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Peinliches Schweigen

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Norbert Elias und der Tod
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Zusammenfassung

Neben dem schwindenden physischen Kontakt mit sterbenden und toten Körpern kommt die Todesverdrängung Elias zufolge auch in einem Gesprächstabu zum Ausdruck, mit dem todesbezogene Themen in der Alltagskommunikation belegt werden. Davon handelt dieses Kapitel.

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Notes

  1. 1.

    Hiergegen wendet Hoffmann (2011: 11) ein, dass es auch schon zur damaligen Zeit die „normative Vorstellung“ gab, „als alter und nicht als junger Mensch zu sterben“, und dass die von „Krieg, Hunger und Seuchen“ verursachten frühen Tode „selbstredend nicht als natürlich angesehen wurden“.

  2. 2.

    Dem kann auch heute noch Aktualität zugesprochen werden (siehe Benkel/Pierburg 2021).

  3. 3.

    Auch im ersten Band seines Hauptwerkes Über den Prozeß der Zivilisation thematisiert Elias die kindliche Sexualaufklärung, deren Verschämtheit ebenso sehr ein Ausdruck des zivilisatorischen Niveaus sei wie die Anerkennung der Kindheit als eigenständige Lebensphase (vgl. Elias 1976a: 230 ff.). Die Tabuisierung der Sexualität bzw. des Körpers findet in der ‚Privatisierung‘ der Lebensräume, also der Einrichtung von Schlafzimmer, Badezimmer usw., sozusagen ein als solches selten thematisiertes topografisches Korrelat (vgl. Habermas 1996: 125 ff.; Silbermann/Brüning 1991).

  4. 4.

    Bekanntlich unterscheidet Elias näher zwischen Scham und Peinlichkeit. Demnach stellen sich Schamgefühle ein, „wenn ein Mensch selbst gegen Verbote des Ich und der Gesellschaft verstößt“; Peinlichkeitsgefühle entstehen wiederum dann, „wenn irgend etwas außerhalb des Einzelnen an dessen Gefahrenzone rührt, an Verhaltensformen, Gegenstände, Neigungen, die frühzeitig von seiner Umgebung mit Angst belegt wurden, bis sich diese Angst – nach Art eines ‚bedingten Reflexes‘ – bei analogen Gelegenheiten in ihm automatisch wieder erzeugt. Peinlichkeitsgefühle sind Unlusterregungen oder Ängste, die auftreten, wenn ein anderes Wesen die durch das Über-Ich repräsentierte Verbotsskala der Gesellschaft zu durchbrechen droht oder durchbricht“ (Elias 1976b: 403 f.). Auf diese Differenzierung Bezug nehmend, bemerkt Hoffmann (2011: 202), dass Elias „in seinem Buch über das Sterben fast ausschließlich die Seite der Peinlichkeitsgefühle in den Blick nimmt“ – also die Peinlichkeit der Lebenden gegenüber den Sterbenden, nicht aber die Scham der Sterbenden aufgrund ihrer Situation, die bei den Lebenden Peinlichkeit hervorruft. „Wenn Elias im ‚Prozeß der Zivilisation‘ schreibt, dass Scham- und Peinlichkeitsgefühle unabtrennbare Gegenstücke sind, was wir ja gerade für die Situation der Sterbenden in Anschlag bringen wollen, dann lässt sich aus dem gegebenen Zitat ableiten, dass sich im Gefühl der Sterbenden, den Überlebenden peinlich zu sein, Scham ausdrückt. Aber eine explizite Bezeichnung der Seite der Sterbenden in den gegebenen Situationen unterlässt Elias gänzlich.“ (Ebd.: 205)

  5. 5.

    Der Begriff steht allgemein für „Lockerungen bei den Verhaltensstandards“ (Fuchs-Heinritz 2020: 337), die sich im gesellschaftlichen Zusammenleben seit der Nachkriegszeit abzeichnen. Diverse Regeln und Etiketten, deren Missachtung in früheren Zeiten noch einem Tabubruch gleichgekommen wäre und mehr oder minder schwere soziale Sanktionierungen bewirkt hätte, erlauben mittlerweile eine flexiblere Handhabung. Beispiele, die in diesem Zusammenhang häufig genannt werden, sind u. a. die „Verbreitung des Duzens auch unter Personen, die einander nicht nahe stehen“ oder eine „permissive Erziehungshaltung der Eltern“ (ebd.) sowie die bereits angeführte Diskursfähigkeit sexueller Themen, Erfahrungen und Einstellungen. Elias sieht hierin keinen Widerspruch zu seinem Erklärungsmodell. Im Gegenteil sei Informalität eben nur deshalb möglich, weil sie auf einem umso festeren Sockel der Zivilisation stehe. So setze manche vermeintlich ungezwungene Handlung, etwa das Sich-Entblößen im FKK-Kontext, in Wahrheit ein erhöhtes Maß an (zivilisationsbedingter) Selbstkontrolle voraus. Ähnliches befindet auch der einstige Elias-Schüler und -Mitarbeiter Cas Wouters. Der Zivilisationsprozess vollziehe keine Entwicklung hin zu absoluter Formalität und zeremonieller Härte, vielmehr kenne jede Zivilisationsstufe sowohl Formalität als auch Informalität. In einem Kapitel seiner der Informalisierungsthematik gewidmeten Monografie beschäftigt sich Wouters im Übrigen auch mit Sterben, Tod und insbesondere Trauer. Diesbezüglich konstatiert er „dramatische Veränderungen“ seit den 1960er und 1970er Jahren (Wouters 1999: 76). Betroffen von Lockerungen seien beispielsweise überkommene Trauersitten wie die soziale Verpflichtung, seine Trauer nach außen zu zeigen (etwa durch das Tragen schwarzer Bekleidung) oder die Pflicht zur Teilnahme an Beerdigungen auf dem lokalen Friedhof unabhängig von der tatsächlichen affektiven Betroffenheit. Zum Zusammenhang von Tod und Informalisierung siehe ferner Wouters 1990 sowie Wouters/Kroode 1980.

  6. 6.

    Das ist gewiss nicht immer so. Die bisherigen Interviewpartner wiesen eine bemerkenswerte Variation von äußerster defensiver Nüchternheit bis hin zur exaltierten Offenheit auf. Somit zeigt sich am empirischen Material, dass die pauschale Gleichsetzung von Trauer und Tränen einer verkürzten Sichtweise entspricht. Tatsächlich lässt sich die affektuelle Betroffenheit des Gegenübers nur bedingt aus dessen manifestem Verhalten erschließen. Hier kommt die Wirkmacht sozialer Normen bei der Privatisierung und Regulierung von Emotionen zum Tragen (vgl. Meitzler 2019b: 116).

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Meitzler, M. (2021). Peinliches Schweigen. In: Norbert Elias und der Tod. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34654-6_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-34654-6_6

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

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