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Eine Stimme gegen die Invasion der Muslim*innen? Zur Bedeutung muslim*innenfeindlicher Einstellungen für die Mobilisierungserfolge und den machtpolitischen Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa

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Populismus an der Macht

Part of the book series: Vergleichende Politikwissenschaft ((VGPO))

Zusammenfassung

Dieser Beitrag liefert eine vergleichende Analyse der jüngsten Welle der European Values Study und beleuchtet den Zusammenhang von antimuslimischen Ressentiments und der Unterstützung für rechtspopulistische Parteien. Hierbei zeigt sich, dass (a) ablehnende Haltungen gegenüber Muslim*innen eine Identifikation mit rechtspopulistischen Parteien begünstigen, (b) dass sich dieser Individualzusammenhang zu einem paneuropäischen Phänomen entwickelt hat, welcher losgelöst von der An- oder Abwesenheit von Muslim*innen operieren kann und (c), dass die Prävalenz eines antimuslimischen Gesellschaftsklimas den machtpolitischen Aufstieg rechtspopulistischer Parteien begünstigt hat. Da das „Feindbild Islam“ besonders gut in Gesellschaften gedeihen kann, in denen kaum Muslim*innen leben, konnten Osteuropas Rechtspopulist*innen sogar paradoxerweise von der Abwesenheit von Muslim*innen profitieren. Getragen von einem nationalistischen Grundkonsens in der Gesellschaft sind Rechtspopulist*innen in Osteuropa in Machtpositionen gelangt und verstehen es geschickt die Elitenschelte auf die Europäische Union und internationale Akteure umzulenken. Gepflegt wird das Zerrbild einer internationalen Elite, die die Einwanderung von Muslim*innen orchestriert und vorantreibt und gegen die das Volk durch die rechtspopulistischen Regierungen geschützt werden muss. Muslim*innenfeindschaft entfaltet somit mehr und mehr ein antidemokratisches Potenzial und begünstigt die Abwendung von der liberalen Demokratie.

Abstract

This article provides a comparative analysis of the latest wave of the European Values Study and illuminates the link between anti-Muslim resentments and support for right-wing populist parties. It turns out that (a) negative attitudes toward Muslims facilitate an identification with right-wing populist parties, (b) that this individual-level linkage has developed into a pan-European trend that can operate detached from the presence or absence of Muslims, and (c) that the prevalence of an anti-Muslim social climate has favored the rise of right-wing populist parties to positions of power. Given that the „Feindbild Islam“ can flourish particularly easily in societies in which hardly any Muslims live, Eastern European right-wing populists have even paradoxically benefited from the absence of Muslims. Backed by a broad nationalist consensus in society, right-wing populists have come to power in Eastern Europe and skillfully managed to redirect the harsh criticism of elites towards the European Union and international actors. They are cultivating the distorted image of an international elite that orchestrates and promotes the immigration of Muslims against which the people must be protected by right-wing populist governments. Muslim hostility thus increasingly unfolds an anti-democratic potential and favors a rejection of liberal democracy.

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Notes

  1. 1.

    Wir werden hier den Begriff Rechtspopulismus verwenden, auch wenn die Unterscheidung zu rechtsextremen und rassistischen Positionen oft fließend ist und sich in der internationalen Debatte eher allgemeinere Zuordnungen als „Right Wing“ oder „Right Wing Radicals“ (Rechtsradikale) durchsetzen (Mudde 2019).

  2. 2.

    Damit wird die Existenz linkspopulistischer Parteien (z. B. Syriza in Griechenland) nicht ignoriert, doch besitzen letztere nur eine untergeordnete Bedeutung für unsere Fragestellung. Die Mobilisierungserfolge populistischer Parteien in Europa werden maßgeblich von rechtspopulistischen Parteien getragen.

  3. 3.

    Tschechien erscheint aufgrund der deutlichen Ablehnung von muslimischen Nachbar*innen als statistischer Ausreißer in der Gruppe der Länder, in denen rechtspopulistische Parteien aus der Opposition heraus agieren. Erwähnenswert ist hierbei, dass Tschechien seit 2017 von einer populistischen Partei regiert wird, die Rooduijn et al. (2019) allerdings nicht als rechtspopulistisch klassifizieren. Tatsächlich ist die Rhetorik ihres Vorsitzenden Andrej Babis – der seit 2017 das Amt des tschechischen Premierministers innehat – im Vergleich zu Tomio Okamura (SPD) deutlich moderater. Allerdings hat sich auch die ANO eindeutig gegen die Aufnahme von Asylbewerber*innen und Geflüchteten ausgesprochen und ist bei den letzten Wahlen mit einem strikten Kurs gegen Migrant*innen angetreten (Kim 2017). Diese Positionierung dürfte Babis bei seiner Wahl zum Premierminister nicht geschadet haben, wenn man sich vergegenwärtigt, dass jeder zweite Befragte in Tschechien Muslim*innen als Nachbar*innen ablehnt (siehe Abb. 2 und 3). Auch Mainstream-Parteien treten in Tschechien mit antimuslimischen Aussagen in Erscheinung. Präsident Zeman – immerhin der ehemalige Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokraten – bezeichnete in einem Interview den Islam als eine „Religion des Todes“ und argumentierte, dass das Label „moderate Muslim*innen“ so widersprüchlich sei, wie die Bezeichnung „moderate Nazis“ (Trait 2016). Kurzum: Die politischen Parteien in Tschechien versuchen sich mit markanten Aussagen über Muslim*innen gegenseitig zu übertreffen (Hafez 2018), so dass es gar keiner Regierungsbeteiligung von Tomio Okamura (SPD) bedarf, damit sich seine politischen Kernforderung eines strikten Kurs gegen Migrant*innen im Regierungshandeln materialisiert.

  4. 4.

    Dieser Mechanismus lässt sich exemplarisch am Fall der Slowakei aufzeigen: Antimuslimische Ressentiments sind unter den Wähler*innen der rechtspopulistischen Parteien (L’SNS, SNS und SR) mit ca. 55 % die Regel. Da die Ablehnung muslimischer Nachbar*innen auch unter den Sympathisant*innen anderer Parteien mehrheitsfähig ist bzw. sogar etwas akzentuierter ausfällt, lässt sich in der Slowakei auf der Individualebene kein signifikanter Muslim*innenfeindlichkeit-Rechtspopulismus-Nexus feststellen. Hieraus zu schließen, dass antimuslimische Orientierungen für die Wahlerfolge der slowakischen Rechtspopulist*innen keine Rolle spielen, wäre eine falsche Interpretation dieses Befunds. Ethnonationalistische Positionen und die Ablehnung von Migrant*innen sind gesellschaftlich soweit verbreitet, dass ohne eine Kooption rechtspopulistischer Parteien und ihrer Kernwähler*innenschaft die Bildung einer Regierungskoalition zum Scheitern verurteilt ist (Walter 2018). Zugleich sorgt das dezidiert gegen Muslim*innen gerichtete Gesellschaftsklima dafür, dass rechtspopulistische Parteien als seriöse Koalitionspartner erachtet werden – zumindest weichen die Einstellungen ihrer Wähler*innen kaum vom Mainstream der Gesellschaft ab. Die Konsequenz: Ob unter Fico, Pellegrini oder Matovic, seit 2016 wurde kein Regierungskabinett ohne die Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei gebildet (Döring und Manow 2019).

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Öztürk, C., Pickel, G. (2021). Eine Stimme gegen die Invasion der Muslim*innen? Zur Bedeutung muslim*innenfeindlicher Einstellungen für die Mobilisierungserfolge und den machtpolitischen Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa. In: Muno, W., Pfeiffer, C. (eds) Populismus an der Macht. Vergleichende Politikwissenschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33263-1_3

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