Abschließend möchte ich kurz skizzieren, welche Anstöße die Erkenntnisse dieser Arbeit für die Methodologie der Soziologie selbst bieten. Die vorliegende Untersuchung ist das Resultat der Auseinandersetzung einer qualitativen Forscherin mit dem Feld der wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperimente. Die Konzeption und Durchführung sowie die Diskussion über die Ergebnisse von Experimenten bildeten einen zentralen Erkenntnisgegenstand für den Forschungsprozess, der dieser Arbeit zugrunde liegt. Die Inspiration zu neuen Forschungsarbeiten entstammt nicht selten aus dem Gefühl der Befremdung und der Differenz zwischen der beobachteten und der eigenen Wissenschaftskultur der Forschenden. So regte mich die Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Verfahren des Experiments zu einer kritischen Reflexion der Frage an, welche Potenziale ein experimentelles Vorgehen für die qualitative soziologische Forschung besitzen könnte. Das Forschungsdesign des Experiments scheint den klassischen Gegenspieler zur qualitativen Beforschung von natürlichen Interaktionssituationen darzustellen. Der manipulierende Eingriff und der Versuch der Isolation einzelner Einflussfaktoren bilden zentrale Moment des experimentellen Forschungsdesigns. Qualitative Verfahren hingegen zielen darauf, die Natürlichkeit von Untersuchungsphänomenen zu bewahren, um diese in ihrer Eigengesetzlichkeit zu verstehen. Die Reduktion der Komplexität der Sozialwelt lässt den Forschungsgegenstand in den klassischen experimentellen Verfahren hervortreten und erlaubt es, diesen gezielt zu untersuchen. Dieses fokussierende ‚Herauspipettieren‘ wird im Fall der quantitativen Laborexperimente besonders deutlich. Doch auch qualitative ForscherInnen greifen immer aktiv in die Produktion der Forschungssituationen ein und prägen diese in entscheidendem Maße mit. Viele Interview- und Beobachtungsverfahren, die in der qualitativen Forschung eingesetzt werden, sind stark reaktive Verfahren, bei denen die Forschenden die von ihnen produzierten Daten deutlich mit beeinflussen. Die Frage der Nutzung von Datenerhebungsverfahren trotz ihrer Reaktivität ist somit eine, die sich an dem Mehrwert dieser Verfahrung für die Untersuchung des Forschungsgegenstands bemisst.

Im Zuge meiner Auseinandersetzung mit den möglichen Kombinationen stieß ich auf Gerhard Kleinings „Qualitatives Experiment“, welches mich zu einer eigenen Anwendung inspirierte. Der gezielte Eingriff in die Erhebungssituation wird hier nicht als Mangel gesehen, sondern stellt vielmehr den Weg dar, um die relevanten Strukturmerkmale des Untersuchungsgegenstandes zu bestimmen. Das Verfahren zielt nicht auf die Kausalanalyse von hypothesenrelevanten Variablen, sondern auf dichte Beschreibungen und Vergleiche zwischen diesen. Wie im Analyseteil dargelegt, erwies sich die Anwendung in meinem Fall als gewinnbringend zur ersten Überprüfung einzelner Ergebnisse der Gattungsanalyse. Die ‚naturwüchsige Künstlichkeit‘ meines Forschungsgegenstand war hier ein deutlicher Vorteil, da so Varianten der Untersuchungssituation produziert werden konnten, ohne dass der Eingriff für die untersuchten ProbandInnen zu einer Irritation des Erwarteten führte. Für eine experimentelle Validierung der Rahmenbedingungen von Entscheidungen erscheint dieses Verfahren passend. Eine wissenschaftssoziologische Anwendung, die sich dem Vergleich unterschiedlicher disziplinärer Laborkulturen widmet, könnte ebenfalls durch dieses Vorgehen bereichert werden.

Doch auch außerhalb des Labors besitzt das qualitative Experimentieren Anwendungspotenziale. Diese sehe ich insbesondere in Fällen gegeben, in denen sich die interessierenden Forschungsgegenstände einer direkten Beobachtung entziehen oder im Untersuchungsbereich nicht ‚naturwüchsig‘ in den Merkmalskombinationen vorliegen, die Forschende untersuchen möchten. Der gegenstandsadäquate Eingriff in die Untersuchungssituation stellte hier eine Möglichkeit dar, Varianten des Forschungsgegenstands zu produzieren, um Auskunft über die relevanten Strukturmerkmale und Rahmungselemente zu erhalten, die für die Hervorbringung des Phänomens maßgeblich sind. Gerade bei der Untersuchung von Phänomenen, die durch Routinen verschattet sind, kann ein gezielter und doch gegenstandsangemessener Eingriff in die Untersuchungssituation wichtige Informationen liefern. Auch die Garfinkelschen Krisenexperimente können in diesem Sinne als qualitative Experimente verstanden werden. Im Sinne des qualitativen Experiments besteht die lehrreiche Konsequenz der Garfinkelschen Demonstrationen gerade darin, dass hier gezeigt wird, wann strukturell zentrale Rahmungselemente des Untersuchungsgenstands so stark irritiert werden, dass das Phänomen als solches zusammenbricht. Das Interesse an einer aktiven Produktion von Situationen scheint mir für die qualitative Soziologie von enormem Wert. Dies soll nicht die Notwendigkeit relativieren, den aktiven Eingriff in die Forschungssituation ernst zu nehmen. Die Auseinandersetzung mit forschungsethischen Fragen ist ein zentraler Aspekt forscherischen Handelns. Dies gilt jedoch gleichermaßen für alle Verfahren der Datenerhebung. In anderen sozialwissenschaftlichen Bereichen, wie der Policy-Forschung, zeigt sich eine zunehmende Relevanz und Beachtung für die Herstellung experimenteller Variationen von sozialen Situationen und Konstellationen. Reallabore und Experimentierräume als neue Formate der Wissensvermittlung und -generierung gewinnen hier zunehmend an Bedeutung. Eine methodologische Reflexion dieser Verfahren steht bisher jedoch auch in diesem Bereich noch aus. Auch in der Soziologie sollte geprüft werden, ob es nicht an der Zeit ist, sich dem Potenzial von qualitativen experimentellen Verfahren zuzuwenden und die Chance zu ergreifen, diesen Zugang methodisch reflektiert zu nutzen.