Da Recycling von privatwirtschaftlichen Unternehmen vorgenommen wird, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Recycling auch nur dann praktiziert wird, wenn es wirtschaftlich ist. In der Vergangenheit haben bereits die Studien von Johnson et al. (2007) und Dahmus und Gutowski (2007) anhand exemplarischer Untersuchungen darauf hingewiesen, dass aufwandsintensives Recycling nur für Metalle mit entsprechend hohen Marktpreisen stattfindet. Der Erlös, der über diese Marktpreise erzielt wird, muss also größer als die für das Recycling anfallenden monetären Aufwände (Kosten) sein. Recycling wird demnach nur dann praktiziert, wenn Gleichung (6.3) gilt.
$$Erl\"o s - Kosten \gg 0$$
(6.3)
Auch dann, wenn neue Produkte auf den Markt kommen, für deren Recycling noch keine entsprechende Technologie bzw. spezialisierte Unternehmen existieren, kann davon ausgegangen werden, dass mittelfristig all das recycelt wird, was ökonomisch sinnvoll ist – auch ohne politische Interventionen.Footnote 5 Ein Beispiel hierfür sind die mittlerweile zahlreichen Unternehmen, die sich auf das Recycling von LIB spezialisiert haben, einer Produkttechnologie, die erst vor knapp über einem Jahrzehnt den Weg in die breite kommerzielle Anwendung fand (Möller 2013). Mittel- bis langfristig wird sich also immer eine Situation einstellen, bei der von einem ökonomischen Recyclingoptimum gesprochen werden kann.
Die Abbildung 3.3 in Abschnitt 3.1.2 zeigt, dass ein Metall aus einer sekundären Quelle tendenziell nur dann recycelt wird, wenn dessen Konzentration höher ist als die der alternativen primären Quelle. Dieses Phänomen ist dadurch begründet, dass die Konzentration unmittelbar mit dem (energetischen) Aufwand, der für das Metallrecycling betrieben werden muss, verbunden ist und dieser wiederum im Zusammenhang mit den Kosten steht. Diese Darstellung zeigt jedoch auch, dass es durchaus Ausnahmen gibt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass der energetische Aufwand der Metallgewinnung lediglich ein Indikator für die variablen Kosten sein kann. Um wirtschaftlich operieren zu können, ist jedoch auch die Degression der Fixkosten (Investitionskosten etc.) von entscheidender Bedeutung, die nur durch entsprechend hohe Umsätze bzw. Gewinne erzielt werden kann. Die für ein Recycling verfügbare Menge an Metall aus einer sekundären Quelle muss also ausreichend hoch sein; ebenso der Marktpreis des Metalls.
Abbildung 6.3 zeigt eine modifizierte Darstellung der Abbildung 3.3 aus Abschnitt 3.1.2. Jeder Datenpunkt in dieser Darstellung entspricht dabei einem Metall in einer sekundären Quelle. Insgesamt sind 48 verschiedene Metalle untersucht. Da ein Metall meist in vielen verschiedenen Produkten Anwendung findet, existieren pro Metall auch mehrere sekundäre Quellen und damit auch wesentlich mehr als 48 Datenpunkte. Auf der Ordinatenachse sind die Konzentrationsverhältnisse der sekundären und primären Quellen der jeweiligen Metalle abgetragen. Ein Konzentrationsverhältnis von 1 bedeutet gleich hohe Konzentrationen in der sekundären und primären Quelle. Werte < 1 geben an, dass die Metallkonzentration in der sekundären Quelle niedriger ist als in der alternativen primären Quelle. Bei Werten > 1 verhält es sich entsprechend umgekehrt. Je weiter das Konzentrationsverhältnis von 1 entfernt ist, desto größer ist die Differenz der beiden Konzentrationen. Auf der Abszisse sind die theoretisch verfügbaren monetären Werte der Metalle in den sekundären Quellen in Euro pro Jahr abgetragen. Der theoretisch verfügbare monetäre Wert entspricht der auf dem globalen Markt verfügbaren Masse an Metall einer sekundären Quelle, multipliziert mit dem Marktpreis des Metalls. Die Farbe und Form der Datenpunkte gibt an, zu welchen EoL-RQ die Metalle aktuell aus ihren sekundären Quellen recycelt werden. Die in Abbildung 6.3 abgetragenen Werte sind für den globalen Markt angegeben. Die Datengrundlage dieser Darstellung ist in Appendix I des elektronischen Zusatzmaterials aufgelistet und entsprechend referenziert.
Die Darstellung in Abbildung 6.3 zeigt, dass bei niedrigen verfügbaren monetären Werten tendenziell nicht recycelt wird, auch wenn die Metallkonzentrationen in den sekundären Quellen höher ausfallen als in den primären Quellen. Ausnahmen sind hier Edelmetalle, wie z. B. Rhenium in Elektroaltgeräten. Diese Metalle werden als Kuppelprodukte über die Kupferroute ausgebracht (Langner 2011; Aurubis AG 2017a) und können als Begleiteffekte der ohnehin stattfindenden Kupfermetallurgie verstanden werden. Damit sind ihre Konzentrationen und ihre verfügbaren monetären Werte nicht ausschlaggebend für ihre EoL-RQ. Ein ähnlicher Fall existiert bei Legierungselementen, wie z. B. Niob in Stahllegierungen. Hier findet kein Recycling der einzelnen Legierungselemente statt, sondern der Legierungen als Ganzes.
Ab einem jährlichen theoretisch verfügbaren monetären Wert von > 1 Mrd. Euro findet das Metallrecycling aus sekundären Quellen vermehrt auch zu hohen EoL-RQ statt, wenn die Konzentrationen im Vergleich zu den primären Quellen geringer ausfallen. Dass deren Recycling dennoch mit der primären Gewinnung konkurrieren kann, ist durch die in Abschnitt 6.1 identifizierten Effekte erklärt, die trotz geringerer Konzentrationen ein Recycling ermöglichen, das aufwands- und damit auch kosteneffizienter ist als die Primärgewinnung. Hinzu kommt, dass es sich hier fast ausschließlich um Massenmetalle handelt, deren Konzentrationsverhältnisse zwar < 1 sind, ihre Konzentrationen in den sekundären Quellen dennoch verhältnismäßig hoch ausfallen (meist deutlich über 1 %). Ein Recycling ist dadurch grundsätzlich begünstigt. Metalle, die in diesem Bereich der hohen verfügbaren monetären Werte trotz moderater Konzentrationsverhältnisse nicht recycelt werden, sind als Zusatzstoffe in Keramiken verwendet. Ein Recycling ist hier bis dato aus technischen Gründen nicht möglich. Auch für Antimon als Flammschutzmittel gibt es noch keine entsprechenden Recyclinglösungen (Ciacci et al. 2015). Zudem sind die Antimonkonzentrationen bei dieser Anwendung entscheidend geringer als in den primären Quellen.
Abbildung 6.3 gibt Aufschluss darüber, warum Metalle recycelt bzw. nicht recycelt werden und liefert damit die empirische Erklärung der von UNEP (2011b) publizierten EoL-RQ. Je höher das Konzentrationsverhältnis (sekundär > primär) und je höher der verfügbare monetäre Wert, desto höher ist der ökonomische Anreiz für ein Recycling und desto höher sind die EoL-RQ. Gleichzeitig beinhaltet diese Darstellung, in Kombination mit den Ergebnissen aus Kapitel 5, aufschlussreiche Informationen darüber, wo angesetzt werden sollte, um das Recyclingsystem und die EoL-RQ im Hinblick auf die Reduktion der THGE zu verbessern. So haben die Ergebnisse der Analysen der exemplarischen Metalle gezeigt, dass Recycling bei einem Konzentrationsverhältnis von > 1 bzw. knapp unter 1 tendenziell energieeffizienter abschneidet als die primäre Gewinnung. Abbildung 6.3 zeigt jedoch auf, dass diese möglichen Ersparnisse nur dann gehoben werden, wenn entsprechend hohe monetäre Mengen zu Verfügung stehen. Um auch die verbleibenden Einsparpotenziale zu nutzen, also die sekundären Quellen, deren Konzentrationsverhältnis > 1, der verfügbare monetäre Wert jedoch eher gering ist, sind politische Interventionen notwendig. Es geht also darum, das ökonomisch agierende Recyclingsystem, dessen aktuelle EoL-RQ im Grunde ökonomische Optima darstellen, dahingehend zu beeinflussen, dass energetische und damit ökologische Optima erzielt werden. Beispiele für verbleibende ökologische Einsparpotenziale sind Seltene Erden Metalle, die in Glaspolituren oder als Glasadditive eingesetzt werden. Recyclingverfahren für diese sekundären Quellen existieren bereits (Binnemans et al. 2013). Auch deren Dissipationsrate in der Nutzungsphase ist vernachlässigbar (Ciacci et al. 2015). Lediglich die verfügbaren monetären Mengen scheinen damit das Hindernis für deren Recycling zu sein.
Stäubli und Bunge (2015) empfehlen staatliche Subventionen für die beteiligten Recyclingunternehmen, um den Wandel von den ökonomischen zu den ökologischen Optima zu erreichen. Politische Interventionen sollten in diesem Kontext jedoch nicht in erster Konsequenz auf unternehmensspezifische Subventionen abzielen, sondern vielmehr auf die Entwicklung des Recyclingsystems und-netzwerks. Ziel muss es sein, die sekundärquellenspezifischen Metallströme, deren monetäre Werte nur gering ausfallen, auch über Ländergrenzen hinweg zu bündeln, um ein zentralisiertes mechanisches und metallurgisches Recycling zu ermöglichen, das wirtschaftlich operieren kann. In manchen Fällen sind die globalen verfügbaren monetären Mengen jedoch so gering, dass solche Bündelungen selbst auf globaler Ebene nicht zu ausreichend hohen Umsätzen für ein wirtschaftliches Recycling führen würden. In solchen Fällen kann es durchaus sein, dass die Transportaufwände bei komplexer Transportlogistik und geringen Metallkonzentrationen verhältnismäßig hoch ausfallen können. Das zeigen z. B. die Analysen der Transportaufwände des Beispielmetalls Tantal (siehe Abschnitt 5.3.3.2). In diesen Fällen besteht also zudem die Gefahr, dass das Recycling ohnehin zu energieintensiv wird.
Metalle in sekundären Quellen, die neben einem geringen monetären Wert zudem noch ein Konzentrationsverhältnis von < 1 aufweisen, sind für ein Recycling ökonomisch höchst unattraktiv. Aus diesem Grund findet für Metalle aus sekundären Quellen, die in diesem Bereich des Diagramms lokalisiert sind, auch kein Recycling statt. Ist das Konzentrationsverhältnis deutlich < 1, so ist zudem davon auszugehen, dass deren Recycling auch aus energetischer bzw. ökologischer Sicht nicht sinnvoll wäre. In diesen Fällen sind die ökonomischen und ökologischen Optima deckungsgleich. Recyclingbemühungen wären hier nicht zielführend.
Die auf globaler Ebene aggregierte EoL-RQ von Metallen liegt derzeit bei 71 % (Haas et al. 2015). Ciacci et al. (2016) zeigen in einer umfangreichen Analyse, dass, sofern Recycling emissionsfrei funktionieren würde, die verbleibenden 29 % die globalen anthropogenen THGE um 1 % senken könnten. Fellner et al. (2017) kommen für den europäischen Raum zu einem sehr ähnlichen Ergebnis. In welchem Umfang die einzelnen metallspezifischen sekundären Quellen zu diesem theoretischen Treibhausgasreduktionspotenzial beitragen, ist in Abbildung 6.4, einer modifizierten Darstellung der Abbildung 6.3, aufgezeigt. Diese Darstellung zeigt die noch verbleibenden theoretischen Einsparpotenziale, wenn die EoL-RQ der Metalle aus den jeweiligen sekundären Quellen auf 100 % erhöht werden würden. Die Größe der Blasen bildet das verbleibende theoretische Einsparpotenzial in t CO2eq ab. Dabei sind die Aufwände des Recyclings nicht berücksichtigt, es handelt sich also lediglich um den CO2-Rucksack der Metalle bzw. die CO2-Emissionen deren Primärgewinnung. Die Datengrundlage dieser Auswertung ist in Appendix I des elektronischen Zusatzmaterials dokumentiert.
Die Darstellung in Abbildung 6.4 zeigt, dass Metalle, die derzeit nicht aus ihren sekundären Quellen recycelt werden (EoL-RQ < 1 %), einen nur verschwindend geringen Anteil am theoretischen Potenzial weiterer THGE haben. Bedeutend höhere noch verbleibende Einsparpotenziale weisen hingegen die Metalle auf, die bereits zu hohen Prozentsätzen aus ihren sekundären Quellen recycelt werden. Typische Beispiele sind hier Eisen und Stahl in Gebäuden und Infrastruktur oder Aluminium in Altautos. Diese Massenmetalle haben zwar verhältnismäßig geringe CO2-Rucksäcke pro Masseneinheit, sind jedoch in enormem Umfang im anthropogenen Stofflager vorhanden. Deren ohnehin bereits hohe EoL-RQ, um nur wenige Prozentpunkte zu erhöhen, kann zu weitaus größeren Einsparungen an THGE führen, als das Recycling aller Technologiemetalle, die aktuell noch nicht den Weg zurück in die Kreisläufe finden. Dennoch sind die Einsparpotenziale der Technologiemetalle nicht zu vernachlässigen. Das zeigt u. a. die Auswertung des Beispielmetalls Tantal, dessen mögliche jährliche Einsparungen in absoluten Werten alleine für den Untersuchungsraum Deutschland dem Energiebedarf von über 1.600 Haushalten entsprechen. Diese Potenziale werden in Zukunft entscheidend wachsen – das zeigen u. a. die Zukunftsprognosen der Bedarfe an Tantal und Kobalt. Das Recycling von Technologiemetallen ist zudem unter strategischen Gesichtspunkten relevant. Denn viele dieser Metalle sind als kritisch eingestuft und damit von hoher Bedeutung für modernste Technologien und die Wirtschaft eines Landes. Gleichzeitig ist deren Versorgungssicherheit häufig als unsicher einzustufen (EC 2014b).
Verbesserungen der EoL-RQ der Massenmetalle sind also der größte Stellhebel um THGE durch Recycling weiter zu reduzieren. Die beiden mengenmäßig bedeutendsten Massenmetalle Aluminium und Eisen bergen noch Potenziale von einigen hundert Millionen Tonnen CO2eq. Notwendige Bedingung ist dabei natürlich, dass die dafür notwendigen Mehraufwände des Recyclings die der primären Gewinnung nicht übersteigen.