Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem empirischen Phänomen des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments entwickelte sich im Forschungsprozess eine ganz spezifische konzeptionelle Position heraus. Dieser Prozess wurde von dem Anspruch geleitet, in der Forschung eine theoretisch-konzeptionelle Perspektive einzunehmen, die es ermöglicht, die phänomenspezifische Ordnung oder Eigengesetzlichkeit des sozialen Phänomens aus dem empirisch beobachtbaren Prozess ihres Vollzugs heraus erklären zu können. Spezifischer wurde ein konzeptioneller Rahmen gesucht, um die Forschungsfrage zu betrachten, wie die soziale Situation zu einem Laborexperiment wird und wie der beobachtbare Prozesses des Experiments dadurch geprägt ist, dass es sich um ein ökonomisches Laborexperiment handelt. Das nachfolgende dritte Kapitel dient dazu, in der Abfolge unterschiedlicher Unterkapitel die konzeptionelle Entwicklung und Fokussierung aufzuzeigen, welche im Forschungsprozess vollzogen wurde. Diese Fokussierung der konzeptionellen Perspektive wird dabei selbst als ein Ergebnis des Forschungsprozesses verstanden. Dieses ist ganz im Sinne des iterativ-zyklischen Vorgehens der Grounded Theory (vgl. Abschnitt 4.2) aus der Reibung und dem Wechselspiel zwischen theoretisch-konzeptioneller Reflexion und der Auseinandersetzung mit dem empirischen Phänomen durch die sukzessive Datenerhebung und -analyse hervorgegangen.

Bewusst wird dieses dritte Kapitel der Arbeit nicht als ‚Theorieteil‘ bezeichnet. Der Grund dafür besteht darin, dass es nicht um die Darstellung von Theorien geht, sondern um die Charakterisierung von Forschungsperspektiven und ihren konzeptionellen Zugängen zur Erforschung sozialer Wirklichkeit. Zudem stellen – auch dem selbstgestellten Anspruch nach – weder die Goffmansche Perspektive (Abschnitt 3.1) noch die Ethnomethodologie (Abschnitt 3.2) Theorien dar. Ebenso ist die soziologische Gattungsanalyse (Abschnitt 3.3) (nach Luckmann) keine Theorie, sondern ein analytisches Instrumentarium für die wissenssoziologisch orientierte Analyse der Hervorbringung sozialer Wirklichkeit durch primär sprachlich-kommunikatives Handeln, wobei sie ohne Zweifel auf spezifischen konzeptionellen Vorannahmen fußt. Einzig der kommunikative Konstruktivismus (Abschnitt 3.4) kann als eine genuine Theorie betrachtet werden. Es wird hier kein Anspruch auf Vollständigkeit der Darstellung der einzelnen Zugänge erhoben. Vielmehr zielen die jeweiligen Ausführungen darauf ab, die grundlegenden Forschungsperspektiven und ausgewählten Konzepte darzulegen, die sich in der empirischen Auseinandersetzung und Analyse des interessierenden Forschungsgegenstands des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments als fruchtbar erwiesen haben.

Wie einleitend erwähnt, besteht der Anspruch des dritten Kapitels darin, die konzeptionelle Position, die in dieser Arbeit eingenommen wird, transparent zu machen. Wie beim Bau eines Hauses werden dabei verschiedene konzeptionelle Steine in ergänzender Anlehnung und aufbauend aufeinander genutzt, um die Grundmauern für den spezifischen Standpunkt zu erstellen, auf dem die nachfolgende empirische Analyse fußt und welcher als gegenstandsadäquat für die Beantwortung der Forschungsfrage betrachtet wird.

3.1 Die Goffmansche Perspektive

Der Forschungsstil des amerikanischen Soziologen Erving Goffman (1922–1982) und seine Konzepte des Rahmens und der Rahmung bilden den ersten Schritt im Aufbau des konzeptionellen Gebäudes dieser Arbeit. Dass die Forschungsperspektive Goffmans hier als konzeptioneller Ausgangspunkt gewählt wurde, hat zweierlei Gründe. Einerseits sollen auf diese Weise die Fokussierung auf empirisch beobachtbare Interaktionssituationen als analytischer Gegenstand und zentrale Begriffe zu ihrer Charakterisierung eingeführt werden. Darüber hinaus stellte diese Perspektive in der Historie des Forschungsprozesses und der Genese meines konzeptionellen Standpunktes faktisch auch den Ausgangspunkt meiner qualitativen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments dar. Der Grund dafür lag in dem Forschungsprojekt „Kulturell bedingte Framing-Effekte in der experimentellen Spieltheorie“, welches mir die Möglichkeit für die vorliegende Untersuchung bot.Footnote 1 Wie der Projekttitel nahelegt, waren Framing-Effekte in wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperimenten ein grundlegendes Thema dieses Projekts. Als qualitativ forschende Soziologin bestand mein Zugriff auf diese Thematik im konzeptionellen Zugang Goffmans und seiner Rahmenanalyse, nach welcher der Rahmen ein interaktives Produkt der Anwesenden und nicht die Leistung eines Individuums darstellt. Das Konzept des Rahmens oder der Rahmung und die Frage, wie sich diese empirisch beobachten lassen, haben sowohl meinen methodischen als auch konzeptionellen Suchprozesse maßgeblich beeinflusst.

Bevor auf Goffmans Konzept des Rahmens eingegangen wird, soll jedoch in einem ersten Schritt die grundlegende Position dargestellt werden, welche den Goffmanschen Forschungsstil charakterisiert. Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Interaktionssituationen entwickelte Goffman ein reichhaltiges Begriffsrepertoire für die differenzierte Beschreibung und Analyse empirischer Situationen. Einige zentrale Konzepte Goffmans erweisen sich auch für die Analyse der sozialen Situation des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments und seiner interaktiven Hervorbringung als fruchtbar.

3.1.1 Goffmans Fokussierung auf Interaktionssituationen

Einen zentralen Schnittpunkt in den Studien Goffmans stellt die detaillierte Beobachtung und Analyse von sozialen Situationen und der in ihnen ablaufenden direkten Interaktionen dar. Spezifischer geht es Goffman um die Untersuchung von face-to-face Interaktionen. Goffman zielt jedoch nicht ‚nur‘ darauf ab, die face-to-face Interaktion in die soziologische Forschung mit einzubeziehen, sondern diese als eigenständigen Gegenstandsbereich in der Forschung zu etablieren (Rawls 1987). Seine Fokussierung auf face-to-face Situationen basiert dabei auf dem erkenntnistheoretischen Anspruch, die besonderen Züge dieser Interaktionen angemessen zu untersuchen.

Goffmans Ansicht folgend, lassen sich diese Besonderheiten der Interaktionsvorgänge in ihrer Eigengesetzlichkeit weder aus dem subjektiven Blickwinkel des Individuums noch aus einer gesellschaftlichen Makroperspektive erklären. In seinem Buch „Interaktionsrituale“ (Goffman 1971) spezifiziert Goffman die Grundannahme seiner Forschungsperspektive wie folgt: „Ich setze voraus, dass der eigentliche Gegenstand der Interaktion nicht das Individuum und seine Psychologie ist, sondern eher die syntaktischen Beziehungen zwischen den Handlungen verschiedener gleichzeitig anwesender Personen“ (ebd.: 8).Footnote 2 Die gleichzeigte Anwesenheit mehrerer Personen und die interaktiven Wechselwirkungen, die sich durch ihre Handlungen ergeben, bilden damit den Fokus der Betrachtungen. Dabei zielt Goffman nicht darauf ab, die Handelnden als Subjekte zu negieren. Wie Knoblauch (2001b: 11 f.) ausführt, ist Goffmans Werk vielmehr „von einer Spannung zwischen Beobachtungen aus der subjektiven Perspektive der Akteure und zuweilen geradezu positivistisch-ethologischen Beschreibungen von Interaktionsstrukturen und –prozessen“ gekennzeichnet. Das Individuum tritt dabei „zwar einerseits als strategisch sich inszenierender Spieler auf, doch zielt die zweite Perspektive keineswegs auf ein ‚Kollektiv‘, sondern auf die sich vom individuellen Handeln ablösenden Formen und Prozesse der Interaktionsordnung“ (ebd.: 14 f.). Nach Goffman bilden face-to-face Interaktionen eine Grundbedingung des sozialen Lebens innerhalb der Gesellschaft und besitzen unmittelbare lebenspraktische Relevanz (Goffman 1971: 2). Goffmans Bestreben, die face-to-face Interaktion als eigenen Forschungsbereich zu etablieren, zeigt sich beispielsweise in folgendem Zitat:

„Jener Handlungsbereich, der durch Interaktionen von Angesicht zu Angesicht erzeugt wird und durch kommunikative Normen organisiert ist – ein Bereich, zu dem Hochzeiten, Familienessen, von einem Vorsitzenden geleitete Versammlungen, Gewaltmärsche, dienstliche Treffen, Menschenschlangen, Menschenversammlungen und Paare gehören –, ist bisher noch niemals in ausreichender Weise zu einem eigenständigen Untersuchungsgegenstand gemacht worden. (…) Das Gebiet der Interaktion von Angesicht zu Angesicht, einstmals ein Nebenschauplatz, ist (…) selber zum Kampfplatz geworden. Der Augenblick erscheint somit günstig, endlich die Interaktionsethologie zu entwickeln, die erforderlich ist, um diesen Bereich naturalistisch, das heißt in seinem natürlichen Milieu zu untersuchen.“ (Goffman 1974: 9 f.)

Die Organisation von Interaktionssituation erfolgt nach Goffman mit Hilfe kommunikativer Normen. Die genauere Analyse dieser kommunikativen Regeln ist für Goffman jedoch nur im Vollzug der eigentlichen Interaktionssituation möglich. Damit verbunden ist sein vorrangiger Anspruch, eine „Interaktionsethologie“ (ebd.) zu entwickeln, welche Interaktionszusammenhänge „naturalistisch“ (ebd.) und somit im Rahmen ihres natürlichen Auftretens untersucht und dokumentiert. Der hier verwendete Begriff der Interaktionsethologie kann als gesellschaftliche Eigenlogik der Interaktionssituationen verstanden werden. Goffman selbst sieht den Wert der Ethologie jedoch vor allem in der methodologischen Ausrichtung dieser verhaltensbiologischen Forschungsrichtung und in der erhellenden Konsequenz, die sich aus ihrer naturalistischen Perspektive ergibt. Goffman erachtet es in diesem Zusammenhang jedoch als kritikwürdig, dass Ethologen zu schnell dazu neigen würden, einen darwinistischen Bezugsrahmen für die Interpretation ihrer Beobachtungen zu verwenden und ihre Aussagen teilweise unzulässig auf eine ganze Spezies verallgemeinernd anwenden. (Goffman 1971: 20) Eine Übertragung dieses Vorgehens auf die Untersuchung menschlichen Verhaltens würde Goffman zufolge zu „naiven und unverantwortbaren Resultaten“ (Goffman 1974: 20) führen. Er wendet sich somit explizit gegen zu starke Abstraktionen und Verallgemeinerungen der einzelnen beobachteten Situationen, die von Ethologen vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang eröffnet Goffman zugleich, welche methodischen Wege er als geeignet erachtet, um eben diese Interaktionsnormen empirisch zu beforschen: Die Ethologen „haben Techniken für Feldforschung entwickelt, mit deren Hilfe sie das Verhalten von Tieren sehr detailliert und mit einem gewissen Maß an Kontrollen gegen Vorurteile untersuchen können. Dadurch haben sie die Fähigkeit entwickelt, in dem Strom scheinbar zufälligen tierischen Verhaltens natürliche Verhaltensmuster zu isolieren. Sind solche Verhaltenssequenzen erst einmal für den Beobachter sichtbar gemacht worden, verändert sich seine Sichtweise. Auf diese Weise wirken Ethologen inspirierend“ (Goffman 1974: 19).

Goffmans Anlehnung an die Ethologie gründet somit eher aus seiner methodischen als aus seiner theoretische Orientierung. Die entdeckende Beobachtung natürlicher Verhaltensmuster und eine „tiefe Vertrautheit“ (Goffman 1996: 267) mit den situativen Praktiken der Handelnden sind dabei zentrale Voraussetzung, um ein Verständnis für die ablaufenden Interaktionsprozesse erlangen zu können. Goffmans primäre Methode der Feldforschung ist deshalb die teilnehmende Beobachtung. Hitzler (1992) verweist in „Der Goffmensch“ darauf, dass Goffman mit der naturalistischen Forschung zu allererst die Forderung verband, dass „wir vor allem die Augen aufmachen und das Alltagsgetriebe um uns herum anschauen sollten“ (ebd.: 450). Goffman plädierte dafür, eine möglichst breite und umfangreiche Datenbasis als Ausgangspunkt für die Analyse zu wählen. Diese Datenbasis schließt Daten aller Art ein. So verwendete Goffman für seine Analysen beispielsweise Primärerfahrungen, Gelegenheits- und systematische Beobachtungen, Feldnotizen, Interviews, Video- und Tonbandaufzeichnungen und auch Bilder. In seinen Studien band er sich dabei nie an eine einzige Datenquelle, sondern arbeitete mit vielfältigen Vergleichsmöglichkeiten (ebd.). Im heutigen Methodendiskurs würde man dieses Vorgehen wohl als Datentriangulation bezeichnen.

Goffman beobachtet in seinen Arbeiten dabei zum einen den eigenen, normalen und vertrauten Alltag der eigenen Kultur. Anderseits thematisieren viele seiner zentralen Werke gerade außeralltägliche Ereignisse und verhelfen zu Einblicken in ganz besondere Randgebiete einer Gesellschaft, wie die Psychiatrie (Goffman 1972), die Welt der Spieler und Spione (Goffman 1973, 1981b) oder das Leben einer Pächtergemeinschaft auf den Shetlandinseln (Goffman 2003 [engl. Original 1959]). Auch die Werke, die sich dem Abweichenden und Besonderem widmen und das Brechen von gesellschaftlichen Regeln thematisieren, wie beispielsweise „Asyle“ (1972), stellen dabei zugleich heraus, was gebrochen wird: Die Normalität (Knoblauch 2001b: 20).Footnote 3 Das Absurde und Randständige interessiert Goffman somit, weil es unsere Annahmen über das Normale herausfordert und dadurch zugleich ein Stückweit einer Analyse zugänglich macht.Footnote 4

Die sozialen Situationen, die Goffman betrachtet, sind häufig von Brüchen, Krisen und Irritationen geprägt und zeigen die Zerbrechlichkeit von Deutungen und Handlungsroutinen auf. Gleichsam wird an diesen problematischen Situationen jedoch auch ersichtlich, welche Strategien die Handelnden zur Aufrechterhaltung oder Durchsetzung bestimmter Deutungen nutzen. Goffman zeigt damit auf, dass soziale Ordnung nicht in der Dualität von subjektiven Interpretationen und objektiv gegebenen Bedingungen liegt, sondern vielmehr im Bereich der flüchtigen Wechselbeziehungen (Hettlage 1991: 99). Diese Wirklichkeit und ihre soziale Ordnung befinden sich dabei in ständiger Unruhe. Soziale Prozesse und soziale Gebilde müssen dabei als „serielle Strukturen“ (ebd. 100) betrachtet werden. Sie sind Ereignisreihen, die Verbindungen und Entflechtungen von Interaktionen darstellen. Die Ordnung des Sozialen trägt in Folge der unaufhörlichen und immer vom Abbruch bedrohten Bindung der Menschen aneinander einen flexiblen und plastischen Charakter. Aufgrund der seriellen Struktur des Sozialen kann man auch nicht von einem allgemeingültigen Wissensbestand ausgehen. Diese Annahme würde an der empirischen Realität vorbeigreifen und mehr festsetzen als im Vorgriff fixierbar ist (ebd. 101). Auch das Wissen, welches in sozialen Situationen zur Anwendung gebracht wird, muss somit selbst einen prozessualen und seriellen Charakter besitzen. Es wird in einem Kommunikationsprozess gewonnen, welcher durch bewegliche und immer wieder neu an die Situation anzupassende Verstehensgrenzen charakterisiert ist.

Goffman nahm dabei in seinen Analysen die Position „des gewitzten Außenseiters“ (Gouldner 1984: 192) ein, vergleichbar mit dem Simmelschen Fremden, „der heute kommt und morgen bleibt“ (Simmel 1908: 685). Durch seine distanzierte Haltung bewahrt er sich dabei eine gewisse Objektivität und Freiheit in der Beschreibung. In seinen Texten werden seine Beobachtungen jedoch vielfach durch Metaphern und Analogien ergänzt und bereichert, die er aus anderen Bereichen überträgt (z. B. Theater oder Spiel). Diese nutzt er als heuristische Zugänge zur Thematisierung des gleichbleibenden Themas: der Interaktionsordnung (Knoblauch 2001b: 16).

Zur Analyse der Interaktionssituationen und –prozesse baute Goffman ein begriffliches Instrumentarium auf. Einige zentrale Begriffe werden im Folgenden kurz dargestellt, um eine Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen zu schaffen. Dies ist nicht nur für die Charakterisierung der Position Goffmans hilfreich, sondern auch für die nachfolgend behandelten theoretischen Positionen und Perspektiven, da diese in vielfältiger Hinsicht direkten Bezug auf die Goffmanschen Konzepte nehmen, diese weiterentwickeln oder sich bewusst von diesen abgrenzen. Des Weiteren wurde die Auswahl auch durch und die Frage gelenkt, welche Begriffe einen Beitrag für die empirische Analyse der besonderen sozialen Situation des ökonomischen Laborexperiments und des Prozesses seiner Rahmenbildung darstellen.

Die von Goffman beobachteten Interaktionssituationen zeichnen sich durch eine Reihe von spezifischen Charakteristika aus. Wie dargestellt, bilden nach Goffman Interaktionssituationen eine Realität sui generis. Dies begründete Goffman dadurch, dass bestimmte Ereignisse nur in face-to-face Interaktionen auftreten könnten. Um dies zu spezifizieren führte Goffman die Unterscheidung zwischen ‚bloß situierten‘ (merely situated) und ‚situationell gebundenen‘ (situational) Aspekten einer Interaktionssituation ein (Goffman 1963: 22; Lenz 1991: 32). Als bloß situiert gelten dabei solche Aspekte, die sich auch ohne die Anwesenheit konkreter Interaktionspartner so ereignet hätten, wohingegen situationell gebundene Aspekte von dem spezifischen Interaktionsvollzug abhängen.Footnote 5 Goffmans detaillierte Analysen beziehen sich dabei auf solche Konstellationen, in denen zwei oder mehr Personen gemeinsam anwesend (kopräsent) sind. Kopräsenz liegt spezifischer dann vor, wenn die Anwesenden das Gefühl haben, sich nahe genug zu sein, um sich hinsichtlich ihrer Erfahrungen und Entäußerungen wechselseitig wahrzunehmen. Die gesamte räumliche Umgebung wird von Goffman dabei als ‚soziale Situation‘ und die sich herausbildende soziale Einheit als ‚Zusammenkunft‘ ‚Versammlung‘ (gathering) oder als soziale Begegnung (encounter) bezeichnet. Diese Zusammenkünfte bieten zum einen eine Möglichkeit für einen intensiven Austausch zwischen den Anwesenden. Zugleich können jedoch auch physische und psychische Risiken für das Individuum aus ihnen hervorgehen. In einer Zusammenkunft werden alle anwesenden Personen wechselseitig füreinander zu Informationsquellen und sind sich darüber auch bewusst (Lenz 1991: 34).

Aufgrund dieser wechselseitigen Informationspreisgabe achten die anwesenden Interaktionspartner darauf, von den anderen Personen relevante Informationen zu erhalten und zugleich die von ihm selbst preisgegebenen Informationen zu kontrollieren. Wie Goffman (1981b) am Beispiel der Spione ausführt, kann diese Informationskontrolle gezielt dazu eingesetzt werden, andere Interaktionspartner mutwillig zu täuschen. Sie findet aber ebenfalls statt, wenn wir uns bemühen, bei anderen einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen, wie es seine Ausführungen über die Bewohner der Shetlandinseln (Goffman 2003) detailreich zeigen. Lenz (1991: 34) verweist darauf, dass sich nach Goffman bei der Betrachtung von Interaktionssituationen zwei Arten von Informationsquellen unterscheiden lassen: Kommunikation (linguistic signs) und der körperliche Ausdruck (expressive signs). Einerseits gibt es den Ausdruck, den eine Person durch den Gebrauch von Sprache oder sprachähnlicher Zeichen von sich aus bewirkt. Diese Art der Weitergabe von Informationen fasst Goffman begrifflich als Kommunikation (ebd.). Die zweite Form der Übermittlung von Informationen erfolgt in sozialen Situationen durch den Ausdruck, der von einer Person ausgestrahlt wird. Bezuggenommen wird hier auf vielfältige körperliche und materielle Aspekte. Diese reichen von dem Erscheinungsbild eines Menschen und seiner bloßen körperlichen Anwesenheit in einer Situation über die Art und Weise, wie uns jemand gegenübertritt, bis hin zu mimischen und gestischen Aspekten. All diese vermitteln in Interaktionssituationen Informationen über unser Gegenüber (ebd.). Vereinfacht gesagt, scheint eine Unterteilung in sprachliche und nichtsprachliche Ausdruckselemente zu erfolgen, wobei der Kommunikationsbegriff für die sprachlichen Momente reserviert wird.

Diese sprachliche Fokussierung des Kommunikationsbegriffs erscheint problematisch bzw. benötigt eine weitere Spezifizierung. So verweist Knoblauch (2001b: 29) darauf, dass Goffman bereits in „Wir alle Spielen Theater“ (im englischen Original 1959) zwischen einem engen und einem breiten Kommunikationsbegriff unterscheide, als „expression that he gives“ und der „expression that he gives off“, das heißt „action that others can treat as symptomatic of the actor“ (Goffman 1959: 14). Diese Differenz zwischen ‚signs given‘ und ‚signs given off‘ bezeichnet somit den Unterschied zwischen Zeichen, die im Handeln bewusst gesetzt werden und solchen, die beiläufig und damit meist auch unbewusst ausgesendet werden und in die Kommunikation mit eingehen.Footnote 6

Für die Analyse der Forschungspraxis des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments ist die Frage der Definition des Kommunikationsbegriffs von Bedeutung. Wie die detaillierte Analyse im fünften Kapitel aufzeigen wird, bilden sprachliche Interaktionen zwar wichtige Aspekte dieser sozialen Situation, doch eine Fokussierung auf diese scheint der Typizität der Situation und den Besonderheiten dieser Interaktionssituation analytisch nicht gerecht zu werden. Um die soziale Situation des Laborexperiments spezifischer zu bestimmen, scheint Goffmans Begriff der Versammlung hilfreich. Bezüglich der Versammlungen unterscheidet Goffman zwischen zentrierten, nicht-zentrierten und multi-zentrierten Versammlungen, wobei er zentrierte Versammlungen für die Teilnehmer wie folgt charakterisiert: „Als einen einzigen visuellen und kognitiven Brennpunkt der Aufmerksamkeit, eine wechselseitige und bevorzugte Aufgeschlossenheit für verbale Kommunikation; eine erhöhte wechselseitige Relevanz der Handlungen; ein ökologisches Zusammendrängen „Auge in Auge“, das die Möglichkeit jedes Teilnehmers vergrößert, gewahr zu werden, wie ihn der andere Teilnehmer ‚überwacht‘“ (Goffman 1973: 20).

Zudem geht Goffman davon aus, dass die Handelnden sich die gegenseitige Anerkennung dieser Aspekte zeichenhaft bestätigen und aus der gemeinsamen Tätigkeit bzw. Fokussierung ein ‚Wir-Gefühl‘ zwischen den Handelnden entsteht. Als weiteren Aspekt der Charakterisierung von zentrierten Versammlungen bezeichnet er, dass es üblicherweise typische Begrüßungs- und Abschlussrituale gibt und Anfang und Ende durch spezifische Zeichen angezeigt und bestätigen werden. Als nicht-zentriert beschreibt Goffman solche Zusammenkünfte, die sich nur aus dem zufälligen Zusammentreffen mehrerer Individuen ergeben (Goffman 1973: 21), wie beispielsweise bei dem gemeinsamen Warten auf einen Zug am Bahnhofsgleis. Durch die Kopräsenz der Anwesenden ist auch in diesem Fall eine wechselseitige Koordination erforderlich, um beispielsweise einen angemessen großen räumlichen Abstand zu den anderen Wartenden zu wahren. Im Unterschied zur fokussierten Interaktion fehlt den Anwesenden hier jedoch ein gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokus. Stattdessen können sie trotz ihrer gemeinsamen Anwesenheit ganz unterschiedliche Handlungslinien verfolgen. Multi-zentrierte-Versammlungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Handelnden sich zwar alle in einer räumlichen Nähe zueinander befinden, sich aber nicht alle auf einen gemeinsamen Fokus beziehen, sondern stattdessen „Versammlungen mit vielen Brennpunkten“ (ebd.) bilden. Zudem können Personen auch in einer Versammlung engagiert sein und zugleich an einer zusätzlichen „untergeordneten Begegnung“ teilnehmen, die die offiziell dominierende Versammlung nicht stört.Footnote 7

Für die Diskussion der Geschehnisse im Experimentallabor erscheint diese Differenzierung äußerst hilfreich. Der Grund besteht darin, dass sich im sequenziellen Ablauf des Handlungsvollzugs verschiedene Formen der Versammlung als passend für die Charakterisierung der unterschiedlichen Interaktionszusammenhänge erweisen. Wie die nachfolgende Analyse im Kapitel 5 aufzeigen wird, erscheint es auf den ersten Blick als passend, das wirtschaftswissenschaftliche Laborexperiment als zentrierte Versammlung zu erfassen, da es viele Charakteristika eben dieser besitzt. So sind die Handelnden in einem räumlich und zeitlich klar abgegrenzten Umfang mit der Bearbeitung bestimmter und für alle gleichartiger Aufgaben befasst und besitzen somit einen deutlichen gemeinsamen Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Andererseits ist die gegenseitige Wahrnehmung der ProbandInnen aufgrund der Trennwände zwischen den Arbeitsplätzen stark eingeschränkt und reduziert. Diese Vereinzelung der ProbandInnen in den Kabinen, die ihnen als Arbeitsplätze dienen, verschiebt die Szenerie trotz ihrer gemeinsamen Aufgabe stärker zu einer multi-zentrierten-Versammlungsform. Die Labormitglieder verfügen jedoch durchaus über die Möglichkeit direkter Wahrnehmung und Interaktion mit den einzelnen ProbandInnen. Die face-to-face Interaktionssituationen, in denen Labormitglieder mit einzelnen ProbandInnen interagieren, können jedoch recht passend als untergeordnete Begegnungen thematisiert werden, da sie der Hauptaktivität, der Bearbeitung der im Experiment gestellten Aufgaben, untergeordnet sind und ‚nur‘ Nebenschauplätze darstellen.

Hinsichtlich des Kontexts, in dem face-to-face Interaktionen ablaufen, unterscheidet Goffman zwischen einem sozialen Anlass (social occasion) und einem Rahmen (frame) (Lenz 1991: 36). Mit sozialem Anlass bezeichnet Goffman „eine größere soziale Angelegenheit“ (Goffman 1971: 29), welche durch eine Reihe von Aspekten charakterisiert wird. Ein sozialer Anlass ist zeitlich und räumlich begrenzt und wird durch eine spezifische materielle Ausstattung in seiner Durchführung unterstützt. Es handelt sich dabei nicht um eine face-to-face Situation, sondern vielmehr liefert der soziale Anlass „den strukturellen sozialen Kontext“ (ebd.), innerhalb dessen vielfältige Interaktionssituationen und Zusammenkünfte herausgebildet sowie aufgelöst und moduliert werden. Im Verlauf eines sozialen Anlasses erweisen sich dabei typischerweise bestimmte Verhaltensmuster als angemessen. Die Herausbildung dieser Muster und ihre Anerkennung erfolgt zu großen Teilen ganz gezielt und beabsichtigt. (ebd.). Da sich diese Arbeit der Analyse der charakteristischen Rahmung in ökonomischen Laborexperimenten widmet, wird Goffmans Rahmen-Konzept im Folgenden besondere Aufmerksamkeit zuteil.

3.1.2 Rahmen, Rahmung und Rahmenanalyse

Nach Lenz stellt das Rahmen-Konzept Goffmans im Wesentlichen eine Weiterentwicklung des Konzepts des sozialen Anlasses dar (vgl. Lenz 1991: 36). Widmer (1991: 229) und Knoblauch (2001: 26) sehen die Wurzeln der Rahmenanalyse (1977) eher in den spieltheoretisch inspirierten Arbeiten von Goffman (1973, 1981b), in denen er die Ausdrucksspiele und die darin enthaltenen interaktiven Züge zwischen den Spielern analysierte.Footnote 8 Eine offene Auseinandersetzung und Bezugnahme Goffmans auf Ideen der Spieltheorie zeigt sich vor allem in „Interaktion: Spaß am Spiel. Rollendistanz“ (1973) und „Die Strategische Interaktion“ (1981b). Goffmans zentrale Bezugnahme erfolgte dabei auf Schriften des Spieltheoretikers Thomas C. Schelling, bei dem Goffman ein Freisemester verbrachte. Auch wenn Goffman Begriffe wie Spiel, Spieler und Züge zur Beschreibung und Analyse von Situationen verwendet, haben die mathematischen Darstellungen, die für die spieltheoretische Betrachtung üblich sind, für ihn nur begrenzten Wert:

„Die Menschen wissen oft nicht, in welchem Spiel sie sich befinden oder mit wem sie spielen, bis sie gespielt haben. Auch wenn sie ihre eigene Position kennen, mögen sie unsicher darüber sein, gegen wen, wenn überhaupt, sie spielen und welches Spiel dieser andere spielt bzw. was der Rahmen seiner möglichen Züge ist. Auch wenn sie ihre eigenen Möglichkeiten kennen, ist es ihnen vielleicht unmöglich, die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Ergebnisse oder der Werte, die diese haben, zu schätzen. […] Natürlich kann mit diesen verschiedenen Schwierigkeiten umgegangen werden, in dem man sich den möglichen Ergebnissen und ihren jeweiligen Werten und Wahrscheinlichkeiten annähert und das Resultat in einer Spielmatrix abbildet. Dies mag als Übung gerechtfertigt sein, aber sonst haben diese Annäherungen (tatsächlich) wenig Bezug zur Realität.“ (Goffman 1981b: 149 f.)

Die spieltheoretische Auseinandersetzung mit Handlungen und Handlungsmöglichkeiten ist aus Goffmans Perspektive eine Fingerübung. Wie oben ausgeführt, ist Goffmans Interessenfokus jedoch stets auf die Anerkennung der Eigengesetzlichkeit und Erklärung der Ebene konkreter Interaktionen gerichtet und nicht auf eine allgemeine und reduktionistische Modellierung und Systematik dieser Situationen. Aus diesem Grund bezog Goffman in seine Betrachtung nicht nur die erste (spieltheoretisch orientierte) Ebene der Spielenden und ihrer Spielzüge mit ein, sondern ergänzte diese durch eine zweite Ebene der Spielbegegnung selbst und der Binnenlogik von Spielsituationen, welche durch die Spielenden hervorgebracht wird (Hutter 2015: 20). Wie auch im Fall der Theatermetapher (Goffman 2003) dient ihm dieses Vorgehen und die Nutzung spieltheoretischer Begrifflichkeiten dazu, auf abstrakter Ebene auf bestimmte Momente der Interaktionsordnung hinzuweisen. Die metaphorischen Verwendungen spieltheoretischer Begriffe und Konzepte erweist sich dabei in der Analyse der Verwobenheit der Handlungen verschiedener Interaktionspartner und ihrer Intentionalitäten als fruchtbar.

Einige Autoren vertreten die Ansicht, dass die „Rahmen-Analyse“ (Goffman 1977) einen zentralen theoretischen Brennpunkt in Goffmans Werk darstellt (Eberle 1991: 157; Willems 1997: 30). Goffman geht in diesem Buch der Frage nach, wie in Interaktionen die Organisation von Erfahrungen erfolgt. Goffman selbst fasst das Anliegens der Rahmenanalyse wie folgt zusammen:

„Mir geht es um die Situation, um das, dem sich ein Mensch in einem bestimmten Augenblick zuwenden kann; dazu gehören oft einige andere Menschen und mehr als die von allen unmittelbar Anwesenden überblickte Szene. Ich gehe davon aus, dass Menschen, die sich gerade in einer Situation befinden, vor der Frage stehen: Was geht hier eigentlich vor? Ob sie nun ausdrücklich gestellt wird, wenn Verwirrung und Zweifel herrschen, oder stillschweigend, wenn normale Gewissheit besteht – die Frage wird gestellt, und die Antwort ergibt sich daraus, wie die Menschen weiter in der Sache vorgehen. Von dieser Frage also geht das vorliegende Buch aus, und es versucht ein System darzustellen, auf das man zur Beantwortung zurückgreifen kann.“ (Goffman 1977: 16)“

Die Klärung der Frage: „Was geht hier eigentlich vor?“ (ebd.) geht einher mit der Definition der vorliegenden Situation. Goffman betrachtet den Rahmen nun als zentrales Organisationsprinzip menschlicher Erfahrung und Interaktion, mit deren Hilfe es gelingt, diese Frage situativ zu beantworten. Im Unterschied zu anderen Konzepten, die die Rahmung von Erfahrungen als eine subjektive Leistung des Individuums betrachten (wie die Essersche Variante des Rational Choice-Ansatz oder die verhaltensökonomische der Framing-Theorien), sind die von Goffman thematisierten Rahmen Teil von sozialen Handlungen und kollektiven Aktivitäten (Knoblauch 2005: 198).

Das Konzept des Rahmens nimmt bei Goffman eine wissenssoziologische Bedeutung an (Knoblauch 2005: 197). Rahmen organisieren nicht nur Erfahrungen, sondern gehören zugleich zum grundlegenden Wissen darüber, in welcher Art von Wirklichkeit man sich gerade befindet und „was ‚man‘ wann, wo und mit wem tut, reden oder verabreden kann oder nicht kann“ (Soeffner 1989: 143). Durch die Anwendung des ‚richtigen‘ Rahmens zeigen die Handelnden zugleich auf, dass sie über das notwendige Wissen und die Kompetenzen verfügen, in der Handlungssituation adäquat zu agieren. Die Rahmenanalyse beschreibt somit soziale Darstellungsformen, die in als typisch betrachteten sozialen Handlungszusammenhängen Anwendung finden. Die Mitglieder einer Gesellschaft greifen dabei auf Wissen zurück, welches sie zwar individuell erworben haben, welchem sie jedoch in der Handlungssituation unterstellen, kollektiv verfügbar und wirksam zu sein. Dieses Wissen wird in einer Reihe von Verfahren angewandt, in denen sich die Handelnden gegenseitig und interaktiv anzeigen, welcher Rahmen gerade gilt. Rahmen und ihre Anwendungen wirken damit als Kognitions- und Performanzformen zugleich verstehensermöglichend und verstehensstiftend (ebd.). Die Konstruktion einer gemeinsamen Handlungssituation kann somit als Grundthematik der Goffmanschen Arbeiten verstanden werden (Willems 1997: 50). Zentral ist dabei das Rahmungswissen, über welches die Mitglieder einer sozialen Gruppe verfügen und welches es ihnen ermöglicht, ihre soziale Umwelt zu ‚lesen‘ und durch passende Rahmendarstellungen ihre Handlungen zugleich für sich selbst und für die anderen Handelnden verständlich und damit ‚lesbar zu machen‘.

Die zentrale Fragestellung, welcher sich diese Arbeit widmet, ist, wie im beobachtbaren Prozess des Laborexperiments ein spezifischer Rahmen für die Messung ökonomischen Entscheidungsverhaltens interaktiv von den Handelnden erzeugt, aufrechterhalten und verankert wird. Aufgrund der Relevanz des Goffmanschen Rahmenkonzeptes für die Analyse und Argumentation werden dessen Grundlagen nun genauer beleuchtet.

Grundlagen des Rahmenkonzepts

Goffman übernimmt den Begriff des Rahmens von Gregory Bateson (Goffman 1974: 15). Bateson hat bei einem Besuch im Fleishacker-Zoo beobachtet, dass Ottern nicht nur miteinander kämpfen, sondern ebenso fähig sind, Kämpfe spielerisch nachzustellen. Das Spielverhalten der Ottern ähnelte dabei zwar dem Kämpfen, wurde jedoch in bestimmten Punkten systematisch verändert. So kam beispielsweise eine Art Beißverhalten vor, bei der jedoch niemand ernsthaft gebissen oder verletzt wurde. Für Goffman zeigt Batesons Beispiel auf, wie eine ernsthafte Tätigkeit als Vorbild für die Herstellung einer nicht ernsthaften und spielerischen Tätigkeit genutzt wird (Goffman 1977: 15).Footnote 9 Die grundlegende Beobachtung Batesons besteht darin, dass Tiere wie auch Menschen sich generell in ihrer Umwelt zurechtfinden. Wie im Fall der beobachteten Differenz von Spiel und Kampf kann dabei ohne größere Probleme zwischen verschiedenen Situationen unterschieden werden, die ähnliche Handlungen enthalten (hier beispielsweise Jagen oder Beißen), doch in einem anderen Bedeutungszusammenhang stehen. Es muss somit Anzeichen dafür geben, wie eine Handlung oder Mitteilung in einem bestimmten Kontext zu verstehen ist. Zur Betrachtung dieses Themas konzipiert Bateson den Begriff der psychologischen Rahmen, welchen er wie folgt charakterisiert (Bateson 1983: 254 ff.):

  1. a.

    Psychologische Rahmen sind exklusiv, da sie gewisse Mitteilungen oder sinnvolle Handlungen in einem Rahmen einschließen und zugleich andere ausschließen.

  2. b.

    Rahmen sind zugleich inklusiv, denn durch den Ausschluss gewisser Mitteilungen werden andere eingeschlossen.Footnote 10

  3. c.

    Rahmen sind auf Prämissen bezogen. Wie beim Bilderrahmen, der dem Betrachtenden sagt, dass er bei der Interpretation des Bildes nicht die gleiche Art des Denkens anwenden soll wie bei der Interpretation der Tapete außerhalb des Bilderrahmens, ist auch der Rahmen allgemein auf ein System von Prämissen bezogen und wird dadurch selbst zu einem Bestandteil von eben diesem. Der Rahmen ist dabei entweder selbst (wie im Fall des Spiels) in die Bewertung der Mitteilungen und Handlungen mit einbezogen oder er stellt eine geistige Hilfe für das Verständnis der enthaltenen Mitteilungen dar und verweist beispielsweise darauf, dass Mitteilungen wechselseitig relevant sind oder Mitteilungen außerhalb des Rahmens unberücksichtigt bleiben können.

  4. d.

    Psychologische Rahmen sind metakommunikativ. Jede Mitteilung, die einen Rahmen (implizit oder explizit) definiert, gibt dem Handelnden Hilfen oder Anweisungen bei dem Versuch, die Mitteilung innerhalb des Rahmens zu verstehen.

  5. e.

    In Umkehrung zu Punkt d definiert jede kommunikative Mitteilung implizit oder explizit die Menge an Mitteilungen, über die sie kommuniziert, das heißt jede kommunikative Mitteilung definiert einen psychologischen Rahmen oder stellt einen solchen dar.

  6. f.

    Eine nähere Betrachtung des Zusammenhangs von psychologischen Rahmen und Wahrnehmungsgestalt ist erforderlich, um zu verstehen, inwieweit Rahmen in Rahmen auftreten und ob geistige Prozesse der Logik einen äußeren Rahmen benötigen, um den Hintergrund abzusetzen, vor dem Figuren und Mitteilungen wahrgenommen werden (sollen).

Rahmen sind – in Batesons psychologischer Perspektive – somit Mittel, um sich durch die Unterscheidung von Innen und Außen in seiner Umwelt zurechtzufinden und diese zu strukturieren. Bestimmte Elemente werden dabei eingeschlossen (inklusive Funktion), andere werden ausgeschlossen (exklusive Funktion). In gestalt- und wahrnehmungspsychologischer Tradition verwendet Bateson zur Bezeichnung des Innen und Außen des Rahmens die Begriffe Figur und Grund. Die inklusive und exklusive Funktion von Rahmen bedingen eine ‚doppelte Rahmung‘, in der der Handelnde veranlasst wird, auf das zu achten, was innen ist und so den (Hinter-) ‚Grund‘ (das, was außerhalb des Rahmens liegt) von der ‚Figur‘ (als wahrgenommener sinnvoller Handlung oder Mitteilung) zu trennen. Für Bateson bestehen Rahmen dabei aus einer Menge von sinnvollen Handlungen oder Mitteilungen, die Handelnde in einer bestimmten Zeit austauschen, wobei dieser Austausch durch ein System von Prämissen geprägt ist und zugleich durch dieses modifiziert werden kann. Durch ihre metakommunikative Funktion verhelfen Rahmen dazu, Mitteilungen oder Handlungen, die in diesem Rahmen geäußert werden, zu verstehen (ebd.).

Der Goffmansche Rahmenbegriff bezieht sich auf eben diesen Kontext, der in einer Interaktionssituation immer vorhanden ist (Srubar 2007: 422). Goffman schließt dabei an Batesons Vorstellung an, dass Handlungen stets Signale ihrer Interpretierbarkeit mit sich führen. Handlungen weisen dabei als Zeichen auf einen Kontext hin, aus dem heraus sie verständlich werden. Die Differenzen zwischen seiner Position und der von Bateson legt Goffman (1981a) explizit dar. Während Bateson Rahmung als einen psychologischen Prozess betrachtet, ist dieser Prozess für Goffman ein inhärenter Teil der Organisation von Ereignissen und Wahrnehmungen. Im Unterschied zu Bateson, der sich vorrangig mit der Modulation von Ereignissen beschäftigt, verweist Goffman darauf, dass er den Rahmenbegriff auch für Ereignisse anwende, die keine Transformationen darstellen (primäre Rahmen). Gerade diesen Grundlagen oder Vorbildern von Modulationen schenke Bateson keine ausreichende Aufmerksamkeit. Als weiteren Aspekt führt Goffman an, das Bateson nicht stark genug zwischen offensichtlichen Simulationen einer Aktivität und Täuschungsversuchen unterscheide, die die Differenz zur ursprünglichen Rahmung zu verbergen versuchen (ebd.).

Rahmen (frame) und Rahmung (framing)

Goffman differenziert zwischen Rahmen (frame) und Rahmung (framing). Wie bereits ausgeführt, bezeichnen Rahmen die Erzeugungsstrukturen, mittels derer die Erfahrungen organisiert werden, und zeichnen sich durch eine relative Stabilität, Autonomie und Immunität gegenüber der faktischen Interaktion aus. Im Unterschied dazu, bezeichnen Rahmungen die Umsetzung von Sinn und den Sinn für Sinn. Sie gelten dabei als Kontingent, subjektiv anforderungsreich und aufgrund ihrer Offenheit als anfällig (Willems 1997: 46). Rahmung bezeichnet somit den Prozess der Rahmenbildung und die Aushandlung, die Handelnde vornehmen, um sich gegenseitig anzuzeigen, welcher Rahmen in einer spezifischen Situation Geltung besitzt. Sie stellen somit die sinnaktualisierende Praxis dar, die sich in konkreten empirischen Situationen beobachten lässt.

Rahmen und Rahmung können als zwei Seiten einer Medaille betrachtet werden (Willems 1997: 47f). Die Ebene der Rahmen zielt dabei nicht nur auf die Art und Weise der Erfahrungsorganisation ab, sondern verweist zugleich auf eine Relativität des Bezugsystems, in welchem sinnstrukturelle Differenzen und Zusammenhänge organisiert sind. Rahmen bezeichnen eben diese Bezugssysteme und ihre Elemente und bieten den Interagierenden als „Sinnmaschinen“ (Goffman 1977: 16) die „Informations- und Strukturierungsmittel[n] für alle Ereignisse in ihrem Anwendungsbereich“ (ebd.). In Interaktionssituation werden Rahmen durch die Interagierenden teilweise bewusst und reflexiv und teilweise automatisch und routinehaft verwendet. Die Ebene der Rahmung wird hingegen gerade in problematischen und krisenhaften Situationen deutlich. Hier zeigt sich die Brüchigkeit der Realität durch fehlerhafte Deutungen der in der Situation geltenden Rahmen (Willems 1997: 48). Von diesen Krisen, Wirrungen und Herausforderungen des Interaktionsgeschehens ist die Ebene der Rahmen jedoch nicht in der gleichen Intensität betroffen. Auch wenn sich eine Rahmung in einer spezifischen Situation als unpassend oder interaktiv nicht umsetzbar erweist, wird damit die grundlegende Geltung des Rahmens nicht in Frage gestellt. Gerade im Gegenteil dazu sind Rahmen wesentlich stabiler und unzerbrechlicher, sodass Irritationen auch zur Stabilisierung der Normalitätserwartungen und zur „Klarsicht“ (Honer 1993) der eigentlich geltenden Rahmen führen können.

In der von mir durchgeführten Untersuchung im wirtschaftswissenschaftlichen Experimentallabor ist der Fokus auf eben diesen Prozess der Rahmenbildung gerichtet, der sich in den empirischen Beobachtungen zeigt und durch systematische Hinzunahme und Analyse weiterer Datenquellen seine strukturellen Hintergründe offenbart. Die analytisch interessante Frage ist, wie es gelingt, in einer interaktiven Situation die durch die Methodologie des experimentellen Designs begründeten Ansprüche an Stabilität und Konstanz eines Rahmens empirisch umzusetzen.Footnote 11

Primäre, natürliche und soziale Rahmen

Goffman differenziert zwischen unterschiedlichen Rahmenklassen. Die wichtigste Rahmenart stellen für ihn primäre Rahmen dar. Charakteristisch für diese Art der Rahmen als Orientierungsmusters von den Handelnden ist, dass es den Handelnden in ihrer Anwendung so erscheint, als würde sie nicht auf eine andere vorgängige Situationsdeutung zurückgreifen. Stattdessen machen primäre Rahmen „einen sonst sinnlosen Aspekt zu etwas Sinnvollem“ (Goffman 1977: 31). Primäre Rahmen können dabei unterschiedliche Organisationsgrade aufweisen: während einige sich als ein System von Gegenständen oder Regeln darstellen lassen, ermöglichen die meisten das Verstehen der ablaufenden Situation und bieten eine bestimmte Perspektive, diese zu betrachten. Primäre Rahmen ermöglichen es somit, dass Individuen an (sozialen) Situationen und Ereignissen teilnehmen können und aus der schieren Unendlichkeit möglicher Deutungen von materiellen und sozialen Aspekten der Interaktionssituation diejenigen auswählen, die für die Definition und Organisation der Situation entscheidend sind (ebd.).

Goffman teilt die primären Rahmen in die Klassen der natürlichen und der sozialen Rahmen auf. Mit natürlichen Rahmen bezeichnet er solche Ereignisse, die nicht vom Menschen beeinflusst werden und auf biologische oder physikalische Ursache zurückgeführt werden können. Mit ihrem Eintreten sind auch keine negativen oder positiven Sanktionen verbunden. Alltägliche Beispiele für primäre Rahmen wären Eisglätte im Winter, schlechte Sichtverhältnisse in der Dunkelheit der Nacht oder das biologische Alter einer Person. Von diesen natürlichen Ereignissen unterscheidet Goffman soziale Rahmen. Diese liefern einen „Verständnishintergrund für Ereignisse, an denen Wille, Ziel und steuerndes Eingreifen […] des Menschen beteiligt sind“ (Goffman 1977: 32). An der Hervorbringung von sozialen Rahmen sind Menschen beteiligt. Das Tun der Menschen bezeichnet Goffman als ‚orientiert‘, da es zum einen gewissen Maßstäben unterworfen ist und zum anderen der Handelnde zugleich um die soziale Beurteilung seines Tuns (beispielsweise als gut oder schlecht, effizient oder unnütz) durch seine Mitmenschen weiß. Zudem kommen bei sozialen Rahmen auch Motive und Absichten ins Spiel, deren Unterstellung es dem Interpreten einer sozialen Situation erleichtert, den passenden Rahmen zu identifizieren. Die zentrale Differenz zwischen natürlichen und sozialen Rahmen sieht Goffman in der unterschiedlichen Kausalität ihrer Hervorbringung. Während es sich bei ersteren um Ereignisse handelt, die aus einer Kette zusammenhängender, aber menschlich unbeeinflusster Wirkungen bestehen, bezeichnet er soziale Rahmen als Handlungen, die mit einer bewussten menschlichen Entscheidung und somit durch menschliches Eingreifen beginnen (Goffman 1977: 33).

Dieses Verständnis der primären Rahmen führt Goffman zu der Arbeitshypothese, dass die Handlungen des täglichen Lebens verstehbar seien, weil einer (oder mehrere) primäre Rahmen ihnen Sinn verleihen (Goffman 1977: 36). Herbert Willems (1997: 56) verweist darauf, dass Goffman diese Differenz zwischen natürlichen und sozialen Rahmen als sozial konstruierte Unterscheidung betrachtet. Natürliche Rahmen versteht er dabei als Sinntypen, die so verstanden werden, dass sie sich dem Willen und der Verantwortlichkeit der Handelnden entziehen, wogegen soziale Rahmen als Deutungshintergründe verstanden werden, die Ereignisse zu Handlungen machen (ebd.). Die praktischen Seins- und Zurechnungsalternativen der primären Rahmung, die bestimmte Aspekte einer Situation als natürlich und andere als soziale Aspekte einordnen, werden in der Rahmenanalyse als Schemata erfasst. Diese bilden die grundlegenden Momente mehr oder weniger komplexer Anschauungen (ebd.). Die Gesellschaftsmitglieder folgen der Annahme, dass alle Ereignisse in das herkömmliche Vorstellungssystem der Zuordnung zu natürlichen und sozialen Rahmen hineinpassen und mit ihren Mitteln bewältigt werden können.

Zur Aufrechterhaltung dieses Systems gibt es aus diesem Grund auch eine Reihe von Grenzbereichen, die Ereignisse rahmen, die sich sonst kaum in das übliche Schema integrieren lassen würden. So transformiert der Bereich des ‚Erstaunlichen‘ Ereignisse vom ‚Unerklärlichen‘ zum bisher ‚Unerklärten‘ und ‚Schnitzer‘ und ‚Zufälle‘ markieren, dass es neben Naturereignissen und orientierten Tätigkeiten auch Vorkommnisse gibt, die aus menschlicher Nachlässigkeit oder der Verkettung unvorhergesehener Zusammenhänge herrühren (Goffman 1977: 38 ff.).

Die Summe primärer Rahmen bildet nun den Hauptbestandteil der Kultur einer sozialen Gruppe und ist zugleich mit einer Kenntnis der wichtigsten Klassen von Schemata sowie ihrer Verhältnisse und Abhängigkeiten zueinander verbunden (ebd.). Hinsichtlich der Erforschung der Rahmen zeigt sich deutlich Goffmans naturalistische Einstellung, denn „man muss sich ein Bild von dem oder den Rahmen einer Gruppe, ihrem System von Vorstellungen, ihrer ‚Kosmologie‘ zu machen versuchen“ (Goffman 1977: 37). Dem Handelnden, welcher die Rahmen anwendet, sind die „Organisationseigenschaften des Rahmens im Allgemeinen nicht bewusst, und wenn man ihn fragt, kann er ihn auch nicht annähernd vollständig beschreiben, doch das hindert nicht, dass er ihn mühelos und vollständig anwendet“ (ebd.: 31). Die Handelnden setzen sich dabei aktiv mit ihrer Handlungssituation auseinander und wenden spezifische Rahmen an. Sie tragen „ihre Bezugssysteme aktiv in ihre Umwelt hinein, und das verkennt man nur, weil die Ereignisse gewöhnlich diese Bezugsysteme bestätigen, sodass die Hypothesen im glatten Handlungsverlauf untergehen“ (Goffman 1977: 50). Die Anwendung der Rahmen verläuft somit meist routiniert und unproblematisch. Erst im Fall von Krisen und Rahmenbrüchen, in denen von der ‚Normalität‘ abgewichen wird und die Rahmungen nicht mehr passen, werden Hintergrundannahmen deutlich, die diese Normalität begründen. Wie oben bereits ausgeführt, widmen sich viele von Goffmans Studien aus diesem Grund abweichendem Verhalten oder gesellschaftlich randständigen Gruppen, um aus der Differenz, die sich zur gesellschaftlichen Normalität ergibt, mehr über eben diese zu erfahren.Footnote 12

Genau hier setzt die Analyse des ökonomischen Laborexperiments an. Es geht nicht darum, die Existenz der Rahmung oder ihre methodologische Zielstellung zu dekonstruieren, sondern vielmehr darum, durch eine empirische Auseinandersetzung zu bestimmen, wie die Rahmung auf typische Weise erzeugt wird und welche Bezugssysteme im Sinne von Wissensbeständen sich darin entäußern.

3.1.3 Modulationen und Verankerungen von Rahmen

Auch wenn für Goffman primäre Rahmen den Hauptbestandteil der Kultur einer jeden sozialen Gruppe bilden, stellen sie zugleich auch den untransformierten Sinnhintergrund und damit die Vorlage für Sinntransformationen oder -modulationen dar. Diese Modulationen macht Goffman zum zentralen Thema der Rahmenanalyse (Knoblauch 2001: 27). Goffman geht von der Beobachtung aus, dass „wir (und viele) fähig und geneigt sind, konkrete, wirkliche Vorgänge – die für sich schon sinnvoll sind – als Ausgangsmaterial für Transformationen zu benutzen: Spaß, Täuschung, Experiment, Probe, Traum, Phantasie, Ritual, Demonstration, Analyse und milde Gabe. Diese lebendigen Schatten sind mit der Wirklichkeit verzahnt, aber nicht so eng wie die gewöhnliche, eigentliche Tätigkeit“ (Goffman 1977: 602). Wird der Sinn von primären Rahmen in etwas transformiert, dass zwar das Muster des primären Rahmens als Vorbild verwendet, aber ganz unabhängig von diesem verläuft, so bezeichnet Goffman dies als Modulation. Das Experiment ist somit eine Transformation oder Modulation, auf die Goffman selbst verweist.

Goffman führt nun eine Reihe von Kriterien an, mit denen er sein Konzept weiter spezifiziert. Als Modul bezeichnet er ein „System von Konventionen, das anweist, etwas als ‚sekundär‘ zu verstehen. Eine Tätigkeit, die bereits in einem primären Rahmen sinnvoll ist, wird dabei in etwas transformiert, das diese Tätigkeit nachbildet, von den Beteiligten jedoch ganz anders gesehen wird (…) den entsprechenden Vorgang nennen wir Modulation“ (Goffman 1977: 55 f.). Goffman selbst bezeichnet das Konzept des Moduls als einen Hauptbegriff der Rahmen-Analyse (ebd.) und gibt folgende Definition für seinen Begriff der Modulation:

  1. „a.

    Es handelt sich um eine systematische Transformation eines Materials, das bereits im Rahmen eines Deutungsschemas sinnvoll ist, ohne welches die Modulation sinnlos wäre.

  2. b.

    Es wird vorausgesetzt, daß die Beteiligten wissen und offen aussprechen, daß eine systematische Umwandlung erfolgt, die das, was in ihren Augen vor sich geht, grundlegend neu bestimmt.

  3. c.

    Es gibt Hinweise darauf, wann die Transformation beginnen und enden soll, nämlich zeitliche ‚Klammern‘, auf deren Wirkungsbereich die Transformation beschränkt sein soll. Entsprechend zeigen räumliche Klammern gewöhnlich das Gebiet an, auf das sich die Modulation im betreffenden Fall erstrecken soll.

  4. d.

    Die Modulation ist nicht auf bestimmte Ereignisse beschränkt, die unter bestimmten Blickwinkeln gesehen werden. Ganz so, wie man völlig zweckorientierte Handlungen spielen kann, etwa die Tätigkeit eines Zimmermanns, kann man auch Rituale spielen wie Hochzeitszeremonien, ja sogar, im Schnee, einen fallenden Baum; jedoch ist zuzugeben, daß Ereignisse, die in einem natürlichen Bezugssystem gesehen werden, der Modulation weniger zugänglich zu sein scheinen als Ereignisse in einem sozialen Bezugssystem.

  5. e.

    Für die Beteiligten erscheint etwa das Spielen eines Kampfes und das Herumspielen mit Damesteinen weitgehend als das gleiche – ganz anders, als wenn diese Tätigkeiten im Ernst ausgeführt werden. Die einer bestimmten Modulation entsprechende systematische Transformation verändert die entsprechende Tätigkeit vielleicht nur geringfügig, doch sie verändert entscheidend, was in den Augen der Beteiligten vor sich geht. In unserem Beispiel scheint es so, als würde gekämpft oder Dame gespielt, doch die Beteiligten würden vielleicht sagen, es sei in Wirklichkeit die ganze Zeit bloß gespielt worden. Wenn also eine Modulation vorliegt, so bestimmt sie ganz entscheidend, was in unseren Augen eigentlich vor sich geht.“ (Goffman 1977: 77)

Die Differenz von primären Rahmen und Moduln besteht somit nicht im unterschiedlichen Grad von Selbstverständlichkeit oder Alltäglichkeit. Die Tatsache, dass Moduln Ableitungen von primären Rahmen darstellen, führt nicht dazu, dass sie diesen nachgeordnet sind. Moduln können ebenso im Hintergrund bleiben wie primäre Rahmen. Die Differenz ist vielmehr struktureller und transformationslogischer Art, da primäre Rahmen das Ausgangsmaterial der Transformationen darstellen und keine ursprünglicheren Formen eines Rahmens nachahmen oder auf diese zurückzuführen sind (Goffman 1977: 58).

Goffman verweist auf fünf zentrale Typen von Modulationen: ‚So-tun-als-ob‘, ‚Wettkampf‘, ‚Zeremonie‘, ‚Sonderaufführungen‘ und ‚In-anderen-Zusammenhang-stellen‘. Zudem verweist er auf eine weitere Art der Transformation von Handlungen, das ‚Täuschungsmanöver‘ (ebd.: 60 ff.). Im Unterschied zu Modulationen, bei denen alle Beteiligten über die Transformation der Inhalte informiert sind, zielen Rahmungsaktivitäten bei Täuschungen bewusst darauf ab, bei anderen Handelnden eine falsche Vorstellung von dem zu erzeugen, was in der Situation vor sich geht. „Es liegt ein böswilliger Plan vor, eine Verschwörung, eine hinterhältige Absicht, die –wenn sie verwirklicht wird – zur Verfälschung eines Teils der Welt führt“ (ebd.: 98). Gerade Goffmans Beispiele des Theaters und der Spione zeigen auf, dass Rahmungen durch Modulationen und Täuschungsmanöver häufig Gefahr laufen, die Situation hinsichtlich ihrer zentralen Eigenschaften nicht angemessen zu erfassen. So kann es den Handelnden passieren, dass sie eine scherzhafte Bemerkung als ernsthaft interpretieren und andersherum.

Um das Vertrauen in einen Rahmen zu sichern, setzen die Handelnden verschiedene Mittel ein, um die Rahmen zu verankern (vgl. ebd. 274 ff.). Als Beispiele für Verankerungen verweist Goffman auf zeitliche und räumliche Klammern, welche er auch in der Definition der Modulation anführt. Diese markieren die Ränder der Anwendung eines Rahmens und grenzen ihn nach außen hin vom weiteren Strom der Ereignisse ab. Ein weiteres Verankerungsverfahren stellt die Personen-Rollen-Formel dar, welche darauf Bezug nimmt, dass Personen bestimmte Rollen spielen, um Rahmen aufrecht zu erhalten oder die Basiskontinuität, die die Verankerung einer Rolle in einer kontinuierlichen Persönlichkeit beschreibt. Verankerungen stellen somit sicher, dass der angestrebte Sinn eines Rahmens und der in einer Situation tatsächlich vorliegende identisch sind. Aus diesem Grund nehmen Verankerungen im Alltag eine wichtige Rolle ein, da sie Routinen und Vorhersagbarkeit sichern (Knoblauch 2001: 28).Footnote 13

Abschließend wird der konzeptionelle Beitrag der Goffmanschen Perspektive noch einmal kurz zusammengefasst. Die Goffmansche Grundfrage der Analyse von Rahmen: „Was geht hier eigentlich vor?“, bildet auch den Ausgangspunkt der Betrachtung des Laborgeschehens. Goffman verweist in seiner Rahmenanalyse selbst auf das Experiment als eine Form der Modulation oder Transformation von Wirklichkeit. Goffman folgend ist es das beobachtbare Interaktionsgeschehen selbst, welches dem Wissenden Auskunft darüber gibt, wie es verstanden werden soll und welche Art von Handlung in diesem Rahmen angemessen ist. Es müssen sich in der Interaktion somit beobachtbare Hinweise finden lassen, die es den Teilnehmenden ermöglichen, die Situation selbst als ein ökonomisches Experiment zu verstehen und entsprechend zu handeln. Die Analyse der Geschehnisse im verhaltensökonomischen Experimentallabor ist auf eben diese Frage der interaktiven Hervorbringung des Rahmens und seiner Verankerung ausgerichtet. Das begriffliche Instrumentarium, welches Goffmans Arbeiten bieten, kann dabei nutzbringend für die Charakterisierung spezifischer Eigenschaften der sozialen Veranstaltungen und typischer Momente wiederkehrender Interaktionssituationen angewendet werden. Dies gilt sowohl für die unterschiedlichen Varianten seines Versammlungsbegriffs als auch für den Begriff der Verankerung von Rahmen. Die zeitlichen und räumlichen Klammern, die Goffman thematisiert und die genutzt werden, um den Wirkungsbereich der Modulation zu beschränken, lassen sich auf den empirischen Gegenstand des Laborexperiments recht leicht übertragen, da dieses in eigens dafür ausgestatteten Laboren und in einem vorher klar festgelegten Zeitrahmen stattfindet. Die weiteren Dimensionen, die Goffman in seiner Definition der Modulation thematisiert, erweisen sich ebenfalls als anschlussfähig zur Thematisierung spezifischer Aspekte des Laborgeschehens, wie beispielsweise die Personen-Rollen-Formel. Es ist jedoch eine durch die empirische Analyse zu klärende Frage, welche weiteren Verankerungsverfahren das Interaktionsgeschehen im ökonomischen Labor aufweist, die der Spezifik des Phänomens Rechnung tragen. Die Goffmansche Perspektive und Terminologie stellt somit einen ersten Schritt dar, um in der Analyse differenziert darzustellen, wie die Deutungs- und Handlungsalternativen im Sinne von Rahmen gebildet werden. Zugleich erlaubt das begriffliche Instrumentarium auch die Begrenzung und Einschränkung von Handlungsalternativen als strategisch eingesetzte Möglichkeiten der Forschenden zu verstehen, um die Setzung alternativer – und ihren Modellen zuwiderlaufender Relevanzen und Situationsdeutungen – durch die ProbandInnen zu erschweren. Wenn die Konstruktion des Rahmens beziehungsweise der Prozess der Rahmung einer Situation als eine Aushandlung der anwesenden Interaktionspartner verstanden wird, so zeigt diese Arbeit, durch welche typischen kommunikativen Handlungen im Vollzug des verhaltensökonomischen Experimentierens im Labor die Dominanz eines Rahmens performativ ‚verankert‘ wird.

3.2 Die ethnomethodologische Perspektive

Die theoriegeleitete Perspektive, die in dieser Arbeit eingenommen wird, speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Das Goffmansche Konzept des Rahmens und der Rahmung, welches im vorangegangenen Kapitel eingeführt wurde, stellt dabei eine zentrale Referenzkategorie dar. Während Rahmen als ein Schema oder eine Vorlage für die Interpretation einer Situation betrachtet werden können, wird die Rahmung als der Prozess der Bildung dieser Rahmen verstanden. In diesem Prozess verständigen sich die beteiligten Akteure über den vorliegenden Rahmen, konstruieren, aktivieren oder variieren ihn gemeinsam. Aufbauend auf diesen Ausführungen kann nun die Forschungsfrage, der sich diese Arbeit widmet, gewinnbringen reformuliert werden. Die empirische Frage dieser Arbeit ist, wie der ablaufende Prozess der Rahmenbildung im wirtschaftswissenschaftlichen Experimentallabor als ein Phänomen eigener Art analytisch betrachtet werden kann. Während sowohl Rahmen als auch die Rahmung bei Goffman als theoretische Konzepte ausführlich diskutiert und reflektiert werden, bieten sie jedoch recht wenig Substanz für eine empirische Betrachtung. Die hier vorliegende Arbeit verfolgt jedoch spezifisch die Frage, wie sich der Prozess der Rahmenbildung anhand der empirisch beobachtbaren Handlungsprozesse in ihrer typischen ordnungsstiftenden Musterhaftigkeit nachvollziehen und analysieren lässt. Die Perspektive der Ethnomethodologie, welche in diesem Kapitel dargestellt wird, trägt zu diesem Vorhaben einen entscheidenden Schritt bei.Footnote 14 Durch ein differenziertes begriffliches Instrumentarium wird dabei der analytische Blick für die Prozesse der Hervorbringung sozialer Wirklichkeit und der Ordnungsbildung geschärft.

3.2.1 Ethnomethodologische Grundhaltung

Die Ethnomethodologie teilt mit anderen soziologischen Forschungsperspektiven ein grundlegendes Interesse an dem Problem der sozialen Ordnung. Während andere klassische Ansätze jedoch davon ausgehen, dass Normen und Strukturen im Sinne sozialer Tatsachen existieren und auf uns in unserem alltäglichen Miteinander wirken, hat die ethnomethodologische Perspektive eine andere Ausrichtung. Ihr Gegenstand ist nicht die soziale Ordnung in einer abstrakten Form, sondern „die Art und Weise, in der Gesellschaftsmitglieder bestimmte Situationen sich verfügbar machen, um sich gegenseitig Bestätigungen für soziale Ordnung als eine – gewöhnlich – vorgestellte zu liefern“ (Zimmermann & Pollner 1976: 68). Ethnomethodologische Analysen zielen darauf ab, herauszustellen, wie und mittels welcher Verfahren und Methoden eine spezifische soziale Welt erfahren und produziert wird. Die Prozessperspektive der Ethnomethodologie ermöglicht dabei, den Blick auf interessante Fragen zu werfen und lenkt den analytischen Fokus auf die situativen Handlungsvollzüge und Praktiken der Akteure. Die Grundannahme der Ethnomethodologie ist, dass unser Handeln nicht willkürlich, sondern sinnhaft strukturiert und geordnet abläuft. Diese Ordnung ist jedoch nicht vorgegeben, sondern wird von den Akteuren ständig selbst hergestellt, dargestellt und einander angezeigt. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei die Frage nach dem „Wie“ der Sinnkonstruktion im alltäglichen Handeln ein. In der Abwicklung ihrer alltäglichen Angelegenheiten bedienen sich die Mitglieder einer Gruppe dabei spezifischer Methoden und Verfahren zur sinnhaften Strukturierung ihrer Alltagswelt und erzeugen und reproduzieren so ihre gemeinsame soziale Wirklichkeit. Die Methoden, mit denen die Akteure dies schaffen, werden als Ethnomethoden bezeichnet. Der Begriff ‚ethnos‘ verweist dabei, in Analogie zu den Ethnoscience, auf die Methoden einer ganz spezifischen Gruppe bzw. Gesellschaft (Bergmann 1988: 13). Der Begriff der Methode darf dabei jedoch nicht als eine bewusste Strategie verstanden werden, ein klares Ziel zu erreichen. Vielmehr handelt es sich um eine mehr oder weniger bewusste Art und Weise, in der wir uns gegenseitig den Sinn unseres Handelns anzeigen. Die Ethnomethodologie beschreibt somit keine wissenschaftliche Forschungsmethodologie, sondern die praktischen Methoden der Gesellschaftsmitglieder, mit denen diese ihr alltägliches Handeln bewerkstelligen (Garfinkel 1967, 2002, 2006; Rawls 2006; Weingarten et al. 1976). Die spezifische soziale Ordnung entsteht somit im Prozess des Ordnens selbst (Knoblauch 2009: 309).

Kritik an Parsons Modell des „kulturellen Beurteilungstrottels“

Harold Garfinkel, der Begründer der Ethnomethodologie, machte durch seine 1967 veröffentlichte Aufsatzsammlung „Studies in Ethnomethodology“ seine Ideen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Er setzte bei der Frage nach der sozialen Ordnung an, wie bereits sein Lehrer Talcott Parsons. Garfinkel wandte sich jedoch gegen die Parsonsche Vorstellung, dass die Gesellschaftsmitglieder aufgrund ihrer internalisierten Werte und Normen in jeder Situation in die Lage versetzt wären, die relevanten Elemente einer Situation zu bestimmen, ihnen Bedeutung beizumessen und darauf aufbauend bestimmte Handlungsalternativen auszuwählen (Parsons 1973).Footnote 15 Ethnomethodologische Studien gehen vielmehr der Frage nach, wie die handelnden Akteure aus Werten, Normen und anderen Aspekten der sozialen Wirklichkeit Sinn herausbilden. Die Betrachtung des Prozesses des Sensemaking in interaktiven Situationen steht somit im Zentrum der Betrachtung. Aus Garfinkels Perspektive sind die Eigenschaften eines gemeinsamen Verständnisses der Handelnden zeitlich konstituiert und können nicht auf einen endlichen Satz alternativer Bedeutungen reduziert werden, aus dem die Handelnden auswählen. Garfinkels Ansicht nach degradiere Parsons mit dieser Annahme den Handelnden damit zu einem urteilsunfähigen Trottel, dem so genannten „cultural dope“ (Garfinkel 1967: 68), der nicht in der Lage ist, die kulturellen Werte und Normen entsprechend der jeweiligen Situation zu interpretieren und stattdessen einfach roboterhaft einem vorgegebenen Rollenbild folge. Laut Garfinkel wird der Handelnde in solchen Modellen beispielsweise als urteilsunfähig konstruiert, wenn vernachlässigt wird, dass die Gebrauchsweisen von Worten und Symbolen stets innerhalb eines spezifischen SprachspielsFootnote 16 verstanden werden müssen. Sprachspiel im hier verwendeten Sinne bezieht sich dabei auf die Indexikalität und die Semiotik der sprachlichen Zeichen. Es geht somit um die Bedeutungsinhalte und Handlungserwartungen, die mit diesen verbunden werden. Garfinkels Kritik besteht hier darin, dass die Forschenden im Rahmen dieser Modelle häufig zu Unrecht davon ausgehen würden, dass ihre Sprachspiele denen der Untersuchten gleichen. Die Forschenden erwarteten daher, dass sich die untersuchten Gesellschaftsmitglieder so benehmen, wie es von ihnen verlangt wird. Es ist jedoch nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass sich die Gebrauchsweisen der Sprache von Untersuchten und Wissenschaftlern gleichen und nicht von praktischen Erwägungen beeinflusst werden, die diese Annahmen als unzulässig erscheinen lassen (Garfinkel 1967: 70). Eine analoge Erwartung zeigt sich bei der Annahme von Forschenden, dass die Beforschten ihren Verhaltensspielen automatisch Folge leisten. Die handelnden Akteure folgen Garfinkels Ansicht nach jedoch nicht einfach festgelegten Mustern, sondern sind fortwährend und aktiv mit Sinnstiftung (Sensemaking) in der jeweiligen Handlungssituation beschäftigt. Dies erlaubt ihnen, auch Störungen und überraschende Ereignisse zu bewältigen.

Die (proto-)typische Situation, auf die Parsons sich bezieht, ist somit eine, in der Akteure reziproke Erwartungen aneinander haben. Diese Erwartungen stellen zugleich Rollenelemente dar, die zu einem geteilten System von Normen und Werten gehören und als allgemein internalisiert betrachtet werden. Der Parsonsche Ansatz impliziert dabei, dass die wissenschaftliche Formulierung das Muster ist, an dem sich die Rationalität der Handlungen bemisst, ebenso wie ihre Typisierungen und Eingliederung in ein normatives Schema.Footnote 17 Garfinkel schließt sich dieser Perspektive der wissenschaftlichen Erklärung nicht an. Auch er geht, wie oben ausgeführt, davon aus, dass das Handeln der Akteure sinnhaft strukturiert und geordnet ist und einer Rationalität folgt. Sein Anliegen besteht allerdings darin, die Rationalität(en) („rationalities“ (Garfinkel: 1967)) der Handelnden so zu untersuchen, wie sie von den Akteuren selbst in ihren alltäglichen Handlungen produziert wird. Rationalität ist Garfinkels Ansicht folgend zudem keine Eigenschaft von Urteilen, sondern bezieht sich auf eine Qualität von Verhalten: „Instead of the properties of rationality being treated as a methodological principle for interpreting activity, they are to be treated only as empirically problematical material. They would have the status of data and would have to be accounted for in the same way that the more familiar properties of conduct are accounted for“ (Garfinkel 1967: 182).

Die Rationalität von Verhalten ist aus dieser Perspektive ebenso wie alle anderen Aspekte ein Resultat der interaktiven Konstruktion der sozialen Ordnung und somit situativ und indexikal an die Situation der Hervorbringung gebunden. Wie die Ausführungen zeigten, laufen modellhafte Annahmen über wissenschaftliche Rationalität und Akteursmodelle dieser Position zuwider. Im Unterschied zu Alfred Schütz besteht für die Ethnomethodologie kein genereller Unterschied zwischen den praktischen Methoden und Konstrukten der Handelnden im wissenschaftlichen und alltäglichen Bereich. Nach Schütz sind WissenschaftlerInnen fähig, sich vom pragmatischen Motiv der Alltagsrationalität zu lösen und in der Sphäre der Wissenschaft zu rationalen Entscheidungen zu gelangen. Die Erkenntnisse der Ethnomethodologie gelten dagegen in gleichem Maße für das wissenschaftliche Handeln, da WissenschaftlerInnen als Gesellschaftsmitglieder die gleichen Methoden zur sinnhaften Strukturierung ihrer Alltagswelt benutzen (Knoblauch 2005: 250). Im Unterschied zu Schütz und Goffman steht für Garfinkel die Rationalität der Handlungen im deutlichen Widerspruch zur wissenschaftlichen Rationalität und würde man versuchen, diese im Alltag durchzusetzen, würde es zu anomischen und krisenhaften Situationen kommen, wie er beispielsweise anhand einiger Krisenexperimente aufzeigte.

Eine zentrale Herausforderung dieser Arbeit besteht darin, dass sich hier keinem Alltagsphänomen gewidmet wird, sondern einem, das im Bereich einer spezifischen wissenschaftlichen Disziplin zu verorten ist. Wie eingangs dargestellt besteht eine Frage, die durch die empirische Analyse beleuchtet werden soll, gerade darin, wie der wissenschaftliche und der spezifische disziplinäre Hintergrund die Hervorbringung der Laborsituation und den Prozess der Rahmenbildung prägen. Dies führt für die Betrachtung des Geschehens im ökonomischen Experimentallabor zu einem interessanten Spannungsfeld. Denn eine Grundannahme der experimentellen Wirtschaftsforschung besteht ja gerade darin, dass es im Labor möglich sei, das Spezifische der ökonomischen Rationalität in Entscheidungssituationen zu untersuchen.

Krisenexperimente

Ebenso wie Goffman, wandte sich auch Garfinkel gezielt krisenhaften oder problematischen Situationen zu und erkannte in ihnen ein großes Potenzial für die Analyse. Durchaus populär sind in diesem Zusammenhang Garfinkels Krisenexperimente (Garfinkel 1967, 1973). Diese verfolgten das Ziel, die Routinen des Alltagshandelns aufzudecken, indem man in alltäglichen Situationen Krisen provoziert. Trotz der Popularität des Begriffs „Krisenexperiment“, bezeichnete Garfinkel selbst sein Vorgehen explizit nicht als experimentell. Auch im Sinne der obigen Ausführungen zum klassischen experimentellen Forschungsdesign (vgl. Abschnitt 2.1) würde Garfinkels Vorgehen nicht als klassisch experimentell gelten, da die Zielstellung nicht in einer Kausalanalyse bestand.Footnote 18 Die standardisierte Erhebungssituation, in die Garfinkel und seine Studierenden die Teilnehmenden ihrer Versuche brachten, erinnert in einigen Fällen jedoch sehr deutlich an klassische Vorstellungen eines Laborkontexts.Footnote 19 Garfinkel selbst weist seinen Versuchen den Status von „Demonstrationen“ zu, welche das Ziel verfolgen, Reflexionen zu erzeugen, „in denen die Fremdheit einer hartnäckig vertrauten Welt entdeckt werden kann“ (Garfinkel 1973: 280).Footnote 20 Durch eine Vielzahl solcher Experimente demonstrierte Garfinkel auf anschauliche Weise, dass die Akteure in ihrem Handeln nicht nach festgelegten Mustern agieren, sondern in der Situation aktiv mit dem Prozess der Sinnstiftung (Sensemaking) beschäftigt sind. Dies erlaubt ihnen auch, Störungen und überraschende Ereignisse zu bewältigen. Die praktischen Methoden, welche die Handelnden anwenden, um die Situation wieder ‚in-Ordnung-zu-bringen‘, zeigen dabei auf, welche Aspekte für den normalen Ablauf von Situationen dieser Art maßgeblich sind (Garfinkel & Sacks 1976). Gerade schwer beobachtbare Phänomene können durch die Betrachtung von Krisensituationen aufgebrochen werden. Die Erwartungen und Annahmen der Akteure werden dabei expliziert und somit für den Forschenden deutlich leichter beobachtbar.

Die Krisenexperimente demonstrieren aber nicht nur den fortwährenden Prozess der Sinnstiftung. Sie zeigen zugleich auf, dass sich die Handelnden durchaus an Handlungsroutinen orientieren und Verhaltenserwartungen an ihr Gegenüber und die Situation selbst haben. Und genau aus diesem Grund sind Krisensituationen als solche zu erkennen. Eine Krise entsteht, wenn von den Normalitätserwartungen der Situation abgewichen werden muss und die routinierte Anwendung der sonst angemessenen Ethnomethoden für die Handelnden zum Problem wird. Die Akteure zeigen sich dabei durch ihre Handlungen gegenseitig an, was sie als Grundlage ihrer Handlung antizipieren und schaffen es, im Zuge dieses Prozesses zu einer gemeinsamen Situationsdefinition zu gelangen. Die sonst durch Handlungsroutinen verdeckten Wissensbestände und unreflektierten Hintergrundannahmen treten so zum Vorschein und werden einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich (Garfinkel 1967: 57 f.).

Das analytische Potenzial, welches der Betrachtung von krisenhaften Situationen zuerkannt wird, stellt eine deutliche Gemeinsamkeit der Goffmanschen und der ethnomethodologischen Perspektive dar. Beide Forschungsperspektiven erkennen in solchen Situationen die Chance, schwer beobachtbare und routineverschattete Prozesse für eine Analyse aufzubrechen. Auch in der vorliegenden Arbeit werden Krisensituationen als empirische Fallbespiele herangezogen (siehe Abschnitt 5.4.7). Es zeigt sich, dass sowohl Forschende als auch Beforschte spezifische Annahmen über das Laborgeschehen haben und in ihrem Handeln auf diese Bezug nehmen.Footnote 21 Zugleich wird ersichtlich, dass die Situationsdeutungen der Beteiligten in solch starkem Maße voneinander abweichen können, dass Krisen und Brüche der üblichen Handlungsroutinen auftauchen. Die situative Aushandlung und die praktischen Methoden, welche die Handelnden nutzen, um die Situation wieder ‚in Ordnung zu bringen‘, lassen Rückschlüsse darauf zu, welche Aspekte in der Laborsituation einen normalen Ablauf kennzeichnen. Zugleich zeigt sich, welche Methoden als adäquat erscheinen, um die Normalität wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Wie das Analysebeispiel im Abschnitt 5.4.7.3 aufzeigt, können jedoch auch Situationen auftreten, in denen eine Reparatur und ein Zurückkehren zur Normalität nicht für alle Beteiligten möglich ist.

Geteiltes Wissen

Mit der ethnomethodologischen Perspektive ist auch eine spezifische Sicht auf die interagierenden Akteure verbunden. Sie werden nicht als ganzheitliche Personen oder Monaden betrachtet, sondern als situierte Akteure. Die situativen Praktiken, die die Akteure handelnd hervorbringen, bestimmen somit darüber, was und wer sie im jeweiligen situativen Vollzug der Handlung sind. So formuliert Anne W. Rawls: „The actor becomes a location for practices – instead of a container for motivations“ (Rawls 2006: 21). Die Analyse der spezifischen Praktiken, die Forschende und Beforschte in der Praxis des Experiments einsetzen, ermöglicht es aufzuzeigen, wie auf diese Weise Ansprüche und Erwartungen an das Verhalten im Labor etabliert und aufrechterhalten werden und auf diese Weise die soziale Ordnung des Laborexperiments produziert und reproduziert wird. Zugleich wird ersichtlich, wie diese Praktiken auf performative Weise zur Hervorbringung dessen beitragen, was von den Forschenden als das Entscheiden eines rationalen Akteurs verstanden und analysiert wird.

Eine gängige Kritik an der ethnomethodologischen Position besteht darin, dass sie durch ihre starke Betonung der subjektiven Perspektive der Handelnden und des situativen Handelns die trans-situationalen und makrosozialen Strukturen (im Sinne von Zwängen und äußeren Merkmalen) übersehen würden. Allerdings verweist Garfinkel selbst an vielfältigen Stellen darauf, woher das Wissen stammt, welches bestimmt, was und wie in Situationen gehandelt werden kann bzw. sollte. So verweist er beispielsweise in „Das Alltagswissen über soziale und innerhalb sozialer Strukturen (Garfinkel 1973) auf den Begriff des „Kollektivs“ und verwendet die Figur des „bona-fide-member of society“ (Garfinkel 1973: 189). Der Begriff des Kollektivs versteht sich dabei in direkter Anlehnung an Parsons Konzept des „Kollektivitätsmitgliedes“ (ebd.: 189). Damit ist ein Mitglied in einer Gesellschaft gemeint, welches sich auf die gesellschaftlich gebilligten Grundlagen des Folgerns und Handelns bezieht. Die Gesellschaftsmitglieder nehmen nun an, dass andere sich in demselben Maße bei der Bewältigung ihrer Alltagsangelegenheiten auf jene Grundlagen beziehen und es sich somit um bona-fide-members of society, das heißt vertrauenswürdige Gesellschaftsmitglieder handelt. Es wird somit auf einen Bestand an „Alltagswissen über die gesellschaftlichen Strukturen“Footnote 22 (ebd.) verwiesen, auf welchen sich die Handelnden in ihrer Interaktion beziehen. Während Parsons aus den oben dargestellten Gründen davon ausgeht, dass dieser geteilte Wissensbestand zu einem impliziten Normkonsensus zwischen den Handelnden führt, geht Garfinkel von einem „kognitiven Konsensus“ aus. Dieser bedingt, dass Handelnde ihre Handlungen so ausführen, dass sie in der Situation als ein Anwendungsfall einer Regel oder Norm betrachtet werden können.

Aus dem oben Dargestellten wird deutlich, dass die Gruppen- oder Gesellschaftsmitglieder demnach über spezifische Kompetenzen verfügen. Diese äußern sich als handlungspraktisches Wissen in der adäquaten Bewältigung ihrer alltäglichen Angelegenheiten. Auf die Untersuchung eben dieser Kompetenzen zielen ethnomethodologische Studien: „Ethnomethodology is not interested in ‘individuals’ as such, but in the competences involved in being a bona-fide member of a collectivity“ (Ten Have 2002: 15). Der Aspekt des Mitgliederwissens (membership knowledge) ist in zweierlei Hinsicht zentral für die Diskussion der ethnomethodologischen Position und die gewinnbringende Anwendung in der Untersuchung des Prozesses des wirtschaftswissenschaftlichen Experimentierens. Durch den Bezug auf dieses Mitgliederwissen kann erklärt werden, wie die Handelnden erkennen, welche Ethnomethoden in der jeweiligen Situation adäquat sind. Des Weiteren macht diese Fokussierung auf die alltägliche Hervorbringung der sozialen Ordnung auch das forschungspraktische Problem deutlich: „The problem of invisibility of common sense“ (Ten Have 2002: 18). Die Praktiken oder Ethnomethoden, auf die die Handelnden dabei zurückgreifen, erscheinen für sie als unproblematische und alltägliche Routine. Eine zentrale Herausforderung der Analyse besteht nun darin, dass diese Phänomene ihren Status als unbeobachtbare Ressource verlieren, um zum Thema für eine Analyse zu werden. Eine notwendige Vorbedingung für eine Analyse der Ethnomethoden im wirtschaftswissenschaftlichen Experimentallabor besteht somit darin, sich ein ausreichendes Maß an Mitgliederwissen der Labormitglieder und ExperimentatorInnen anzueignen, um die situationsadäquate Nutzung von Ethnomethoden zu verstehen und analytisch greifbar zu machen.

Indexikalität und Vollzugswirklichkeit

Der Begriff der Indexikalität ist zentral für das Verständnis der ethnomethodologischen Position. Indexikalität verweist darauf, dass die Handlungen stets innerhalb eines bestimmten Kontexts stattfinden. Jedes Element des Interaktionsverlaufes bildet dabei einen konstitutiven Bestandteil der Situation. Was die einzelnen Interaktionselemente bedeuten, ist somit nicht klar festgelegt, sondern ergibt sich im Rahmen der Situation. Aus diesem Grund können die spezifischen Situationen auch nur durch Bezug auf diesen Kontext verstanden werden. Versuche der Entindexikalisierung, also der Loslösung von der spezifischen Interaktionssituation und der Schaffung einer allgemeingültigen Bedeutung von Worten oder anderen Elementen, müssen zwangsläufig scheitern, da es nicht möglich ist, Ausdrücke in eine objektive Form zu überführen (Garfinkel & Sacks 1976: 156).Footnote 23 Die Handelnden müssen deshalb über situationsspezifisches Kontextwissen verfügen, um die Interaktion verstehen zu können.

Das Problem der Indexikalität besteht nun darin, dass die Handelnden aufgrund ihrer spezifischen Erfahrungen über unterschiedliches Kontextwissen verfügen. Das Phänomen der Vagheit von Sprache verdeutlicht diese Problematik sehr eingängig. So verweisen Garfinkel und Sacks (1976) darauf, dass Begriffe vage sein müssen, da die Handelnden aufgrund ihres unterschiedlichen Kontextwissens nicht von einer vollständigen Übereinstimmung hinsichtlich des Verständnisses bei ihren Interaktionspartnern ausgehen. Akteure drücken sich deshalb vage und abwartend aus, sodass die Entscheidung über verschiedene Sinnalternativen offenbleibt. Des Weiteren gehen Kommunikationspartner von einer ausreichenden Sinnübereinstimmung aus, also davon, dass das Gegenüber schon verstehen wird, was man meint und das bisher nicht Verstandene sich wohl im Gespräch klären wird (Garfinkel 1973: 283). Der spezifische Kontext entscheidet also über die Deutung der einzelnen Elemente der Interaktion, weshalb die soziale Wirklichkeit der Akteure nicht als starr angesehen werden kann. Sie wird vielmehr in situ, das heißt im jeweiligen Handeln, von den Interaktionspartnern erzeugt.

Wirklichkeit und Wissen werden dabei nicht als objektive Entitäten verstanden. Wirklichkeit wird aus ethnomethodologischer Perspektive vielmehr als Vollzugswirklichkeit gefasst. Sie kann somit nur so lange bestehen, wie sie durch Handlungen und Interaktionen hervorgebracht wird. Entsprechend kann Wissen dabei immer nur als prozessuales Wissen verstanden werden. Es gibt also keinen festen Bestand an Alltagswissen, der den Hintergrund jeder Alltagshandlung bildet. Stattdessen kann Wissen nur in der praktischen Aktualisierung der jeweiligen Handlungssituation und somit in seiner Anwendung beobachtet werden. Die jeweilige Situation dient darüber hinaus gleichzeitig als Kontext für das bereits Geschehene und das in Zukunft noch Folgende. Dies wird, in Anlehnung an Karl Mannheim ([1922] 1964), als die Dokumentarische Methode der Interpretation bezeichnet (Garfinkel 1973: 209).Footnote 24 Die Ereignisse der Interaktion werden als ‚das Dokument von‘ oder als ‚Hinweis auf‘ etwas, das heißt als Beispiel für ein zugrundeliegendes Muster verstanden. Dieses Muster wird dabei nicht nur von seinen individuellen dokumentarischen Belegen der spezifischen Situation abgeleitet, sondern die dokumentarischen Belege werden auch auf der Grundlage dessen interpretiert, was über das zugrundeliegende Muster bekannt ist. Auf Basis der Kenntnis, welche die Gesellschaftsmitglieder über die verschiedenen Muster besitzen, tätigen sie gewisse Vorannahmen über den Fortgang der Situation und die Bedeutung der einzelnen Ereignisse. Garfinkel schließt hier an die Schützsche These an, dass die Welt immer schon von Akteuren interpretiert worden sei. Im Sinne eines kognitiven Konsensus der Handelnden kann die dokumentarische Methode der Interpretation als ein Indiz dafür gedeutet werden, dass die Mitglieder einer Kultur „Normalformen“ annehmen (Widmer 1991: 220). Auf diese Weise grenzen die Handelnden in normativer Art und im Sinne angenommener Wahrscheinlichkeiten den Spielraum möglicher Interpretationen ein. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ursächliche Kausalfaktoren der Handlungen, sondern um formale Ursachen, die im Prozess der spezifischen Situation verortet sind. Die dokumentarische Methode bezieht sich somit auf eine „rückschauend-vorausschauende Auslegung“ der jeweiligen Ereignisse (Garfinkel 1973: 209) und verweist damit zugleich auf den Stellenwert der zeitlichen Sequenzialität von Handlungsprozessen. Einerseits rückblickend, weil sie auf ähnlichen Erfahrungen beruhen, die sich zu einem Erwartungsschema verdichtet haben. Andererseits vorausschauend im Sinne der Erwartung bzw. Vorannahme einer Handlung, die angesichts der vorliegenden Bedingungen eintreten wird. Garfinkels Perspektive folgend ist die zentrale Frage, was ein Verhalten als eine spezifische Handlung erscheinen lässt. Die Lösung liegt für ihn im Konzept des Accounting.

Accounting und Doing

Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass die Vagheit und Offenheit des Alltagshandelns, also eine gewisse Art der Unbestimmtheit, die notwendige Basis für ein Verständnis der Handlungen von Interagierenden sein sollen. Die Lösung dieses Problems sieht Garfinkel in der praktischen Realisierung der jeweiligen Handlungssituation. Er formuliert diesbezüglich: „the activities whereby members produce and manage settings of organized everyday affairs are identical with members’ procedures of making those settings ‚account-able‘“ (Garfinkel 1967: 1). Account kann dabei jedoch nicht einfach mit Verstehen übersetzt werden. Es geht vielmehr um die beobachtbaren Formen, in denen sich das Verstehen materialisiert. Die Aktivitäten, mit Hilfe derer wir unsere alltäglichen Angelegenheiten bewältigen, sind somit identisch mit den Verfahren, mit denen diese Situationen ‚accountable‘ gemacht werden (Bergmann 1988: 44 f.).Footnote 25 Die Bezeichnung Accounting bzw. der accountability practices verschiebt den Fokus dabei auf den Prozess der Hervorbringung und betont die Prozesshaftigkeit der Interaktion und die Betrachtung der sozialen Wirklichkeit als Vollzugswirklichkeit. Der Prozess des Accounting verweist dabei auf die spezifische Reflexivität der praktischen Handlungsvollzüge. Reflexivität bedeutet hier, dass die Handelnden sich und den anderen Beteiligten die Ordnung ihrer Handlungen wahrnehmbar und erkennbar machen. Der Begriff des Accounting wird im Sinne Garfinkels als ‚Anzeige-Handeln‘ verstanden und richtet die Aufmerksamkeit auf die Gleichzeitigkeit der fortlaufenden Ausdrucks- und Interpretationsarbeit der Akteure, welche es ermöglicht, eine geteilte soziale Wirklichkeit als eine Aushandlungsleistung der verschiedenen Akteure zu konstruieren. Die Methoden, die beim Accounting zur Anwendung kommen, sind die eingangs beschriebenen Ethnomethoden. Wie im Zuge der dokumentarischen Methode beschrieben, befassen sich die Handelnden in jeder Situation damit, die Vorgänge und Ereignisse als ganz bestimmte Vorgänge zu beschreiben, zu erkennen und darüber zu kommunizieren. Der Vorgang des Wahrnehmens-und-darüber-Sprechens („situated practices of looking-and-telling“ (Garfinkel 1967: 1)) ist also ein und derselbe Akt. Die ablaufenden Handlungen sind in diesem Sinne identisch mit den Ethnomethoden, durch welche diese verstehbar, erklärbar und für die Interaktionsteilnehmer nachvollziehbar gemacht werden. Das Accounting dient damit dem interaktiven und gleichzeitigen Produktions- und Reproduktionsprozess der sinnhaften sozialen Ordnung. Im Hinblick auf die Art und Weise, wie die prozesshafte Hervorbringung sozialer Ordnung betrachtet werden kann, schlagen Garfinkel und Sacks vor, soziale Phänomene als ein „Doing“ (Garfinkel & Sacks 1976: 148) aufzufassen, um den Blick auf die Praktiken zu lenken, durch die diese Phänomene erzeugt werden. Breit rezipiert ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die Agnes-Studie, in der gezeigt wird, dass auch Fakten wie die dichotome Trennung der Geschlechter in Männer und Frauen letztlich auf einer sozialen Konstruktion beruhen (Garfinkel 1967: 116 ff.). Diese Idee, die sozialen Phänomene aus der Prozessperspektive nachzuzeichnen, um die Aspekte ihrer interaktiven Konstruktion zu betrachten, wird in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen und für die Konzeption des heuristischen Analyseschemas (siehe Abschnitt 4.3) und die detaillierte Betrachtung der Analysesituationen (siehe Abschnitt 5.1) genutzt.

Die Ethnomethoden mittels derer das Accounting abläuft, können also als kommunikative Leistungen verstanden werden, durch welche sich die Interaktionspartner gegenseitig den Sinn ihres Handelns anzeigen. Die durch die Ethnomethoden und das Accounting herausgebildete Ordnung der Handelnden und auch der Kontext, der in einer Situation wirkt, sind somit stets situativ. Sie sind an die Handlungen der Akteure gebunden und besitzen somit einen indexikalen Charakter. Indexikalität ist somit nicht nur ein zentrales Kriterium für die Elemente der Situation und ihrer Deutung, sondern die ganze Ordnung der Situation ist indexikal. Genauso wie bei Begriffen wie „ich“ und „Du“, „hier“ und „dort“, die nur in einer spezifischen Situation durch die Bezugnahme auf ihren Kontext eine klare Bedeutung und Referenz erlangen, ist auch die situativ entstehende Ordnung an den Kontext gebunden. Eben dies zeigen auch die Krisenexperimente auf, die sich der Überwindung von Störungen widmen und betrachten, wie virtuos es den Handelnden gelingt, die Krisenhaftigkeit der Situationen durch Erklärungen und andere Reparaturstrategien zu überwinden oder unübliche alternative Handlungsoptionen zu nutzen.

3.2.2 Die analytische Mentalität ethnomethodologischer Forschung

Aus ethnomethodologischer Perspektive erfolgt die Forschung stets ‚from within‘. Das beobachtete Phänomen soll sich aus seiner situativen Logik und somit aus sich selbst heraus erklären. Garfinkels Anspruch folgend, kann es nur gelingen, die Praktiken und Ethnomethoden der Handelnden richtig zu verstehen und nachzuzeichnen, wenn man selbst die entsprechenden Kompetenzen erlangt und damit das „unique adequacy requirement“ (Garfinkel & Wieder 1992) des jeweiligen Forschungsphänomens achtet.Footnote 26 Dieser Forderung folgend, müssen die Methoden mittels welcher ein Phänomen erforscht wird, dem Phänomen selbst entspringen. Eine Kanonisierung des Vorgehens würde zu viel Starrheit und Vorbestimmtheit in den Forschungsprozess einbringen und somit der grundlegenden ethnomethodologischen Perspektive zuwiderlaufen, das interessierende Phänomen von innen heraus in seiner Eigengesetzlichkeit zu betrachten. In ethnomethodologischen Studies of work (Garfinkel 1986; Bergmann 2006), die spezifische Arbeitspraktiken und praktische Handlungsvollzüge betrachten, setzt man sich genau mit diesem Problem auseinander. Um die Ethnomethoden und das praktische Wissen der Handelnden nachvollziehen und beschreiben zu können, müssen die Forschenden dieses selbst erwerben. Einfaches Beobachten der Arbeitspraxis reicht dabei nicht aus. Da diese Forschungsrichtung den Fokus stärker auf die verkörperten Praktiken legte, anhand derer die TeilnehmerInnen Situationen hervorbringen und erfahren, wird hier anstelle der Ethnomethoden vermehrt der Begriff der ‚embodied practices‘ verwendet (Bergmann 2006: 395). Die ForscherInnen müssen in der Lage sein, die beobachteten Praktiken selbst auszuführen. Diese Studien werden deshalb auch als „hybride Studien“ (Garfinkel 2002) bezeichnet, da die Forschenden gleichzeitig In- und Outsider des untersuchten Settings sind und somit zugleich den Ansprüchen der Praxis und des Feldes genügen müssen (Eberle 2007: 152). In gewissem Maße erhebt auch meine Arbeit den Anspruch der Einordnung als hybride Studie, da die langjährige und intensive Zusammenarbeit mit experimentellen WirtschaftsforscherInnen und Labormitgliedern gerade darauf abzielte, die Kompetenzen der Laborforschenden nicht nur zu beobachten, sondern auch selbst zu erlernen (siehe Abschnitt 4.1.2).

Während sich die klassischen Garfinkelschen Analysen meist auf zwischenmenschliche Interaktionen beziehen (Garfinkel 1967), befassen sich Weiterentwicklungen wie die Workplace Studies mit Arbeitsabläufen, in denen komplexe Technologien (vor allem Computer) die Interaktionen maßgeblich beeinflussen (Knoblauch & Heath 2006; Heath & Luff 1992). Auch die in der Einleitung (Kapitel 1) erwähnten Laborstudien können als eine empirische Forschungsrichtung betrachtet werden, die maßgeblich von der Ethnomethodologie inspiriert wurde. Es handelt sich dabei um Studien im Bereich der Wissenschaftsforschung, die vorrangig naturwissenschaftliche Labore als Orte der Wissens- und Erkenntnisproduktion untersuchen. Klassisch in diesem Bereich sind die Studien von Karin Knorr-Cetina über die „Die Fabrikation der Erkenntnis“ (1984) und „Wissenskulturen“ (2002), sowie Bruno Latour und Steve Woolgar „Laboratory Life“ (1979). Die ethnomethodologische Perspektive wird hier genutzt, um die Kontextabhängigkeit, die Relevanz der situativen Hervorbringung bei der Produktion von Erkenntnissen und die ‚Gemachtheit‘ von wissenschaftlicher Erkenntnis zu unterstreichen. Im Bereich der Science and Technology Studies (STS) wird die Idee des situativen Sense-making prominent durch Lucy Suchman und ihr Konzept des situierten Handelns vertreten (Suchman 1987). Mittels empirischen Studien über die Nutzung von Technologien zeigt sie damit auf, dass die Rationalität des Handelns stets eine Rationalität der Situation ist. Handbücher, Skripte, Instruktionen und Pläne, die das Handeln der Akteure leiten sollen, werden von den Handelnden nicht als Leitfaden, sondern lediglich als Ressourcen genutzt. Wie die Analyse (Kapitel 5) aufzeigen wird, ist auch im Fall des wirtschaftswissenschaftlichen Experimentallabors der Umgang mit den materiellen Elementen des Raums sowie ihr Beitrag zur situativen Rahmenbildung von großer Bedeutung für das Sense-making der Akteure (siehe insbesondere Abschnitt 5.3.7).

Die Konversationsanalyse und ihr Forschungsgegenstand

Eine zentrale Entwicklungslinie der Ethnomethodologie stellt die ethnomethologische Konversationsanalyse dar. Da die Konversationsanalyse wiederum eine zentrale Grundlage für die Entwicklung der Gattungsanalyse darstellt, werden nachfolgend einige zentrale Grundzüge vorgestellt. So wie Garfinkel die Strukturiertheit des Alltagshandelns und die diesem zugrundeliegenden Ethnomethoden als „phenomena in their own right“ (Garfinkel 1967: 1) betrachtete, konnte Harvey Sacks mit seinen Studien aufzeigen, dass auch „talk as an object of their own right“ zu verstehen sei (Schegloff 1992: xvii f.). Auch Gespräche besitzen demnach vielfältige geordnete Merkmale und folgen einer spezifischen sozialen Ordnung. Diese Ordnung wird durch die situationsangemessene Verwendung typischer Gesprächspraktiken fortwährend interaktiv erzeugt. Konversationen werden somit nicht nur als Kommunikationsmedium betrachtet und auf die Vermittlung von Informationen reduziert, sondern auch als soziale Interaktionen analysiert. Gegenstand der Konversationsanalyse ist der „talk in interaction“ (Schegloff 1987).Footnote 27

Auch wenn sich die Konversationsanalyse – wie auch die Ethnomethodologie – dagegen verwehrt, ihr Vorgehen auf einen Methodenkanon zu gründen, eint die Forschenden doch eine spezifische „analytische Mentalität“ (Schenkein 1978), die auf einigen grundlegenden Prinzipien beruht. Nachfolgend werden einige der zentralen Grundmomente der spezifischen Einstellung der Forschenden und ihre Arbeitsprinzipien kurz referiert (Bergmann 1981: 17 f.; Bergmann 2000: 530 f.). Den Gegenstand für die konversationsanalystischen Untersuchungen bildeten stets sprachliche und nicht-sprachliche Interaktionen natürlicher Situationen, die von den Forschenden weder kontrolliert noch manipuliert wurden. Der Grund hierfür lag jedoch nicht in ihrem besonderen Interesse für Sprache als Forschungsgegenstand, sondern vielmehr in dem programmatischen Interesse, auf diese Weise die Gelegenheit zur Begründung einer naturalistisch beobachtenden Forschungsdisziplin zu ergreifen, die sowohl in empirischer als auch in formaler Hinsicht den empirisch beobachtbaren Feinheiten von sozialen Handlungen gerecht werden könne (Schegloff & Sacks 1973: 289 f.; Bergmann 1988: 15). Die Bestrebung, durch eine naturalistische Forschung interaktive Handlungsvollzüge als einen eigenständigen Gegenstandsbereich zu etablieren, wurde ausführlich im Kapitel über Goffman (Abschnitt 3.1) diskutiert. Im Unterschied zu Goffman sind die Ansprüche von Garfinkel und Sacks an die Natürlichkeit der analysierten Phänomene jedoch deutlich höher. Die Eigengesetzlichkeit der Phänomene soll aus den empirischen Daten direkt ableitbar sein und nicht auf rekonstruktiven Beschreibungen beruhen. Diese untersuchten Interaktionen werden mittels technischer Hilfsmittel aufgezeichnet, um den Vollzug der sozialen Interaktion minutiös betrachten und die Handlungsabläufe in ihrer zeitlichen Evolviertheit erfassen zu können.Footnote 28 Im Zuge einer Konversationsanalyse werden die audiovisuellen Aufzeichnungen im Anschluss an ihre Erhebung detailliert transkribiert. Dies ist erforderlich, um das Material in eine bearbeitbare, zergliederbare und vergleichbare Form zu überführen. Ein Kernmoment der Konversationsanalyse bildet ihr sequenzanalytisches Vorgehen. In diesem gilt es, die zeitlich-lineare Ablaufstruktur (Sukzessivität) des im Transkript abgebildeten Geschehens zu beachten und somit die ethnomethodologische Vollzugsperspektive bei der Analyse der Gespräche einzunehmen. Ziel der Analysen ist es dabei, durch Beobachtungen des Datenmaterials gleichförmige und wiederkehrende Aspekte zu entdecken und so auf die Struktur und die Ordnungsmerkmale von Gesprächsinteraktionen zu schließen. Konversationsanalytische Studien verweisen darauf, dass die strukturellen Prinzipien im Sinne normativer Orientierungs- und Erwartungsmuster strukturelle Zwänge auf die Handelnden ausüben (Schegloff et al. 1978). Studien zeigen jedoch zugleich auf, dass die Handelnden selbst interaktiv und kontextsensitiv aushandeln, welche Geltung diese Strukturbedingungen für die jeweilige Interaktion besitzen. Da der Kontext der Interaktion potenziell unendlich viele Aspekte umfassen kann, muss es auch hier ein Ordnungsprinzip geben, um zu entscheiden, welche Kontextelemente Relevanz besitzen und welche nicht. Von zentraler Bedeutung ist dabei der sequentielle Kontext. Im Anschluss an das ethnomethodologische Konzept der dokumentarischen Methode wird in der Konversationsanalyse davon ausgegangen, dass mit jeder Äußerung zugleich ein kontextueller Rahmen für die nachfolgenden Äußerungen produziert wird. Da dieser für die Interpretation relevant ist, nehmen die Handelnden bei der Produktion und Interpretation ihrer eigenen Äußerungen auf diesen kontextuellen Rahmen Bezug. Die Sequenzanalyse bildet in diesem Sinne die Kontextanalyse der Handelnden selbst ab (Bergmann 2000: 529). Die Konversationsanalyse betrachtet die handelnden Akteure zudem als kontextsensitiv. Diese analysieren ihren Handlungskontext und interpretieren ihn auf der Basis ihres Alltagswissens. In ihren sprachlichen Äußerungen stellen sie sich auf diesen Kontext ein und zeigen sich ihre Kontextorientierung gegenseitig an (ebd.). Eine zentrale Konsequenz besteht darin, dass Anfang und Ende der Sequenzen im empirischen Material selbst in Erscheinung treten. Die Akteure zeigen sich dabei während der Interaktion durch ihre Anschlusshandlungen an, wann eine Handlungsepisode beendet ist oder neu beginnt. Dies ist auch für die praktische Arbeit mit der Sequenzanalyse von zentraler Bedeutung, da auf dieser Grundlage auch Anfang und Ende der Analyseabschnitte und –einheiten festgelegt werden. Eben dieses Vorgehen der Sequenzanalyse und die damit einhergehende empirisch begründete Bestimmung der Sequenzen erweist sich für meine eigene Arbeit als bedeutsam. Dies wird am Beispiel der Etablierung der Analysesituation (Abschnitt 5.1) im Rahmen des Analysekapitels exemplarisch veranschaulicht.

3.2.3 Verhältnis von Ethnomethodologie und Grounded Theory

Wie im einleitenden Abschnitt des dritten Kapitels ausgeführt, zielt die Darstellung der unterschiedlichen Forschungsperspektiven nicht darauf ab, diese in ihrer Gänze zu präsentieren. Vielmehr soll durch die hier vorgenommene Art der Darstellung eine Transparenz hinsichtlich der Entwicklung meiner eigenen Forschungsperspektive geschaffen werden. Aus eben diesem Grund wird im Folgenden kurz dargestellt, welches Potenzial in der Kombination von Grounded Theory und Ethnomethodologie von mir gesehen wird.Footnote 29

Die zentrale Differenz der beiden Forschungsansätze gründet in einem unterschiedlichen Anspruch hinsichtlich der analytischen Aufgabe und dem damit einhergehenden verschiedenartigen Zugriff auf das empirische Material ihrer Analysen. Arbeiten von Grounded Theory ForscherInnen zielen darauf ab, die empirischen Daten aufzubrechen und zur Generierung einer formalen Theorie voranzuschreiten. Der typische Forschungsprozess der Grounded Theory erfolgt dabei mittels dreier Formen der Konzeptualisierung von Daten: das Verfahren des offenen, des axialen und des selektiven Kodierens. Die Datenerhebung und -analyse in der Grounded Theory folgen keinem gradlinigen Ablaufschema. Datenerhebung, –analyse und Theoriebildung verlaufen vielmehr parallel und wechseln sich ab. Diese für die Grounded Theory typische Forschungslogik wird als „iterativ-zyklisch“ (Strübing 2004: 62) bezeichnet. In der Grounded Theory wird das (vorläufige) Ergebnis des Forschungsprozesses durch die unterschiedlichen Stufen des KodierensFootnote 30 erreicht. Der Prozess mündet in der Bildung einer Kernkategorie, der die anderen Kodes und Konzepte zu- und untergeordnet werden.

Wie die obigen Ausführungen zu ethnomethodologische Studien verdeutlichen, zielen diese darauf ab, durch detaillierte Beschreibungen die spezifischen Ethnomethoden herauszuarbeiten und darzustellen, die für die situative Hervorbringung eines Phänomens maßgeblich sind. Ethnomethodologische Konzepte stellen prozesshafte Beschreibungen von Ereignissen und Handlungen dar und keine kausalen Erklärungen. Sie sind stets strikt datengeleitet und zielen auf keine andere Ebene als die empirische Situation des Phänomens der Untersuchung selbst. „It just brings to light what is already available for all to see; it is, then, just an eye-opener“ (Ten Have 2005: 24.). Das dieses ‚Augenöffnen‘ interessante und unerwartete Ergebnisse ans Licht bringt, liegt an der Routinehaftigkeit und Alltäglichkeit der Situationen, die ethnomethodologisch Forschende zu ihrem Gegenstand erklären. Ausgehend von einer ethnomethodologischen Perspektive ist das Vorgehen der Grounded Theory damit problematisch (ebd.). Die Kritik besteht darin, dass sich die Forschenden durch das Kodieren zu stark von den empirischen Daten entfernen würden. Das Auswählen bestimmter Aspekte der Daten, die im Folgenden kodiert und für die Analyse genutzt werden, führt zu einem Aufbrechen der Daten in ihrer natürlichen Ordnung. Durch diese Reduktion der Daten gehen die indexikalen Eigenschaften der einzelnen Handlungsaspekte verloren. Paul ten Haves (2004: 145) Kritik am Vorgehen der Grounded Theory besteht darin, dass sie – analog zum Vorgehen Parsons – eine Trennung zwischen der empirischen Welt und der Ebene theoretischer Konzepte vornimmt (ebd.).Footnote 31 Aus ethnomethodologischer Perspektive existiert diese Differenz zwischen formaler Theorie und empirischen Phänomen nicht. Marilyn Lester und Stuart Hadden (1980) sehen jedoch gerade in dieser Abwehrhaltung gegenüber dem Kodieren und dem systematischen Vergleich von Daten eine große Selbstbeschränkung der Ethnomethodologie. Das Kodieren und Vergleichen der empirischen Daten, so wie es in der Grounded Theroy erfolgt, sei notwendig, um valide Ergebnisse zu erzeugen und zu formaler Theoriebildung fähig zu sein. Lester und Hadden (1980) verweisen auf die Möglichkeit der horizontalen Integration der einzelnen substantiellen Ergebnisse ethnomethodologischer Analysen, um die Reichweite der Forschungsergebnisse zu erhöhen. Dies könnte durch eine kontrastierende Analyse der unterschiedlichen Ausprägungen des Phänomens in einem spezifischen empirischen Feld vollzogen werden. Im Sinne eines stärkeren komparativen Vorgehens und systematischen Vergleichens könnte die Validität und Reichweite ethnomethodologisch orientierter Studien dabei ausgeweitet werden.

Der konzeptionelle Beitrag der ethnomethodologischen Perspektive für die vorliegende Arbeit besteht darin, das begriffliche Instrumentarium für die empirische Analyse (Kapitel 5) der situativen Herausbildung des Orientierungsrahmens des Laborexperiments zu schärfen. Wie oben ausgeführt sind die ‚Verankerungsversuche‘ des spezifischen Rahmens, welche von den Forschenden zur Situationsbildung angeboten werden, analytisch von besonderem Interesse. Die Differenz der unterschiedlichen „Rationalitäten“ von Forschenden und Beforschten, die im Rahmen dieses Kapitels thematisiert wurde, ermöglicht eine weitere Spezifizierung der Forschungsfrage. Die Verankerungsversuche der Rahmenbildung durch die Forschenden können als Ethnomethoden verstanden und thematisiert werden, in denen sich eben diese Rationalitäten entäußern und so einer empirischen Analyse zugänglich werden. Der Zugewinn durch die ethnomethodologische Perspektive gründet zudem auf dem hohen Stellenwert, welcher der dichten Beschreibung und Erklärung der empirischen Daten in dieser Arbeit beigemessen wird. In Anerkennung dieser Position wird im empirischen Teil der Arbeit aus der Prozessperspektive des Doings aufgezeigt, wie die situativen Praktiken (accounting practices) von Forschenden und Beforschten im Sinne eines reflexiven Prozesses zur gleichzeitigen Produktion und Reproduktion einer situativen sozialen Ordnung führen (siehe dazu insbesondere Abschnitt 5.4). Es werden dabei vielfältige empirische Beispiele zu Illustration herangezogen. Das sequenzanalytische Vorgehen bei der Betrachtung von natürlichen Interaktionssituationen des Laborgeschehens bildet dabei einen zentralen Aspekt der Analyse. So analytisch fruchtbar die ethnomethodologische Perspektive für die Betrachtungsebene der Hervorbringung des Situativen und Konkreten auch ist, erweist sie sich für die eigene Fragestellung in anderer Hinsicht als ergänzungsbedürftig. Dass hier eine Notwendigkeit zur Ergänzung gesehen wird, soll nicht als ein Situationalismusvorwurf missverstanden werden. Trotz der Zentralität der Anerkennung der Indexikalität von Wissenselementen, welche in Handlungssituationen als prozessuales Wissen in Erscheinung treten, verweist die Frage nach der Hervorbringung der Rahmung des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments zugleich auf die Relevanz der institutionalisierten Wissensbestände. Zwar können die institutionellen oder übersituativen Aspekte des Handelns auch aus ethnomethodologischer Perspektive anerkannt werden, doch die als notwendig erachtete Integration, Aufnahme und Thematisierung dieser Aspekte in die Analyse erscheint aus dieser Position nur begrenzt möglich. Dies insbesondere auch deshalb, da der interessierende Forschungsgegenstand kein Phänomen des Alltags ist und aus diesem Grund nicht von einer ‚gleichartigen‘ Wissensbasis der beteiligten Akteure ausgegangen werden kann.

3.3 Die soziologische Gattungsanalyse

Ausgehend von einer Grundposition, die auf die detaillierte Betrachtung von Interaktionssituationen ausgerichtet ist, wird die im nachfolgenden Abschnitt dargestellte Gattungsanalyse und das Konzept kommunikativer Gattungen als konzeptionelle Inspiration betrachtet. Diesem Abschnitt kommt eine gewisse Sonderstellung zu, da es sich bei der Gattungsanalyse um eine Methode handelt und nicht um eine Forschungsrichtung. Aus zwei Gründen erscheint die Positionierung dieses Abschnittes hier jedoch notwendig. Einerseits, da die Gattungsanalyse in meiner Konzeption das Verbindungsmoment zwischen der ethnomethodologischen Perspektive und dem kommunikativen Konstruktivismus darstellt, und zwar sowohl argumentativ als auch hinsichtlich der authentischen historischen Darstellung des Verlaufs meines Forschungsprozesses. Zudem wird in diesem Kapitel ersichtlich, wie der angestrebten Integration institutioneller Aspekte beobachtbarer Handlungen analytisch Rechnung getragen werden kann und zugleich die empirische Tiefe gewahrt bleibt. Der zweite Grund dafür, dass dieser methodische Zugang nicht erst im Methodenteil, sondern in der Darstellung der konzeptionellen Perspektive aufgenommen wurde, besteht in der sehr ausgeprägten konzeptionellen Basis dieses methodischen Verfahrens. Um die analytische Mentalität dieses Zugriffs zu verdeutlichen, erfolgt eine kurze Charakterisierung der Grundpositionen der sozialwissenschaftlichen Gattungsforschung. Daran anknüpfend wird die Analyse kommunikativer Gattungen als eine wissenssoziologische Methode eingeführt und die Struktur ihrer empirischen Anwendung dargestellt.

3.3.1 Die soziologische Gattungsforschung

Den theoretisch konzeptionellen Hintergrund der (wissens-)soziologischen Gattungsanalyse bildet die Gattungsforschung. Der grundlegende Analysegegenstand soziologischer Gattungsforschung ist die Verwendung von sprachlichen und nicht-sprachlichen Zeichensystemen in Interaktionssituationen (Knoblauch & Schnettler 2010: 2). Während Gattungen der Kommunikation in anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie beispielsweise der Theologie oder der Literaturwissenschaft einen seit langem etablierten Untersuchungsgegenstand darstellen, ist das Interesse für dieses Thema in der Soziologie deutlich jünger und durch zwei zentrale Aspekte bedingt. Zum einen entwickelte sich in den 1980er Jahren in der deutschsprachigen soziologischen Theorie (Habermas 1981; Luhmann 1984; Schütz & Luckmann 1979, 1984) ein deutliches Interesse für die Kommunikation. Die Erforschung natürlicher Kommunikation ist im deutschsprachigen Raum dabei eng mit der Wissenssoziologie verbunden. Im Rahmen dieser Hinwendung zum Thema der Kommunikation wird auch von einem „kommunikativen Paradigma“Footnote 32 der Wissenssoziologie gesprochen (Knoblauch 1995).Footnote 33 Weitere Ansätze, die zur empirischen Untersuchung von (sprachlichen) Interaktionen eingesetzt werden, wie die Ethnomethodologie, die Konversationsanalyse, die Ethnographie der Kommunikation oder die sozialwissenschaftliche Hermeneutik gewinnen zudem zunehmend an Popularität und zeigen dabei alle eine Nähe zur sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie. Diese Verfahren bilden zugleich auch einen methodischen Ausgangspunkt für die sich entwickelnde Gattungsanalyse. Eine wichtige Rolle spielen darüber hinaus technische Entwicklungen, die es durch den Einsatz von Aufzeichnungsgeräten (Tonband und später Video) ermöglichen, die flüchtigen Kommunikationsprozesse für eine nachfolgende Analyse „einzufrieren“ (Bergmann 1985).

Die soziologische Gattungsforschung schließt dabei an „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Peter Berger und Thomas Luckmann (1980 [1969]) sowie an die phänomenologisch orientierte Handlungstheorie Luckmanns (Luckmann 1992) an. Aufbauend auf Berger und Luckmann (1969) ist die grundlegende Annahme dabei, dass die Wirklichkeit, die den Menschen als objektiv gegeben erscheint, von ihnen selbst in eigenen Handlungen hergestellt und damit konstruiert wird. Durch die Verwendung von Typisierungen überziehen wir die uns umgebende Welt dabei mit einem „Sinnkleid“ (Srubar 2008) und weisen den einzelnen Aspekten einen Sinn zu. Unsere gegebene Wirklichkeit ist somit immer schon eine von uns interpretierte (ebd.). Durch sprachliche Interaktionen sind Menschen fähig, ihre Typisierungen mit anderen Menschen zu teilen und ihr Verständnis und die darin typisierten Inhalte als etwas Gegebenes darzustellen. Diese Ausrichtung der Gattungsforschung beinhaltet dabei die genuin wissenssoziologische Fragestellung nach den Formen und Mustern der gesellschaftlichen Vermittlung von Wissen (Luckmann 1986).

Luckmann diagnostizierte, dass Sprache nicht nur das zentrale Mittel zur intersubjektiven Verständigung der Handelnden sei, sondern zugleich auch der Motor für die gemeinsame Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit. Er wandte sich aus diesem Grund der Sprachsoziologie (Luckmann 1979) und der Untersuchung von Formen der gesprochenen Sprache zu (Schnettler 2006: 175). Sein Interesse richtete sich dabei jedoch nicht nur auf die Strukturdetails der empirischen Phänomene, sondern zielte stets ebenfalls auf eine Verbindung seiner Sprachsoziologie zur Gesellschaftstheorie.Footnote 34 Diese Bestrebungen mündeten in der Begründung des eigenständigen Ansatzes der „kommunikativen Gattungen“. Kommunikative Handlungen werden von soziologischen Gattungsforschern als besondere soziale Handlungen verstanden (Günthner & Knoblauch 2007: 54). Sie werden dabei von anderen sozialen Handlungen aufgrund ihrer Wechselseitigkeit und Zeichenhaftigkeit unterschieden. In ihrem Ablauf sind sie dabei in hohem Maße durch eine Gleichförmigkeit gekennzeichnet, die sich durch Prozesse der Routinisierung und Institutionalisierung (Berger & Luckmann 1980 [1969]) herausbildet. Vor allem in Fällen, in denen kommunikative Handlungen wiederholt ausgeführt werden und für die Handelnden von großer individueller oder gesellschaftlicher Relevanz sind, kommt es zur Ausbildung typischer kommunikativer Muster, an denen sich die Handelnden im Vollzug orientieren können. Solche kommunikativen Vorgänge, die sich in einer Gesellschaft verfestigt haben, werden hier im Anschluss an Luckmann (1986) als kommunikative Gattungen bezeichnet. Sowohl kommunikative Muster als auch kommunikative Gattungen können dabei als „Institutionen der Kommunikation“ (Knoblauch & Luckmann 2000: 539) verstanden werden. Im Sinne einer Institution stellen sie kommunikative Lösungen für wiederkehrende kommunikative Handlungsprobleme dar und sind dabei durch sozialstrukturelle und funktionale Faktoren beeinflusst, die diese Situationen typischerweise prägen. Sie sind somit als „historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte und formalisierte Lösungen kommunikativer Probleme“ (Knoblauch & Schnettler 2010: 4) zu verstehen. Sie entlasten die Handelnden von untergeordneten Problemen der Kommunikation, indem sie vorgeprägte Muster für die synchrone Abstimmung der Handelnden und für die Koordination ihrer einzelnen Handlungsschritte bereitstellen. Sie bilden damit einen Orientierungsrahmen für die Produktion und das Verständnis von kommunikativen Handlungen (Knoblauch & Luckmann 2000; Bergmann 1987). Kommunikative Gattungen werden dabei von spontanen kommunikativen Vorgängen dadurch unterschieden, dass sich Handelnde in voraussagbarer und typischer Weise an diesen Mustern orientieren. Die Prägung der kommunikativen Handlungen kann dabei verschiedentlich stark sein und reicht von einzelnen Aspekten (wie Zwischenrufe in politischen Reden (Hitzler 1990)) bis zur Analyse der Gesamtorganisation kommunikativer Ereignisse (beispielsweise Klatsch (Bergmann 1987)). Gattungsanalytische Studien zielen jedoch nicht nur auf kommunikative Formen, die in jeglicher Hinsicht verfestigt sind und situativ, prozedural und funktional deutlich bestimmbare Strukturen besitzen (Knoblauch & Luckmann 2000), sondern widmen sich auch weniger verfestigten Formen wie Rundfunkberatungssendungen (Willmann 1998).

Das Konzept der kommunikativen Gattung bietet nach Bergmann den Vorteil, dass so „einzelne kommunikative Vorgänge großflächiger Art als aktuale, interpretierende Realisierungen allgemeiner kommunikativer Handlungstypen aufgefasst werden können“ (Bergmann 1987: 37). Es schließt dabei an eine zentrale erkenntnislogische Prämisse an, nach welcher individueller Sinn nur dadurch verstehbar wird, dass er mit einem bestimmten Sinntypus in Beziehung gesetzt wird. Der Sinn spezifischer kommunikativer Vorgänger ist, dieser Perspektive folgend, nur durch die Relationierung auf überindividuelle Typen der Kommunikation erschließbar, die als kommunikative Formvorgaben oder Leitlinien von Produzenten und Rezipienten gleichermaßen genutzt werden (Bergmann 1987: 37).

Das Interesse der Gattungsanalyse richtet sich dabei auch auf die Stabilisierung kommunikativer Abläufe, die sich als typische Muster für die Lösung wiederkehrender Handlungsprobleme herausbilden und in diesem Sinne eine soziale Funktion besitzen. In dieser Verbindung sehen die Forschenden einen potenziellen Anknüpfungspunkt der Gattungsforschung an die Gesellschaftstheorie. Kommunikative Gattungen sind dabei den Handelnden als Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrats verfügbar und zugleich in konkreten Kommunikationssituation typisch erkennbarFootnote 35 und bilden zusammengenommen den „kommunikativen Haushalt“Footnote 36 (Luckmann 1989) einer Gesellschaft.

Die soziologische Gattungsforschung zielt somit auf die Rekonstruktion einer Gruppe von Ordnungsschemata, die für die an der Kommunikation beteiligten Personen selbst eine handlungsrelevante Bedeutung besitzen (Bergmann 1987: 37). Die interaktive Hervorbringung und die situative Einbettung der kommunikativen Muster stellte dabei von Beginn an einen zentralen Teil der Analyse kommunikativer Gattungen dar (Ayaß 2011: 276). Nachdrücklich muss darauf verwiesen werden, dass die Gattungsanalyse komparativ angelegt ist: sie richtet sich nicht auf die individuellen Realisierungen, sondern auf die Typen abstrakter, jedoch zugleich gesellschaftlich institutionalisierter Entitäten. Diese fungieren in der alltäglichen Kommunikation als Produktions- und Orientierungsmuster. Ein rein deskriptiver Zugriff ist dabei jedoch nicht das Ziel der Analyse und der Rekonstruktion von kommunikativen Gattungen. Es wird zugleich auch angestrebt, zu ermitteln, welchen Funktion die Verwendung kommunikativer Gattung für die Gruppenmitglieder erfüllt und welches kommunikative Problem somit mittels einer Gattung auf typische und erwartbare Weise gelöst wird (Ayaß 2011: 277).

Bergmann (1987: 38f) verweist auf eine gewisse Nähe des Begriffs der Gattung zu dem des Idealtypus von Max Weber. Zweck der Bildung von Idealtypen sei es gerade, die Eigenheiten von Kulturerscheinungen zu erkennen und nicht ihre Typenhaftigkeit, so wie dies bei der Gattung der Fall ist. Beiden Begriffen gemein ist jedoch, dass es sich auch bei der Gattung nicht um eine Beschreibung einer individuellen Ausprägung eines empirischen Phänomens handele, sondern um die abstrahierende und typenmäßige Erfassung sozial sanktionierter Kommunikationsformen (ebd.). Im Vergleich zum Konzept des Idealtypus bleibt der Gattungsbegriff jedoch stärker empirieverhaftet. Der Idealtypus ist ein auf Abstraktion beruhendes Erkenntnismittel, der vom Wissenschaftler dazu genutzt wird, einen verallgemeinernden Begriff eines Forschungsgegenstands zu bilden, um vor diesem Hintergrund Einzelheiten der Einzelfälle zu beschreiben und zu erkennen. Auch der Begriff des Goffmanschen Rahmens (Abschnitt 3.1.2) und seiner Anwendung in der Wirklichkeitskonstruktion besitzt eine deutliche Nähe zum Gattungskonzept. Aufbauend auf den Erkenntnissen der Analyse (Kapitel 5) wird am Ende der Analyse (Abschnitt 5.6.2) ein Versuch unternommen, dass Verhältnis dieser beiden Konzepte zu bestimmen.

3.3.2 Gattungsanalyse als wissenssoziologische Forschungsmethode

Die Gattungsanalyse weist allgemein eine Nähe zu qualitativen und dabei vor allem hermeneutischen Methoden der Sequenzanalyse (Soeffner 1989) auf, die sich der Natürlichkeit der Daten als einer zentralen Prämisse verschreiben. Im Unterschied zu diesen interpretativen Verfahren ist die Gattungsanalyse jedoch zugleich stärker komparativ angelegt (Knoblauch & Luckmann 2000). Der zentrale Unterschied besteht in der systematischen Aufnahme und Integration des ethnographischen Wissens der Forschenden, welches die Analyse und Interpretation der Daten anreichert. Die Methodik der Gattungsanalyse zeigt eine deutliche Orientierung am methodischen Vorgehen der (ethnomethodologischen) Konversationsanalyse, welche im vorangegangenen Kapitel kurz beschrieben wurde. Die Methode der Gattungsanalyse ist ihrem Selbstverständnis nach eine „induktive Methode zur empirischen Analyse von Kultur und Gesellschaft“ (ebd.: 546). Sie zielt darauf ab, durch Vergleiche natürlicher Kommunikationsdaten typische Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszustellen.

Die Gattungsanalyse untersucht die Struktur kommunikativer Abläufe dabei empirisch auf verschiedenen Ebenen. Luckmann (1986) unterschied bei der Einführung seines Begriffs der kommunikativen Gattung zwischen der Binnenstruktur, auf der er die textuellen Elemente verortete, und der Außenstruktur, die sich auf institutionelle und sozialstrukturelle Aspekte bezog. Eine dritte Analyseebene der situativen Realisierung fügten Susanne Günthner und Hubert Knoblauch (1994) diesem Analyseschema hinzu. Durch diese Ausdifferenzierung wird der Blick gezielt darauf gelenkt, dass es sich bei den Untersuchungsgegenständen der Gattungsanalyse um Interaktionsphänomene handelt und der interaktiven Realisierung von kommunikativen Gattungen eine zentrale Bedeutung zukommt (Ayaß 2011: 281). Die differenzierte Betrachtung der Gattungsanalysen hinsichtlich dieser unterschiedlichen Ebenen macht die zentrale Differenz zu der ihr nahestehenden Methode der ethnomethodologischen Konversationsanalyse aus. Durch den systematischen Vergleich auf drei analytischen Ebenen zielt sie nicht nur auf die allgemeine Diagnose der Existenz von Gattungen als kommunikativen Institutionen ab. Sie ist darüber hinaus in der Lage, spezifischere Aussagen hinsichtlich der sozial-strukturellen Rahmenbedingungen, unterschiedlichen Verfestigungsgrade, je spezifischen Untertypen und Relevanz der situativen Handlungskontexte zu treffen (Knoblauch & Schnettler 2010: 6).

3.3.3 Die drei Ebenen der soziologischen Gattungsanalyse

In Zuge einer Gattungsanalyse wird der Verfestigungsgrad kommunikativer Strukturen eines Phänomens schrittweise analysiert. Den Ausgangspunkt der Analyse bildet die Betrachtung struktureller Einzelmerkmale. Da die unterschiedlichen Merkmale verschiedene Reichweiten besitzen, werden sie zum Zweck der Analyse unterschiedlichen Strukturebenen zugeordnet.Footnote 37 Nachfolgend werden die analytischen Ausrichtungen Orientierung der drei Ebenen vorgestellt sowie die typischen Merkmale des Kommunikationsphänomens, die diesen Ebenen in der klassischen Gattungsanalysen zugeordnet werden. Diese Ausführungen verfolgen das Ziel, die Grundlagen der klassischen Gattungsanalysen darzulegen, um nachfolgend die Verschiebung und Anknüpfungspunkte explizieren zu können, welche die Variante der Gattungsanalyse aufweist, die in dieser Arbeit genutzt wurde.

Merkmale der Analyseebene der Außenstruktur

Nach Luckmann (1986) legt die Außenstruktur kommunikativer Gattungen fest, mit welchen sozialen Rollen, „kommunikativen Milieus“ (ebd.: 204) und kommunikativen Situationen die spezifische Gattung verbunden ist. Das „soziales Milieu“ bezeichnet nach Luckmann (1992) dabei räumlich abgrenzbare soziale Einheiten, die sich durch verhältnismäßig feste Sozialbeziehungen, typisch wiederkehrende Orte der Kommunikation, gemeinsame Zeitbudgets und eine gemeinsame Geschichte auszeichnen. Beispiele wären Familien, Vereine aller Art, Religionsgemeinschaften und öffentliche Einrichtungen (Luckmann 1992: 35 f.). Die Außenstruktur umfasst somit verschiedenartige Definitionen der wechselseitigen Beziehungen der Beteiligten und gibt Auskunft darüber, in welchen Gesprächssituationen und von welchen Akteurstypen (bspw. nach Alter, Status, Geschlecht) die Anwendung der kommunikativen Gattung zu erwarten ist (Günthner & Knoblauch 1994: 711). Kommunikative Gattungen zeigen ihren prägenden Einfluss dabei nicht nur auf der Ebene sozialer Interaktion, sondern stehen zugleich auch in einem deutlichen Zusammenhang mit übergeordneten sozialstrukturellen Aspekten. In verschiedenen institutionellen Zusammenhängen zeigt sich daher nicht nur eine deutliche Affinität für spezifische kommunikative Muster und Gattungen. Es ist vielmehr so, dass sich diese durch die Verwendung einer spezifischen Gattung selbst maßgeblich definieren lassen (Luckmann & Knoblauch: 544).Footnote 38 Die Verbindung der Gattung zur Außenstruktur gibt so häufig auch in entscheidendem Maße Auskunft darüber, welche spezifische Funktion die Gattung – im Sinne einer institutionalisierten Problemlösung – erfüllt. Ethnographisches Wissen der Forschenden über die Situationen, in denen die untersuchten kommunikativen Gattungen auftreten, ist daher unerlässlich für die Analyseebene.

Merkmale der Analyseebene der Binnenstruktur

Zur Binnenstruktur werden textliche Merkmale des kommunikativen Phänomens im engeren Sinne gezählt. Diese Analyseebene thematisiert solche Aspekte, die in Äußerungsabfolgen oder einzelnen Äußerungen auftreten, jedoch nicht von der interaktiven Abfolge der Redezüge geleitet sind (Günthner & Knoblauch 1994).

Bei der Analyse kommunikativer Gattungen gehören zu diesen Elementen typischerweise die prosodischen Mittel wie beispielsweise Intonation, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Pausen, Rhythmus, Akzentuierung, Stimmqualität. Weitere Merkmale der kommunikativen Gattungen können in der Verwendung eines charakteristischen Kodes begründet sein. Dazu zählen Aspekte der Sprachvarietät (Hochsprache, Jargon, Dialekt, Soziolekt), die Nutzung eines Sprachregisters (z. B. ein formales, informelles, intimes Register) und lexiko-semantische Merkmale, wie die Verwendung spezifischer Fachausdrücke, euphemistischer oder pejorativer Wörter. Auch expressive Ausdrücke sowie gestische und mimische Elemente können charakteristische Merkmale dieser Ebene bilden. Binnenstrukturelle Muster können auch stilistische und rhetorische Figuren (z. B. Alliteration, Metaphern, Rhythmus) beinhalten. Zudem können auch Klein- und Kleinstformen wie Sprichwörter, kategorische Formulierungen und verbale Stereotypen binnenstrukturelle Merkmale darstellen. Auch Gliederungsmerkmale eines kommunikativen Phänomens sowie Topoi und Motive im Sinne inhaltlicher Verfestigungen sind charakteristische binnenstrukturelle Merkmale.

Günthner und Knoblauch (1994: 707) verorten den Aspekte des Goffmanschen Rahmungskonzepts auf der Ebene der Binnenstruktur. Sie verweisen dabei insbesondere auf die prosodischen, lexiko-semantischen, morpho-syntaktischen, rhetorischen und mimisch-gestischen Elemente, die als ,,Bausteine“ kommunikativer Gattungen und Muster fungieren. Die Einbettung dieser Merkmale in die dazugehörige übergeordnete Gattung ist selbst ein komplexes binnenstrukturelles Merkmal.

Die Analyseebene der Binnenstruktur einer kommunikativen Gattung erfasst solche Merkmale, die als unabhängig von der einzelnen Handlungssituation verstanden werden können. Teile dieser Binnenstruktur bilden das Skript oder das Schema der kommunikativen Abläufe. Aus diesem Grund zeigt sich eine gewisse Nähe dieser Aspekte zum Goffmanschen Rahmenbegriff im Sinne eines handlungsleitenden Orientierungsschemas. Es handelt sich dabei um Merkmale, die von dem spezifischen interaktiven Ablauf des kommunikativen Phänomens unabhängig sind. Explizit soll jedoch darauf verwiesen werden, dass binnenstrukturelle Merkmale nicht aus Lehrbüchern oder ähnlichem hervorgehen. Sie zeigen sich vielmehr im empirischen Datenmaterial und werden strikt datengeleitet aus der komparativen Analyse gewonnen.

Merkmale der Analyseebene der situativen Realisierung

Auf der Ebene der situativen Realisierung stehen solche Merkmale im Vordergrund, die sich auf die Koordination der kommunikativen Handlungen und ihren situativen Kontext fokussieren. Es sind somit Verfestigungen, die sich im interaktiven Kontext des dialogischen Austausches zwischen den Handelnden zeigen (Günthner & Knoblauch 1994: 708 f.).Footnote 39 Die Notwendigkeit der analytischen Berücksichtigung dieser Strukturebene wird insbesondere dann offensichtlich, wenn man die spezifischen sequenziellen Muster betrachtet, welche die kommunikativen Handlungen auszeichnen (ebd.).

Zu Merkmalen der Ebene der situativen Realisierung zählen beispielsweise rituelle Aspekte, wie Rituale der Kontaktaufnahme- und -beendigung, Begrüßung und Verabschiedung. Auch die konversationellen Merkmale, die besonders von der Konversationsanalyse aufgezeigt werden, bilden Merkmale dieser Analyseebene. Wichtige konversationelle Aspekte bilden die Muster von Redezugabfolgen und Paarsequenzen (adjacency pairs) wie Fragen und Antworten oder Aufforderungen und Aufforderungserfüllungen. Weitere Merkmale stellen Strategien der längerfristigen GesprächsorganisationFootnote 40 dar, beispielsweise durch Einschübe, Prä- und Postsequenzen. Charakteristische konversationelle Besonderheiten können auch durch Präferenzstrukturen bezüglich der Abfolge von Redezügen gebildet werden, die die spezifische kommunikative Rolle und die Rederechte der Beteiligten konstituieren (ebd.: 709).Footnote 41

Weitere Merkmale der Ebene der situativen Realisierung beziehen sich zudem auf den nichtsprachlichen sozialen Kontext. Diese nehmen Bezug auf die sozialräumliche und zeitliche Anordnung der InteraktionsteilnehmerInnen und der Handlungsmuster, die das Sprechen ergänzen. Mit direktem Verweis auf Goffmans Studien zu sprachlichen Interaktionssituationen führen Günthner und Knoblauch (1994) folgende zusätzliche Dimensionen der Ebene situativer Realisierung an: Beteiligungsformate, den längeren Ko-Text von ÄußerungsformatenFootnote 42 und die soziale Welt in gemeinsamer Reichweite (ebd. 1994: 709).

Beteiligungsformate zeichnen sich dabei durch den Status der Teilnehmenden (participant status) und das Äußerungsformat (production format) aus. Das Äußerungsformat gibt Auskunft darüber, in welchem Verhältnis die Sprechenden zu dem kommunizierten Sachverhalt stehen. Der Status der Teilnehmenden wiederum nimmt Bezug auf die Beziehung der Kommunizierenden zueinander und zu ihren jeweiligen Äußerungen. Die Dauer von Beteiligungsformaten kann sich dabei auf einzelne Züge beschränken und hier situativ bestimmte Rollen erzeugen. Fragt man beispielsweise jemanden nach dem Weg, so markiert man sich selbst als ortsfremden Hilfesuchenden und den anderen als ortskundigen Hilfegebenden. Es können sich jedoch auch dauerhaftere Formate ausbilden: So sind StadtführerInnen bei ihren Touren beispielsweise stets Ortskundige. Soziale Beziehungen, die durch wiederholte kommunikative Vollzüge gebildet werden, können dabei eine erwartbare Typik von Beteiligungsformaten ausbilden.

In späteren Publikationen wird diese Ebene auch als Interaktionsebene bezeichnet (Schnettler & Knoblauch 2007). Merkmale der Ebene der situativen Realisierung sind somit solche, die sich der interaktiven Bewältigung der Kontingenzen der spezifischen empirischen Situationen widmen. Auch hier zeigen sich charakteristische Verfestigungen, mit denen die Handelnden dies erreichen. In diesem Sinne können die Merkmale der Interaktionsebene auch als spezifischer Teil der Ethnomethoden der Handelnden verstanden werden, welche sich der situativen Handlungskoordination widmen. Es geht hier um die situationsadäquate Durchführung von interaktiven Handlungsvollzügen, die eben nicht beliebig ist, sondern durch spezifische Muster oder Methoden charakterisiert werden kann (ebd.).

Für ein Verständnis der analytischen Zielsetzung der Gattungsanalyse ist es jedoch entscheidend darauf hinzuweisen, dass die Ebene der situativen Realisierung nicht die empirische Interaktionssituation selbst meint. Die Ebenendifferenzierung zwischen Außen-, Binnenstruktur und situativer Realisierung darf nicht fälschlicherweise als Differenzierung zwischen einer Mikro-, Meso- und Makroebene der Analyse verstanden werden. Angestrebt wird vielmehr eine Verbindung zwischen der ethnomethodologischen bzw. konversationsanalytischen Orientierung an der Prozessperspektive und institutionellen Aspekten, die das kommunikative Handeln prägen. Sowohl auf der Ebene der Binnenstruktur als auch auf der Ebene der situativen Realisierung gilt es aus diesem Grund die kommunikativen Ethnomethoden der Handelnden herauszuarbeiten, welche für die Hervorbringung des Interaktionsphänomens typisch und maßgeblich sind.

3.3.4 Die Relevanz des Medium der Kommunikation für die Analyse

Während in frühen gattungsanalytischen Studien eher informelle Kommunikationssituationen im Fokus der Analyse standen (z. B. Bergmanns Klatschstudie (1987)), wandten sich die Forschenden in der weiteren Nutzung dieser Perspektive auch vermehrt anderen Themenbereichen zu, beispielsweise der Analyse sprachlicher Interaktionen im Rahmen institutioneller Kontexte (z. B. Christmann 1999), moralischen Kommunikationsformen (Bergmann & Luckmann 1999) und den Formen medialer Kommunikation (Knoblauch & Raab 2002; Schnettler & Knoblauch 2007; Ayaß 2001, 2002).

Gerade die Studien zur Analyse medialer Kommunikation belegen, wie bedeutsam es ist, in der Analyse dem spezifischen Medium Rechnung zu tragen, welches mit der kommunikativen Gattung verbunden ist. So zeigt Ayaß (1997) beispielsweise anhand der Analyse vom „Wort zum Sonntag“, welche zentrale Rolle Dramaturgie, Setting und Figuren spielen und verweist zugleich auf den Einfluss technischer Aspekte wie Kameraeinstellung und Schnitt für die produzierten kommunikativen Inhalte. Gattungsanalytische Untersuchungen an Medien der Massenkommunikation verweisen darauf, dass die technisch vermittelte Kommunikation nicht nur spezifische binnenstrukturelle Merkmale und medienspezifische Interaktionsstrukturen bedingt (z. B. Fernsehtalkshows im Unterschied zu Internetchaträumen oder abgedruckte Leserbriefe im Unterschied zu Kommentaren bei Onlinezeitschriften), sondern auch bestimmte charakteristische Verbindungen zur Außenstruktur aufweist. Die Zugänglichkeit, Nutzungsweise und Verbreitung verschiedener Medien und der mit ihnen in Verbindung stehenden Gattungen kann dabei in einem engen Zusammenhang mit bestimmten sozialen Milieus und Kategorien stehen. Die Frage des Mediums der Kommunikation bzw. ihrer Mediatisierung besitzt für die eigene Arbeit eine entscheidende Relevanz, da das Setting des Labors durch eine spezifische technische und materielle Ausstattung charakterisiert ist, die die Kommunikationssituation in entscheidendem Maße prägt. Während Ayaß (1997, 2001, 2002) in ihren Studien jedoch auf Massenmedien und die mediale Inszenierung von Kommunikationsphänomenen Bezug nimmt, besteht die Relevanz des eingesetzten Mediums für die eigene Analyse in den verschiedenen Formen der medialen und technischen Vermittlung kommunikativer Handlungen, die das Laborgeschehen prägen.

Anhand der Studie von PowerPoint-Präsentationen (Schnettler & Knoblauch 2007) wurde aufgezeigt, wie fruchtbar die Öffnung der Gattungsanalyse für die körperlichen Akte des Zeigens ist. Es wird hier empirisch begründet dargestellt, dass das Zeigen in PowerPoint-Präsentationen eine zentrale Funktion im Rahmen der kommunikativen Gattung der PowerPoint-Präsentationen einnimmt (Knoblauch 2007). Bernt Schnettlers Thematisierung der Orchestrierung (Schnettler 2007) verweist dabei auf das Zusammenspiel der vielfältigen Aspekte der multimodalen Kommunikationssituation im Rahmen der PowerPoint-Präsentationen. Der Begriff der Performanz ist dabei zentral, um diese Verbindungen analytisch zu erhellen. Performanz wird hier als zeitliche, multimodale und körperliche Durchführung von kommunikativen Aktivitäten verstanden (Schnettler et al. 2007: 20). Es wird so betont, dass PowerPoint-Präsentationen in konkreten raumzeitlichen Situationen von menschlichen Sprechern durchgeführt werden, und zwar vor einem ebenso körperlich präsenten Publikum. Zwischen Publikum und Sprecher können sich dabei vielfältige Kommunikationsabläufe und Interaktionen vollziehen, die für das Geschehen prägend sind (Schnettler et al. 2007: 19). Die Performanz der Präsentationen stellt dabei jedoch nicht nur eine situative Konstruktion dar, sondern ist durch gattungsartige Züge charakterisiert. Durch den analytischen Blick auf Performanz wird der situative und prozesshafte Realisierungscharakter des kommunikativen Handelns dabei jedoch von einem Nebenschauplatz der Analyse zum einem zentralen Brennpunkt erhoben. Hinsichtlich der Akzentuierung körperlicher und materieller Aspekte der Kommunikationssituation wird in meiner Studie ein ähnliches Ziel verfolgt. Körperliche Präsenz, materielle Elemente und die strukturierte Verbindung technischer Medien und verbaler Aufforderungsmuster bilden zentrale kommunikative Strukturmerkmale des Phänomens. Diese sind in der sozialen Situation des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments von solch prägender Relevanz, dass sie selbst einen zentralen Teil der empirischen Hervorbringung des Phänomens bilden.

Mittels der Gattungsanalyse wird es möglich, den oben skizzierten Vorschlag von Leser und Hadden (1980) der horizontalen Integration von Forschungsergebnissen aufzugreifen. Der Grund dafür besteht in dem stärker komparativ angelegten Vorgehen der Gattungsanalyse. Anhand unterschiedlicher empirischer Beispiele auf der Ebene der Binnenstruktur (Abschnitt 5.3) und der situativen Realisierung (Abschnitt 5.4) wird dies in der nachfolgenden Analyse auch auf der textlichen Ebene der Arbeit veranschaulicht. Hier wird aufgezeigt, wie das Phänomen des Laborexperiments interaktiv produziert wird. Es wird aus diesem Grund aus der ethnomethodologischen Perspektive des „Doing“ betrachtet. Es wurde dabei jedoch im Sinne der substanziellen Vergleiche sehr wohl darauf geachtet, dass sich Muster kommunikativer Handlungen und Ethnomethoden, die als relevant thematisiert werden, in verschiedenen Beispielen des empirischen Materials zeigten.

Ein weiterer zentraler Vorteil für die eigene Arbeit besteht in der (angewandten) Analyseperspektive der Gattungsanalyse, die zwischen den unterschiedlichen Strukturebenen der empirisch beobachtbaren kommunikativen Prozesse analytisch differenziert. Das unterschiedliche Datenmaterial, welches – motiviert durch den Anspruch des „unique adequacy requirements“ (Garfinkel & Wieder 1992) (siehe Abschnitt 3.2.2) – im Rahmen des Forschungsprozesses gesammelt wurde, kann auf diese Weise einerseits systematischer und andererseits vielschichtiger in die Analyse miteinfließen und trianguliert werden, als dies bei der Beschränkung auf eine rahmenanalytische oder ethnomethodologische Position möglich gewesen wäre. Dies gilt insbesondere für die vielfältigen Daten, die im Zuge der soziologischen Ethnographie (siehe Abschnitt 4.1.2) gewonnen wurden und die als Mitgliederwissen (siehe Abschnitt 3.2.1) für die interpretative Deutung des Interaktionsgeschehens im Labor als essentiell erachtet werden. Wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, wird die Gattungsanalyse in der vorliegenden Arbeit als Verfahren der Methoden- und Datentriangulation genutzt, ohne dabei seine konzeptionell-theoretische Grundlegung zu vergessen.

3.4 Der Kommunikative Konstruktivismus

Aufgrund der spezifischen Kommunikationssituation im wirtschaftswissenschaftlichen Labor ist eine verengende Fokussierung auf verbalsprachliche und zeichenhafte Redezüge, wie sie die ‚klassischen‘ Anwendungen der GattungsanalyseFootnote 43 aufweisen, nicht gegenstandsangemessen, um in der empirischen Analyse (Kapitel 5) die Prozesse der Rahmenbildung und -verankerung zu betrachten. Unter Bezugnahme auf den tiefer angelegten Kommunikationsbegriff des kommunikativen Konstruktivismus wird dabei eine verstärkte Einbeziehung materieller Aspekte auch in das Analysekonzept der Gattungsanalyse möglich. Das nachfolgende Kapitel stellt die Grundzüge des kommunikativen Konstruktivismus dar und zeigt auf, wie die konzeptionelle Verschiebung des Begriffs des kommunikativen Handelns einen entscheidenden Zugewinn für die Analyse des empirischen Phänomens des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments erbringt.

Wie im letzten Kapitel ausgeführt, legten die empirischen Untersuchungen sprachlicher Handlungsvollzüge den Grundstein für die Bildung der Luckmannschen Gattungstheorie und der Gattungsanalyse. Es vollzog sich bei Luckmann eine Hinwendung auf das Thema der sprachlichen Kommunikation als Analysegegenstand: Der Sprache wurde bei der Verwirklichung und der gemeinsamen Konstruktion der Wirklichkeit der Handelnden ein zentraler Stellenwert beigemessen. Auf gesellschaftstheoretische Ebene stießen diese empirischen Studien wiederum die Entwicklung und Formulierung des „kommunikativen Konstruktivismus“ (Luckmann 2006) als Ausdruck der „kommunikativen Konstruktion der Wirklichkeit“ (ebd.) an. Zentrale Grundlage für die Entwicklung des kommunikativen Konstruktivismus bildet „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“Footnote 44 von Berger und Luckmann (1980 [1969]). In der Luckmannschen Variante gründete auch der daran anschließende „Kommunikative Konstruktivismus“ (Luckmann 2006) auf seinem primär sprachlich orientierten Kommunikationsbegriff.Footnote 45 Die ablaufenden Kommunikationsprozesse, die das Geschehen im Labor charakterisieren und sich in den empirischen Beobachtungen wiederkehrend zeigen, lassen sich jedoch nicht auf sprachliche Aspekte reduzieren. Es zeigen sich zwar auch wichtige verbalsprachliche Strukturelemente, doch diese werden durch räumliche und materielle Aspekte ergänzt, die die Kommunikationssituation ebenso stark prägen und einen zentralen Wert für die Performanz und den kommunikativen Vollzug dieses Phänomens besitzen.

Aufbauend auf empirischen Umsetzung des Sozialkonstruktivismus von Peter Berger und Thomas Luckmann (1980 [1969]) begründete Knoblauch in den letzten Jahren eine ‚neue‘ Tradition des kommunikativen Konstruktivismus. Die ‚neue‘ „kommunikative Konstruktion der Wirklichkeit“ (Knoblauch 2013, 2017) scheint zwar auf den ersten Blick die Luckmannschen Begriffe beizubehalten. Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, überwindet Knoblauch damit jedoch die begrenzende Fokussierung auf den Analysegegenstand der Sprache und sprachlicher Objektivierungen. Der erweiterte Kommunikationsbegriff des Knoblauchschen kommunikativen KonstruktivismusFootnote 46 erscheint fruchtbar, um der empirischen Situation der Analyse der wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperimente gerecht zu werden. Wie das folgende Kapitel aufzeigen wird, ermöglicht die Perspektive des kommunikativen Konstruktivismus, vielfältige Formen kommunikativer Handlungen in die Analyse aufzunehmen. In der Analyse des Prozesses der Rahmenbildung im Labor kann so der Körperlichkeit und Materialität der Situation und der Mediatisierung kommunikativer Inhalte in ihren unterschiedlichen Facetten und empirisch relevanten Ausprägungen weit stärker Rechnung getragen werden. In einem ersten Schritt werden nachfolgend die Grundlagen des kommunikativen Konstruktivismus beschrieben. Darauf aufbauend werden einige zentrale Konzepte und Zusammenhänge vertiefend dargestelltFootnote 47, die sich für die Analyse des Laborgeschehens als besonders fruchtbar erweisen.

3.4.1 Grundlagen des Knoblauchschen kommunikativen Konstruktivismus

Die begriffliche Veränderung von der ‚gesellschaftlichen‘ zur ‚kommunikativen‘ Konstruktion der Wirklichkeit ist für Knoblauch die Konsequenz aus einer folgenreichen theoretischen Verschiebung (Knoblauch 2013: 25). Der kommunikative Konstruktivismus greift dabei zentrale Kritikpunkte auf, die gegen den Sozialkonstruktivismus von Berger und Luckmann vorgebracht wurden und nimmt diese als Ausgangspunkt für die eigenen Modifikationen (ebd.).

Ein zentrales Moment stellt dabei die Verlagerung vom Subjektivismus zum Relationismus als Erklärungsschema für die Wirklichkeitskonstruktion dar. Es erfolgt eine Dezentrierung des Subjekts, welches nicht darauf abzielt, dieses zu ersetzen oder aufzulösen. „Ausgangspunkt der kommunikativen Konstruktion sind Subjekte, die in Relation zu anderen Subjekten stehen wie auch zu ihren Objektivationen“ (Knoblauch 2017: 70). Knoblauch geht es darum, eine Umkehrung der Perspektive zu akzentuieren. Es wird nicht vom Subjekt auf das Soziale geschlossen, sondern: „Weil wir schon immer als sozialisierte und kultivierte Individuen denken, was wir hier überlegen, müssen wir von der Sozialität ausgehen und können erst dann auf das Subjekt schließen“ (ebd.). Die veränderte Rolle des Subjektiven hat dabei auch folgenreiche Konsequenzen für die Modifikation des Objektiven und damit der Materialität. Ein bekannter Vorwurf Latours (2007, 2010) gegenüber dem Sozialkonstruktivismus von Berger und Luckmann besteht darin, dass dieser den Anteil der materiellen Welt der Dinge an der Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit vernachlässigt habe und zu stark auf Sprache fokussiert sei.Footnote 48 Auch wenn Knoblauch in seiner Abhandlung darauf verweist, dass er die Latoursche Kritik (Knoblauch 2017: 66 f., 71) nicht teilt, so räumt er doch ein, dass die empirischen Studien von Berger und insbesondere von Luckmann primär sprachliche Phänomene als Analysegegenstand fokussieren. Er verweist jedoch darauf, dass durch die Konzepte der Objektivierung und der Objektivation bei Berger und Luckmann die „Verbindung zur Materialität“ (ebd.: 71) und ihrer wirklichkeitskonstruierenden Rolle berücksichtigt werde. Ein konzeptionelles Herzstück des kommunikativen Konstruktivismus besteht nun eben darin, diese Konzepte der Objektivierung und Objektivation auszuarbeiten, um die systematische Einbeziehung „körperliche[r] Prozesse, Dinge und materielle[r] Abläufe“ (ebd.: 71) in die Wirklichkeitskonstruktion zu thematisieren. Für die konzeptionelle Perspektive meiner Arbeit ist eben diese Ausarbeitung des Konzepts der Objektivierung und Objektivation, die Knoblauch vornimmt, ein entscheidender Gewinn für die Analyse der Prozesse der Rahmenbildung und –verankerung im wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiment. Die nachfolgende Darstellung der Perspektive und der grundlegenden Konzepte des kommunikativen Konstruktivismus ist aus diesem Grund auf eben solche Aspekte fokussiert, die zu einer Integration körperlicher und materieller Elemente der Wirklichkeitskonstruktion beitragen.

Kommunikatives Handeln

Zur Hinführung auf diese Aspekte wird in einem ersten Schritt das Konzept des kommunikativen Handelns eingeführt, welches den Ausgangspunkt für den kommunikativen Konstruktivismus bildet. Die grundlegende Annahme besteht darin, „dass alles, was am sozialen Handeln relevant ist, notwendig auch kommuniziert werden muss (ohne dass alles, was kommuniziert wird, sozial relevant sein muss)“ (Knoblauch 2013: 27). Im Anschluss an diese Erkenntnis bildet der Begriff des kommunikativen Handels das Zentrum der theoretischen Diskussion des kommunikativen Konstruktivismus. Zum einen schließt der Begriff des kommunikativen Handelns so ausdrücklich an Webers Konzept des soziales Handeln (Weber 1980) an, auf der anderen Seite wird er jedoch auch in Abgrenzung zu Habermas Konzept des kommunikativen Handels bestimmt (Habermas 1981).Footnote 49

In der Weberschen Tradition wird dabei das soziale Handeln als der Kern des Sozialen selbst betrachtet (Weber 1980). Die Orientierung der Handelnden an anderen Handelnden begründet damit die Sozialität (ebd.). Knoblauch verweist darauf, dass soziales Handeln in seiner wirklichkeitsstiftenden Kraft für andere dann empirisch beobachtbar und erfahrbar wird, wenn es kommuniziert wird (Knoblauch 2013: 27). Die Form der Kommunikation, in der soziales Handeln erfahren wird, kann dabei jedoch nicht auf Sprache reduziert werden. Eben darin besteht eine erste Kritik Knoblauchs an Habermas Begriff des kommunikativen Handelns. Knoblauch verweist darauf, dass Habermas (1981) bei seiner Definition kommunikativen Handelns deutlich zu reduktionistisch und zu stark auf Sprache und Stimme ausgerichtet sei. Zudem sei die Trennung von instrumentellem und kommunikativem Handeln „ein Fehler“ (Knoblauch 2013: 28). Kommunikatives Handeln benötigt stets einen Zeichenträger und kann aus diesem Grund auch nicht von seinem materiellen Vollzug getrennt werden (ebd.). Es beinhaltet zugleich auch immer ein Wirken, welches in der Minimalversion darin besteht, einen Zeichenträger zu produzieren, der es vermittelt (ebd.). Die Materialität des Zeichens ist für die Bedeutung des Zeichens somit von maßgeblicher Bedeutung. Das Habermassche instrumentelle Handeln ist somit als „integraler Teil“ (ebd.) des kommunikativen Handelns zu verstehen und nicht als Nebensächlichkeit. Um Habermas Trennung von kommunikativem und instrumentellem Handeln zu überwinden und diese Aspekte in ihrem spezifischen Zusammenhang zu erfassen, schlägt Knoblauch im Anschluss an Schütz und Luckmann (1984) den Begriff „wechselseitiges Wirkhandeln“ vor (Knoblauch 2013: 29). Dieses Wirkhandeln bezeichnet dabei die „Veränderungen, die in einer als gemeinsam erfahrenen Umwelt absichtlich vorgenommen werden“ (ebd.). Die Knoblauchsche Begriffsverwendung des kommunikativen Handelns meint somit stets ein wechselseitiges Wirkhandeln, welches die materiellen Elemente seiner Erzeugung und Vermittlung als integrales Moment einbezieht.

Objektivierungen

Wie einleitend beschrieben, fußt die Knoblauchsche Thematisierung der Begriffe Objektivation und Objektivierung auf der GKW von Berger und Luckmann. Die explizite begriffliche Differenzierung zwischen Objektivation und Objektivierung bleibt in der Abhandlung von Berger und Luckmann unspezifisch, da die Autoren nahezu ausschließlich den Begriff der Objektivation verwenden. Objektivationen bilden für die Autoren VergegenständlichungenFootnote 50 (ebd.: 22) subjektiv sinnvoller Vorgänge menschlichen Handelns, welche zur Herausbildung der intersubjektiven Wirklichkeit beitragen (ebd.). Berger und Luckmann explizieren dabei zumindest in Ansätzen, wie sich die Erzeugung von Objektivationen vollzieht: „Das menschliche Ausdrucksvermögen besitzt die Kraft der Objektivation, das heißt, es manifestiert sich in Erzeugnissen menschlicher Tätigkeit, welche sowohl dem Erzeuger als auch anderen Menschen als Elemente ihrer gemeinsamen Welt ‚begreiflich‘ sind. Objektivationen durch Ausdruck sind mehr oder weniger dauerhafte Indikatoren subjektiver Empfindungen. Sie ermöglichen deren ‚Begreifbarkeit‘ über die Vis-á-Vis-Situation, in welcher sie unmittelbar erfaßt werden können hinaus“ (ebd.: S. 37).

Objektivationen werden somit durch das „menschliche Ausdrucksvermögen“ (ebd.) gebildet und vergegenständlichen sich in den „Erzeugnissen menschlicher Tätigkeiten“ (ebd.). Sie können zudem von den Situationen ihrer Erzeugung abgelöst werden. Der Begriff der „Begreifbarkeit“ (ebd.) verweist dabei auf die intersubjektive Qualität von Objektivationen, da sie sowohl für die Person, welche die Objektivationen durch ihr Tun erzeugten, als auch von anderen Menschen erfasst und verstanden werden können. Naheliegend ist die Annahme, dass Objektivierungen den Prozess der Erzeugung von Objektivationen (ebd. 95) bezeichnen. Objektivierungen wären in diesem Sinne Teile der Externalisierung, in welcher die soziale Wirklichkeit erzeugt wird. Das Verhältnis von Externalisierung, Objektivierung und Objektivation wird in der GKW jedoch nicht klar thematisiert und bleibt aus diesem Grund unbestimmt. Wenn Berger und Luckmann in ihrer Bestimmung des Begriffs der Objektivation darauf verweisen, dass sie Objektivationen als „Vergenständlichungen“ (ebd.: 22) betrachten, so bilden „Verdinglichungen“ (ebd.: 95) für sie den äußersten Schritt „im Prozess der Objektivation“ (ebd.: 95). Versteht man Objektivation als einen Prozess, erscheint es passend, die Begriffe der Objektivierung, Vergenständlichung und Verdinglichung als ein Kontinuum der Verfestigung von Sinn zu thematisieren. Diese Verfestigung des Sinns wiederum geht mit einer zunehmenden Entfernung von der empirischen Situation des körperlichen Vollzugs ihrer Erzeugung einher. Auf der Ebene der Verdinglichung mündet sie bei Berger und Luckmann schließlich in einer „nicht humanisierbare[n], starre[n] Faktizität“ (ebd.: 95). Da Berger und Luckmann in der GKW vorrangig darauf abzielen, die Verfestigung(en) sozialer Wissensbestände und ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion zu betrachten, interessieren sie sich auch vorrangig für die verfestigten und somit von der spezifischen Situation ablösbaren Formen dieses Prozesses der Objektivation. Im Zuge dieser Fokussierung setzen sie Objektivationen vielfach mit den Vergegenständlichungen gleich.

Die begriffliche Differenzierung von Knoblauch ist etwas anders. Da Knoblauch zugleich auf eine grundlegende empirische Fundierung seines kommunikativen Konstruktivismus abzielt, ist sein Blick auch auf die Explizierung der tiefergelegenen Prozesse der Erzeugung von Objektivationen gerichtet. Eben diese Prozesse, die bei Berger und Luckmann als die Kraft des menschlichen Ausdrucksvermögens (ebd.: 37) bezeichnet werden, fokussiert der Begriff der Objektivierung in Knoblauchs kommunikativer Konstruktion. Im Anschluss an die obige Definition kommunikativen Handelns entspringen Objektivierungen dem Wirkhandeln (Knoblauch 2017: 71). Objektivierungen bezeichnen hier den Aspekt der Wirkhandelns, den die Handelnden in ihrer gemeinsamen Umwelt erfahren und mit deren Hilfe die Konstitution der Wirklichkeit erfolgt (ebd.). Objektivationen hingegen bezeichnen Verdinglichungen, welche von den Handlungen abgelöst werden können, die sie erzeugt haben. Wie die späteren Ausführungen zeigen werden, fällt der Begriff der Verdinglichung und der Vergegenständlichung bei Knoblauch im Begriff der Objektivation zusammen. Die Objektivierungen selbst müssen dabei keine ablösbaren Einheiten oder Objekte bilden. Sie bilden vielmehr „Momente“ (Knoblauch 2017: 161) des kommunikativen Handelns und verweisen als integrale Bestandteile desselbigen auf den Stellenwert des Körpers im Vollzug des Handelns und bei der Produktion von sozialem Sinn hin (ebd.). Denn das zentrale Argument besteht darin, dass Objektivierungen durch „körperliche Prozesse im Vollzug des kommunikativen Handelns“ (ebd.) gebildet werden. Knoblauch greift nun eben das Potenzial des Begriffs der Objektivierung auf und verweist darauf, dass die Objektivierungen das dritte Element bilden, welches aus der relationalen Beziehung zwischen zwei sich wechselseitig wahrnehmenden Subjekten eine Triade werden lässt. Kommunikatives Handeln ist somit nicht als egologisch zu verstehen, sondern zeichnet sich eben durch seine triadische Struktur aus: „Es bezieht sich auf Andere, auf das verkörperte Subjekt und schließlich auf die damit verknüpften Objektivierungen, die als Teil der gemeinsamen Umwelt wahrgenommen werden“ (Knoblauch 2013: 30).

Erweiterung des Kommunikationsbegriffs

Die zentrale Stellung des Körpers für das kommunikative Handeln und die Konstruktion der Wirklichkeit wurde bereits sehr deutlich, denn die Akte, in denen die Objektvierungen geschaffen werden, hängen vom Körper ab. Es ist der Körper, der Handeln und Welt miteinander verknüpft und den sozialen Sinn sichtbar macht (vgl. Knoblauch 2013: 30). Denn der menschliche Körper vollzieht die kommunikativen Handlungen selbst (wie beispielsweise ein Kopfnicken) oder erscheint sinnhaft mit ihnen verbunden, da ihre Durchführung an ihn gekoppelt ist (wie beispielsweise bei der Eingabe auf einer Tastatur). Der zentrale Stellenwert des Körpers für die Wirklichkeitskonstruktion führt auch dazu, dass die klassische Unterscheidung zwischen Verhalten (das der Körper bloß ausübt) und Handeln (das durch ein Bewusstsein gesteuert wird) aufgegeben wird (Knoblauch 2013: 32). Alles menschliche Verhalten, welches sich als bedeutsam für die soziale Situation erweist, wird nun vielmehr als kommunikatives Handeln gefasst (ebd.). Diesen Zusammenhang zwischen Körper, Objektivierungen und der reziproken Wahrnehmung der Subjekte, welcher sich im kommunikativen Handeln ausdrückt, verdeutlicht Knoblauch anschaulich am Beispiel des Fingerzeigs:

„Der Zeigefinger ist ja nicht etwas vom Leib Abgetrenntes, das wie ein Objekt oder ein Ding erschiene. Er ist vielmehr Teil des Leibkörpers. (Dabei ist auch die biologische Körperlichkeit nicht entscheidend, könnten wir doch auch einen Zeigestock verwenden.) Damit er zur Objektivierung wird, muss einerseits eine Veränderung des Körpers erfolgen, die wir auch als Wirken bezeichnen. Seinen besonderen Status als Objektivierung aber erhält er durch eine weitere Komponente, die sich hinter dem verbirgt, was wir bisher allgemein als Reziprozität bezeichnet haben: Es ist die (relationale) Reziprozität, die das Wirken und Wahrnehmen erst zum kommunikativen Handeln machen. Zur Objektivierung wird der Fingerzeig erst, wenn er als solcher wechselseitig wahrgenommen (und als wahrgenommen wahrgenommen) wird. Im Falle des Zeigens haben wir es dabei zumeist mit dem Sehsinn zu tun, also einem wechselseitigen ›Sehen des Sehens‹.“ (Knoblauch 2017: 163)

Wie am Beispiel des Zeigerfingers deutlich wird, bilden die Reziprozität und das Wirken somit die Grundlage dafür, dass wir in einer Interaktionssituation einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit ausbilden. Es ist jedoch nicht die Wahrnehmung des Wirkens (also des Fingerzeigens), sondern das, was als Wahrgenommenes von den Handelnden wahrgenommen wird, was die Objektivierung auszeichnet (ebd.: 164). Kommunikatives Handeln objektiviert dabei Sinn „weil und wenn es mit dem Körper vollzogen wird“ (Knoblauch 2013: 30). Ein Aspekt dieser Reziprozität besteht in der Austauschbarkeit der Standpunkte.

3.4.2 Körperlichkeit und Materialität

Da den körperlichen und materiellen Aspekten der Handlungssituation im Prozess der Rahmenbildung im Labor ein hoher Stellenwert beigemessen wird, ist es von besonderem Interesse, wie diese Aspekte im kommunikativen Konstruktivismus konzeptionell integriert werden. Um dem körperlichen und zeitlichen Aspekt des kommunikativen Handelns hervorzuheben, empfiehlt Knoblauch von der „Performanz des kommunikativen Handelns“ (ebd.: 33) zu sprechen. In Anlehnung an den Goffmanschen Begriff der Performanz versteht Knoblauch darunter den sozialen, situativen und körperlichen Vollzug der Kommunikation (Knoblauch 2017: 147). „All das, was sich auf den Körper bezieht und worauf die Körper sich beziehen, worauf der Körper wirkt und was er dadurch mit sich in Verbindung bringt, ist Teil der Performanz.“ (Knoblauch 2017: 147 f.). Der Begriff der Performanz erlaubt es dabei, den Wirkcharakter des kommunikativen Handelns differenziert zu erfassen. Wegen der zentralen Relevanz des Begriffs des Wirkens in der Konzeption des kommunikativen Konstruktivismus werden in Bezug auf diese zwei Aspekte unterschieden, auch wenn sich diese empirisch als zusammengehörig zeigen. Einerseits der Begriff der Performanz, der wie oben dargestellt das „sinnhafte Gestalten des Körpers und seines Verhaltens selbst“ (ebd.: 146) fokussiert. Auf der anderen Seite der Begriff der Performativität (ebd.).

Zur Abgrenzung zwischen Performanz und Performativität verweist Knoblauch (ebd.: 148ff) dabei auf Reichertz (2009) Konzept der Kommunikationsmacht. Dieses bezieht sich auf die Wirkung, die Performanz ausübt. Spezifischer bezeichnet Kommunikationsmacht das Bestreben, dass kommunikative Handlungen weitere kommunikative Handlungen bewirken können oder sollen. Kommunikatives Handeln zielt hier also auf ein bestimmtes Anschlusshandeln. „Macht tritt hier an die Stelle von Kausalität. Aber während Kausalität erzwingt, somit keine Wahl lässt, gewährt Macht Spielraum, legt Macht nur ein Handeln nahe, formuliert Hoffnungen“ (Reichertz 2009: 197). Im Anschluss an Webers Machtbegriff (Weber 1980) handelt es sich hier um die Chance, den eigenen Willen und seine eigenen Vorstellungen auch gegen den Widerstand anderer durchzusetzen (ebd.: 28). Dies zeigt sich auch in Reichertz Bestimmung der Macht, die vorliegt, „wenn der Angesprochene akzeptiert, was von ihm erwartet wird und das Erwartete in die Tat umsetzt – gerade dann, wenn der Angesprochene etwas Anderes will, wenn er eigentlich Widerstand leisten möchte“ (Reichertz 2009: 197). Die Grundlage der Kommunikationsmacht bilden dabei die konventionalisierten Bedeutungen der Zeichen (Knoblauch 2017: 152).

Der Annahme folgend, dass sich im Experimentallabor zahlreiche kommunikative Handlungen auf die Hervorbringung einer standardisierten Erhebungssituation beziehen, erscheint der Begriff einen interessanten Anknüpfungspunkt für die Analyse zu bilden, beispielsweise hinsichtlich der Erlangung von Kommunikationsrechten (vgl. Abschnitt 5.4.2) oder der einleitenden Belehrung im Labor (5.3.3). Jedoch eignet er sich nur für bestimmte Aspekte des empirischen Phänomens. Wie Knoblauch betont, bezieht sich Reichertz Kommunikationsmacht dabei vor allem auf den Sinn der Zeichen. Die körperlichen Vollzüge, die materielle Seite der Objektivierung und die Art der Zeichenträger selbst können damit nicht in den Blick genommen werden (Knoblauch 2017: 149).

Auf diesen spezifischen Aspekt des Wirkens als der körperlichen und materialen Seite der Objektivierung wird mit dem Begriff der Performativität verwiesen. Während Kommunikationsmacht zu nachfolgenden Handlungen auf der Bedeutung der Zeichen basiert, liegt dies im Fall der Performativität an der grundlegenden Bedeutung der Materialität in der Handlungssituation. Performativität erfasst dabei die körperliche und materiale Seite der Objektivierungen. (ebd.: 150). Damit soll darauf verwiesen werden, dass Materialität einen integralen Teil des kommunikativen Handelns darstellt. Es geht hier somit um die spezifische Materialität der Zeichenträger. Die Verschiebung von sprachlichen zu nichtsprachlichen Objektivierungen führt dabei zu einer „Tieferlegung der Theorie“ (ebd.: 72) des kommunikativen Konstruktivismus. Kommunikation wird hier nicht – wie bei Habermas oder auch anfangs bei Luckmann – als etwas betrachtet, das man neben anderen Dingen auch tun kann. Stattdessen muss Kommunikation als ein stetig ablaufender Prozess verstanden werden, durch welchen sich die Konstruktion der Wirklichkeit vollzieht. Dieser fußt dabei einerseits auf der vorgängigen Sozialität der Handelnden und zugleich auf der körperlichen Gebundenheit des Handlungsvollzugs: „Kommunikatives Handeln objektiviert Sinn, weil und wenn es mit dem Körper vollzogen wird. Sei es die Artikulation eines Klangs, das Zeichnen von Buchstaben oder das Drücken auf eine Tastatur – es ist der Körper, der Handeln und Welt miteinander verknüpft. Wegen seines verkörperten Charakters ist Instrumentalität wesentlicher Teil des kommunikativen Handelns – sei es beim Reden oder in der E-Mail-Kommunikation“ (Knoblauch 2013: 30).

Die zentrale Position, die der Körper in der Theorie der kommunikativen Konstruktion einnimmt, ist zugleich der Schlüssel zum Verständnis der Erzeugung objektivierten Sinns (Knoblauch 2013: 29).

Materialität und Objektivationen

Der tiefer angelegte Kommunikationsbegriff und die Öffnung für nichtsprachliche Formen der durch das Wirkhandeln entstehenden Objektivierungen ermöglichen es auch, Materialität und Technik im Rahmen des kommunikativen Handelns zu thematisieren und in die Analyse aufzunehmen. Für die Thematisierung der Materialität ist ein Verständnis dessen, was aus der Perspektive des kommunikativen Konstruktivismus als Objektivation bezeichnet wird, essenziell.

Objektivierungen sind, wie dargestellt, durch den körperlichen Vollzug kommunikativer Handlungen und ihre spezifische Materialität und Modalität bestimmt. Objektivationen hingegen können als losgelöst vom körperlichen Vollzug des kommunikativen Handelns verstanden werden; sie können dabei auch durch die materiellen Dinge der uns umgebenden Wirklichkeit gebildet werden (Knoblauch 2017: 149). Um dies genauer zu spezifizieren, verweist Knoblauch hier auf die Nähe zu George Herbert Meads Konzept des „collapsed act“Footnote 51 (Mead 1964: 97) sowie Karen Barads Konzept der „thingifikation“ (Barad 2003: 812f). Bei Objektivationen erfolgt im Unterschied zu Objektivierungen jedoch das „Abschneiden des Handelns von dem, was es bewirkt“ (Knoblauch 2017: 165). Barad (2013) bezeichnet diesen Vorgang der „thingification“ (ebd.: 812) als „agential cut“ (ebd.: 815). Durch die geteilte Aufmerksamkeit der handelnden Subjekte wird das dritte Moment der oben dargestellten Trias des kommunikativen Handelns durch die Objektivation gebildet. Es bildet sich also eine Form der Versachlichung von etwas heraus, dass nicht mehr mit dem Handeln verbunden ist. Der Begriff „thinkifikation“ erweist sich hier als passend, da er darauf verweist, dass das Spezifische der Objektivation nicht die Verdinglichung oder Vergegenständlichung, also die Ablösung vom Körper ist. Vielmehr geht es darum, die Objektivation von der Objektivierung abzulösen. Die Austauschbarkeit der Objektivation mit dem Objektivierten wird dabei nicht unterstellt und bildet auch keine Voraussetzung für die Handlungswirksamkeit der Objektivation.

Es zeigt sich hier ein Unterschied zwischen körpergebundenen Objektivierungen und materiellen Objektivationen hinsichtlich der Permanenz der Objekte. Während Vollzüge kommunikativer Handlungen, die an den Körper gebunden sind, ihre „Permanenz in der Performanz haben, können sich Objektivationen durch eine eigene Permanenz in der sinnlichen Wahrnehmung und wirkenden Behandlung auszeichnen“ (Knoblauch 2017: 166) Die Permanenz der Objekte basiert dabei auf der Reziprozität ihrer Wahrnehmung und ist Teil der Sozialisation der Interagierenden. Durch diese Permanenz der Objekte gelingt es, Situationen des performativen Vollzugs kommunikativen Handelns zu überdauern und auf diese Weise zur Stabilisierung und Aufrechterhaltung der kommunikativen Wirklichkeit beizutragen (ebd.: 167). Für das Experimentallabor wird sich diese Vorstellung der Permanenz als Qualität von Objekten als wichtiger Anknüpfungspunkt herausstellen. Wie die Analyse zeigen wird, zielen viele kommunikative Handlungen der Labormitglieder auf den Versuch der Standardisierung der Laborsituation ab. Das gezielte Konstanthalten der materiellen Randbedingungen kann dabei als das Initiieren der Erfahrung einer Objektpermanenz reformuliert werden, die zur Stabilisierung der Laborwirklichkeit beiträgt. Neben ihrer Permanenz verfügen Objektivationen zudem über einen Eigensinn (ebd.: 167), welcher in der besonderen Form des materialisierten Sinns besteht, der mit ihnen verbunden ist. Dieser materialisierte Sinn drückt sich in bestimmten Anforderungen aus, die Objektivationen in Situationen kommunikativen Handelns stellen. Es geht dabei nicht nur um das, was durch das Design in die Objekte ‚eingeschrieben‘ ist. Bezugnehmend auf die relationale Konzeption, auf der der kommunikative Konstruktivismus fußt, geht es auch hier um den Beziehungsaspekt. Der Sinn einer Objektivation bezieht sich nicht auf das, was repräsentiert wird, sondern darauf, welche Wirkung die Dinge im Vollzug der kommunikativen Handlung ausüben. Und diese Wirkung wiederum ist relational und besteht darin, dass sie eine Beziehung herstellt. Die Wirkung einer Objektivation zeigt sich im Vollzug der kommunikativen Handlung und besteht in der relationalen Beziehung oder „materialen ‚Semiotik‘“ (ebd. 168), die durch die Objektivation gebildet wird (vgl. ebd. 168). Der Wert oder die Bedeutung der Objektivationen wird somit durch ihren Sinn bestimmt.

Wissen

Um nachzuvollziehen, wie sich Wissen aus dem Sozialen konstituiert, ist es nötig, die empirischen Situationen des kommunikativen Handelns zu betrachten. Die soziale Relation zwischen Subjekten und Objektivationen, die im kommunikativen Handeln gebildet wird, ist das empirische Moment, in welchem sich Wissen zeigt. In diesen empirischen Situationen des kommunikativen Handelns erhalten die Objektivationen somit ihren Sinn und eben dieser Sinn ist es, der als Wissen bezeichnet werden kann. Im Unterschied zum „situativen Sinn“ (Knoblauch 2017: 215), den Handelnde einzelnen Situationen beimessen, wird Wissen dadurch charakterisiert, dass es über die Dauer von Sequenzen bestehen bleibt. Auch wenn es im Verlauf seiner Sedimentierung zum subjektiven Wissensvorrat der Handelnden wird und den Bezugspunkt für das einseitige Handeln eines Subjektes bildet, so wird das Wissen auch bei einem allein handelnden Subjekt stets nur in kommunikativen Handlungen empirisch sichtbar (ebd.).Footnote 52 Knoblauch verweist jedoch darauf, dass Wissen etwas ist, dass sich im Verlauf einer Handlungssequenz bewähren muss (ebd.).

Untersucht man kommunikative Handlungen, dann untersucht man zugleich stets das mit ihnen verbundene Wissen. Wissen wiederum bezeichnet den sozial verfügbaren und vermittelten Sinn, der das Handeln durch seine Sozialität zum kommunikativen Handeln macht. Dieser Sinn umfasst dabei nicht nur den Vollzug des Handelns als handelnden Prozess der Wissensvermittlung, sondern umfasst auch die verfestigten Objektivierungen (ebd.) Hinsichtlich des Zusammenhangs von Wissen und materiellen Dingen ist es dabei wichtig anzuerkennen, dass es nicht darum geht „was die ‚Dinge tun‘, sondern dass sie im Handeln etwas bedeuten“ (Knoblauch 2013: 37). Denn wie die obigen Ausführungen zeigen, entäußert sich Wissen in seiner empirischen Anwendung im Vollzug des kommunikativen Handelns; und dabei handelt es sich um „ein Wissen, das so oberflächlich, verdichtet und ungenau sein kann, wie es zum Vollzug der Handlung eben nötig ist“ (ebd.: 37)

Die angestrebte Integration des institutionellen außenstrukturellen Kontexts in die Analyse zielt dabei gerade darauf ab, die unterschiedlichen Wissenselemente, die sich in den beobachtbaren kommunikativen Handlungen entäußern, hinsichtlich ihres Beitrags für die Rahmenbildung der typischen Situation des ökonomischen Laborexperiments zu verorten. Zugleich soll jedoch auch auf die paradigmatische Herkunft dieser Wissenselemente verwiesen werden sowie darauf, dass ein Spannungsverhältnis zwischen den methodologischen und disziplinären Ansprüchen und den spezifischen Herausforderungen der experimentellen Beforschung von Menschen und ihrem Entscheidungsverhalten besteht.

3.4.3 Technische Vermittlung kommunikativer Handlungen

Auch handlungsleitendes Wissen kann verfestigt werden. In diesem Prozess erfolgt die Routinisierung und Institutionalisierung kommunikativer Handlungen. Im Folgenden wird es nun darum gehen, zu betrachten, wie Technik, Technologien und die technische Vermittlung kommunikativer Handlungen in die Konzeption des kommunikativen Konstruktivismus Eingang finden.

Technik kann grundlegend als eine Objektivation charakterisiert werden. Entsprechend der Definition von Objektivationen kann sie einzelne Situationen überdauern. Ihren spezifischen Sinn erhält Technik dabei durch die Einbindung in sequenzielle Handlungsabläufe (Knoblauch 2017: 169). Genauso wie durch das „Abschneiden des Handelns“ (ebd.: 165) aus Objektivierung Objektivationen werden können, so kann auch diese sequenzielle Verbindung vom Körper abgelöst und verdinglicht werden. Hier werden Handlungsschritte mit Blick auf bestimmte Objekte geregelt und ihnen wird eine erwartbare Form verliehen (Knoblauch 2013: 37) Der daraus entstehende Wirkzusammenhang des kommunikativen Handelns mit Technik wird durch seine IntraaktivitätFootnote 53 charakterisiert, welche zwischen und mit den Techniken besteht.

In deutlicher Nähe zur Technik ist auch der Begriff der Medien angelegt. Diese gelten als vom körperlichen Vollzug abgelöste Objektivationen und müssen als solche erkennbar sein (Knoblauch 2017: 304). Wie Techniken werden auch Medien aus Wirkhandlungen gebildet, welche wiederum Objektivationen hervorbringen. Auch wenn die (technischen) Objektivationen im Unterschied zu Objektivierungen also vom körperlichen Vollzug abgelöst sind, hängen die Akte der Erzeugung von Objektivationen vom Körper ab (vgl. Knoblauch 2013: 29). Das gilt für das Eingeben von Zahlen auf einer Tastatur, das Herstellen von Produkten oder das Programmieren von Software gleichermaßen. All diese Akte der Erzeugung von Objektivationen sind an den Körper gebunden.

Das zentrale Moment, welches für die nachfolgende Analyse von Belang ist, ist die vermittelnde Position, die zwischen kommunikativen Handlungen und Objektivationen durch die Technik und Medien realisiert wird. Sind Objektivationen hingegen selbst mit Objektivationen auf technische Weise verbunden, so bilden sich technische Strukturen heraus.Footnote 54 Die Spezifik der technischen Vermittlung zwischen kommunikativer Handlungen wird dabei mit dem Begriff der Mediation bezeichnet (Knoblauch 2017: 306). Kommunikative Handlungen werden dabei durch Objektivationen so verknüpft, dass sie selbst als Handlungen oder Objektivationen wiederum mit anderen Objektivationen verbunden sind. Diese Vermittlung der Kommunikation wird allerdings nicht erst durch das materiale Medium hergestellt, sondern gründet zugleich im körperlich objektivierten Handeln und der damit verbundenen Wissensvermittlung (ebd.). Die technische Vermittlung von kommunikativen Handlungen ist so an ihren körperlichen Vollzug gekoppelt, dass der Körper sinnhaft mit ihnen verbunden erscheint. Aus relationaler Perspektive des kommunikativen Handelns bedeutet Mediation dabei „die Verbindung des wirkenden Körpers mit Objektivationen, deren Wirkung aufeinander und auf den Leibkörper in einer Weise, die nicht auf den Standort des Leibkörpers beschränkt ist“ (ebd.: 308).

Modalität und Prägkraft

Während das Medium sich auf Objektivationen mit ihrem spezifischen zeichenhaften Charakter bezieht, dienen Mediationen somit dazu, Körper und Objektivationen wirkend zu verbinden, ohne selbst an den körperlichen Vollzug der Erzeugung gebunden zu sein. Die Materialität der Objektivationen und ihre Verbindung zur körperlichen Sinnlichkeit ist dabei von prägender Relevanz für das kommunikative Handeln. Die Art und Weise, auf welche die Mediation, also die Vermittlung, erfolgt, kann dabei sehr unterschiedliche Formen aufweisen. Dieses Verhältnis zwischen der Körperlichkeit und Sinnlichkeit und der Materialität der Objektivation wird als Modalität bezeichnet (ebd. 308). Die Modalität charakterisiert dabei die spezifische Verknüpfung zwischen den Sinnen und den Objektivierungen. Auch im Fall von zeichenhaften Objektivationen spielt ihre spezifische Materialität dabei eine entscheidende Rolle, denn die Modalitäten bieten verschiedene Optionen der Sinngebung (ebd.). Das Zusammenspiel verschiedener Modalitäten kann nach Gunther Kress (2010) als Multimodalität bezeichnet werden.Footnote 55

Für die vorliegende Analyse sind die Wirkzusammenhänge oder „Vermittlungsbeziehungen“ (Rammert 2007: 55) zwischen kommunikativen Handlungen und den aus ihnen hervorgehenden Objektivationen (Knoblauch 2017: 305) von besonderem Interesse. Denn die kommunikative Konstruktion der Wirklichkeit lässt sich mit unterschiedlichen Medien unterschiedlich gestalten. Da sich dieser Aspekt für die nachfolgende Analyse des Laborgeschehens (Kapitel 5) als sehr bedeutsam erweist, wird im Folgenden und in Ergänzung zu den Ausführungen Knoblauchs auf Hepps Konzept der Prägkraft verweisen (Hepp 2011, 2013). Hepp bezeichnet damit die Spezifik eines Mediums im Prozess der Kommunikation. Der Begriff der Prägkraft soll dabei zwei Prozesse fassen, die mit Medien verbunden sind. Einerseits die ‚Institutionalisierung‘, die hier ganz im Sinne Bergers und Luckmanns zugleich die Habitualisierung und reziproke Typisierung von sozialen Handlungen und Handelnden beinhaltet (Hepp 2013: 104). Als zweiten Prozess verweist Hepp mit dem Begriff der ‚Verdinglichung‘darauf, dass mit jedem Medium das Be- und Entstehen verschiedener technischer Objekte und Apparaturen verbunden ist (ebd.: 104 f.): „Sobald ein Medium […] ‚technisch materialisiert‘ ist […] ‚prägt‘ diese materielle Struktur, wie wir mit ihm handeln können“ (ebd.: 105). Hepp (2013) führt hier aus, dass Medien Verdinglichungen kommunikativer Handlungen sind und seines Erachtens in Anlehnung an die Latoursche Akteur-Netzwerk-Theorie „in ‚Assoziation‘ mit menschlichem Handeln als (mit)handelnde Objekte“ (Hepp 2013: 105) aufgefasst werden müssen. Es zeigt sich hier ein gewisses begriffliches Spannungsverhältnis zwischen dem oben thematisierten Eigensinn der Objektivationen und dem Begriff der Prägkräfte, die Medien entfalten. Die Differenz scheint sich hier jedoch gerade im Akzent der Verdinglichung widerzuspiegeln. Der Begriff der Prägkraft nimmt dabei stärkeren Bezug auf die materielle Verhärtung der kommunikativen Handlung. Die Betonung des Eigensinns von Objektivationen hingegen ist stärker auf die relationale und situative Bedeutung der Objektivation fokussiert. Wie die spätere Analyse (Kapitel 5) des Laborgeschehens zeigen wird, wird dieser prägende Einsatz von Medien in der kommunikativen Konstruktion der Laborsituation gezielt eingesetzt.

Um auf das spezifische performative Zusammenspiel unterschiedlicher medialer Formen kommunikativer Handlungen zu verweisen, wird in der empirischen Analyse Schnettlers (2007) der Begriff der Orchestrierung herangezogen.Footnote 56 Dieser wurde in der Analyse der PowerPoint Präsentationen gewinnbringend angewandt, um hier das performative Zusammenspiel unterschiedlicher Modi der Kommunikation und ihrer Vermittlung in ihrem spezifischen sequenziellen Zusammenspiel zu erfassen. Auch für die eigene Analyse erweist sich dieser Begriff als anschlussfähig zur Thematisierung der zeitlich-sequenziellen Veraktung technisch vermittelter körperlicher und spracherlicher Formen kommunikativer Handlungen.

3.4.4 Die Konsequenz für das Konzept der kommunikativen Gattung

Auch Knoblauch verweist darauf, dass kommunikative Handlungen sich verfestigen können (Knoblauch 2017: 217 ff.). Wiederkehrende Handlungsprobleme führen dabei zum Einspielen typischer Lösungen. Handelt es sich dabei um eine Interaktionssituation, so kann es zur Bildung einer Institution erfolgen. Der Prozess der Institutionalisierung wurden von Berger und Luckmann in ihrer GKW ausführlich beschrieben (Berger & Luckmann 1980 [1969]: 49 ff.). Es werden jedoch nicht nur soziale Handlungen allgemeiner Art institutionalisiert, sondern die Habitualisierung, Sedimentierung und Routinisierung kommunikativer Handlungen kann ebenfalls eine kommunikative Form ausbilden, die selbst institutionalisiert werden kann (Knoblauch 2017: 218 ff.). Diese kommunikative Form stellt dabei die Basis aller weiteren gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse dar (Knoblauch 2013: 38). Obwohl die Strukturiertheit der Form dabei als eine Leistung der kommunikativen Handlungen selbst angesehen werden muss, führen „nicht nur Formen, sondern auch das Wissen über Formen zu ‚normativen Erwartungen“ (ebd.: 39). Verschiedene Formen kommunikativer Handlungen und eingesetzter Objektivationen führen dabei zur Hervorbringung der gesellschaftlichen Ordnung der geteilten Wirklichkeit (ebd.).

Im Abschnitt über die Gattungsanalyse (Abschnitt 3.3) wurde bereits darauf verwiesen, dass Luckmann eine kommunikative Gattung als typische Lösung für ein kommunikatives Problem betrachtete und in die Nähe des von ihm und Berger verwendeten Institutionenbegriffs rückte. In der Gattungsanalyse bestand nun der methodische Weg, diesen Anspruch strikt datengeleitet und orientiert an empirisch beobachtbaren Kommunikationsphänomenen umzusetzen. Unter Berücksichtigung der Verschiebung des Kommunikationsbegriffs und des Begriffs des kommunikativen Handelns durch den kommunikativen Konstruktivismus Knoblauchs bleibt zu klären, welche Bedeutung dies für den von Luckmann geprägten Begriff der kommunikativen Gattung besitzt.

Kommunikative Gattungen werden hierbei von Knoblauch als Handlungsabläufe betrachtet, die eine Ordnung aufweisen und entsprechend starke Kontexte zur Koordination von Handlungserwartungen und den Handlungen selbst darstellen (Knoblauch 2013: 39). Da die Struktur einer kommunikativen Gattung selbst im Handeln geschaffen wird, kann – Knoblauch folgend – bei der Analyse eines gattungsförmigen sozialen Kommunikationsphänomens von einer kommunikativen Konstruktion gesprochen werden kann (ebd.).

Auch wenn Knoblauch selbst auf das Konzept der kommunikativen Gattung verweist, wird kaum thematisiert, welche Konsequenzen die Betrachtung anderer oder neuartiger Phänomene und die Veränderung und Verschiebung des Kommunikationsbegriffs auf das Konzept der kommunikativen Gattung hat. Es wird herausgestellt, dass es durch diese Verschiebung notwendig wird, anzuerkennen, dass kommunikative Gattungen sich nicht nur durch verfestigte sprachliche Formen auszeichnen, sondern auch durch „körperliche, dingliche und materiale Aspekte des kommunikativen Handelns“ (Knoblauch 2017: 220) herausgebildet werden und aus diesem Grund als performative Abläufe oder Gattungen erfasst werden müssen (ebd.). Doch welche Konsequenzen dies für die Gattungsanalyse und ihr analytisches Potenzial hat, wird von Knoblauch nicht weiterverfolgt. Der Wert der soziologischen Gattungsanalyse als methodisches Werkzeug zur Analyse von gattungsförmigen sozialen Handlungssituationen wird von Knoblauch in seinen Ausführungen mit dem Konzept der Gattung nicht weiterverfolgt.

Die nachfolgende Analyse versucht eben dieses Potenzial aufgreifen und die soziologische Gattungsanalyse als gegenstandsadäquate und wissenssoziologische Methode und zugleich als gegenstandsadäquates Verfahren der Datentriangulation zu nutzen. Die Ordnungshaftigkeit des Phänomens des ökonomischen Laborexperiments anerkennend, zielt die Analyse nicht darauf ab, dieses als eine kommunikative Gattung zu rekonstruieren. Vielmehr wird bereits zu Beginn der Analyse angenommen, dass das soziale Phänomen eine Gattungsformigkeit besitzt. Die Wissenselemente, die in der Außenstruktur als institutionalisiert gelten, werden selbst zum integralen Teil der Analyse. Es wird nicht vorausgesetzt, dass sie als geteilter Wissensbestand von Forschenden und Beforschten betrachtet werden können. Die Sedimentierung von Handlungen und Wissen, die der Institutionalisierung zugrunde liegt, wird aus diesem Grund an einigen Stellen der Analyse gezielt wieder geöffnet. Zudem werden Konzepte und Elemente expliziert, die als Wissensbestände im kommunikativen Handeln der Beteiligten wirken.

Die zentralen Aspekte, die sich als handlungsleitend für die nachfolgende Analyse erweisen, sind die relationale Perspektive, die dem kommunikativen Handeln zugrunde liegt, sowie die begriffliche Verschiebung des kommunikativen Handelns, welche es ermöglicht, auch materielle und körperliche Aspekte mit dem Begriff des kommunikativen Handelns (er)fassen zu können (ebd.: 220). Gerade die verschiedenen Formen der Mediation kommunikativer Handlungen und ihr spezifisches Zusammenspiel im Sinne typischer performativer Muster können so analytisch besser fokussiert werden. Die Kombination der ethnographischen Perspektive mit dem dichten Mitvollzug aus einer Innenperspektive erlaubt es dabei, genau den Sprung zwischen institutionellem Handeln und empirischer Vollzugsperspektive zu bewältigen.

Wie zu Beginn des Kapitels dargestellt, zielten die Ausführungen darauf ab, den theoretisch-konzeptionellen Standpunkt dieser Arbeit darzustellen. Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, die Positionen noch einmal zusammenzufassen. Da sich die vorliegende Arbeit durch ein enges Wechselspiel zwischen Konzeptentwicklung, Datenerhebung und Methodenwahl charakterisiert, wird diese Zusammenschau erst im Abschnitt 4.3 und damit am Ende des nachfolgenden Kapitels erfolgen, welches sich der methodologischen Perspektive und methodischen Vorgehensweise widmet.

Unter Hinzunahme der Perspektive des kommunikativen Konstruktivismus kann nun eine abschließende Spezifizierung der Forschungsfrage und der Zielstellung der Analyse erfolgen. Der Fokus dieser Arbeit ist darauf gerichtet, herausarbeiten, wie sowohl die methodologischen und disziplinären Ansprüche der Laborforschenden als auch die Spezifik der Laborsituation mit menschlichen VersuchsteilnehmerInnen den Prozess der Rahmenbildung des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments prägen und wie diese im Sinne von prozessualen Entäußerung von Wissenselementen einerseits ihren beobachtbaren Ausdruck finden und zugleich – im Sinne der ethnomethodolischen Idee des Accounting – das Phänomen des ökonomischen Laborexperiments selbst definieren. Der empirisch beobachtbare Ausdruck wird dabei als kommunikatives Handeln verstanden. Aufgrund der Gattungsförmigkeit des Phänomens zeigt sich dieser Ausdruck in typischen kommunikativen Handlungen und Objektivationen und kann – aufbauend auf der Idee der Vollzugwirklichkeit – hinsichtlich seiner Relevanz für den charakteristischen Prozess der Rahmenbildung des ökonomischen Laborexperiments betrachtet werden. Die Performanz und Performativität kommunikativer Handlungen im Prozesses der Rahmenbildung und -verankerung im Labor bilden somit den analytischen Fokus der empirischen Untersuchung. Eben dieser Prozess, der sowohl die sprachlichen, körperlichen, räumlich-materiellen und technischen Aspekte der gattungsförmigen Rahmenbildung erfasst, wird als die kommunikative Konstruktion des ökonomischen Laboratops bezeichnet. Die Analyse des Prozesses des wirtschaftswissenschaftlichen Experimentierens dient dabei nicht nur dazu, aufzuzeigen, wie dieses Phänomen in seiner Eigengesetzlichkeit entsteht, sondern eröffnet zugleich den Blick dafür, wie der Forschungsgegenstand des rationalen, wirtschaftlichen Entscheidungsverhaltens als Konsequenz der Handlungen der VersuchsteilnehmerInnen durch die Situation des Experiments produziert wird.