Schlüsselwörter

1 Einleitung

Dass wertorientierte Technikgestaltung gut daran tut, die gesellschaftsstrukturellen Bedingungen der Technikgenese zu reflektieren, ist bekannt. Das gilt insbesondere im Bereich des Datenschutzes, in dem sich diese Vorstellung schon seit längerem im Privacy by Design-Paradigma artikuliert. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung etwa spezifiziert in Artikel 25 unter der Überschrift „Datenschutz durch Technikgestaltung und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen“, dass die für das Betreiben digitaler Infrastrukturen Verantwortlichen „geeignete technische und organisatorische Maßnahmen“ zu treffen hätten, „die dafür ausgelegt sind, die Datenschutzgrundsätze wie etwa Datenminimierung wirksam umzusetzen“ [12, S. 48]. Was unter „geeigneten“ Maßnahmen zu verstehen ist, variiert jedoch gesellschaftsgeschichtlich, und das gleiche gilt wohl für angemessene „Datenschutzgrundsätze.“

Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um den Versuch, soziologisch Auskunft über diese historische Variabilität zu geben. Das Ziel besteht darin, den eher gestalterisch orientierten Disziplinen und Praktiken der Rechtssetzung und -sprechung, des Datenschutzes, der politischen Regulierung sowie der Informatik und den Technikwissenschaften das big picture der kulturhistorischen Genese informationeller Privatheit als Reflexionsfolie für die jeweiligen Gestaltungspraktiken zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck rekonstruiert der Beitrag in aller Knappheit die historisch entwickelten strukturellen gesellschaftlichen Konstellationen, aus denen sich verschiedene Formen der informationellen Privatheit in unterschiedlichen Vergesellschaftungsphasen der Moderne jeweils herausgeschält haben. Das historische Narrativ, das in diesem Zuge entfaltet wird, ist ein dezidiert euro-amerikanisches: Ob und inwiefern sich ähnliche sozialhistorische Prozesse auch mit Blick auf andere Weltregionen rekonstruieren lassen, bleibt hier offen, die euro-amerikanische Entwicklungsgeschichte wird also ausdrücklich in ihrer Spezifik betrachtet und nicht universalisiert. Solchermaßen kulturhistorisch verortet, wird zunächst im Rahmen einer theoretisch-sozialhistorischen Klärung der geschichtliche Einstiegspunkt der Rekonstruktion identifiziert (2), bevor dann die informationellen Privatheitsformen des 18. (3), 19. (4), 20. (5) und 21. Jahrhunderts (6) sowie deren strukturelle Entwicklungstreiber rekonstruiert werden. Im Schlusskapitel (7) werden schließlich einige Konsequenzen andiskutiert, die sich aus der Rekonstruktion ergeben.

2 Privatheit als Subjektivierungsmodus: Zur Vorgeschichte informationeller Teilhabebeschränkung

Die Frage, worum es sich bei Privatheit genau handelt, und wie eine definitorische Bestimmung aussehen könnte, ist seit Jahrzehnten virulent und, sofern überhaupt beantwortet, so doch sicherlich nicht zur Zufriedenheit aller Diskursteilnehmenden, weshalb manche ihre Definitionsfähigkeit gleich generell anzweifeln [62]. Da hier nicht der Ort ist, um die konzeptuellen Problemlagen zu skizzieren, werde ich im Folgenden auf einer anderen, theoretischen Arbeit aufbauen [43] und einfach axiomatisch feststellen, dass (u. a.) informationelle Privatheit stets darauf abzielt, die Teilhabe von Akteur(en) B an den Informationen über (einen) andere(n) Akteur(e) A zu beschränken, um A einen Erfahrungsspielraum zu sichern, der ansonsten keinen Bestand hätte. Egal ob es sich bei B um Voyeure, Geheimdienste oder Internetkonzerne handelt, sie alle verzerren den Erfahrungsspielraum As, wenn sie aus Daten Informationen über A gewinnen, auf diese Weise also an (Informationen über) A teilhaben, um sich selbst als Voyeure, Geheimdienste, Internetkonzerne zu konstituieren (unabhängig davon, ob A davon weiß), und zwar indem sie die vorab nicht festgelegte Gesamtheit möglicher Erfahrungstypen – den Spielraum – beschneiden: Ein Internetkonzern beispielsweise, der mithilfe von Daten Informationen über mich generieren will, um sich so als Verhaltensvorhersager oder -manipulator zu konstituieren, könnte meinen Erfahrungsspielraum beschneiden, indem er mir Flugreisen unmöglich macht, Jobchancen vorbestimmt, Versicherungsoptionen entzieht usw. In diesem Sinne handelt es sich bei informationeller Privatheit um Teilhabebeschränkung zur Gewährleistung von Erfahrungsspielräumen.

Anstatt weiterführende theoretische Überlegungen anzustellen, möchte ich an dieser Stelle nun einen sozialhistorischen Argumentationsgang präsentieren, der der Frage folgt, zu welchen Zeitpunkten informationelle Teilhabebeschränkungen auf welche Weise und aus welchen gesellschaftsstrukturellen Gründen als informationelle Privatheit formatiert worden sind. Wo wäre diesbezüglich überhaupt historisch einzusetzen? Und welche gesellschaftlichen Konstellationen und informationellen Privatheitstypen lassen sich identifizieren?

Während Historiker:innen die klassische Sichtweise, dass informationelle Privatheit mit der bürgerlichen Moderne im 18. Jahrhundert entsteht, wiederholt infrage gestellt haben [59], [67], lassen sich doch erhebliche Differenzen zwischen modernen und vorherigen Privatheitsformen ausmachen. Unter vormodernen Bedingungen sind Privatheitsrechte immer an das Wohneigentum gebunden, und nicht an individuelle Einzelpersonen [59, S. 459] [67, S. 6]. Techniken der informationellen Teilhabebeschränkung dienen m.a.W. erst ab dem 18. Jahrhundert dem Zweck individualistischer Selbst-Konstitution. Vier strukturelle Gründe zeichnen dafür verantwortlich: Erstens prämiert das vormoderne Ständesystem statische Reproduktion bestehender Verhältnisse [21], [47], [57], während die Moderne auf dynamische Innovation setzt [51]. Zweitens steigt im Zuge der Moderne die gesellschaftliche Komplexität durch Differenzierung, und damit die wechselseitige Abhängigkeit sozialer Gruppen voneinander, massiv an [16, S. 124–125], [36]. Drittens kommt es zu einer massiven Ausweitung sozialer Mobilität [21], [57]. Und viertens beginnen die Formen der Selbst-Konstitution umso stärker zu „wuchern“, je mehr die vorgegebenen ständischen Subjektivierungsformen entsperrt werden: Im Ständesystem gestaltet sich die soziale Existenz einförmig und konsistent, Subjektformen sind nicht wählbar, sondern an Stand und Familie gebunden [36, S. 679, 697]. In der Moderne lassen sich Subjektpositionen hingegen neu erfinden [52] (auch wenn sie an Machtstrukturen gebunden bleiben).

Genau an diesem historischen Punkt wird informationelle Teilhabebeschränkung in den Dienst des Einzelnen gestellt. Fortan geht es nicht mehr um informationelle Verheimlichung abweichenden Verhaltens von der vorgegebenen Ordnung, wie noch im Mittelalter [6], sondern um informationelle Privatheit im Sinne einer positiven Institution: Es wird nun institutionell zunehmend dem Umstand Rechnung getragen, dass Akteure, um sich überhaupt als Subjekte konstituieren zu können, Erfahrungsspielräume, und daher auch Mittel zur informationellen Teilhabeschränkung benötigen. Ich spreche erst ab diesem Moment von „informationeller Privatheit“ und bezeichne alle früheren Praktiken der informationellen Teilhabebeschränkung demgegenüber als „Geheimnis.“

Die hier vorgenommene Bestimmung des Einsatzpunktes einer gesellschaftsstrukturellen Entwicklungsgeschichte informationeller Privatheit begründet sich soziologisch mit der maximalen „tektonischen“ Spannung zwischen zwei Vergesellschaftungsformen, die sich im 18. Jahrhundert gewissermaßen ineinanderschieben: die stratifizierte Ordnung des Ancien Régime einerseits, und die differenzierte Ordnung der Moderne andererseits. Die resultierende Spannung mündet in Konflikte zwischen Repräsentant:innen der alten und der neuen Ordnung, namentlich zwischen Adel und Bürgertum [15], [52], und insoweit die Ablösung der Selbst-Konstitution von der hergebrachten Ständeordnung in diesem Zeitraum entscheidend voranschreitet, erfolgt nun auch nach und nach die Umwertung von informationeller Teilhabebeschränkung, vom negativen Abweichungsverheimlichungs- zum positiven Subjektivierungsmodus der informationellen Privatheit.

Von diesem Zeitpunkt an lassen sich unterscheidbare moderne Vergesellschaftungszeiträume identifizieren, die jeweils strukturbedingt eine dominante Form informationeller Privatheit hervorbringen. Einmal hervorgebrachte Privatheitsformen verschwinden dabei nicht, sondern sedimentieren ins Praxisrepertoire der Akteure. Bei den genannten strukturellen Gründen handelt es sich um Vergesellschaftungswidersprüche, mit denen sich die Akteure im Zuge ihrer Subjektivierungspraktiken konfrontiert sehen. Informationelle Privatheit ermöglicht einen Umgang mit diesen Widersprüchen, ohne letztere deshalb auszusöhnen. Holzschnittartig zusammengefasst ist die Entwicklungsgeschichte informationeller Privatheit in Tabelle 1.

Tab. 1 Formen der informationellen Privatheit im gesellschaftlichen Strukturierungsgefüge

Die so zusammengefasste Geschichte wird im Folgenden knapp rekonstruiert.

3 18. Jahrhundert: Repräsentative Privatheit als Reputation Management

Unter Historiker:innen gilt das 18. Jahrhundert als transitorische Phase („Sattelzeit”), die eher strukturell als kalendarisch zu bestimmen ist, reichen doch einige seiner Strukturmuster bis weit ins 19. Jahrhundert hinein [31, S. 14], obgleich das Jahrhundert in anderen Hinsichten sein Ende schon 1789 (Französische Revolution) findet. Der Übergangscharakter dieser Vergesellschaftungssituation prägt auch die Form, die informationelle Privatheit im 18. Jahrhundert annimmt.

Ansetzen lässt sich hier mit Elias’ (1997b) [16, S. 230 ff.] Analyse des „Königsmechanismus“, den „zentrifugalen“ Machtmechanismen, die im Rahmen langewährender Prozesse von der feudalistischen Kleinstaaterei (ebd.: S. 26 ff.) schließlich zur absolutistischen Machtkonzentration (ebd.: S. 151–168) und zum Gewalt- und zum Steuermonopol führten. Die vermehrte Zirkulation von Münzgeld ermöglichte es den Regenten, Gefolgsleute monetär, statt mit Land zu entschädigen (ebd.: S. 233), und erlaubte so die Bildung größerer dauerhafter Territorien. Zudem boten die neu entstandenen Techniken der Demographie [18], [19], Bevölkerungsstatistik und Administration [68] Möglichkeiten der raumzeitlichen Ausweitung von Herrschaftsapparaten [22, S. 97, 98]. Sofern der absolutistische Staatsapparat zum Betreiben der Verwaltungsinfrastruktur auf Schreib- und Rechenfähigkeiten, sowie auf juristische Expertise angewiesen war, wertete dies die Position der zumeist bürgerlichen Gelehrten deutlich auf, und die des praktisch funktionslosen Adels tendenziell ab [16, S. 267]. Die absolutistischen Herrscher hielten die Spannung zwischen diesen Gruppen aufrecht, und auf diese Weise beide in Schach. Der Adel wurde am Hofe räumlich konzentriert, um ihn systematisch zu überwachen (ebd.: S. 281–282). In den Fürstentümern des heutigen Deutschland wurde das Bürgertum weitgehend von politischer Betätigung ausgeschlossen, weshalb sich seine Angehörigen auf die quasi-politische Produktion von Literatur und neuartigen Subjektivierungsweisen verlegten [15, S. 120]. Die Dominanz des Ancien Régime war noch nicht gänzlich gebrochen, aber die Kräfte, die dies bewerkstelligen sollten, bereits in Stellung.

Subjektivierung war nach wie vor an die repräsentative Ordnung der Ständegesellschaft gebunden, an die Logik von prä-fixierter Hierarchie und ständischer Ehre, obwohl gleichzeitig schon andersartige Vergesellschaftungslogiken gewissermaßen unter der Hand dabei waren, sich zu etablieren. Symptom dafür ist etwa der Gebrauch, den die städtische Bevölkerung nach wie vor von der sozialen Maskerade der repräsentativen Ordnung machte. Sie nutzte sie als Schutzvorrichtung, löste die Masken jedoch gleichzeitig von der alten Ordnung ab: In der Interaktion wurden ständisch festgelegte Bekleidungsformen, Gestiken und Redeweisen als zeichenhafte Oberfläche verwendet, sodass die jeweiligen Gegenüber nie ‚hinter die Maske‘ blicken konnten, um dort an Daten zu gelangen, aus denen sich Informationen über die „wirkliche Position“ der Träger:in generieren lassen würden [58, S. 183]. Wie im mittelalterlichen Feudalismus ging es noch darum, dass das Gegenüber „die Maske korrekt trägt“, nicht von der Ordnung abweicht (ebd.: S. 126). Ob die Masken und ihre Träger:innen dabei übereinstimmten, war aber schon von sekundärer Bedeutung: „Die Kleidung brauchte nicht sicher anzuzeigen, mit wem man es zu tun hatte, sie sollte aber erlauben, so zu tun, als ob man sich dessen sicher wäre.“ (ebd.: S. 132) So lassen sich nur solche Informationen senden, die mit der hergebrachten Ordnung übereinstimmen. Gelingt dies, so bleibt die „Ehre” der Akteure, Sozialkapital der repräsentativen Ordnung, intakt [14].

Gegen die soweit skizzierten Subjektivierungsanforderungen formieren sich indes bereits „inoffiziell“, aber doch wirksam, entgegengesetzte Notwendigkeiten. Angeschoben durch Arbeitsteilung und daraus resultierende Komplexitätssteigerung wächst die wechselseitige soziale Abhängigkeit der Akteure. Handeln in Übereinstimmung mit der auf Standes- und Familienzugehörigkeit basierenden, hergebrachten Ordnung ist normativ weiterhin gefordert, garantiert aber immer weniger sozialen Erfolg. Folge ist eine Intensivierung der sozialen Positionierungskämpfe, in deren Rahmen es immer wichtiger wird, das eigene Verhalten und das der anderen permanent zu überwachen – „eine ‚psychologische‘ Betrachtung des Menschen“ tritt auf den Plan [16, S. 385]. Das Tragen der hergebrachten Masken zur Wahrung des Rufs – das Reputation Management – stellt einen Kompromiss dar: Die Akteure greifen auf alte Techniken zurück (die der repräsentativen Ordnung), um auf neue Probleme zu antworten (die der Moderne). Es ist daher bis zu einem gewissen Grade korrekt, wenn behauptet wird, dass die „political and social values of ‚dignity‘ and ‚honor‘ are indeed what is at stake in the continental concept of privacy“ [70, S. 1165] – dies gilt zumindest für die aus dem 18. Jahrhundert vererbte Bedeutungsschicht informationeller Privatheit, die wir heute als Reputation Management bezeichnen.

Repräsentative Privatheit ermöglicht den Akteuren einen Umgang mit den Subjektvierungswidersprüchen des 18. Jahrhunderts, indem sie erlaubt, so zu tun, als ob man noch in ehrenhafter Übereinstimmung mit alten Ordnung agierte, während man schon längst in normativ gegenläufige soziale Positionierungskämpfe verstrickt ist. Visualisieren lässt sie sich diese Situation wie in Abbildung 1.

Abb. 1
figure 1

Soziale Maskerade: Repräsentative Privatheit als Ehrschutz (Reputation Management)

4 19. Jahrhundert: Bürgerliche Privatheit als Rückzug vom Sozialen

Im 19. Jahrhundert wird das Bürgertum zur gesellschaftlich dominanten Gruppe [52, S. 242 ff.], das absolutistische Gewalt- und Steuermonopol vom Staat als „öffentliche Gewalt“ übernommen [16, S. 157–160], [27, S. 69]. Das Gegenspiel von öffentlicher politischer Macht einerseits, und privatem ökonomischen Handeln andererseits, wird zu einem Strukturprinzip moderner Vergesellschaftung [24, S. 252]. Kapitalistische Produktionsweise und Nationalstaat dominieren nun die politisch-ökonomische Szene [22, S. 135], [49, S. 105 ff.]. Während die Industrialisierung an Fahrt aufnimmt, vervielfältigen sich die Überwachungstechniken in dem Maße, in dem staatliche Verwaltungsapparate und das Fabriksystem immer ausgefeiltere Überwachungsformen entwickeln [25, S. 138; 169–176].

Die Industrialisierung treibt die Arbeitsteilung voran [13], woraus weitere dynamische soziale Differenzierungsprozesse hervorgehen. Die neuartige Wissenschaft von der Gesellschaft – Soziologie – tendiert dazu, Gesellschaft als einen Organismus zu porträtieren, der aus zahlreichen „Körperteilen“ besteht (Spencer). Die so perspektivierte und rasch voranschreitende Differenzierung des Sozialen zeitigt weitreichende Konsequenzen auch für die Prozesse der Selbst-Konstitution. Sofern letztere nicht mehr im vorbestimmten Gerüst des Ständesystems verlaufen, sind die sozialen Akteure nunmehr dazu aufgerufen, sich selbst als individuelle Akteure zu konstituieren. Simmel (1989) [61, S. 241] erklärt das Individuum dementsprechend zum „Schnittpunkt der sozialen Kreise“, denen es angehört – Subjektivität wird zum je individuellen Mischungsverhältnis. Während in der vormodernen Ära noch die ganze Persönlichkeit in einer kohärenten, umfassenden sozialen Welt involviert war und in dieser eine einheitliche soziale Existenz pflegte (Kongruenz persönlicher, beruflicher, politischer, religiöser, amouröser Kreise), kommt es nun zu einer Aufspaltung. Die Anforderung an das Individuum, sich selbst mithilfe prä-fixierter Sozialpositionen zu konstituieren, entfällt nach und nach, stattdessen soll es sich und sein soziales Leben in einer Vielzahl inkohärenter und heterogener Kontexte ausformen, und so auch von jedem anderen Akteur unterscheiden [35, S. 215].

Die Idee der unteilbaren In-dividualitätFootnote 1 hat genau ab jenem Moment Konjunktur, ab dem die soziale Existenz der Akteure von sozialen Fragmentierungstendenzen geprägt ist. Subjektivierungsanforderung ist die Ausbildung eines ungeteilten, kohärenten, ganzheitlichen und einzigartigen Selbst. Wie aber soll eine solche ungeteilte Ganzheit herzustellen sein, wenn der alltägliche Handlungsstrom dazu führt, ständig den widersprüchlichen normativen Spielregeln differenzierter sozialer Welten entsprechen zu müssen? Wie soll Einzigartigkeit gewährleistet werden, wenn die Akteure permanent beobachtet, befragt, überwacht, analysiert und verglichen werden im Rahmen von vielfältigen Disziplinartechniken, die die Vergesellschaftungsprozesse in Schulen, Internaten, Fabriken, Krankenhäusern und Militäreinrichtungen durchziehen? Die Verhaltensweisen der Akteure werden mithilfe dieser Überwachungstechniken in Richtung des statistischen Durchschnittsmittels hin orientiert [17, S. 234–237], was dem individuellen Einzigartigkeitsgebot diametral entgegenläuft: die Normalisierungseffekte der Disziplinen arbeiten individueller Differenz entgegen.

Eben daran zeichnet sich der Subjektivierungswiderspruch des 19. Jahrhunderts ab: wie soll man ein ungeteiltes, einzigartiges Individuum werden, wenn man gleichzeitig gezwungen ist, eine differenzierte soziale Existenz zu führen, die obendrein ständig auf Konformität getrimmt wird? Die dominante informationelle Privatheitstechnik des 19. Jahrhunderts hält eine Antwort parat: durch regelmäßigen Rückzug vom Sozialen. Denn „[d]ie Privatleute, die sich hier zum Publikum formieren, gehen nicht ‚in der Gesellschaft‘ auf; sie treten jeweils erst aus einem privaten Leben sozusagen hervor, das im Binnenraum der patriarchalischen Kleinfamilie institutionelle Gestalt gewonnen hat.“ [27, S. 109] Nur im Rückzug können die Akteure sicher sein, keine Informationen über sich selbst an normativ widersprüchliche Kontexte auszusenden, und nur dort können sie immer wieder die verstreuten Einzelteile einer differenzierten sozialen Existenz zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen. Nur in der zeitweisen Unbeobachtetheit ist es darüber hinaus möglich, der disziplinären Überwachung zu entgehen, um dort dann Einzigartigkeit zu entwickeln. Visuell vorgestellt werden kann die dominante informationelle Privatheitstechnik des 19. Jahrhunderts daher wie in Abbildung 2.

Abb. 2
figure 2

Sozialer Rückzug: Bürgerliche Privatheit als zeitweiser Ausstieg

5 20. Jahrhundert: Hochmoderne Privatheit als Informationskontrolle

Die ersten beiden Weltkriege, in deren Zuge Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts große Teile der Welt in die Barbarei der industrialisierten Kriegsführung und des bürokratisierten Massenmords hineinzieht, markieren in soziologischer Hinsicht sowohl das Ende der Dominanz der bürgerlichen Subjektkultur [52, S. 275] als auch den Auftritt der Organisierten Moderne [69]. Letztere organisiert das soziale Leben zunehmend in Großgruppenverbänden, wie z. B. Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Parteien, Großkonzerne etc. Transport-, Kommunikations-, Medien- und Produktionstechnologien ermögliche die Ausweitung von Sozialbeziehungen. Der beständig erhöhte Grad der Selbst-Überwachung aller möglichen Institutionen mündet zum Jahrhundertende schließlich in eine Reflexive Moderne, die permanent rekursiv auf sich selbst einwirkt [2].

Für den Aufschwung der individuellen Informationskontrolle zur dominanten Privatheitstechnik ist zunächst die immer weiter um sich greifende Vervielfältigung sozialer Teilwelten sowie deren zunehmendes Reflexivwerden verantwortlich zu machen: Im 20. Jahrhundert gilt nicht nur, dass „m]ost people live more or less compartmentalized lives, shifting from one social world to another as they participate in a succession of transactions“ [60, S. 567], sondern dass alle auch darum wissen, dass alle wissen, dass alle „compartmentalized lives“ führen. Der Grund für diese Reflexivität liegt darin, dass Urbanisierung, Radio und Fernsehen die Differenziertheit des Sozialen gesamtgesellschaftlich wahrnehmbar machen [3, S. 64 ff.].

Die so charakterisierte Vergesellschaftungssituation stellt spezifische Anforderungen an die Subjektivierungsbemühungen der Akteure. Das Leben in differenzierten Kontexten, deren soziale Verhaltensregeln nicht per Tradition festgelegt sind, nötigt den Akteuren permanent die interaktive Definition sozialer Situationen ab, inklusive der Rollen, die sie darin spielen sollen. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, ständig Informationen über die Anderen und sich selbst ins Spiel bringen und umgekehrt auch aus dem Spiel nehmen zu müssen [26, S. 1]. Bereits auf Ebene des alltäglichen Umgangs entwickeln sich so Praktiken der Informationskontrolle, die sich in besonderer Weise auch auf die Selbst-Konstitution erstrecken. Wie oben angemerkt, hat die Vorstellung von Individualität im Sinne einer unteilbaren Sozialexistenz durch das massenmedial hervorgebrachte Reflexivwerden der „compartmentalization“ des sozialen Lebens an Plausibilität verloren: wenn alle wissen, dass alle wissen, dass alle ein differenzierte Sozialleben führen, verliert die gesellschaftliche Aufforderung, ein sozial homogenes Leben zu führen, nachhaltig an Plausibilität. An diese Stelle tritt nun die Erwartung, dass die vielfältigen sozialen Welten, die die Einzelnen im Zuge ihrer sozialen Existenz durchlaufen, eine relative Passung aufweisen. Die Homogenitätsforderung wechselt vom Individuum zu den sozialen Welten [52, S. 50 ff.]; klassisch: [4] – Fließband passt zu Stehtribüne, Vorstandsetage zu Golfplatz.

Indem die Akteure im Zuge der Selbst-Konstitution eine Vielzahl sozialer Welten durchlaufen, entfalten sie Subjektivierungslaufbahnen, die sich soziologisch auf den Begriff eines „Projekt-Selbst“ bringen lassen [23, S. 75–80], das gesellschaftlich durch „Karrieren“ integriert wird [35]. Persönliche Vergangenheit wird damit zu Last oder Potenzial zukünftiger Weiterentwicklung [36, S. 742]: Projekt-Selbste werden regelmäßig durch institutionelle Prüfungssituationen geschickt, in denen sie gegenwärtig die Berechtigung nachweisen müssen, zur Wahrnehmung zukünftiger Handlungsoptionen befähigt zu sein (z. B.: Nachweise berechtigen heute, an einem Eignungstest für ein zukünftiges Studium teilzunehmen). Dabei determinieren Vergangenheit und Gegenwart jedoch nicht die Zukunft, sondern strukturieren bloß grob mögliche Laufbahnen vor.

Während es in der Gegenwart agiert, um Zukunftschancen zu wahren, wird das Projekt-Selbst stetig von machtvollen Institutionen beobachtet, die auf eine „Feststellung der Identität“ abzielen [41]. Genau an dieser Stelle entsteht wiederum ein auf die Subjektivierungspraktiken durchschlagender Vergesellschaftungswiderspruch: während das Selbst auf Weiterentwicklung angelegt ist, und dabei notwendigerweise normativ widersprüchliche sozialen Welten durchläuft, versuchen staatliche und ökonomische Organisationen permanent, die Identität der Akteure zu fixieren. Um mit der normativen Widersprüchlichkeit zwischen den durchlaufenen Welten und deren Fixierungsversuchen umzugehen, werden informationelle Grenzen zwischen den sozialen Kontexten eingezogen, entweder von den Akteuren selbst [26], [56] oder durch kollektive Absicherung „kontextueller Integrität“ [42]. Beide Vorgehensweisen fußen letztlich auf der Annahme, dass erfolgreiche Subjektivierung nur dann möglich ist, wenn die Teilhabe der sozialen Welten an Informationen über ihre Existenzweisen in den jeweiligen Kontexten beschränkt wird – es geht die Ärztin der Konto-, den Bankangestellten der Gesundheitszustand nichts an. Die zugrunde liegende gesellschaftliche Konstellation kann wie in Abb. 3 dargestellt werden.

Abb. 3
figure 3

Soziale Kontextgrenzen: Hochmoderne Privatheit als individuelle Informationskontrolle

6 21. Jahrhundert: Vernetzte Privatheit als Unschärfegarantie

Zeitgenössische Sozialformationen befinden sich aktuell mitten im soziodigitalen Strukturwandel. Obgleich dessen Komplexität kaum seriöse Voraussagen erlaubt, lassen sich doch zumindest zwei prägende und zentrale Dynamiken identifizieren: Erstens die Entstehung einer digitaltechnologisch gestützten „Network Society“ [8], sowie zweitens der jüngere Trend hin zur „Datafizierung“ [29].

Die erste Dynamik verweist auf die Transformation der gesellschaftlichen Organisationslogik durch die soziotechnische Restrukturierung der nun transnationalen Kommunikationsinfrastruktur. Sie setzte in einer Situation tiefgreifender Verunsicherung ein der sozialen Akteure im Zuge der in den 1990er Jahren auf den Plan tretenden „Zweiten Moderne“ ein [71]: (Berufs-)Biographien wurden fragil, ihre kulturelle Einbettung brüchig, soziale Sicherheitssysteme abgebaut [2]. Vor diesem Hintergrund übernahm das frühe, zunächst nur mäßig ökonomisierte Internet die Rolle einer (potenziellen) Re-Sozialisierungsagentur [8, S. 388]. Bis heute verspricht seine Nutzung die Erweiterung selbstgewählter Handlungsmöglichkeiten [50, S. 19], die ich hier als Optionalität bezeichne. Wer sich in digitalen Vergesellschaftungszusammenhängen als vollwertiges Subjekt konstituieren will, kommt kaum umhin, die Optionalität des Digitalen praktisch zu nutzen. Sofern aktuell „Unsichtbarkeit den digitalen Tod bedeutet“ [53, S. 247], erfolgt Personenkonstitution immer stärker datenbasiert [33, S. 30]: Die Akteure sind darauf angewiesen, mithilfe eines eher „sendefreudigen“ Datenumgangs versch. Selbst-Facetten digital kuratierend zu einem Ganzen zusammenzusetzen [48, S. 108].

Die zweite Dynamik setzt Anfang der 2000er Jahre ein und vollzieht sich im Kontext einer tiefgreifenden Ökonomisierung digitaler Vernetzungstechnologien. Dabei lässt sich zum einen konstatieren, dass die digitale Ermöglichung technisch vermittelter Sozialität („connectedness“) zunehmend der technischen Zurichtung sozialer Beziehungen („connectivity“; [66]) weicht. Digitale Sozialität konstituiert sich zunehmend in datenökonomischen Infrastrukturen [11], deren Anbieterinnen astronomische Gewinne durch Bildung und Verkauf von Verhaltenssteuerungspotentialen realisieren. Die Ausbeutung des datenmäßigen „Verhaltensüberschusses“ [71] mündet in das Versprechen, Nutzer:innenverhalten vorhersagen zu können, um diese Vorhersagen dann an Organisationen zu veräußern, die so Kontingenz auszuschalten hoffen. Die einmal losgetretenen Dynamiken legen es den Internetkonzernen schließlich nahe, ihrerseits Nutzungskontingenz herabzusetzen, indem sie mithilfe von Nutzungsdaten Verhalten vorformen – predictive analytics resultieren in „Verhaltensmodifikationsmitteln.“ In Anlehnung an Zuboff lässt sich diese Entwicklung als die Erfindung der Prediktivität des Digitalen bezeichnen. Mit ihr ändert sich die temporale Logik von Herrschaftstechniken: Der Datenbestand, auf den solche Techniken zugreifen, erstreckt sich immer weiter in die Vergangenheit [34], während der Analysehorizont der Politische Ökonomie Herrschaftsapparate asymptotisch an die Gegenwart heranrückt, um Zukunft festzulegen (mithilfe von Echtzeitdaten, bspw. über affektive Zustände, Verhalten unterhalb der Wahrnehmungsschwelle beeinflussen; [46]). Prediktivität zielt somit auf das genaue Gegenteil der Optionalität des Digitalen, auf „Verhaltensausrichtung durch die Entscheidungsarchitektur“ [32, S. 53] der digitalen Subjektivierungsangebote – auf die Herabsetzung von Handlungsmöglichkeiten.

Subjektivierungspraktiken sind in der Folge mit dem Widerspruch konfrontiert, einerseits datenbasierte Sichtbarkeit generieren zu müssen, um auch im Rahmen der ubiquitären digitalen Bewertungspraktiken [39] Handlungsmöglichkeiten zu wahren; andererseits ermöglicht genau dies den im Internet allgegenwärtigen Datenanalysten [9], [10] die gezielte Kanalisierung dieser Möglichkeiten für eigene Zwecke [20, S. 23]: Die selbst-bestimmte Bestimmung des Selbst droht in eine Objektivierung der Nutzenden als targets umzukippen [45]. Was könnte nun „informationelle Privatheit“ unter diesen datenminimierungsunfreundlichen Bedingungen genau heißen, und wie wäre sie zu gewährleisten?

Interessanterweise haben die empirisch beobachtbaren Nutzungspraktiken längst begonnen, sich auf den identifizierten Subjektivierungswiderspruch einzustellen. Konstatiert werden kann zunächst, dass hergebrachte Privatheitspraktiken, wie Reputation Management, Rückzug (Nichtnutzung) und individuelle Informationskontrolle nach wie vor vollzogen werden, dabei allerdings keinen Umgang mit dem spezifischen Subjektivierungswiderspruch digitaler Vergesellschaftung erlauben – auf diesen antwortet die Erfindung neuartiger Privatheitsformen [44]. „Hiding in plain sight“ nennt danah boyd Nutzungspraktiken, die gerade nicht auf Sichtbarkeit verzichten, dabei aber ihre weithin sichtbaren Botschaften sozial so verschlüsseln, dass nur Eingeweihten noch ein „korrektes“ Verständnis möglich wird, während alle anderen gar nicht erst bemerken, dass die Daten durch „soziale Steganographie“ „undekodierbar“ gemacht worden sind [1], [5, S. 65]. Potenziale und Möglichkeiten der „obfuscation“, d. h. der Verschleierung der Daten werden ausgelotet, um gleichzeitig Unschärfe und Sichtbarkeit zu gewährleisten [7].

Hierin finden sich dann auch die gesellschaftsstrukturelle Konstellation und der maßgebliche Subjektivierungswiderspruch, auf den die in Entwicklung begriffene Form informationeller Privatheit als networked privacy [5] reagieren muss: Privatheitsschutz trotz datenintensiver Subjektivierungspraktiken [63]. Eben diese Analyse verdichte ich hier im Bild des blurry self, womit ein Subjektivierungsmodus gemeint ist, der den Akteuren Möglichkeiten weitreichender Sichtbarkeit einräumt, gleichzeitig aber ein hohes Maß an Unschärfe garantiert. Visualisiert wird die Grundsituation in Abbildung 4.

Abb. 4
figure 4

Privatheit trotz datenbasierter Sichtbarkeit: Networked Privacy als Unschärfegarantie

7 Schluss: Strukturelle Bedingungen der Technikgestaltung

Ziel dieses Beitrags ist es, Technikgestaltungsdiskursen Expertise hinsichtlich der gesellschaftsstrukturellen Grundbedingungen zur Verfügung zu stellen, unter denen digitale Privatheitspraktiken heute vollzogen werden, um so die Reflexion über „Parameter“ der Gestaltung von Privatheitsschutz anzuregen. Wie zu sehen, kann Gestaltung dabei auf ganz unterschiedliche informationellen Privatheitspraktiken abzielen, die allesamt im Rahmen der oben skizzierten kulturhistorischen Prozesse in den gesellschaftlichen „Werkzeugkasten“ der Privatheit sedimentiert sind: Wir verfügen auch heute noch über Techniken des Reputation Management, des Rückzugs und der individuellen Informationskontrolle, nur haben sich mittlerweile neue Problemlagen und Lösungsanforderungen ergeben [55]. Technikgestaltung ist daher immer aufgerufen, bei der Problembeabeitung im Blick zu behalten, ob gerade die Erzeugung digitaler Avatare (Reputation Management; [40, S. 104–106]), die Verfügbarmachung nicht-digitaler Alternativangebote (Rückzug; [30]) oder Möglichkeiten der individuellen Informationskontrolle (ohne, dass dies in Überforderung umkippt; [38]) technischer Stützung bedürfen. Wenn sich aber nun einige aktuelle und zentrale Problemlagen nicht mehr mithilfe hergebrachter Techniken bearbeiten lassen – was wäre dann unter der Alternativstrategie einer „Unschärfegarantie“ zu verstehen? Zwei Dinge sind diesbezüglich zu berücksichtigen:

Erstens meint Unschärfe gerade keinen Freifahrtschein dafür, auf statistischer Korrelation basierende Verhaltensmodifikationen vorzunehmen, die die traditionellen Privatheitsgarantien der „persönlichen Daten“ unangetastet lassen. „Indirect group-level targeting“ kann individuelle Anonymität wahren, und dennoch in statistisch signifikantem Ausmaß Kollektivverhalten – und damit individuelles Verhalten – modifizieren [37]. „Unschärfe“ meint hier die Unmöglichkeit für Herrschaftsapparate, aus Daten Informationen zu generieren, die die Optionalität des Digitalen, und damit die Zukunftsoffenheit individueller Existenzweisen untergraben.

Daraus folgt zweitens, dass Schutzmechanismen immer schon auf der kollektiven Ebene ansetzen müssen. Der aktuelle Privatheitsdiskurs weiß genau um die Kollektivität der Problemlagen [28], [64], weil individuelle Verschleierungstaktiken punktuell Abhilfe schaffen, sich aber gegenüber den Analysekapazitäten der Konzerne und Geheimdienste als stumpf erweisen [54, S. 1204]. Zudem droht auf verallgemeinertem Misstrauen basierendes individuelle Obfuscation letztlich den digitalen Sozialraum auszuhöhlen – dieser kann nur zur digitalen Vergesellschaftung beitragen, wenn gerechtfertigte Vertrauen institutionell verankert wird [65]. Unschärfegarantien können daher nur kollektiv, politisch, rechtlich, infrastrukturell vergeben werden.Footnote 2

Die Diskussion, die der vorliegende Beitrag anregen möchte, dreht sich also darum, wie Sichtbarkeit mit hinreichenden Unschärfegarantien auf dieser Ebene des gesellschaftsstrukturellen set-ups verbunden werden könnte, um so zu gewährleisten, dass auf Sichtbarkeit abstellende datenintensive Subjektivierungspraktiken nicht automatisch im Zuge allgegenwärtigen Berechnet-Werdens Lebenschancen verspielen. Wie im Vollzug digitaler Praktiken Optionalität gewahrt werden kann, ohne von Prediktivität „aufgefressen“ zu werden – das ist die Frage, an deren Beantwortung sich nicht nur eine zeitgenössische Form der informationellen Privatheit bewähren muss, sondern an der sich gleichermaßen auch die Demokratiefähigkeit digitaler Vergesellschaftung schlechthin entscheidet.