Zusammenfassung
Der Beitrag gibt auf der Grundlage eines systematischen Vergleichs (u. a. von Bohnsack, Nohl sowie Przyborski und Wohlrab-Sahr) einen Überblick über die Variationen der forschungsmethodischen Ausrichtung der dokumentarischen Analyseschritte bis zur Reflektierenden Interpretation. Zwei Ebenen werden mit dieser Vergleichsperspektive angesprochen und gleichermaßen im Kontext der dokumentarischen Analyse von Interviewmaterial bearbeitet: die theoretische Anlage der Analyseschritte sowie deren konkrete Darstellungsform. Daran anknüpfend wird eine in der Forschungspraxis erprobte Form der (teil-)kombinierten Darstellung dargelegt und diskutiert. Ziel des Beitrages ist es, Methoden-Einsteiger*innen eine Hilfestellung für projektorientierte Entscheidungen zu geben und ein Desiderat des Methodendiskurses zu bearbeiten.
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Notes
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Angenommen werden kann, dass zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehende gegenstandstheoretische und methodologische Entscheidungen getroffen wurden und die zu analysierenden Rohdaten (bei Interviews z. B. in Form von Audio- oder Videodateien) vorliegen.
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Während die Darstellung der Vollständigkeit wegen über den Schritt der Reflektierenden Interpretation hinausgeht, verbleibt die folgende inhaltliche Diskussion in diesem Rahmen.
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Der Begriff ‚Passage‘ bezeichnet nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) die „Phasen der Behandlung eines Themas […] und bilde[t] die kleinste Einheit für einzelne Interpretationen“ (ebd., S. 292, im Orig. fett). Bohnsack nutzte diesen Begriff bereits in seiner für die Dokumentarische Methode wegweisenden Habilitationsschrift von 1989.
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Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass „die Dokumentarische Methode keinen besonderen Wert darauflegt, den gesamten Fall in allen seinen Einzelaspekten kennenzulernen (und dafür transkribieren zu müssen)“ (Nohl 2017, S. 50–51). Nichtsdestotrotz können forschungspraktische Gründe auch für den Einsatz von Volltranskription sprechen, z. B. bei in der Passagenauswahl noch ungeübten Forscher*innen, thematisch breit angelegten Forschungsgegenständen, ersten oder für das Sample zentralen Fallanalysen.
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Bei Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) wird dies anhand eines Interpretationsbeispiels deutlich (vgl. ebd., S. 308).
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Diese können aufgrund ihrer Komplexität folgend nur angerissen und überblickshaft verglichen werden.
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Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) beschreiben als Verdeutlichung hierzu in Form einer Frage: „Worin liegt das positive oder negative Ideal eines Sinnzusammenhangs, wohin strebt er und wovon wendet er sich ab?“ (ebd., S. 296).
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Bohnsack (2014) bezeichnet diese Passagen auch als „Fokussierungsmetaphern“ (ebd., S. 138, im Orgin. kursiv).
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In den Vergleich einbezogen wurden: Bohnsack (1989), Bohnsack und Nohl (2013), Bohnsack und Schäffer (2013) sowie Przyborski (2004). Zudem wurden weitere Publikationen auf mögliche Kontrastierungen zu den genannten Interpretationsbeispielen hin überprüft und punktuell in die folgenden Darstellungen mit einbezogen: Bohnsack et al. (1995), Nentwig-Gesemann (1999), Bohnsack (1999), Loos und Schäffer (2001) sowie Nohl (2006).
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Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter dem Aktenzeichen MU 1450/9-1 geförderte Forschungsprojekt wird derzeit am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Osnabrück unter der Leitung von Hans-Rüdiger Müller und in Zusammenarbeit mit Sylvia Jäde und Kathrin Borg-Tiburcy durchgeführt.
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Codierter Name der befragten Person, Stichwort zum Hintergrund der Person im Projektkontext, Datum, Tageszeit des Interviews.
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Name(n) der Person(en), die den Thematischen Verlauf erstellt hat bzw. haben, und ggf. Anmerkungen, von wem was überarbeitet wurde.
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Hierfür wurden die Interpretationsbeispiele anhand verschiedener Kriterien zum formalen Aufbau der Darstellung des Analyseschrittes systematisch miteinander verglichen: Passagenthema, Verortung Textstelle, Ober- und Unterthemen (Darstellung der Differenzierung OT/UT, Benennung und Hervorhebung von OT/UT), Feininterpretation.
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Eine Ausnahme stellt hier das Vorgehen Przyborskis (2004) dar, in welchem lediglich der Anfang der Kopfzeile mit Angaben zu den Transkriptzeilen, der OU/UT-Differenzierung und -Benennung eingerückt und den formulierenden Interpretationstext dann ganzzeilig platziert ist (vgl. ebd., S. 80 f.).
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Bei Nohl (2017) ist dies zum Beispiel nicht der Fall (vgl. ebd., S. 61 ff.).
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Bei der Reflektierenden Interpretation wird die Darstellung in ähnlicher Weise aufgebaut: Nach Zeilenangaben und Benennung der Diskursbewegung samt der hervorbringenden Person folgt der Text zur Reflektierenden Interpretation. Der nächste Abschnitt schließt dann direkt an den vorherigen an.
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Der systematische Vergleich der Interpretationsbeispiele wurde anhand folgender Kriterien vorgenommen: Formaler Aufbau der Reflektierenden im Vergleich zur Formulierenden Interpretation, Grundlegender Aufbau, Position der Zeilenangabe für Abschnitt, Benennung der Diskursabschnitte, Interpretationstext (Position, Besonderheiten).
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Andersherum kann die Darstellung in Abb. 6 zur Ausgestaltung der Reflektierenden Interpretation, wie sie in ähnlicher Weise bei Przyborski (2004), Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014), Bohnsack (2014) und Nohl (2017) zu finden ist, auch als Formbeispiel für die Formulierende Interpretation betrachtet werden, wie sie bei Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014, S. 308) Anwendung findet.
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Die Textsortentrennung wird über eine farbliche Hervorhebung für jede Textsorte im Transkriptteil der tabellarischen Darstellung kenntlich gemacht. Darauf wurde an dieser Stelle zur Übersichtlichkeit der Darstellung verzichtet.
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Kairies, C. (2021). Variationen Formulierender und Reflektierender Interpretation in der dokumentarischen Interviewanalyse. In: Graalmann, K., Jäde, S., Katenbrink, N., Schiller, D. (eds) Dokumentarisches Interpretieren als reflexive Forschungspraxis. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33515-1_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-33515-1_6
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