Zusammenfassung
Antidemokratische Tendenzen und das Infragestellen demokratischer Grundprinzipien wie Freiheit, Gleichheit und Pluralismus haben sich zu einem Kernproblem unserer Zeit entwickelt. Für die politische Bildung stellt sich die Frage, wie sie in diesem Kontext agieren kann, ohne bloß instrumentell zur Behebung gesellschaftlicher Krisen angefragt und auf schnelle Gegenstrategien reduziert zu werden. Dazu muss, so die These, die Bildungsidee politischer Bildung reaktualisiert werden. Politische Bildung gilt es dann als Prozess zu denken, in dem Menschen ihr Potenzial entfalten und relational mit der Welt in Beziehung treten können.
Teile des vorliegenden Artikels wurden bereits an anderer Stelle publiziert (vgl. Gessner 2014, 2020a, 2020b)
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Für die Didaktik sind bildungstheoretische Bezüge relevant, weil sie mit dem Versuch verbunden sind, „Didaktik nicht zu einem ‚Instrument willkürlicher Macht‘ (Heitger 2004, S. 201, zitiert nach Rucker 2019, S. 109) degenerieren zu lassen, sondern etwaigen Normierungsversuchen alternative Bezugspunkte im Sinne möglichst gut begründeter Entwürfe der Aufgabe von Unterricht entgegenzustellen“ (Rucker 2019, S. 109).
- 2.
Gerade die Entwicklungsphase der Adoleszenz wird als besonders ‚bildungsfähig‘ im Sinne der produktiven Umwandlung von Legitimationskrisen konzeptualisiert (Busch 2001). Die Lebensphase vom Ende der Kindheit bis zum Erwachsensein ist gekennzeichnet durch psychische und soziale Veränderungen, in der junge Menschen mit dem eigenen kreativen Potenzial experimentieren und eigene moralische, politische und religiöse Orientierungen entwickeln. Bedeutsam ist die Frage, welche Bedingungen für eine Realisierung förderlich und welche verhindernd wirken, um adoleszente Möglichkeitsräume nutzen zu können (Koller 2006, S. 198f.).
- 3.
Bildungstheoretisch ist hier zu verweisen auf Wolfgang Klafkis kritisch-konstruktive Didaktik (Klafki 1973, 2007), der es im Sinne des Was um die spezifische Qualität von Inhalten geht. In Bezug auf das Wie sei hier auf die bildungstheoretischen Überlegungen von Jörg Ruhloff (1996, 2006) verwiesen, der Bildung über eine spezifische Qualität der Auseinandersetzung mit Inhalten definiert.
- 4.
- 5.
Zur Kritik an push–pull-Modellen siehe bspw. auch: Castles, de Maas und Miller (2014, S. 25ff.).
Literatur
Ackermann, P. (1996). Politisches Lernen als unabgeschlossene Suchbewegung. In D. Weidinger (Hrsg.), Politische Bildung in der Bundesrepublik. Zum 30-jährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (S. 147–152). Opladen: Leske + Budrich.
Aigner, J. C. (2003). Subjektbildung im Grenzbereich zwischen analytischer Sozialpsychologie und subjektorientierter Erwachsenenbildung. In M. Höffer-Mehlmer (Hrsg.), Bildung: Wege zum Subjekt (S. 9–17). Baltmannsweiler: Schneider.
Arnold, N. et al. (2011). Sprichst du Politik? Ergebnisse des Forschungsprojekts und Handlungsempfehlungen. Online verfügbar unter https://library.fes.de/pdf-files/do/08234.pdf. Zugegriffen: 09. Dezember 2020.
Autorengruppe Fachdidaktik (2011). Konzepte der politischen Bildung. Eine Streitschrift. Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Bluhm, H. &, Krause, S. (2016). Alexis de Tocqueville. Analytiker der Demokratie. Paderborn: Wilhelm Fink.
Bourdieu, P. (2001). Das politische Feld. Kritik der politischen Vernunft. Konstanz: UVK.
Bourdieu, P. (1992). Politik, Bildung und Sprache. In P. Bourdieu (Hrsg.), Die verborgenen Mechanismen der Macht (S. 13–30). Hamburg: VSA.
Bremer, H. (2012). „Bildungsferne“ und politische Bildung. Zur Reproduktion sozialer Ungleichheit durch das politische Feld. In B. Widmaier & F. Nonnenmacher (Hrsg.), Unter erschwerten Bedingungen. Politische Bildung mit bildungsfernen Zielgruppen (S. 27–41). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Breier, K.-H. &, Meyer, C. (2013). Der politiktheoretische Ansatz. In C. Deichmann & C. K. Tischner (Hrsg.), Handbuch Dimensionen und Ansätze in der politischen Bildung (S. 188-200). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Busch, H.-J. (2001). Subjektivität in der Spätmodernen Gesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Bröckling, U. (2017). Gute Hirten führen sanft. Über Menschenregierungskünste. Berlin: Suhrkamp.
Castles, S., de Maas, H. &, Miller, M. (2014). The Age of Migration. International Population Movements in the Modern World (5. Aufl.). London: Red Globe Press.
Combe, A. &, Gebhard, U. (2012a). Verstehen im Unterricht. Die Rolle von Phantasie und Erfahrung. Wiesbaden: Springer VS.
Combe, A. &, Gebhard, U. (2012b). Annäherungen an das Verstehen im Unterricht. Zeitschrift für interpretative Schul- und Unterrichtsforschung, 1, S. 221–230.
Fischer, K. G. (1993). Das Exemplarische im Politikunterricht. Beiträge zu einer Theorie politischer Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Gessner, S. (2020a). Politische Bildung und die Frage der Haltung. In M. Haarmann, D. Lange, & S. Kenner (Hrsg.), Demokratie, Demokratisierung und das Demokratische. Aufgaben und Zugänge der Politischen Bildung (S. 83–94). Wiesbaden: Springer VS.
Gessner, S. (2020b). Jenseits von Reflex und Funktionalität – vom Bildungssinn politischer Bildung in Zeiten gesellschaftlicher Krisen. Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 1, S. 121–133.
Gessner, S. (2014). Politikunterricht als Möglichkeitsraum. Perspektiven auf schulische politische Bildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Grammes, T. (2014). Exemplarisches Lernen. In W. Sander (Hrsg.), Handbuch Politische Bildung (4. Aufl.) (S. 266–274). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Gruschka, A. (2011). Verstehen lehren. Ein Plädoyer für guten Unterricht. Ditzingen: Reclam.
Heitger, M. (2004). Lehren und Erziehen als Beruf. Zur Didaktik des Lehrerseins (1998). In M. Heitger (Hrsg.), Bildung als Selbstbestimmung (S. 197–215). Paderborn: Schöningh.
Himmelmann, G. (2017). Demokratie-Lernen in der Schule. Schwalbach/Ts: Wochenschau.
Juchler, I. (2014). Wissenschaftstheoretische Grundlagen politischer Bildung: Hermeneutik. In W. Sander (Hrsg.), Handbuch politische Bildung (4. Aufl.) (S. 53–65). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Klafki, W. (2007). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik (6. Aufl.). Weinheim: Beltz.
Klafki, W. (1973). Die didaktischen Prinzipien des Elentaren, Fundamentalen und Exemplarischen (1961). In H. Heiland (Hrsg.), Didaktik und Lerntheorie. (2. Aufl.) (S. 50–70). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Koller, H.-C. (2012). Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer.
Koller, H.-C. (2006). Doppelter Abschied. Zur Verschränkung adoleszenz- und migrationsspezifischer Bildungsprozesse am Beispiel von Lena Goreliks Roman ‚Meine weißen Nächte‘. In V. King & H.-C. Koller (Hrsg.), Adoleszenz – Migration – Bildung. Bildungsprozesse Jugendlicher und junger Erwachsener mit Migrationshintergrund (2. Aufl.) (S. 195–211). Wiesbaden: Springer VS.
Kronauer, M. (2015). Politische Bildung und inklusive Gesellschaft. In C. Dönges, W. Hilpert & B. Zurstrassen (Hrsg.), Didaktik der inklusiven politischen Bildung (S. 18–29). Bonn: BpB.
Kurbacher, F. &, Wüschner, P. (2017). Was ist Haltung? Begriffsbestimmung, Positionen, Anschlüsse. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Milbradt, B. (2018). Über autoritäre Haltungen in ‚postfaktischen‘ Zeiten. Opladen, Berlin/Toronto: Barbara Budrich.
Negt, O. (2004). Politische Bildung ist die Befreiung der Menschen. In K.-P. Hufer, K. Pohl & I. Scheurich (Hrsg.), Positionen der politischen Bildung 2. Ein Interviewbuch zur außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung (S. 196–213). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Nohl, A.-M. (2018). Die Überwindung des konjunktiven Erfahrungsraumes: eine pädagogische Sisyphusarbeit? In E. Glaser et al. (Hrsg.), Räume für Bildung – Räume der Bildung. Beiträge zum 25. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (S. 70–77). Opladen: Barbara Budrich.
Nohl, A.-M. (2009). Bildung als Formierung politischer Grundorientierungen – Anmerkungen aus Sicht der „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“. Erwägen Wissen Ethik. Forum für Erwägungskultur, 2, S. 299–301.
Peukert, H. (2015). Bildung in gesellschaftlicher Transformation. Paderborn: Schöningh.
Przyborksi, A. &, Wohlrab-Sahr, M. (2010). Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch (3. Aufl.). München: Oldenbourg.
Reichenbach, R. (2014, 20. Februar). „Progressiv sein heißt heute Dinge konservieren“. Interview. In Die Wochenzeitung. Online verfügbar unter: https://www.woz.ch/1408/volksschule/progressiv-sein-heisst-heute-dinge-konservieren. Zugegriffen: 17. September 2019.
Reichenbach, R. (2013). Für die Schule lernen wir. Plädoyer für eine gewöhnliche Institution. Seelze: Kallmeyer.
Rendtorff, B. (2016). Bildung – Geschlecht – Gesellschaft: Eine Einführung. Weinheim: Beltz.
Rieger-Ladich, M. (2019). Bildungstheorien. Zur Einführung. Hamburg: Junius.
Rucker, T. (2019). Bildungstheoretische Didaktik revisited? Über die Möglichkeiten und Grenzen einer bildungstheoretischen Neujustierung der Allgemeinen Didaktik. Bildung und Erziehung, 72, S. 104–121.
Ruhloff, J. (2006). Bildung und Bildungsgerede. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 82 (3), S. 287–299.
Ruhloff, J. (1996). Bildung im problematisierenden Vernunftgebrauch. In M. Borelli & J. Ruhloff (Hrsg.), Deutsche Gegenwartspädagogik, Band II (S. 148–157). Baltmannsweiler: Schneider.
Sander, W. (2014). Bildung – zur Einführung in das Schwerpunktthema. Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2, S. 7–15.
Sander, W. (2013). Politik entdecken – Freiheit leben. Didaktische Grundlagen politischer Bildung (4. Aufl.). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Strenger, C. (2019). Diese verdammten liberalen Eliten. Wer sie sind und warum wir sie brauchen. Berlin: Suhrkamp.
Strenger, C. (2017). Abenteuer Freiheit. Ein Wegweiser für unsichere Zeiten (2. Aufl.). Berlin: Suhrkamp.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2021 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Gessner, S. (2021). Bildungspotenziale politischer Bildung im Kontext gesellschaftlicher Erwartungen. In: Deichmann, C., Partetzke, M. (eds) Demokratie im Stresstest. Politische Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33077-4_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-33077-4_5
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-33076-7
Online ISBN: 978-3-658-33077-4
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)