Zusammenfassung
In heutigen Zeiten erleben viele Berufstätige in Industrie und Verwaltung, wie Betriebsabläufe ständig neu gegliedert, Abteilungen und ganze Betriebe aufgespalten oder verlagert werden und wie Standortkonkurrenz und Kostensenkungsprogramme einen zunehmenden Leistungsdruck erzeugen (vgl. (Sauer et al., Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche, VSA, Hamburg, 2018. 89 ff.). Diese Merkmale sind Teil einer strukturellen Reorganisation von Produktion und Dienstleistung. Für diese Dynamik stehen Begriffe wie „Arbeit 4.0“ „Digitalisierung“ und „Flexibilisierung“.
In diesen Formen müssen sich Berufstätige immer häufiger in paradoxen Handlungsfeldern bewegen: auf der einen Seite können sie vieles selbst entscheiden, was vorher Vorgesetzte entschieden haben (z. B. Arbeitsbeginn und -ende, Aufgabenverteilung im Team), sie haben einen umfassenden Informationszugang zum Produktions- und Verwaltungsprozess und sie werden in ihrer Subjektivität (emotionales Selbstmanagement) gestärkt. Auf der anderen Seite stehen Entgrenzung von Arbeit, ständige Erreichbarkeit, Evaluationen und Feedbacks, eine permanente Bewertung von Leistung und Verhalten sowie neue Formen der (Fremd-)Steuerung. Die Veränderungen der Arbeits- und Lebenswelt werden mit zunehmenden Belastungen und Krankheiten der Berufstätigen in Verbindung gebracht: Erschöpfung bis zum Ausgebrannt-Sein, stressbedingte Rückenschmerzen oder Herz-Kreislauf-Beschwerden, Hörstürze und Tinnitus-Erkrankungen oder auch die neue Volkskrankheit Depression (vgl. AOK-Bundesverband et al., Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung; Verband der Ersatzkassen e. V. iga. Report 31. Risikobereiche für psychische, Belastungen. Selbstverlag, 2015; Badura et al., Fehlzeiten-Report 2012: Gesundheit in der ffiexiblen Arbeitswelt: Chancen nutzen – Risiken minimieren. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft, Berlin, Springer, 2012; Berger, Gesundheitsorientierte Führung, Berlin, Springer, 2018): Gesundheitsorientierte Führung. In: Berger, P. (Hrsg.): Praxiswissen Führung. Springer, Berlin; (BKK-Dachverband,.BKK Gesundheitsreport, Digitale Arbeit – Digitale Gesundheit. Zahlen, Daten, Fakten mit Gastbeiträgen aus Wissenschaft, Politik und Praxis, Berlin, MDV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2017). Digitale Arbeit – Digitale Gesundheit, MDV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, Zahlen, Daten, Fakten mit Gastbeiträgen aus Wissenschaft, Politik und Praxis, 2017).
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Notes
- 1.
Das Konzept der Agilität gibt es seit den 1950er-Jahren in der Systemtheorie von Organisationen. Stellvertretend sei auf den amerikanischen Soziologen Talcott Parsons verwiesen, der vier existenzsichernde Funktionen eines jedes System identifiziert hat: die Fähigkeit eines Systems, auf die sich verändernden äußeren Bedingungen zu reagieren (Adaptation), Ziele zu definieren und zu verfolgen (Goal Attainment), Kohäsion (Zusammenhalt) und Inklusion (Einschluss) herzustellen und abzusichern (Integration) und grundlegende Strukturen und Wertmuster aufrechtzuerhalten (Latency) (Fischer 2016, o.S.).
- 2.
Bertelsmann-Stiftung: Arbeiten 4.0. Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Ergebnisse des BarCamps Arbeiten 4.0, 2015.
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Schröder, J. (2021). Wenn die Wirtschaft den ganzen Menschen ergreift – Körper, Leib und Gesundheit aus arbeitspädagogischer Perspektive. In: Wendler, M., Schache, S., Fischer, K. (eds) Multidisziplinäre Perspektiven auf Körper und Gesundheit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32999-0_11
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