Zusammenfassung
Im Beitrag werden verschiedene Positionen und Perspektiven der Behindertenpädagogik in Bezug auf Körper und Gesundheit und ihr Verhältnis zu beiden Begriffen dargelegt. Behindertenpädagogik wird hier im Sinne der von Beck, Feuser, Jantzen und Wachtel formulierten Begründung als Begriff anderen Begriffen wie Heilpädagogik oder Sonderpädagogik vorgezogen (2009, S. 11). Die unterschiedlichen Perspektiven, Modelle und Definitionen, die in der Behindertenpädagogik und angrenzenden Disziplinen auf Behinderung entwickelt wurden, zeigen ambivalente Verhältnisse zwischen Körper, Gesundheit und der Behindertenpädagogik.
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Notes
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Vgl. auch Schache (in Walther und Römisch 2019), der Körper und Behinderung im Kontext von Gesundheitsförderung leibphänomenologisch bearbeitet.
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Medizinisches Modell meint nicht, dass alle in der Medizin Tätigen dieses Modell verfolgen, hat sich im Sprachgebrauch aber so eingebürgert. Es wird auch als individuelles oder individualistisches Modell bezeichnet.
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„Die Bezeichnung ‚Disability Studies‘ stand für eine Forschungsperspektive, die das hochkomplexe und vieldimensionale Phänomen „Behinderung“ aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive zu untersuchen begann. Dies geschah in scharfer Abgrenzung von der Medizin und anderen angewandten und interventionsorientierten Disziplinen, etwa der Medizin, Psychologie und Sonderpädagogik, die die Diskurse über Behinderung bis dahin dominiert hatten“ (Dederich 2010, S. 171).
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Gugutzer erläutert in Bezug auf den Begriff body turn seine Begriffswahl der „Wende“: „Hinsichtlich des body turn bedeutete das eine systematische Integration der Kategorie ‚Körper‘ in die Konzeption von Sozialität“ (Gugutzer 2006, S. 11).
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Gugutzer (2014): Soziologie des Körpers.
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In der Praxis zeigt sich dies am Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma. Wenn bestimmte Aspekte nicht konkret bezeichnet, mit einer Diagnose belegt oder einem Namen versehen sind, wird den Betroffenen der Zugang zu Ressourcen, Behandlungen oder Therapien versagt. Sprich nur wenn eine klare Diagnose vorliegt, bezahlen beispielsweise Krankenkassen eine Behandlung (Quante und Wiedebusch 2018, S. 120).
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Für eine Gesundheitsförderung, die multidimensional angelegt ist, heißt dies, die sozialen Bedingungen und Strukturen hin zu gesundheitsförderlichen Lebensbedingungen in den Blick zu nehmen sowie das Recht auf Gesundheit konsequent umsetzen und einen diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsdiensten zu gewährleisten. Sie muss aber auch die körperliche Verfasstheit betrachten und individuelle Unterstützung, z. B. in Form medizinischer Intervention (bspw. im Sinne sekundärer Prävention) bereitstellen.
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Bartz, G., Römisch, K. (2021). Körper und Gesundheit aus der Perspektive der Behindertenpädagogik. In: Wendler, M., Schache, S., Fischer, K. (eds) Multidisziplinäre Perspektiven auf Körper und Gesundheit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32999-0_15
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