, Wahrnehmung und Bewegung, sie alle sind aufs höchste beschädigt. „Was also“, fragt Galen seine Leser am Schluss dieser Beschreibung, „ist das Greisenalter anderes als der Weg in den Untergang? (Galen/Kühn, 1, 582)“.

Wie sehr unterscheidet sich doch diese nüchterne Zustandsbeschreibung von der idealisierenden Betrachtung Ciceros. Aber Galen beschreibt nicht nur, zeigt nicht nur den Weg in den Untergang, sondern er liefert mit seiner Beschreibung der Alterskrankheiten gleichzeitig eine Anleitung, durch maßvolle Diät das Altern und seine Krankheitserscheinungen zu mildern wenn nicht gar zu verhüten. Der Greis muss seine gesamte Diät auf Wärme und Feuchtigkeit ausrichten. Dazu gehören nicht nur Speise und Trank, sondern auch warme und feuchte Luft, ein ausgeglichenes Verhältnis von Schlafen und Wachen, Ruhe und Bewegung, Liebesleben und Enthaltsamkeit.

Der Altersbeschreibung Galens ergeht es wie dem Gesamtwerk dieses berühmtesten römischen Arztes, sie bestimmt geradezu kanonisch das medizinische Wissen der westlichen Welt vom Alter bis weit in die Neuzeit hinein. Wir werden noch im 17. und 18. Jahrhundert auf sie stoßen.

Über eine institutionalisierte Altenpflege in der antiken Welt wissen wir nichts. Alte und Gebrechliche dürften der häuslichen Pflege überantwortet gewesen sein. Weder die griechischen Poleis noch der römische Staat haben Hospitäler für Arme, Gebrechliche und Kranke geschaffen. Erst das Christentum brachte diese neuartige Einrichtung, die sich zuerst in den byzantinischen Fremdenherbergen, den Xenodochien, manifestierte, hervor. Dort, oder auch Klöstern angeschlossen, finden sich häufig Gerokomeien (Gerokomeion, Altenheim), die für eine überschaubare Anzahl von pflegebedürftigen Greisen eingerichtet wurden (Seidler & Leven, 2003, S. 78). Nächstenliebe und das Erbarmen mit den Leiden der Armen, Gebrechlichen, Landfremden und Kranken nahmen einen zentralen Platz im Leben der christlichen Hospitalgemeinschaften ein.

Mittelalter

In den Stiftungsurkunden dieser Einrichtungen, die sich seit dem 13. Jahrhundert in einer großen Gründungswelle über ganz Europa ausbreiteten, wurde fast immer der Kreis der Aufzunehmenden klar umrissen, Arme, Bedürftige, Schwache und Sieche (pauperes et egeni, debiles et infirmi). In eben dieser Gruppe dürfen wir das Gros der alterskranken Stadtbewohner vermuten, die aufgrund schwacher wirtschaftlicher Verhältnisse und/oder wegen des Verlustes familiärer Bindung auf die fremde Pflege angewiesen waren. Sie fanden entweder als akut Bedürftige Aufnahme oder sie hatten sich bereits in früheren und besseren Jahren als Pfründner, das heißt als Dauerbewohner, ins Hospital eingekauft. Das Regiment der Spitalmeister war hart, aber man konnte auch, den wirtschaftlichen Verhältnissen des Spitals entsprechend, der körperlichen und geistlichen Hilfe an diesem Orte sicher sein. Ordensgemeinschaften, Bruderschaften, Selbstbewirtschaftung und schließlich auch die Städte trugen zur Sicherung des christlichen Hospitals im europäischen Mittelalter bei. Das mittelalterliche Hospital soll hier nicht idealisiert werden, es gab manche Missstände; festzuhalten bleibt aber doch, dass eben diese Institution, getragen vom kollektiven Glauben an die Ideale praktischer christlicher Nächstenliebe und ihrer gegenseitigen Versicherung, den alten und Gebrechlichen Hoffnungen auf Hilfe erlaubte und sie auch einlöste.

Wir dürfen uns aber nicht täuschen in der Bewertung des Alters in jener Zeit. Kriege, Hungersnöte, Pestwellen – besonders die der Jahre 1348 bis 1352, Naturkatastrophen und das ganze Notlagenspektrum des Hoch- und Spätmittelalters haben, wie es Peter Borscheid, 1987 in seiner Geschichte des Alters beschreibt (Borscheid, 1987), „die Altersgrenze gegenüber den vorangegangenen Jahrhunderten merklich nach vorn verschoben“, die Gesellschaft hat sich an der Schwelle zur Neuzeit verjüngt, Jugendlichkeit ist zum erstrebenswerten Ideal geworden. Das Alter hingegen ist weiter denn je davon entfernt, Krönung des Lebens zu sein. Als höchstes Übel wird es lauthals beklagt, beschimpft, verflucht, der Tod von den Betroffenen Alten und den jüngeren Beobachtern der Misere sehnlich erwartet, und sei es um des erhofften und benötigten Erbteils willen. In großer Dichte weisen die literarischen Quellen des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit darauf hin, dass der altersschwache, kranke Mensch seinen jüngeren Mitmenschen und sich selbst nicht mehr als geachtetes Mitglied der Gesellschaft, sondern eher als Last erscheint, so wie ihm selbst bereits „vater vnd muoter […] ein schware burd vnd grosse pein“ (Borscheid, 1987) gewesen waren, wie es der Fastnachtsspielverfasser Pamphilius Gengenbach 1515 sieht.

Das Alter insgesamt scheint dem ausgehenden Mittelalter eine einzige Krankheit gewesen zu sein, was über den Erklärungsansatz Borscheids hinausgehend wohl auch damit zu tun hatte, dass gerade das durch vielerlei körperliche Bürden und Krankheiten belastete Greisenalter vor dem Hintergrund christlicher Heils- und Erlösungserwartung symbolhaft für das durch die Erbsünde erwirkte „Jammertal auf Erden“ stand. In Holbeins berühmtem Totentanz hüpft vor einer alten Frau mit gebeugtem Rücken ein Skelett mit dem Hackbrett, und ein zweites Skelett holt die Knochenhand zum Gnadenstoß aus: „Melior est mors quam vita.“ „Besser ist der Tod als [dieses] Leben.“ Albrecht von Eyb antwortet in seinem Ehebüchlein, 1472 auf die Frage, was eigentlich ein Mensch, der alt werde, mehr habe gegenüber einem anderen, der früh sterbe: „Nichtz dann mer sorg, arbeit, verdrießen, schmertzen, kranckheit vnd sünde“ (Borscheid, 1987). Kaum treffender hat dies der bereits erwähnte Gengenbach in seinem Fastnachtspiel Die X Alter dyser Welt 1515 zum Ausdruck gebracht. In zwei Strophen seines Spiels heißt es sarkastisch:

„Krachen mir dbein vnd trüfft mir dnaß

Mir gedenckt wol das es besser was

Muß erst am stecken leren gon

Das ist mir worlich vngewohn

Im lyb bin ich ouch nit gesundt

In der kilchen bell ich wie ein hundt

Der tüfel hats alter erdacht

Das mich hat also ellend gmacht

Vnd mir vßgfallen ist min hor

Vor zyt trug ich den kopff empor

[…]

Eim bin toub dem andern blind

Pfü dich alter du schnöder wind

Wie machst so manchen starcken man

Das er muß an zwo krucken gan

Worlich du bist ein böser Gast

All diser welt ain vberlast …

Vnd bist so gantz veracht ich sprich

Es möchten seichen d‘hund andich“ (Gengenbach/Borscheid, 1515)

Vergleichsweise milde klingt es, wenn dem gegenüber der Humanist Desiderius Erasmus von Rotterdam in seiner an Thomas Morus gerichteten Schrift vom Lob der Torheit (1508) das erste mit dem zweiten Kindesalter, die Kindheit also mit dem Greisenalter, vergleicht:

„Die erste und die zweite Kindheit haben viel gemein: in beiden ist man klein von Statur, zahnlos, milchsüchtig und plapperhaft, vergeßlich, unbekümmert und hilflos. Mehr noch, der Greis reift in dem Maße, in dem er verkindlicht, bis er zuletzt aus der Welt gleitet und sich so wenig wie ein Säugling um die Schrecken von Leben und Tod bekümmert“ (Desiderius Erasmus v. Rotterdam, 1508).

Die Zeit davor, auch dies weiß Erasmus, ist schwer, und ob es gelingt, sie zu durchstehen, hängt von den Ärzten und ihren Hilfsmitteln ab, lesen wir zehn Jahre später 1518:

„Eine schwere Last ist für den Menschen das Greisenalter, dem man ebensowenig entgehen kann wie dem Tod selbst. Aber es hängt viel von den ärztlichen Werken ab, ob diese Last schwerer oder leichter ist. Denn es ist kein Märchen, dass der Mensch durch die Hilfe der Quintessenz die Altersschwäche ablegen und dann, als hätte er eine Schlangenhaut abgestreift, wieder jung werden kann, wofür es viele Zeugen gibt“ (Desiderius Erasmus v. Rotterdam, 1518).

Das Alter im Fokus neuzeitlicher Wissenschaft

Im 17. Jahrhundert setzt in ganz Europa eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Alterns, den Alterskrankheiten und dem Umgang mit ihnen ein. Viele gelehrte Abhandlungen entstehen und in den meisten lebt die antike Säftelehre und Diätetik des Galenos von Pergamon fort. Ein schönes Beispiel hierfür liefert uns der Wittenberger Arzt Daniel Sennert am Anfang des 17. Jahrhunderts. Sennert widmet 1620 den Greisen und ihrer Diät ein eigenes Kapitel seines großen medizinischen Lehrwerks. Die Nähe zu Galen ist noch unverkennbar, wenn wir etwa lesen:

„Weil im Greisenalter der Körper tagtäglich mehr austrocknet und seine natürliche Wärme zu verbrauchen pflegt, darum müssen alle Greise generell darauf achten, die Feuchtigkeit zu erhalten und ihre Wärme, so viel wie möglich, zu bewahren. Daraus folgt, daß die gesamte Diät des Greisenalters auf Wärme und Feuchtigkeit ausgerichtet sein muß. Darum tut diesem Alter wärmere und feuchtere Luft gut, und wenn diese nicht von sich aus so beschaffen ist, dann muß man sich mühen und Rat einholen, wie Abhilfe zu schaffen ist, besonders im Herbst und im Winter, Jahreszeiten, die den Greisen am meisten abträglich sind. [...] Auch die Nahrung sei warm und feucht, von gutem Geschmack und leicht verdaulich. Hierzu gehören etwa gut gesäuertes und durchgebackenes Brot, Küken- und Hühnerfleisch, Kapaun, Kalb, Eier, usw. [...], Speisen also, die leicht verdaut werden, dem Körper zur guten und reichen Nahrung dienen und im Magen nicht so leicht verderben. Viele rechnen auch den Honig dazu, weil er den Greisen angenehm ist, erwärmt und zur Entschleimung bei Greisen besonders hilfreich ist“ (Sennert, 1676).

Zu den Getränken der Greise bemerkt Sennert:

„Wein wird geradezu als Milch der Greise bezeichnet. Trotzdem ist zu beachten, daß nicht gleich soviel davon genossen werde, daß seine Wärme die Feuchtigkeit zu schnell mindert oder den Kopf angreift oder Flüsse provoziert. Auswählen muß man einen Wein von natürlicher Wärme, zart und weich muß er sein, von gutem Geschmack, mittlerem Alter und rotfunkelnder oder goldgelber Farbe. Die Herben aber, die Verstopfungen machen oder eine zusamenziehende Kraft haben oder zur Harnverhaltung führen, sind für Greise nichts. Auch weil sie im Greisenalter zu den meisten Krankheiten beitragen, so etwa zum Gelenkschmerz, zu den Flüssen, Blasen- und Nierensteinen, zum tropfenden Harn [zur Prostatavergrößerung also] und zu vielen anderen Krankheiten, darum muß man solche Weine meiden“ (Sennert, 1676).

Dass Wein, vornehmlich der mäßige „Gebrauch alter Weine“, im Alter von großem Nutzen sei, ist eine Auffassung, die sich in der medizinischen Literatur bis ans Ende des 18. Jahrhunderts häufiger findet. So heißt es in einer „Medizinischen Praxis“ 1783 noch: „Freie Luft, Bewegung, leichte und nährende Nahrungsmittel, mäßiger Gebrauch alter Weine und Munterkeit des Geistes können dem Tode oft lange vorbeugen“ (Selle, 1783, S. 96).

Die wohl erste wissenschaftliche Monographie zur Medizin der Greise, zur Gerocomic oder Greisenbegleitung, auch dieser Begriff ist bereits von Galen geprägt, hat 1724 der englische Arzt Sir John Floyer (1649–1734) verfasst: Seine Medicina Gerocomica, or the Galenic Art of Preserving old men's Health führt uns das gesamte Spektrum der Alterskrankheiten jener Zeit vor Augen. Wie der Titel sagt, hält Floyer sich an die Galensche Gerokomie, die er zu einer praktischen Diätetik und Therapie des Alters und seiner Erkrankungen entwickelt. Von der Grundidee Galens weicht er insofern ab, als er den Greis an Hitze und Feuchtigkeit leiden lässt. Bei Floyer kommt jedem Greis eine bestimmte Konstitution zu, ihre charakteristischen Säfte, deren schlechte Zusammensetzung, die Kakochymie, alle Krankheiten verursacht. Floyer zählt folgende Erscheinungen zu den typischen Alterskrankheiten: mühsame Atmung, Husten, Harnverhaltung und schmerzhaftes Wasserlassen, Nierenschmerzen, rheumatische Pein der Glieder, Dysenterie, Augenfließen, Apoplexie und Schwäche des Sehens und Hörens (Müller, 1966, S. 9).

In der Behandlung und Vorbeugung der Greisenkrankheiten stützt sich Floyer wesentlich auf die Diät. So ordnet er alle Speisen ihren Qualitäten entsprechend, der heißen oder kalten Konstitution zu und empfiehlt oder verwirft sie vor diesem Hintergrund. Auch Öle kommen zur Anwendung, die eingerieben die Haut weich erhalten und übermäßige Transpiration verhindern sollen. Was die innerliche Medikation anbetrifft, so gelangen allerdings die merkwürdigsten Stoffe zur Anwendung: so etwa der Herzknochen des Hirsches, pulverisiert und in Alkohol gelöst, mit Wasser genommen, gegen rheumatische Schmerzen, Skorpionöl, Kochsud von Schnecken und Krebsen mit Milch vermischt, ein Milchgetränk aus Pferdemist zur Anregung der Perspiration; um abzuführen wird Kuhurin getrunken (Müller, 1966, S. 9). Wohl bekomms, mag man wünschen, jeder Zeit ihre Heilmittel!

Im ersten Band von Zedlers vollständigem Universal Lexicon, dem wohl umfangreichsten enzyklopädischen Werk vor Denis Diderots und Jean Baptiste d'Alemberts Encyclopédie ou Dictionaire Raisonné, stoßen wir 1732 in der Wiedergabe eines volkstümlichen Altersversleins auf ein uns bereits bekanntes Alters-Vorurteil: - „Zehen jahr ein Kind; zwantzig ein Jüngling; dreißig ein Mann; viertzig wohl gethan; fünftzig stille stahn; sechszig gehts Alter an; siebentzig Jahr ein Greis; achtzig Jahre nimmer weis; neuntzig Jahr der Kinder Spott; hundert Jahr genade Gott“ (zit. Nach Zedler, 1732, S. 699). - Gleichzeitig wird aber auch gefordert, dass endlich „die Medici die Ursachen zu untersuchen“ hätten, die zu den mehr als bekannten Altersveränderungen- und -krankheiten führten (Zedler, 1732, 1554). Neben dem bereits erwähnten Engländer Floyer, hat sich auch Gerhard van Swieten, Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia und Begründer der Wiener Schule der klinischen Medizin, für den Prozeß des Alterns, die Alterskrankheiten und ihre Verhütung interessiert. In seiner akademischen Rede über die Gesunderhaltung der Alten (Oratio de senum valetudine tuenda) vom 11. April 1763 vergleicht er das Altern mit dem allmählichen Verlöschen einer Flamme, deren Nahrung aufgezehrt ist. Interessant sind seine pathogenetischen Vorstellungen vom Alterungsprozeß, den er als Folge einer stetigen Gefäßverengung deutet: „Sobald nämlich durch ein langes Leben die dickwandigen Gefäße unseres Körpers sich verengen, hören fast alle Funktionen auf oder nehmen ab, die Sinne werden stumpf, das Gedächtnis wird unsicher“ (Müller, 1966, S. 13). Zu den charakteristischen Altersveränderungen zählt er die „allgemeine Steifigkeit des Körpers“ und den Schwund der Zwischenwirbelscheiben, „wobei das Rückgrat sich vornüber krümmt und die Greise klein und bucklig werden“ (Müller, 1966, S. 13). Sicher dürfte es sich bei vielen dieser Fälle um Gelenk- und Muskelerkrankungen des rheumatischen Formenkreises gehandelt haben, unter ihnen wohl auch die gefürchtete chronisch-entzündliche Wirbelsäulenerkrankung, die wir heute unter dem Namen Bechterewsche Krankheit kennen, van Swieten aber noch nicht bekannt war. Bereits 1732 heißt es in Zedlers Universal Lexicon zur Prognose von Gelenkentzündungen, Zipperlein und Reißen der Glieder:

„Was endlich den Ausgang dieser Kranckheit betrifft, so ist zu mercken, daß sie sich zuweilen vollig curiren lässet, offtermahls aber in eine andere Kranckheit verwandelt, und gemeiniglich zur Contractur wird, da das Gelencke gantz und gar zusammen wächset. Dergleichen Contractur ist zuweilen Particularis, wenn z. B. [nur] der Finger steiff bleibet, zuweilen aber auch Vniversalis: Also war vor einigen Jahren in Leipzig eine Frau, die [...] ganz zusammen wuchs, das Kinn stund auf der Brust, die Hände waren eben daselbst gantz zusammen gewachsen, die Beine aber hinten an Arsch“ (Zedler, 1732, S. 1709).

In der Therapie der Alterskrankheiten ist auch van Swieten noch ganz traditionell: Man soll versuchen, die „Trockenheit und Steifheit der Körperteile zu verbessern“ und die „schleimigen, zähen und kalten Flüssigkeiten zu verringern und zu vertreiben“, Bäder und Massagen werden empfohlen, und wie bereits für den Wittenberger Sennert so ist auch für van Swieten, der Wein die Milch der Greise, „aber die Becher müssen klein sein“(Müller, 1966, S. 14).

In der Mitte des 18. Jahrhunderts scheint sich die Auffassung von einer Verängung der Gefäße als einer typischen Alterserscheinung und als Ursache für viele Alterskrankheiten durchgesetzt zu haben. Wir stoßen bei vielen Autoren auf sie, so etwa auch bei Johann Bernhard Fischer, Leibarzt der Zarin Anna Iwanowa und Iwans III.; Fischer, der sich 1754 zuerst über den Greis und seine Krankheiten geäußert hat (Fischer, 1754), sieht im Alter häufig aber auch die Apoplexie, den Schlagfluß, von dem man seit dem 17. Jahrhundert vermutete, dass er seinen Ursprung im Gehirn habe. Konkrete Vorstellungen von der Ursache der Krankheit hatten die cartesianisch und damit mechanistisch orientierten Ärzte jener Zeit. Sie meinten beweisen zu können, „daß bey diesem Zufall die Pori des Gehirns übel gebildet und verstopffet wären, oder solcher vom Schleime und dem Geblüte, so die Pulß-Adern starck ausdehnete, und das Gehirn druckte, herkäme (Zedler, 1732, S. 908). Zu den Prodromen des Hirnschlags heißt es:

„Die Vorläufer dieser Kranckheit pflegen zu seyn Kopff-Schmertzen, Betäubung, Schwindel, Trägheit, Knirschen der Zähne im Schlaf, Ueberfluß des Schleims aus der Nasen und des Speichels, Klingeln der Ohren, Mattigkeit, betrübtes und trauriges Gesicht, Schütteln der Glieder, sonderlich derer Lippen, zitternde Rede ec. Die Drüsen des Halses beginnen zu schwellen, das Gedächtniß nimmt ab, die Augen lauffen von sich selbt über, die Rede fället langsam und Beschwerlich, der Mund wird auf diese oder jene Seite gezogen, Arm und Fuß erstarren, und die äussersten Theile derer Glieder erkalten“ (Zedler, 1732, S. 909).

Therapeutisch ging man nicht zimperlich mit solch geplagten Patienten um. Aderlässe, bei denen zwischen 30 und 60 Unzen Blut flossen, was heute etwa dreiviertel bis eineinhalb Litern entsprechen würde, waren bis ins hohe Alter durchaus nicht unüblich (Zedler, 1732, S. 909).

Zwei Ärzte ragen im 18. Jahrhundert deutlich aus der Gruppe der Altersforscher heraus: Der Pathologische Anatom Giovanni Battista Morgagni (1682–1771) und Christoph Wilhelm Hufeland, Leibarzt am Weimarer Hof, Vertrauter und Arzt von Wieland, Herder, Goethe und Schiller. Morgagni hat sich besonders der Pathologie des Alterns gewidmet. Seine Beschreibung der Apoplexie als „Erguß des Blutes oder der serösen Flüssigkeiten ins Gehirn“ aufgrund einer Zerreißung der Gefäße, der arteriosklerotischen Veränderungen an den großen Gefäßen, der Aneurismen, der senilen Lungenerkrankungen, des Knochenschwundes im Alter, der hornigen Alterswucherungen auf der Oberhaut, der Altersaugenerkankungen oder der senilen Prostatawucherungen sind allesamt klassisch (Müller, 1966, S. 22–29).

Christoph Wilhelm Hufeland hat sich wie kein anderer seiner Zeitgenossen um die Lebensqualität des alten Menschen bemüht. 1797 erschien seine Abhandlung über Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern, in den späteren Auflagen als Macrobiotik betitelt. Das Werk stellt im Grunde nichts anderes dar als eine systematische Diätetik, wie sie seit Lodovico Cornaros Tratto della vita sobria (Padua, 1558) bekannt und häufig rezipiert ist. Hufeland gelingt es aber, den Stoff zeitgemäß neu zu verarbeiten und in einer publikumswirksamen Synthese aus Rationalismus und Idealismus zu präsentieren. In der Vorrede heißt es – etwas umständlich: „Das menschliche Leben ist, physisch betrachtet, eine eigenthümliche animalisch = chemische Operation, eine Erscheinung, durch die Conkurrenz vereinigter Naturkräfte und immer wechselnder Materien bewirkt; diese Operation muß, so wie jede andere physische, ihre bestimmten Gesetze, Grenzen und Dauer haben, in so fern sie von dem Maaße der verliehenen Kräfte und Materie, ihrer Verwendung, und manchen andern äussern und innern Umständen abhängt“. Die Medizin soll sich vor diesem Hintergund als lebensverlängernde Medizin, als Macrobiotik, betätigen und somit „Kunst das Leben zu verlängern“ sein. Hufelands Macrobiotik, die hier nicht in ihren Einzelheiten dargestellt werden kann, ist in vielen Neuauflagen verfügbar und als Lebensregime auch heute noch ohne jede Einschränkung jungen und alten Menschen zu empfehlen (Hufeland, 1797, S. iii-iv).

Ewiges Leben – Der Traum vom Jungbrunnen

Neben den seriösen Bemühungen der akademischen Medizin, im Rahmen einer ars gerocomice, einer Kunst der Altersbegleitung, die wir heute Geriatrie nennen, die besonderen Beschwernisse und Krankheiten des Alters zu erklären, ihnen vorzubeugen und ihnen – wo möglich – entgegenzutreten, gab es wohl immer auch weniger seriöse Versuche, diesem Ziel näherzukommen. Allerlei seltsame Methoden wurden zu diesem Zweck vorgeschlagen. Wir erinnern uns an die Erfahrung des Erasmus von Rotterdam, dass es mit gewissen Wundermitteln, Theriaca und Quintessenzen nachweislich gelingen könne, „die Altersschwäche ablegen und dann, als hätte [man] eine Schlangenhaut abgestreift, wieder jung“ zu werden.

Selbst Thomas Sydenham, der berühmte englische Internist des 18. Jahrhunderts, pries in dieser Hinsicht durchaus ungewöhnliche Methoden. In seinen medizinischen Werken lesen wir 1786 den ernstgemeinten Bericht: „Wenn ich durch meine Mittel nichts ausgerichtet habe, ließ ich junge, frische, gesunde Jünglinge mit sehr schwachen, langliegenden Kranken in einem Bette liegen, wodurch der Kranke sehr gestärket wurde. Es ist leicht zu begreifen, daß aus einem gesunden und kräftigen Körper eine Menge guter Ausdünstungen von dem erschöpften Leibe eingesogen werden. Ich habe auch nie erfahren, daß eine Auflegung aufgewärmter Leintücher dieses hätten bewirken können. Ich schäme mich nicht, dieses Mittel hier anzuführen, obwohl einige Aufgeblasene, welche alles mit gerunzelter Stirne betrachten, mich vielleicht wegen diesem verachten werden. Aber man muß das Heil des Nächsten solchen eitlen Meinungen weit vorziehen (Sydenham, 1787). Sydenham war durchaus kein Einzelfall. Auch der bereits zu Wort gekommene Christoph Wilhelm Hufeland war dieser Methode keineswegs abhold, wie er 1798 schrieb: „Eine sonderbare Methode, das Leben im Alter zu verlängern, ist die Gerocomic, die Gewohnheit, einen alten, abgelebten Körper durch die nahe Atmosphäre frischer aufblühender Jugend zu verjüngen und zu erhalten. Das bekannteste Beyspiel davon enthält die Geschichte des König David. Selbst in neuern Zeiten ist dieser Rath mit Nutzen befolgt worden“ (Hufeland, 1798). Befremdlich mutet heute auch der wohl nicht ohne Schmunzeln verfasste Traktat des erzbischöflichen Leibarztes zu Münster, Johann Heinrich Cohausen, an. Mit Blick auf den Athenischen Komödienschreiber Hermippos, hatte Cohausen schon 1753 eine Curioese Physikalisch-Medizinische Abhandlung von der seltsamen Art sein Leben durch das Anhauchen junger Mägdchen bis auf 115 Jahr [und 5 Tage] zu verlängern verfaßt.

Vorstellungen solcher Art, die sicherlich auf ein breites Interesse des Publikums gestoßen sein dürften, fanden indessen auch ihre Kritiker. So heißt es in J. D. Krügers Naturlehre 1765: „Wie lächerlich sind nicht die Bemühungen, durch gewisse Medicamente in den Stand gesetzt zu werden, so lange zu leben, als es einem beliebt? So ungereimt solches ist: von so vielen wird es geglaubt. Aber wer glaubt nicht gerne, was man wünscht“ (Krüger, 1777). Zu der durchaus lebensgefährlichen Überlegung, Verjüngung durch Blutübertragungen zu erreichen, bemerkt Krüger 1777:

„Nachdem man sah, daß alte Thiere durch die Transfusion von Blut junger Thiere, ganz munter, und so zu sagen, jung wurden, hat man es dabey nicht gelassen, sondern selbst mit den Menschen dergleichen Experimente vorgenommen. Allein die angestellten Proben hatten nicht einerley Erfolg; weshalb eine solche Art zu curiren nicht beybehalten wurde“ (Krüger, 1777).

Der Brownianist Melchior Adam Weikard schließlich empfahl 1798 den Greisen seiner Zeit klimatische Veränderungen, die uns noch heute keineswegs fremd erscheinen: „Wer es kann, der halte sich im Alter in einem wärmeren Clima auf“ (Weikart, 1798). Heute fliegt man im Alter nach Mallorca, Gran Canaria und Teneriffa, überwintert dort und trinkt feurige Südweine, um der Kälte, die dem Greisenalter seit der Antike so schädlich sein soll, zu entgehen und zu widerstehen.

Alterskrankheiten heute

Wo stehen wir heute im Problemfeld der Alterskrankheiten? Was überhaupt sind Alterskrankheiten für die naturwissenschaftliche Medizin des ausgehenden 20. Jahrhunderts? Der Heidelberger Pathologe Wilhelm Doerr ist in seiner bemerkenswerten Arbeit über „Altern – Schicksal oder Krankheit? Einmal der Frage nachgegangen, ob es sich beim „Altern“ um „Schicksal oder Krankheit“ handle (Doerr, 1983, S. 147–165) Doerrs Antwort war präzise aber auch mehrgestaltig. Es komme auf den Standpunkt an. Aus der Sicht der modernen Naturwissenschaften, insonderheit aus den Energiegesetzen der Physik, ist ihm „Krankwerden und Altern, Krankheit und hohes Alter gleichwertig“. Für den Arzt hingegen seien andere Maxime vorrangig. Hier müsse man „harmonisches und nicht-harmonisches Altern auseinanderhalten. Am Ende des ersteren“, so Doerr,

„steht der reine Alterstod. Diese Menschen sterben gar nicht, sie hören nur auf zu leben. [...] Dagegen füllen diejenigen Mitmenschen, die das Schicksal einer disharmonischen Alterung erleiden, unsere Siechenheime und Krankenhäuser. Hier kann Alterung Krankheit und echtes Leiden bedeuten“ (Doerr, 1983, S. 160–161).

Das disharmonische Altern als Folge dissoziierter Funktionsabnahme wichtiger Organe bestimmt den Krankheitswert des Alters, macht Alter als Krankheit durch das Sprechen der Organe leidend erfahrbar, um eine klassische Gesundheitsdefinition des französischen Klinikers François Xavier Bichat in eine Krankheitsdefinition umzukehren. Erst so wird das Alter zur Krankheit schlechthin. Wir erinnern uns an Terenz: „Senectus ipsa morbus“.

Konkret kreist die Debatte der Pathologen, so Doerr, um zwei große Befundgruppen, die Veränderungen der Gehirn- und Herzmuskelzellen und die des Bindegewebes (Doerr, 1983, S. 150), und diesen großen Gruppen entstammen auch die „primären Alterskrankheiten“, die wir noch um den Altersdiabetes, der seine Ursache in der Erschöpfung des Inselzellapparates der Bauchspeicheldrüse hat, und das Prostataadenom und Karzinom des alternden Mannes ergänzen müssen. Bestimmt wird das Bild indessen durch die Arthrosen der Gelenke als Ausdruck degenerativer Veränderungen an Sehnen, Knorpel und Knochen sowie die psychiatrischen Krankheiten (Alterspsychosen), die durch atrophische Veränderungen des Gehirns verursacht werden, unter ihnen auch die gefürchtete Alzheimer-Krankheit mit ihrem fortschreitenden Sprach- und Persönlichkeitszerfall bis hin zur Demenz.

Daneben sehen wir Organfunktionsstörungen im Alter, die nicht Ausdruck des Alterns an sich sind, sondern durch krankhafte Prozesse hervorgerufen werden. Es handelt sich bei ihnen um chronische Krankheiten, die das Altern begleiten. Zu ihnen zählen zum Beispiel die chronische Bronchitis und die durch zunehmende Arteriosklerose hervorgerufenen Erkrankungen wie Zerebralsklerose und Altershochdruck. Sie wiederum sind von solchen Krankheiten im Alter zu unterscheiden, die prinzipiell in jedem Lebensalter in Erscheinung treten können, beim alternden Menschen aber anders verlaufen, häufig schwerer, bisweilen aber auch verlangsamt. So zeigen etwa Infektionen im Alter häufig einen fulminanteren Verlauf, wie zum Beispiel die Alterstuberkulose, die oft tödlich endet. Andere verlaufen dagegen langsamer, auch leichter, zum Beispiel Erkrankungen des Knochenmarks oder bösartige Tumoren. Alle drei Typen der Alterskrankheiten treten voneinander unabhängig, oft aber gleichzeitig auf. Das führt zu einer zunehmenden Erkrankungshäufigkeit im Alter, aber auch zur Multimorbidität, zur Zunahme der Erkrankungen bei ein und demselben Menschen.

Bedingt durch die zunehmende Lebenserwartung, treten heute in den hochentwickelten Gesellschaften vermehrt solche Erkrankungen im höheren Alter auf, die eine lange Latenzzeit haben, so etwa bösartige Erkrankungen wie Krebs. Alterskrebs ist daher auch im strengen Sinne keine Alterskrankheit, sondern er wird aufgrund unserer höheren Lebenserwartung erlebt. – Häufige Erkrankungen im Alter mit tödlichem Ausgang sind Herz- und Kreislauferkrankungen, entzündliche Veränderungen des Bronchialsystems, bösartige Tumoren und schließlich Erkrankungen der Nieren (Brockhaus, 1986; Lang, 1981; Schneider, 1982; Dahm, 1985).

Eine Problemgruppe besonderer Art, gerade auch im Hinblick auf ihre Alterskrankheiten, stellen unsere alten Migranten, die sich am Ende ihrer Berufstätigkeit aus den verschiedensten Gründen für das Bleiben in der Bundesrepublik, ihrem zweiten Heimatland entschieden haben. Ihr häufig schlechter Gesundheitszustand im Alter erklärt sich nicht allein durch die meist überdurchschnittlich gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen im früheren Erwerbsleben, eine oft prekäre soziale und materielle Lage; hinzu treten auch allgemein belastende Momente der Migration, wie Familientrennung, Entwurzelung und Entfremdung vom Herkunftsland, Isolation in der ethnischen Enklave und nicht zuletzt die Bedrohung durch ausländerfeindliche Gewalttäter auf dem Nährboden eines ausländerfeindlichen Klimas. Gravierend an dieser schlechten Ausgangssituation ist, daß auch die Möglichkeiten der Krankenbehandlung schon aus sprachlichen Gründen, vielfach aber auch durch ethnozentristische Verhaltensmuster des Heilpersonals (Schweppe, 1994, S. 20–21) nicht gerade erleichtert werden.

Das Bild des alten und kranken Menschen in der Gesellschaft

Das Bild des alten Menschen ist in unserer Gesellschaft immer noch weitgehend negativ gezeichnet. Unzulässige Verallgemeinerungen herrschen vor. Im Wesentlichen ist unser Altersbild durch Feststellungen von Abhängigkeit, Hilfsbedürftigkeit und Vereinsamung geprägt. Unsere Alten sind aber keineswegs durchweg krank, ‚altersblödsinnig’, bewegungsunfähig und pflegebedürftig. Viele von ihnen fühlen sich durchaus leistungsfähig und leistungsbereit, sie werden aber von der Gesellschaft mit anderen Erwartungen konfrontiert. Nach Erkenntnissen der Psychologie beeinflusst das Fremdbild, das Bild, das andere von einem haben, das Selbstbild und Selbsterleben in hohem Maße und bestimmt das Verhalten“ Heinz, 1980, S. 36). Ein wahrer Teufelskreis, den zu durchbrechen ärztliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. „Alt werden und am Alter kranken – Lust und Last des Alterns“, lautete die Vortragsaufgabe und wir haben einen weiten Bogen gespannt, der uns von der Antike bis in unsere Tage geführt hat. Es scheint mir, dass trotz wechselnder medizinischer Theorien und Praktiken, trotz unterschiedlichster gesellschaftlicher Bedingungen in ihren jeweiligen historischen Zusammenhängen das Bild des Alterns und der Alterskrankheiten eine erstaunlich hohe historische Konstanz aufweist. Sicher hat uns die moderne naturwissenschaftliche Medizin eine Vielzahl neuester Erkenntnismöglichkeiten auch auf dem Feld der Alterskrankheiten offeriert und auch gezeigt, dass eine Vielzahl der Krankheiten im Alter erfolgreich behandelt werden können. Das Altern an sich aber und damit auch die primären Alterskrankheiten im strengen Sinne wird sie vorerst wohl nicht verhindern können; und wir müssen uns fragen, ob wir darüber wirklich unglücklich sein sollten. Unabhängig von allen Zukunftsvisionen liegen unsere Aufgaben im hier und jetzt. Ärztinnen und Ärzte aber auch die Gesellschaft sind aufgerufen, auch das Greisenalter als letzten Akt des Lebens, wie ihn Cicero nennt, nach ihren Kräften lebenswert und würdig zu gestalten und so die Voraussetzung für ein Mehr an geistiger und körperlicher Altersgesundheit zu schaffen. Es ist unsere Aufgabe, die durch moderne Medizin und Pflege „gewonnenen Jahre“, wie es Paul Imhof einmal genannt hat, auch zu lustvoll lebens- und erlebenswerten Jahren zu gestalten. Wahrlich keine leichte Aufgabe, nicht für uns Ärzte, nicht für unsere Gesundheits- und Sozialpolitiker, nicht für die Gesellschaft und nicht zuletzt für die Alten selbst.

Wir haben mit Trostworten des Staatsmannes und Philosophen Cicero begonnen und dürfen uns ihnen getrost auch am Ende anvertrauen, wenn dieser, unabhängig von der Sterblichkeit oder Unsterblichkeit der menschlichen Seele meint:

„Sei es drum“, [...] es ist allemal „doch für den Menschen wünschenswert, daß sein Lebenslicht, wenn es an der Zeit ist, ausgeblasen wird. Denn die Natur hat, wie allem anderen, so auch dem Leben ein Maß bestimmt. Das Greisenalter aber ist, wie bei einem Schauspiel, des Lebens letzter Akt. Hier erschöpft auf der Strecke zu bleiben, hier schlappzumachen, sollten wir vermeiden, und dies besonders, wenn dieser Schlussakt sich mit Zufriedenheit verbindet“, wenn wir auf ein erfülltes Leben zurückblicken dürfen (Cicero, 119).