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Verhinderte Zukunft

Präventionsfiktionen bei Juli Zeh, Benjamin Stein und Georg Klein

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Figurationen von Unsicherheit
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Zusammenfassung

Prävention bedeutet eine spezifische Art und Weise, der Zukunft ‚zuvorzukommen‘, um sich ihr gegenüber optimal absichern zu können. Dabei erscheint Zukunft ex negativo, als etwas Unerwünschtes, das deshalb – in erneuter Negation – zu verhindern ist. Der Beitrag erläutert Prävention als Kulturtechnik und thematisiert den Stellenwert von Imagination und Fiktion, die notwendig sind, um ein solches Zukunftshandeln überhaupt konzeptualisieren zu können. An drei deutschsprachigen Erzähltexten der letzten Jahre – Juli Zehs Corpus Delicti. Ein Prozess, Benjamin Steins Roman Replay und Georg Kleins Erzählung Alles – wird diskutiert, welche Auskunft die literarische Fantasie über gegenwärtige Präventionsregimes geben kann.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. den ausführlichen Eintrag im Grimm’schen Wörterbuch. Demnach bedeutete ‚Zukunft‘ in der frühen Neuzeit „in räumlichem sinne ‚herankunft‘, ‚ankunft‘“; „erst das ‚philosophische zeitalter‘, als der mensch aufhörte, die zeitlichkeit der ewigkeit gegenüberzustellen, und anfieng [sic], sich selbst im ablauf des allgemeinen geschehens zu sehen […], hat die uns so geläufige abstraction des begriffes der zukünftigen zeit allgemein vollzogen.“

  2. 2.

    „For us and our customers, it is the practice of identifying the times and locations where specific crimes are most likely to occur, then patrolling those areas to prevent those crimes from occurring.“ (Predpol 2020).

  3. 3.

    „focus[ing] on potentially threatening situations“; „advanced and innovative algorithms for human decision support in combating terrorism and other criminal activities“ (INDECT 2018).

  4. 4.

    Zeh (2010); Nachweise in diesem Abschnitt mit einfacher Angabe der Seitenzahl.

  5. 5.

    Vgl. die Unterrichtsmaterialien von Flad (2011), Hayer (2015) sowie die fachdidaktisch orientierten Publikationen von Schotte und Vorbeck-Heyn (2011) und Heuer (2013).

  6. 6.

    Zum Theaterstück vgl. Schmidt (2008), zum Vergleich der beiden Fassungen Schönfellner (2018, S. 546–548).

  7. 7.

    Zum Aspekt der Körperlichkeit in Corpus Delicti vgl. Nover (2013); Seidel (2014); Smith-Prei (2012).

  8. 8.

    „Das Mittelalter ist keine Epoche. Mittelalter ist der Name der menschlichen Natur“ (235), so Mia Holl; vgl. die Aufsatztitel von Giesler (2013) und Klocke (2013). Juli Zeh weist darauf hin, dass ‚Mittelalter‘ das Motto der Ruhrtriennale war, für die das Stück geschrieben wurde (Zeh 2020, S. 29). Im Unterschied zur inkriminierten ‚Hexenjagd‘ macht sich Corpus Delicti ein positives Bild der Hexe als „Zaunreiterin“ (141) zu eigen und beruft sich mit dem Namen der Protagonistin auf die um 1700 als Hexe angeklagte, aber freigesprochene Maria Holl (vgl. Zeh 2020, S. 32–34).

  9. 9.

    Vgl. den ersten Satz aus der Präambel zur 1946 verabschiedeten WHO-Verfassung: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“ https://www.who.int/governance/eb/who_constitution_en.pdf, S. 1 (letzter Zugriff am 17.09.2020).

  10. 10.

    Laut Vorwort sind die Fragen zum Großteil „den vielen Zuschriften nachempfunden, die ich in den letzten Jahren erhalten habe“ (Zeh 2020, S. 10).

  11. 11.

    Am deutlichsten gilt das für die Figur der von Mia imaginierten „idealen Geliebten“. Im Theaterstück sollte sie ermöglichen, dass Gedankengänge der Protagonistin „dialogisch aufbereitet werden“ konnten (Zeh 2020, S. 67). Fürs Drama bereits fragwürdig, ist dieses Mittel im Prosatext funktionslos.

  12. 12.

    Vgl. die einschlägige Bestimmung bei Lämmert (1955, S. 143–175).

  13. 13.

    Stein (2012); Nachweise in diesem Abschnitt mit einfacher Angabe der Seitenzahl.

  14. 14.

    Klein (2002); Nachweise in diesem Abschnitt mit einfacher Angabe der Seitenzahl. – Meine Überlegungen zu Kleins Erzählung gehen zurück auf einen früher publizierten Aufsatz (Willer 2013, bes. S. 137–139).

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Willer, S. (2022). Verhinderte Zukunft. In: Noji, E., Vormbusch, U., Neumann, A., Steiner, U. (eds) Figurationen von Unsicherheit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34772-7_4

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