Zusammenfassung
In Anlehnung an Pierre Bourdieus (2000) Arbeiten zum religiösen Feld wird in diesem Beitrag davon ausgegangen, dass sich Praktizierende in der alternativen Gesundheitskultur zwischen zwei sozialen Feldern bewegen, dem Feld der Medizin und dem Feld der Religion. Herausgearbeitet wird, dass sich die Praktizierenden spiritueller Körpertherapiepraktiken in Deutschland in einem spannungsreichen Diskurs um die angemessenen Deutungen von Gesundheit und Heilung befinden. Ein Prozess, den man (religions-) soziologisch auch als funktionale Entdifferenzierung zwischen den sozialen Feldern der Religion und der Medizin verstehen kann. Sowohl der Begriff der Heilung als auch der Begriff der Spiritualität ist zentral für das Selbstverständnis der Akteure im Grenzgebiet zwischen Schul-, Komplementärmedizin undNeuen Religiösen Bewegungen. Beide Begriffe, der der Heilung ebenso wie der populäre Begriff der Spiritualität verweisen auf die Wichtigkeit der religiösen Sinndimension für die (Wieder-)Herstellung von Gesundheit. Dies wirft die in Vergessenheit geratene Frage nach dem Stellenwert von Religion im Gesundheitswesen auf. Gezeigt wird zudem, dass in ausgewählten anthropologischen und phänomenologischen Körpertheorien die religiöse Dimension konzeptuell verankert ist und als theoretische Grundlage zum Verständnis spiritueller Körperpraxen wie Körpergebet, Yoga oder Ayurveda herangezogen werden kann. Beispielhaft an Zazen Meditation und Ayurveda wird demonstriert, dass der Stellenwert und die Bedeutung des religiösen Sinnbezuges in diesen Körperpraxen nicht allein anthropologisch erklärt werden können, sondern durch den soziokulturellen Kontext, in dem sie ausgeübt werden, geprägt sind. Damit nimmt der Beitrag in religionssoziologischer Perspektive die zentrale Frage nach der Multiperspektivität auf Körper und Gesundheit auf.
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Notes
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In religionssoziologischer Perspektive ist zudem von Karl Gabriel die Frage diskutiert worden, inwiefern die hohe gesellschaftliche Bedeutung von Gesundheit in spätmodernen Gesellschaften als ein Äquivalent von Religion gelten kann (Gabriel 2014). In soziologischer Perspektive schließt Robert Gugutzer an Thomas Luckmanns Diagnose der Privatisierung des Religiösen an, wenn er den gegenwärtigen Umgang mit dem Körper als eine Spielart der individualisierten Sozialform des Religiösen ansieht und in Köperkulten eine Sakralisierung des Körpers ausmacht.
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Als Entdifferenzierung ist der „Prozess der Auflösung eines strukturell und funktional gegliederten Systemzusammenhangs, der zur Minderung des Leistungspotenzials, Gefährdung der Zielverwirklichung des Systems führen, schließlich schrittweise dessen Bestands- und Überlebensvoraussetzungen zerstören kann“ zu verstehen (Reimann 2011, S. 167).
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„Glaube und Heilung, Spiritualität und Psychotherapie waren bis in das 17. Jahrhundert untrennbar miteinander verknüpft. Schon im Altertum waren die Heiler Angehörige der Priesterklasse. Im Mittelalter wurde der Arztberuf von der Geistlichkeit ausgeübt. Mönche gründeten die ersten Hospitäler, und Diakonissen prägten über Jahrhunderte das Leitbild für Diakonie und Pflege. Früher wurden religiöse Übungen und Rituale wie Opfer, Anbetung oder Beichte gezielt zu physischen und psychischen Heilszwecken eingesetzt. Heute untersuchen Psychologen genauer die therapeutischen Wirkungen von Ritualen und überlegen, wie sie verantwortlich in einer Behandlung eingesetzt werden können“ (Utsch 2020, S. 120).
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Benthaus-Apel, F. (2021). Körper und Gesundheit aus religionssoziologischer Perspektive – spirituelle Körpertherapiepraktiken im Fokus. In: Wendler, M., Schache, S., Fischer, K. (eds) Multidisziplinäre Perspektiven auf Körper und Gesundheit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32999-0_12
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