Das Gefühl von Fremdheit und die Faszination des Unbekannten sind zentraler Quell der Erkenntnis in der ethnographischen Forschung. Meine anfängliche Begegnung mit dem Feld der wirtschaftswissenschaftlichen Laborforschung war von eben diesen Gefühlen geprägt. Es war eine Mischung aus Irritation und anerkennender Bewunderung. Diese wurde dadurch ausgelöst, dass es im Vollzug des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments gelingt, bei einer gleichbleibenden Versuchsanordnung mit ganz unterschiedlichen Versuchspersonen zu ähnlichen quantitativen Ergebnissen zu gelangen. Aus einer qualitativen Forschungsperspektive, die das Interaktionsgeschehen selbst als den Modus der Wirklichkeitskonstruktion betrachtet, war dies faszinierend und befremdlich zugleich. Eben dieses Spannungsverhältnis ‚irritierter Neugierde‘ bildete den zentraler Motor für den Forschungsprozess, dessen Resultat die vorliegende Dissertationsschrift bildet.

Wissenschaftliche Labore sind Orte der Außeralltäglichkeit. Sie werden zum Zweck wissenschaftlicher Untersuchungen geschaffen und manifestieren dies auch in ihrer materiellen Ausgestaltung. Die Studien in der Tradition des Laborkonstruktivismus belegen, dass die Erkenntnisse und Gegenstände wissenschaftlichen Wissens durch die Praktiken der Wissenschaftler selbst konstruiert werden (Knorr-Cetina 1984, Knorr-Cetina und Mulkay 1983, Latour und Woolgar 1979). Klassische Laborstudien betrachten zumeist, wie Objekte in naturwissenschaftlichen Laboren durch die WissenschaftlerInnen manipuliert und konstruiert werden. Der Untersuchungsgegenstand ökonomischer Laborexperimente ist hingegen das menschliche Entscheidungsverhalten. Dieses ist immer an die Menschen gebunden, welche ihr ‚Entscheiden‘ durch Handeln oder Verhalten erst entäußern müssen, damit es messbar wird. Analog zu Klaus Amanns Ausführungen über naturwissenschaftliche Labore können auch die Labore der wirtschaftswissenschaftlichen ForscherInnen als „Laboratope“ verstanden werden (Amann 1994: S. 30). Durch die Praxis der Forschenden und die materielle Ausstattung der Labore wird im Prozess des Experiments in beiden Fällen eine spezifische wissenschaftlich und technisch durchstrukturierte Umwelt für den wissenschaftlichen Gegenstand geschaffen, welchen die Forschenden untersuchen wollen. Um auf das charakteristische Wechselspiel sozialer und materieller Aspekte zu verweisen, wird das Phänomen, welches im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird, als ‚ökonomisches Laboratop‘ bezeichnet. Die spezifische Ausformung dieses Laboratops, in sozialer und materieller Hinsicht, ist durch den Forschungsgegenstand bestimmt, über den Erkenntnisse gewonnen werden sollen. Im Fall des wirtschaftswissenschaftlichen Experimentallabors ist es das Entscheidungsverhalten von Menschen in ökonomisch relevanten Situationen. Genauso wie Physiker Experimente unter Modellbedingungen des Vakuums durchführen, ist das ökonomische Laboratop darauf ausgerichtet, als Ort des ‚ökonomischen Entscheidungsvakuums‘ zu fungieren. Diese Formulierung spielt nicht auf die Frage der externen Validität der in Laboren erzeugten Ergebnisse an. Vielmehr verweist sie auf die Zielstellung des experimentellen Forschungsdesigns. Das ökonomische Laboratop ist darauf ausgerichtet, die Komplexität und Verwobenheit der alltäglichen Wirklichkeit, in der sich seine Untersuchungsgegenstände naturwüchsig zeigen, auf ein analytisch fruchtbares Maß zu reduzieren. Es sind die Wege des ‚Herauspräparierens‘ und ‚Hervorlockens‘ des wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungsgegenstandes, auf die der Fokus dieser Arbeit gerichtet ist.

Diese Arbeit widmet sich der Fragestellung, wie im beobachtbaren Prozess des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments ein spezifischer Rahmen (Goffman 1977) für die Messung ökonomischen Entscheidungsverhaltens interaktiv von den Handelnden erzeugt, aufrechterhalten und verankert wird. Es gilt hier zu ermitteln, wie die methodologischen und disziplinären Ansprüche der Laborforschenden und die Spezifik der Laborsituation mit menschlichen VersuchsteilnehmerInnen, den Prozess der Rahmenbildung des wirtschaftswissenschaftlichen Laborexperiments prägen. Die vorliegende Arbeit folgt hier vielfältigen Handlungen der Forschenden im Labor, um aus einer verstehenden Perspektive zu betrachten, welchen Anteil sie an der Konstruktion ihres Forschungsobjektes haben, welches sie im Rahmen der Laborexperimente eigentlich nur beobachten möchten.

Die Komplexität der im Alltag üblichen sozialen Beziehungen und Interaktionsformen zwischen den Akteuren soll hier auf das experimentell gewünschte Maß reduziert werden. Die vielfältigen kommunikativen Handlungen der Forschenden, die als musterhaft herausgestellt wurden, dienen dazu, spezifische Rahmungselemente zu induzieren und zu verankern. Diese Rahmungselemente verhelfen dazu, die Rationalitäten der ProbandInnen hinsichtlich ihrer situativen Rahmenbildung denen der Forschenden schrittweise anzunähern. Auf diese Weise gelingt es, den Forschungsgenstand des ökonomischen Entscheidungsverhalten gezielt zu fokussieren und analytisch greifbar zu machen. Die technische Vermittlung kommunikativer Handlungen bildet einen entscheidenden Aspekt in der Induzierung von Rahmungselementen. Der Prozess des Experimentierens im ökonomischen Laboratop ist durch ein charakteristisches Zusammenspiel verschiedener Rahmen und Bezugsysteme geprägt, welche in ihrer Entäußerung die Modulation des ökonomischen Laboratops hervorbringen. Aufbauend auf der eigenen Konzeptentwicklung wird der Prozess, der sowohl die sprachlichen, körperlichen, räumlich-materiellen und technischen Aspekte der gattungsförmigen Rahmenbildung des Laboratops erfasst, als die kommunikative Konstruktion des ökonomischen Laboratops bezeichnet.

Um die Struktur der vorliegenden Dissertationsschrift zu skizzieren, wird nachfolgend ein kurzer Überblick über die Zielstellung der einzelnen Kapitel gegeben. Er dient hier nicht zu einer erschöpfenden inhaltlichen Zusammenfassung, sondern der allgemeinen Orientierung über den Verlauf des Argumentationsgangs.

Das wirtschaftswissenschaftliche Laborexperiment ist ein recht spezielles Phänomen. Für eine erste Annäherung, an den untersuchten Forschungsgegenstand erscheint es hilfreich, einige grundlegende Aspekte zu thematisieren. Kapitel 2 widmet sich aus diesem Grund in einem ersten Schritt der Darstellung von zentralen Annahmen des experimentellen Forschungsdesigns in den Sozialwissenschaften. Dies verhilft dazu, die grundlegende Perspektive und die Ansprüche zu verstehen, die mit der Nutzung von experimentellen Forschungsdesigns verbunden werden. Unter kontrollierten Bedingungen soll es hier möglich sein, kausale Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren und den Veränderungen eines Phänomens zu erfassen und einer statistischen Analyse zu unterziehen. Der aktive Eingriff des Forschenden in die Erhebungssituation ist hier das zentrale Moment des experimentellen Forschungsdesgins. Die Kontrolle der Erhebungssituation ist wiederum von entscheidender Bedeutung, um den Anspruch auf Kausalanalyse der untersuchten Aspekte erheben zu können. Aus diesem Grund werden vielfältige Kontrolltechniken eingesetzt, um Störvariablen in der Situation der Erhebung zu minimieren oder auszuschließen. Zugleich werden hier zentrale Begriffe, wie Randomisierung, Anonymisierung, Konstanthalten von Randbedingungen eingeführt, auf die in der nachfolgenden Beschreibung zurückgegriffen wird. Den zweiten Aspekt bildet das Feld der experimentellen Wirtschaftswissenschaft. Ziel der Ausführungen ist es, ein Verständnis für die Perspektive der Forschenden zu eröffnen, welche Laborexperimente in ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Forschung einsetzen. Ein kurzer historischer Abriss über die Mathematisierung der Ökonomie und die Etablierung der Spieltheorie zur Untersuchung von Entscheidungsverhalten, bietet hier Hintergrundinformationen um die konzeptionelle Position zu verdeutlichen, welche den Einsatz von Experimenten in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung ermöglichte. Darauf aufbauend wird dargestellt, wie das Verfahren des Experiments als wissenschaftliche Methode selbst Einzug in die wirtschaftswissenschaftliche Forschung fand und welche Gründe feldintern mit dem Einsatz von Experimenten verbunden sind.

Nach der thematischen Einführung in den untersuchten Gegenstandsbereich wird im Kapitel 3 die Entwicklung der theoretischen und konzeptionellen Perspektive dargestellt. Sie ist das Ergebnis eines iterativ-zyklischen Vorgehens, welches sich aus der wechselhaften Reibung zwischen theoretisch-konzeptioneller Reflexion und der Auseinandersetzung mit dem empirischen Phänomen durch sukzessive Datenerhebung und -analyse ergab. Ausgehend von dem Projekt „Kulturell bedingte Framing-Effekte in der experimentellen Spieltheorie“, in welches ich eingebunden war, stellte das Goffmansche Konzept des Rahmens (1977) und seine Fokussierung auf das Interaktionsgeschehen einen ersten Orientierungspunkt dar (Abschnitt 3.1). Um die Prozesshaftigkeit der Erzeugung der Rahmung begrifflich und konzeptionell zu fokussieren, erwies sich die ethnomethodologische Perspektive als fruchtbar (Abschnitt 3.2.). Der Prozess des Experimentierens im ökonomischen Laboratop wurde darauf aufbauend als ein Doing betrachtet. Die Handlungen der Forschenden (und ProbandInnen) ließen sich gewinnbringen als Ethnomethoden der gezielten Rahmenbildung und –verankerung erfassen. In der Feldarbeit zeigte sich wiederholt, wie die Handelnden aktiv auf bestimmte Wissensbestände Bezug nahmen. Diese bildeten zentrale Kontextelemente und Hintergrundannahmen. Die soziologische Gattungsanalyse (Abschnitt 3.3.) erwies sich als aussichtsreiche Möglichkeit die von mir angestrebte stärkere Betrachtung von Kontextelementen zu ermöglichen. Wie bereits im Zuge der Begriffseinführung erwähnt, sind im ökonomische Laboratop räumliche und technische Aspekte der sozialen Situation für die Rahmenbildung höchst bedeutsam. Die Perspektive des kommunikativen Konstruktivismus (Abschnitt 3.4.) ermöglichte hier durch seine Erweiterung des Kommunikationsbegriffes eine konzeptionell gewinnbringende und zugleich gegenstandsadäquate Integration materieller und technischer Aspekte.

Das Kapitel 4 zielt nun darauf ab, den Ablauf des Forschungsprozesses in methodischer und methodologischer Perspektive nachvollziehbar darzulegen. Es werden hier die genutzten Methoden der Datenerhebung dargestellt. Zugleich wird die methodologische Perspektive reflektiert und offengelegt, aus der heraus die Forschung erfolgte (Abschnitt 4.1.). Es wird hier ausgewiesen, aus welchem Grund sich die vorliegende Arbeit als soziologische Ethnographie versteht und wie meine Feldrolle sich im Verlauf des Forschungsprozesses entwickelte. Der zweite Teil des Kapitels gibt Auskunft über das Vorgehen der Datenerhebung und die Datengrundlage, auf welcher die empirische Analyse fußt (Abschnitt 4.2.). Abschließend wird in einem dritten Teil erläutert, weshalb das Verfahren der wissenssoziologischen Gattungsanalyse für die untersuchte Forschungsfrage sowohl aus methodologischer als auch aus konzeptioneller Sicht geeignet erscheint (Abschnitt 4.3.).

Das Kapitel 5 widmet sich der Darstellung der Analyseergebnisse der Gattungsanalyse. Die Gattungsanalyse in der hier genutzten Form wird als ‚erweitert‘ bezeichnet, da sie sowohl auf der Ebene der Außenstruktur, als auch hinsichtlich ihrer Verortung von materiellen und technischen Aspekten der Kommunikationssituation von ‚klassischen‘ Gattungsanalysen abweicht und eine dem Forschungsgegenstand gegenüber angemessene Öffnung und Anpassung des Analyseverfahrens vollzieht. Ausgehend vom eigenen konzeptionellen Verständnis, dass der Prozess der Rahmenbildung als Doing betrachtet werden kann, werden hier unterschiedliche Ebenen des Doing unterschieden. Es handelt sich hier um eine analytische Trennung. Diese Trennung erweist sich jedoch als fruchtbarer Weg, um auf die unterschiedlichen Rahmungsebenen und –ansprüche zu verweisen, die in diesen Doing-Ebenen ihren Ausdruck finden. Die Darstellung des empirischen Materials beginnt mit einer einführenden dichten Beschreibung einer Eröffnungssequenz eines Laborexperiments. Diese illustriert einerseits das Vorgehen der eigentlichen Analysearbeit und verweist zugleich auf die empirische Verwobenheit der Gattungsebenen. Die Struktur des Analysekapitels übernimmt in ihrem Hauptteil die analytische Differenzierung der Gattungsanalyse in Außenstruktur (Abschnitt 5.2.), Binnenstruktur (Abschnitt 5.3.) und situative Realisierungsebene (Abschnitt 5.3.). Diese analytische Trennung dient dazu, die unterschiedlichen Verfestigungsgrade von Wissenselementen zu akzentuieren die in der empirischen Situation zusammenspielen. Im Anschluss an die Gattungsanalyse, wird das Verfahren des qualitativen Experiments genutzt, um einige Ergebnisse der Gattungsanalyse einer experimentellen Überprüfung zu unterziehen (Abschnitt 5.5.). Abschließend werden die Ergebnisse des Forschungsprozesses resümiert und einige methodische Anstöße für mögliche Weiterentwicklungen gegeben.

Das Kapitel 6 wendet sich in einem kurzen Ausblick der Frage zu, welche Potentiale die Nutzung qualitativer experimenteller Verfahren für die soziologische Forschung bergen und skizziert einige mögliche Anwendungsbereiche.