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Die friedhöfische Gesellschaft

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Norbert Elias und der Tod
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Zusammenfassung

Im Fokus steht die soziale Bedeutung von Friedhöfen, die nicht nur als Orte der Körperaufbewahrung, sondern auch der Trauer, des Gedenkens und der Erholung fungieren. Mit Blick auf die Zunahme von Parkfriedhöfen will Elias einen weiteren Beleg für die Tabuisierung des Todes erkennen.

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Notes

  1. 1.

    Abgesehen von sporadischen Bemerkungen – etwa der Diskussion über den sozialen Wandel des Geschlechterverhältnisses am Beispiel einer Grabinschrift (vgl. Elias 2006b: 154 f.), worin deutlich wird, dass Gräber Auskunftgeber über den kulturellen Status quo sind – widmet Elias dem Friedhof nur geringe Aufmerksamkeit. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft, denn nach soziologischen Arbeiten, die sich ausdrücklich mit Friedhöfen und ihren sozialen Dimensionen beschäftigen, suchte man lange Zeit vergebens. Für den deutschsprachigen Raum bildet die empirische Untersuchung von Gerhard Schmied (2002) die erste nennenswerte Ausnahme. Erst in den letzten Jahren wurde das Thema im Zeichen der qualitativen Sozialforschung neu aufgegriffen (siehe z. B. Benkel 2012; Benkel/Meitzler 2013; dies. 2015; dies. 2019a; dies. 2019b).

  2. 2.

    Dass die Bestattung mehr denn je zu einer Frage des Geldes geworden ist, hat u. a. mit der ersatzlosen Streichung des (auch als ‚Sterbegeld‘ bezeichneten) Beerdigungszuschusses zu tun, der in Deutschland bis zum Jahr 2004 noch von den gesetzlichen Krankenkassen ausgezahlt wurde. Die ‚sepulkrale Bescheidenheit‘ entspringt jedoch nicht in jedem Fall einer prekären finanziellen Situation und hohem Kostendruck. Häufig spiegelt sich darin schlichtweg die Priorisierung anderer den Lebensstil bestimmender materieller Güter wider. Während pompöse Grabbauten noch bis ins 19. Jahrhundert hinein als Distinktionsobjekte der Oberschicht fungierten, eignen sich heutige Ruhestätten nur mehr bedingt als zuverlässige Indikatoren des sozioökonomischen Status‘ der Beigesetzten und/oder ihrer Familien (vgl. Benkel 2012: 112).

  3. 3.

    Menschen, deren Biografie von regelmäßigen Wohnortwechseln geprägt ist, die nicht an feste Räume gebunden sind und innerfamiliäre Beziehungen auf Distanz führen (Beck/Beck-Gernsheim 2011), sehen sich oftmals nicht in der Lage, die Gräber ihrer verstorbenen Verwandten kontinuierlich aufzusuchen, geschweige denn zu pflegen. In der Konsequenz verwundert es nicht, wenn die Wahl auf Begräbnisvarianten fällt, die jenen ‚logistischen‘ Bedingungen entgegenkommen. Infolge des demografischen Wandels werden ferner ‚Todesfälle ohne Hinterbliebene‘ wahrscheinlicher. Dies veranlasst Menschen des Öfteren dazu, in Sachen Bestattung selbstständig vorzusorgen, indem sie ihre Wünsche zu Lebzeiten bei einem Bestatter ihres Vertrauens vertraglich festschreiben und entsprechende Leistungen vorabbezahlen. In jenen Fällen, in denen weder solche Vorkehrungen getroffen wurden noch bestattungspflichtige Hinterbliebene ermittelt werden konnten, kommt es zu sogenannten Ordnungsamtbestattungen. Gemeint sind behördlicherseits angeordnete und finanzierte kostengünstige Sammelbeisetzungen mehrerer Urnen in einem (meist) anonymen Grabfeld (Spranger 2011).

  4. 4.

    Wahlgräber bieten Platz zur Beisetzung mehrerer Särge bzw. Urnen, weswegen sie häufig als Familiengrabstätte fungieren. Ihre Lage auf dem Friedhofsgelände kann von den Erwerbenden gewählt und das Nutzungsrecht nach Ablauf der im Durchschnitt 20 bis 25 Jahre währenden Ruhezeit gegen Gebühr verlängert werden. Im Unterschied dazu sind sogenannte Reihengräber in der Regel Einzelgräber, die in chronologischer Reihenfolge nebeneinander angelegt werden und deren Liegefrist nicht verlängerbar ist.

  5. 5.

    Im regionalen Vergleich kommt es diesbezüglich zu Schwankungen, die u. a. auch heute noch auf religiöse Strukturen zurückzuführen sind. So fällt die Einäscherungsquote im katholisch geprägten Süden weiterhin niedriger aus als im protestantischen Norden, wo sie wiederum unter dem Schnitt des mehrheitlich konfessionslosen Ostens liegt. In einigen Ortschaften der ‚neuen‘ Bundesländer beträgt der Anteil mittlerweile sogar weit über 90 % (vgl. Meitzler 2022a: 74).

  6. 6.

    Der Gedanke, Gräber so zu gestalten, dass sie sich von ihrer Umgebung abheben und dem Betrachter ins Auge fallen, ist gewiss kein Produkt der gegenwärtigen Friedhofskultur. So stachen etwa schon die erwähnten Prunkgräber der frühen Neuzeit allein durch ihre Größe hervor; sie sollten damit die distinguierte Position des Verstorbenen und seiner Angehörigen zum Ausdruck bringen. Diese historischen Beispiele lassen sich allerdings schwer mit den derzeitigen Individualisierungseffekten vergleichen, die wesentlich weiter verbreitet und stärker ausdifferenziert sind. Auch stellen individualisierte Gräber heutzutage nicht mehr das Privileg von Menschen mit hohem sozioökonomischem Status dar (vgl. Meitzler 2016b: 145).

  7. 7.

    Ein prototypisches Beispiel für uniforme Gestaltungslogiken liefern Soldatengräber, die im deutschsprachigen Raum vor allem für die Toten der beiden Weltkriege errichtet wurden (Fischer 2003). Weil hier nicht die Persönlichkeit des Einzelnen im Vordergrund steht, sondern das Aufgehen im Kollektiv (und sukzessive die Aufopferung dafür), überrascht es nicht, dass die Grabgestaltung entsprechend einheitlich ausfällt.

  8. 8.

    Dazu passend schreibt Elias andernorts: „In so eigentümlich individualisierten Gesellschaften wie den unseren vergißt man leicht, daß selbst der Wert und Sinn, den man dem eigenen Leben in rein persönlicher und individueller Form beimißt, immer ein Wert und Sinn in bezug auf andere ist, auf etwas jenseits der eigenen Person, ob wirklich oder imaginär. Ohne Funktionen für andere, ohne soziale Funktionen, wie sie auch verkleidet sein mögen, bleibt ein menschliches Leben leer und bedeutungslos.“ (Elias 1989: 454)

  9. 9.

    Siehe hierzu auch die Ausführungen von Talcott Parsons, der sich fast zeitgleich mit veränderten Einstellungen der US-amerikanischen Gesellschaft zum Lebensende beschäftigt und dabei u. a. die kosmetische Behandlung des Leichnams vor dessen Beisetzung als Symptom eines „‚denial‘ of the reality of death“ erwähnt (Parsons 1963: 61).

  10. 10.

    Hinsichtlich des internationalen Vergleichs bemerkt Ariès, dass „[a]us der Perspektive der Einstellungen zum Tode […] der so konstituierte Kulturkreis nicht homogen [sei], nicht einmal der angelsächsische Ursprungsbereich“. So habe sich „[i]n den Vereinigten Staaten und in Kanada“ die „Eliminierung“ des Todes „weniger radikal vollzogen“, als dies etwa in England der Fall sei. „[D]er Tod ist nicht völlig spurlos aus der Stadtlandschaft verschwunden. Nicht daß man noch etwas zu Gesicht bekäme, was an die alten Trauerkondukte erinnerte; aber große Reklametafeln zögern nicht, auf offener Straße das Wort feilzubieten, das man verboten glaubte: funeral home, funeral parlour. Alles sieht in Amerika danach aus, als hätte ein großer Teilbereich seiner Kultur das Land dazu gedrängt, die Spuren des Todes zu verwischen, während ein anderer diese Tendenz durchkreuzte und dem Tod weiterhin einen gut sichtbaren Platz reservierte.“ (Ariès 2005: 763)

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Meitzler, M. (2021). Die friedhöfische Gesellschaft. In: Norbert Elias und der Tod. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34654-6_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-34654-6_7

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-34653-9

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