Historie des Recyclings und Entwicklung der Circular Economy
Angesichts der mittlerweile inflationären Nutzung des Begriffs Recycling könnte man davon ausgehen, dass es sich hier um ein modernes Phänomen handelt. Tatsächlich ist Recycling jedoch fast so alt wie die Menschheit selbst. Archäologische Funde und Untersuchungen belegen, dass bereits in der Steinzeit die frühen Menschen ihre Werkzeuge und Feuersteine weiteren Nutzungswegen zugeführt haben, wenn die ursprüngliche Nutzung nicht mehr erfüllt werden konnte (Shimelmitz 2015; Zaidner und Grosman 2015; Amick 2015). Über den Umweltschutz wird sich damals wohl noch keiner Gedanken gemacht haben. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass diese ersten Recyclingaktivitäten aus Gründen des Aufwands und der Verfügbarkeit vorgenommen wurden. Große Werkzeuge aus Feuerstein nach dem Gebrauch für z. B. kleinere Werkzeuge zu verwenden, war vermutlich mit weniger Aufwand verbunden, als dafür neue Feuersteine zu suchen und abzubauen. Im späten Mittelalter wurde Recycling bereits gewerblich betrieben, was sich insbesondere anhand der gezielten Sammlung von Altmetall festmachen lässt (Reith 2001). Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Recycling fest in den sozialen und wirtschaftlichen Praktiken verankert (Strasser 2000). Um diese Zeit wurde z. B. in London der Hausmüll noch händisch durch sogenannte Staubfrauen in die werthaltigen Fraktionen für eine Wiederverwendung sortiert (Hobhouse 1900). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderte sich dieses Verhalten, ausgelöst durch Änderungen in der Produktvielfalt, Einkaufsweisen und dem Aufkommen von Einwegartikeln, die zu Symbolen von Wohlstand, Freiheit und Hygiene wurden. In westlichen Ländern, beginnend in Amerika und mit gewissem Zeitverzug auch in Europa, wandelte sich die Gesellschaft, die bisher durch Knappheit der täglich benötigten Güter bestimmt war, zu einer Wohlstandsgesellschaft. Die bis dahin dominierenden Attribute Sparsamkeit und Suffizienz nahmen über die kommenden Jahrzehnte hinweg langsam aber stetig ab und eine Kultur des Massenkonsums brach an (Oldenziel und Weber 2013; Strasser 2000). Die damit verbundenen steigenden Abfallaufkommen wurden vermehrt durch Verbrennung und Deponierung entsorgt. Die Mülltrennung durch Staubfrauen hatte nicht zuletzt aus Gründen der Hygiene und der Menschenwürde nun ausgedient. Dieser neue Umgang mit den Abfallaufkommen wurde bereits zu dieser Zeit im Hinblick auf die Verschwendung von potenziellen Rohstoffen kontrovers diskutiert (Cooper 2008). In den Weltkriegen wurde Recycling in den involvierten Ländern wieder aktuell und stark propagiert, um der steigenden Nachfrage nach Kriegsgeräten und Ausrüstung gerecht zu werden (Cooper 2009; Riley 2008). In diesen Kriegszeiten – wie auch in den anschließenden Jahren des Wiederaufbaus – gingen die Recyclingaktivitäten weit über den üblichen Umfang hinaus. So wurden, bedingt durch die enorme Nachfrage und das knappe Angebot, auch Produkte, die noch in Nutzung und teils von kulturellem und emotionalem Wert waren – wie Kirchenglocken oder Eheringe – für den Bau dringlicherer Dinge wie die Kriegsmaschinerie oder den Wiederaufbau herangezogen (Oldenziel und Weber 2013).
Nach den Weltkriegen nahm die Wirtschaft in den westlichen Ländern wieder Fahrt auf und die Konsumgesellschaft und die damit verbundene sogenannte Wegwerfgesellschaft etablierten sich endgültig. Nach Pfister (1994) kennzeichnet diese Zeit der 1950er Jahre eine Epochenschwelle in der Menschheitsgeschichte – zumindest in den westlichen Ländern. Ausgelöst durch das große Angebot an günstigem Erdöl aus dem Nahen Osten kam es zu einem rasanten Anstieg des globalen Energieverbrauchs und zum Wandel von der Industriegesellschaft zur Konsumgesellschaft. Damit verbunden waren nicht nur enorme Anstiege in den Umweltbelastungen durch Emissionen (Pfister 1994) sondern eben auch ein vermehrtes Abfallaufkommen, das nun endgültig durch Verbrennung und Deponierung gelöst wurde (Cooper 2009; Oldenziel und Weber 2013). Gleichzeitig stieg in dieser Zeitperiode die Weltbevölkerung entscheidend an, was logischerweise zur Erhöhung des Konsums und der damit verbundenen Umweltbelastungen geführt hat (Meadows et al. 2009). Pfister (1994) definiert die 1950er Jahre als den Wendepunkt, an dem der Mensch den Grundstein für die heutige Umweltproblematik gelegt hat. Er spricht daher vom 1950er Syndrom.
Zur selben Zeit, in den 1950er und 1960er Jahren, stieg parallel zu den zunehmenden Umweltbelastungen auch das Umweltbewusstsein in der Gesellschaft. Bekannte Werke wie Silent Spring von Rachel Carson (1962) haben dieses Umweltbewusstsein zu einem Thema der Öffentlichkeit und Politik gemacht (Rome 2003). Mit Werken von Boulding (1966) The Economics of the Coming Spaceship Earth und Meadows et al. (1972) The Limits to Growth und der zur gleichen Zeit stattfindenden Energie- und Ölkrise, wurde zudem die Endlichkeit der Ressourcen auf den Plan gerufen. Boulding definierte die aufkommende Wirtschaft und Gesellschaft der westlichen Welt als eine konsumorientierte, ausbeutende und umweltverschmutzende cowboy economy, die sich durch einen hohen Materialdurchsatz kennzeichnet. Die Erde beschrieb er metaphorisch als Raumschiff, also ein System mit begrenzten Rohstoffquellen und Emissionssenken sowie einer externen Quelle – die Sonnenenergie. Um zukünftigen Generationen eine funktionierende Welt zu hinterlassen, müsse man also weg von der cowboy economy und hin zu einer spaceman economy – einer Wirtschaft und Gesellschaft, die eine vollständige Entkopplung der Wirtschaftsleistung und des Wohlstandes vom Materialdurchsatz zum Ziel hat (Boulding 1966). Das Bild, das Meadows und Kollegen wenige Jahre später, 1972, in ihrem Bericht an den Club of Rome aufzeigten, war ein dramatischeres. Die prognostizierten Anstiege der Weltbevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung sollten ihren Berechnungen zufolge in rasant steigenden Rohstoffbedarfen und Umweltbelastungen resultieren, die etwa zur Mitte des 21. Jahrhunderts zu einem Kollaps führen würden – so damals über quantitative Simulationen errechnet (Meadows et al. 1972).
In den 1970er Jahren wurde die westliche Gesellschaft also im Hinblick auf die Endlichkeit der Ressourcen und die zunehmenden Umweltbelastungen sensibilisiert. Es entstanden Bewegungen aus der Bevölkerung heraus, die sich für mehr Recycling einsetzten. Die Politik unterstützte diese Umweltbewegungen bald auf nationaler Ebene (Oldenziel und Weber 2013). Auch auf europäischer Ebene wurden erste Rahmenwerke zu Abfall- und Recyclingrichtlinien aufgestellt (EEC 1975, 1976). Die 1970er Jahre können also als die Geburtsstunde des Recyclings wie wir es heute kennen – als Maßnahme des Umweltschutzes und der Schonung der natürlichen Ressourcen – verstanden werden.
Recycling wurde in den kommenden Jahrzehnten zu einer der leistungsstärksten und geeignetsten Lösungen auserkoren, um die natürlichen Ressourcen zu schonen und die Umweltbelastungen der Ressourcenbereitstellung zu minimieren (Ayres 1997; Wernick und Themelis 1998; Beardsley 1985). Die Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen in diesem Bereich nahm seit den 1970er Jahren kontinuierlich zu (siehe Abbildung 1.1) und so begann auch der wissenschaftliche Diskurs. Nicholas Georgescu-Roegen, dessen bedeutendste Werke in den 70er Jahren entstanden sind (Georgescu-Roegen 1971, 1975, 1977, 1979a, 1979b), verwies unter Zuhilfenahme des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf die Grenzen des Recyclings. Um diesen doch recht komplexen Sachverhalt zu erklären, soll hier dasselbe Beispiel verwendet werden, das auch Georgescu-Roegen gerne herangezogen hat. Zerreißt man eine Perlenkette in einem Zimmer, so benötigt es Zeit, Energie und Verschleiß (wenn auch verschwindend gering), um die Perlen aufzusammeln und aufzuziehen und die Kette wiederherzustellen (zu recyceln). Würde diese Kette nun über den Vereinigten Staaten zerrissen werden, so würden sehr viel mehr Zeit und Energie benötigt und der Verschleiß deutlich größer ausfallen. Dieser materielle Verschleiß könnte nun theoretisch auch wieder recycelt werden, würde aber ebenfalls wieder zu Verschleiß führen – ein infiniter Regress der vollständiges Recycling unmöglich macht. Begründet ist diese Aussage im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Recycling ist aus physikalischer Sicht ein Prozess, bei dem Materie mit hoher Entropie (verteilte Perlen) in einen Zustand niedrigerer Entropie (Perlenkette) gebracht wird. Das geschieht durch die Zufuhr von Energie bzw. ExergieFootnote 1. Dieser Prozess der Entropieverringerung bzw. Entropieabfuhr muss aber zwangsläufig in einer Erhöhung der Entropie an anderer Stelle resultieren – das geschieht bei der Energiebereitstellung. Georgescu-Roegen verweist darauf, dass aber auch für das Recycling benötigte Materie z. B. eine Recyclinganlage durch Verschleiß und Materialabrieb dissipativen Verlusten unterliegt und damit zu Entropieerhöhung beiträgt. Um also alle Materie ewig im Kreislauf zu führen, müssten nicht nur unendlich Energie, sondern auch unendliche Mengen an Materie zur Verfügung stehen. Vollständige Kreislaufschließungen seien demnach nicht möglich. Georgescu-Roegen definierte diese Erkenntnis als viertes Gesetz der Thermodynamik (Georgescu-Roegen 1979b). Unterstützung fand er insbesondere durch Herman Daly (1973, 1995). Das Konzept wurde allerdings auch von zahlreichen Ökonomen und Physikern kritisiert (Ayres und Miller 1980; Mansson 1994; Binswanger 1993; Mayumi 2009, 2001; Bianciardi et al. 1993; Ruth 1995). Eine umfassende Kritik wurde u. a. von Robert Ayres (1999) publiziert. Er widerspricht Georgescu-Roegen in seiner Kernaussage, dass vollständige Kreislaufschließungen nicht möglich sei und begründet es damit, dass die Erde kein abgeschlossenes System ist, sondern vielmehr externen Energieinput in unendlichen Mengen durch die solare Strahlung der Sonne bekommt. Die dissipativen Materialverluste, die durch Recyclingprozesse entstehen, könnten also ab einer gewissen Menge und Konzentration ebenfalls wieder recycelt werden ohne in einen infiniten Regress zu gelangen (Ayres 1999).
Ein weiteres Resultat der 1970er Jahre ist das Konzept der Circular Economy (CE), das nach Angaben zahlreicher Publikationen (Graedel et al. 2019; Su et al. 2013; Ghisellini et al. 2016; Andersen 2007) erstmals formell von Pearce und Turner (1990) vorgeschlagen wurde. Die Konzeptionierung basiert auf den oben aufgeführten Überlegungen von Boulding im Jahr 1969. Die Aussage von Georgescu-Roegen, dass die Kreisläufe nie vollständig geschlossen werden können, wurde ebenfalls mitaufgenommen. Der Grundgedanke der CE – wie 1990 definiert – ist daher wie folgt: alle Materialien sollten möglichst vollständig im Wirtschaftskreislauf gehalten werden, um natürliche Ressourcen zu schonen und das Abfallaufkommen zu minimieren. Da dies im Sinne von Georgescu-Roegen nicht möglich ist, fällt ein gewisser Anteil an Material als Abfall an, der jedoch auf die Aufnahmefähigkeit der Umwelt beschränkt sein sollte (Pearce und Turner 1990). Die Auswertung in Abbildung 1.1 zeigt zwar erst nach der Jahrtausendwende einen Anstieg in den wissenschaftlichen Publikationen zu CE, in der deutschen Gesetzgebung wurde dieser Grundgedanke jedoch bereits 1996 durch das erste Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes verankert. Deutschland wird mit dieser Handlung eine Pionierrolle zugeschrieben (Su et al. 2013). Es folgte Japan im Jahr 2000 (MEGJ 2000) und China im Jahr 2009 (Lieder und Rashid 2016) mit entsprechenden Gesetzgebungen. Heute ist der Gedanke der CE in zahlreichen nationalen (Kalmykova et al. 2018; Lieder und Rashid 2016) und übernationalen – insbesondere europäischen (EC 2014d, 2015) – Strategien, Aktionsplänen und Gesetzgebungen verankert.
Die Wissenschaft begleitet diese Entwicklung. Das zeigt sich neben der steigenden Anzahl an Publikationen auch durch die zahlreichen Literatur-Reviews zu diesem Themenbereich (Andersen 2007; Lieder und Rashid 2016; Geissdoerfer et al. 2017; Su et al. 2013; Kalmykova et al. 2018; Ghisellini et al. 2016). Zentraler Kritikpunkt der meisten dieser Reviews ist die aktuell noch fehlende Konsistenz des Konzepts CE. Korhonen et al. (2018b) beschreibt die CE als eine lose Sammlung von Fragmenten unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen wie z. B. Industrial Ecology (Frosch und Gallopoulos 1989), Ecological Economics (Georgescu-Roegen 1977) und vielen mehr. Blomsma und Brennan (2017) zeigen auf, dass unterschiedliche Autoren zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wenn es darum geht, abzubilden was die CE darstellen sollte oder könnte. Die fehlende Konsistenz der CE zeigt sich auch in der Vielzahl an unterschiedlichsten Definitionen (Geissdoerfer et al. 2017). Mehrere Autoren haben über umfangreiche Literaturstudien versucht, eine einheitliche Definition abzuleiten (Geissdoerfer et al. 2017; Kirchherr et al. 2017; Korhonen et al. 2018b; Prieto-Sandoval et al. 2018), die sich jedoch ebenfalls wieder voneinander unterscheiden. Während Korhonen et al. (2018b) davon ausgehen, dass eine einheitliche Definition abzuleiten vermutlich nicht möglich ist, kommen Moraga et al. (2019) zu dem Ergebnis, dass CE als ein übergreifendes Konzept zu verstehen ist, das im engeren (sensu stricto) und weiteren (sensu latu) Sinne definiert werden kann und sollte. Die sensu stricto Definition zielt auf die technologischen Kreisläufe der Ressourcen ab – also das Verlangsamen und Schließen von Materialkreisläufen, das entsprechend durch Lebensdauerverlängerungen von Produkten (Wiederverwendung, Reparatur etc.) und Recycling von Materialien erreicht werden kann. Die sensu latu Definition erfasst die CE in einem makroskopischen Kontext als ökonomisches System, das alle Aktionen darauf auslegt, die Funktionsfähigkeit des Ökosystems und das menschliche Wohlbefinden zu maximieren. Um trotz der kontroversen Diskussion über die Definition der CE eine prägnante und weitestgehend reflektierte Definition zu zitieren, wird auf Geissdoerfer et al. (2017) zurückgegriffen. Demnach ist die CE:
"[…] ein regeneratives System, in dem Ressourceneinsatz und Abfall, Emissionen und Energieverluste durch Verlangsamung, Schließen und Verkleinern von Material- und Energiekreisläufen minimiert werden. Dies kann durch langlebiges Design, Wartung, Reparatur, Wiederverwendung, Wiederaufbereitung, Modernisierung und Recycling erreicht werden."Footnote 2 (Geissdoerfer et al. 2017)
Vergleicht man diese Definition der CE, wie auch die von Moraga et al. (2019) vorgeschlagene differenziertere Definition, mit dem ursprünglichen Konzept der CE von Pearce und Turner (1990), fällt auf, dass die vollständige Schließung von Kreisläufen nun eine notwendige Bedingung geworden zu sein scheint. Öffentlichkeitswirksame Buchveröffentlichungen wie Cradle-to-Cradle (Braungart und McDonough 2002) und insbesondere die Arbeiten der Ellen MacArthur Foundation (EMF 2014, 2013b, 2013a; Webster 2017) tragen wesentlich dazu bei, dass das Konzept der CE auch im unternehmerischen und gesellschaftlichen Umfeld zunehmend an Bedeutung gewinnt und suggerieren die Möglichkeit von perfekt geschlossenen Kreisläufen (Lazarevic und Valve 2017). Auch die großen Consultants haben in den vergangenen Jahren die CE als neue Sparte für sich entdeckt und tragen mit zahlreichen Veröffentlichungen (Bouton et al. 2016; Lacy et al. 2014; Hestin et al. 2016) ebenfalls zur Vision der vollständigen Kreislaufschließung bei.
Die Kreislaufführung von Materialien sollte keineswegs ein Selbstzweck, sondern vielmehr ein Mittel zum Zweck sein. Doch welchen Zweck bzw. welches Ziel verfolgt die CE konkret? Grundsätzlich wird der CE das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zugesprochen (Ghisellini et al. 2016; Murray et al. 2017). Nach einer Analyse von 114 Definitionen der CE, kommen Kirchherr et al. (2017) zu dem Ergebnis, dass die CE nur selten mit einer vollumfänglichen Definition einer nachhaltigen EntwicklungFootnote 3 in Verbindung gebracht wird. Als Hauptziel identifiziert die Studie den wirtschaftlichen Wohlstand, dicht gefolgt von der Umweltqualität an zweiter Stelle. Die soziale Komponente ist eher unterrepräsentiert. Nicht nur bei der Zielgrößendefinition, auch bei der Zielerreichung bzw. der Art und Weise des Beitrags der CE zu einer nachhaltigen Entwicklung gibt es in der Literatur unterschiedliche Vorstellungen. Geissdoerfer et al. (2017) gruppieren die Beziehungen der CE und einer nachhaltigen Entwicklung wie folgt: Als (i) notwendige Bedingung, (ii) vorteilhafte Maßnahme oder (iii) Trade-off Beziehung. Die Beziehungen (i) und (ii) implizieren, dass je fortgeschrittener die CE ist, desto höher ist der Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Die Trade-off Beziehung (iii) geht davon aus, dass der positive Beitrag der CE zu einer nachhaltigen Entwicklung auch Grenzen unterliegt. Der aktuelle Stand des Konzepts der CE ist also auch in punkto Zieldefinition und Zielerreichung noch nicht konsistent. Um die CE und auch Recycling – als integralen Bestandteil der CE – im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zielorientiert auszurichten, bedarf es also noch weiterer Überarbeitung.
Trotz der Inkonsistenz in der Zieldefinition und der unterschiedlichen Meinungen über die Zielerreichung zeichnet sich bei den Strategien, die zur Erreichung einer CE beitragen sollen, ein relativ deutliches Bild ab. Fast immer zielen die Strategien auf den physischen Erhalt der Materialien ab.Footnote 4 Dabei spielt insbesondere Recycling eine entscheidende Rolle (Kirchherr et al. 2017; Moraga et al. 2019). Auch wenn es darum geht, die CE anhand bestimmter Indikatoren zu messen, steht der Erhalt der Materialien im Wirtschaftskreislauf durch Recycling an oberster Stelle (Moraga et al. 2019). Dass Recycling eine solch zentrale Bedeutung in der CE zugesprochen wird, ist nur logisch, denn egal welche Maßnahmen ergriffen werden, um Materialkreisläufe zu verlangsamen oder verkleinern (durch z. B. Wiederverwendung oder Reparaturen), irgendwann hat jedes Produkt sein Lebenszyklusende erreicht und muss stofflich recycelt werden. Recycling ist also die letzte Konsequenz der CE. Auch zahlreiche politische Aktionspläne fokussieren das Recycling als wesentliche Strategie der CE. Das zeigen u. a. die Vorgaben der Europäischen Union zu massenorientierten Mindestrecyclingquoten für z. B. Altautos (European Parliament 2000) und Batterien (Europäisches Parlament 2013).
Recycling ist als Strategie der CE also gesetzt – doch mit welcher genauen Zielrichtung? Und wie trägt Recycling zur Zielerreichung bei? Ein Blick in die Geschichte hat gezeigt, dass Recycling und die Idee der Kreislaufführung von Materialien keineswegs Neuheiten sind, sondern vielmehr so alt wie die Menschheit selbst. Recycling wurde immer aus guten Gründen praktiziert – da es weniger Aufwand und Zeit in Anspruch nahm oder auch um in Kriegszeiten kurzfristige Knappheit auszugleichen. Recycling und CE wie wir es heute kennen – als Maßnahme einer nachhaltigen Entwicklung und des Ressourcenschutzes – hat seine Wurzeln in den 1970er Jahren und der Entdeckung des Umweltbewusstseins. Die aktuelle Diskussion um CE und Recycling zeigt jedoch deutliche Inkonsistenzen in der Konzeptionierung, Zielausrichtung und Zielerreichung. Gleichzeitig etabliert sich die Vision vollständig geschlossener Kreisläufe, zusätzlich befeuert durch die Diskussion um schwindende natürliche Ressourcen (Sverdrup et al. 2017; Sverdrup et al. 2013). In der Wissenschaft werden daher die Stimmen lauter, die eine klare Zielausrichtung der CE und des Recycling sowie deren wissenschaftliche Absicherung fordern (Korhonen et al. 2018a; Bocken et al. 2017; Cullen 2017; Allwood 2014). Stellvertretend für diese Stimmen aus der Wissenschaft können Korhonen et al. (2018a) zitiert werden: „[…] es braucht wissenschaftliche Forschung, um sicherzustellen, dass die tatsächlichen Umweltauswirkungen von CE auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind“.Footnote 5
Utopie der vollständigen Kreislaufschließung und Herausforderungen des Recyclings
Der vorherige Abschnitt zeigt auf, dass die CE und das Recycling heute wichtige Bestandteile zahlreicher politischer Vorgaben und Aktionspläne sind und die Vision vollkommener geschlossener Kreisläufe angestrebt wird. Doch wie zirkulär ist die globale Wirtschaft heute bereits? Welche Herausforderungen existieren für das Recycling und kann eine vollständige Kreislaufführung überhaupt erreicht werden? Diese Fragen sind in diesem Abschnitt beantwortet.
Die aktuelle Weltwirtschaft ist noch weit von einer geschlossenen Kreislaufführung der eingesetzten Rohstoffe entfernt. Eine umfassende Analyse der globalen Stoffströme von Haas et al. (2015) kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich 6 % aller Rohstoffe, die im globalen Wirtschaftssystem benötigt werden, tatsächlich stofflich recycelt werden. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass 44 % der durchgesetzten Materialien für die Energiebereitstellung (fossile und biogene Energieträger) eingesetzt werden, was deren Recycling unmöglich macht. Zum anderen werden von den verbleibenden 56 %, also die Rohstoffe, die theoretisch für ein Recycling zur Verfügung stehen, effektiv nur 28 % durch Recycling rückgewonnen. Auf europäischer Ebene fallen die Ergebnisse sehr ähnlich aus. Haas et al. (2015) verweisen zudem darauf, dass die Kreislaufführung maßgeblich durch die wachsenden sozioökonomischen Materialbestände – also Materialien, die im urbanen Raum, wie z. B. in Gebäuden, langfristig gebunden sind – verhindert wird.
Neben den von Haas et al. (2015) identifizierten Punkten der unzureichenden Recyclingquoten, dem hohen fossilen Energieeinsatz und der wachsenden Materialbestände ist noch ein weiterer Punkt zu nennen, der eine vollständige in sich geschlossene Kreislaufführung verhindert – die stetig wachsende Weltbevölkerung und Weltwirtschaft. Eine absolute Entkopplung des Ressourcenbedarfs vom Wirtschaftswachstum, wie es Boulding (1966) als zentrale Notwendigkeit seiner spaceman economy definiert hat, konnte bisher nur in sehr wenigen Fällen erzielt werden und scheint für den gesamten Ressourcenbedarf utopisch (De Bruyn 2002; Steger und Bleischwitz 2009, 2011). Selbst auf lange Sicht ist nach Aussage des United Nations Environment Programme (UNEP) nur eine relative Entkopplung realistisch (UNEP 2011a).Footnote 6 Es ist also auch in Zukunft in jedem Falle mit einem positiven Wachstum der Ressourcenbedarfe zu rechnen. Das bestätigen auch zahlreiche Studien (van der Voet et al. 2019; Elshkaki et al. 2016, 2018; Kleijn et al. 2011). Selbst bei vollständigem Recycling aller zur Verfügung stehenden Materialien kann primäres Material nie vollständig vermieden werden (Lèbre et al. 2017; Cullen 2017). Eine Weltwirtschaft, die durch vollkommen in sich geschlossene Kreisläufe funktioniert, ist demnach nicht möglich. Eine Hochrechnung von van der Voet et al. (2019) kommt zu dem Ergebnis, dass erst frühestens Ende dieses Jahrhunderts die Bedarfe von Eisen und Aluminium zu größeren Anteilen aus Recycling als aus der primären Produktion gedeckt werden können – selbst unter der sehr optimistischen Annahme einer EoL-RQ dieser Metalle von 90 %.
In der Literatur finden sich zahlreiche weitere Publikationen, die sich mit unterschiedlichsten Grenzen der CE befassen. Kirchherr et al. (2018) benennen kulturelle Barrieren der CE, die sich hauptsächlich auf Konsumenten- und Produzentenverhalten zurückführen lassen. Auch Korhonen et al. (2018a) kommen zu dem Ergebnis, dass soziale und kulturelle Hemmnisse für die CE existieren, diese Liste aber noch um zahlreiche weitere ökonomische und physikalische Barrieren ergänzt werden muss. Baxter et al. (2017) diskutieren die Probleme der CE, die durch Verunreinigungen beim Recycling oder auch bereits in der Nutzung eines Produktes entstehen. Bedingen z. B. Verunreinigungen, die im Recycling entstehen, eine Minderung der Qualität des Materials, so ist das sogenannte Downcycling die Folge. Ein typisches Beispiel hierfür sind unerwünschte Metalle in Aluminiumlegierungen, die die qualitativen Eigenschaften und damit den Nutzen der Legierung verringern (Nakajima et al. 2010). Zink und Geyer (2017) haben in diesem Kontext den Begriff Circular Economy Rebound eingeführt. Gemeint ist damit, dass für recycelte Materialien, deren Qualität durch Verunreinigungen verringert ist, die Substitution von Primärmaterial nicht mehr gewährleistet ist. Damit findet deren Recycling zusätzlich zur Primärproduktion und nicht stattdessen statt. Cullen (2017) diskutiert diese Herausforderung auf einer theoretischen Ebene und erläutert, dass die Qualität der recycelten Materialien durch entsprechenden Mehraufwand im Recycling aufrechterhalten werden kann. Damit kommt er zu der Frage, bis zu welchem Aufwand Recycling und damit auch die CE sinnvoll ist. Dass Recycling mit Aufwand und entsprechenden Umweltbelastungen verbunden ist und somit auch dieser Aspekt eine begrenzende Funktion für die CE haben sollte, wird auch in zahlreichen weiteren Publikationen vertreten (Bocken et al. 2017; Allwood 2014; Geyer et al. 2016; Korhonen et al. 2018a).
Zahlreiche Veröffentlichungen von und mit Markus Reuter diskutieren die Grenzen der CE und des Recyclings aus einer sehr technischen und thermodynamischen Sicht. Verluste der Quantität und Qualität können bei mechanischen und metallurgischen Recyclingprozessen aufgrund thermodynamischer Grenzen nie vollständig vermieden werden. Es ist umfassendes Wissen über die Zusammensetzung der zu recycelnden Produkte (Reuter spricht hier meist von Mineralogie der Produkte) und die Interaktionen der Materialien und Metalle notwendig, um die Recyclingaktivitäten, insbesondere im Hinblick auf die metallurgische Aufbereitung der Metalle, zu optimieren (Reuter und van Schaik 2008; Reuter et al. 2018; Reuter und Kojo 2012; Castro et al. 2007; Amini et al. 2007).
Zu Beginn dieses Abschnitts ist gezeigt, dass die Zirkularität der globalen Wirtschaft als sehr niedrig eingestuft werden muss. Diese Einstufung berücksichtigt alle Rohstoffe, die in der Wirtschaft benötigt werden. Damit sind auch Energieträger und Biomasse eingeschlossen, deren Kreislaufführung aufgrund ihrer angedachten Nutzung nur sehr eingeschränkt oder unmöglich ist (Haas et al. 2015). Auch Kunststoffe sind in ihrer Kreislauffähigkeit stark begrenzt, da ihre stofflichen Eigenschaften auf ihrer molekularen Struktur basieren. Diese molekularen Strukturen zerbrechen im Laufe der Zeit durch Umwelteinflüsse wie ultraviolette Strahlung oder mechanische und thermische Belastungen durch z. B. Recyclingprozesse. Die Stoffeigenschaften von Metallen hingegen sind auf ihre Atome zurückzuführen und daher – zumindest in der Theorie – prädestiniert für ein Recycling (Verhoef et al. 2004). Die Kreislaufführung von Metallen liegt mit 40 % für Europa und 36 % auf globaler Ebene auch deutlich über der durchschnittlichen materiellen Kreislaufführung. Betrachtet man nur die Recyclingquote der Metalle am Ende deren Lebenszyklus (sogenannte End-of-Life Recyclingquote (EoL-RQ))Footnote 7, so liegt der Wert für Europa bei 76 % und der Wert für die Welt bei 71 %. Der Unterschied der Werte der Kreislaufführung und der EoL-RQ liegt darin, dass das anthropogene Stofflager immer weiter aufgebaut wird und somit die Kreislaufführung gehemmt wird. Die EoL-RQ ist davon per Definition (siehe Abschnitt 2.1) nicht betroffen (Haas et al. 2015).
Eine umfangreiche Studie des UNEP beinhaltet eine differenziertere Betrachtung der EoL-RQ von 60 Metallen. Lediglich 16 Metalle weisen hohe EoL-RQ von über 50 % auf. Zehn Metalle werden nur zu geringen Prozentsätzen von teils weit unter 50 % am Ende ihres Lebenszyklus recycelt. Für die verbleibenden 34 Metalle findet de facto kein Recycling statt (UNEP 2011b). Abbildung 1.2 fasst diese Ergebnisse zusammen. Metalle, deren Recycling zu hohen Prozentsätzen praktiziert wird, sind Massenmetalle wie Eisen, Aluminium und Kupfer sowie Edelmetalle. Letztere werden insbesondere durch ihren hohen ökonomischen Wert und ihren edlen Charakter im Recycling begünstigt. Da Massenmetalle den mit Abstand größten Teil am gesamten Metallbedarf ausmachen,Footnote 8 erklärt sich die hohe aggregierte EoL-RQ der Metalle von über 70 %. Metalle, die nicht bzw. kaum recycelt werden, sind überwiegend die sogenannten Technologiemetalle. Der Bericht von UNEP (2011b) bezeichnet diese Metalle als speciality metals. Sie werden meist in nur sehr geringen Konzentrationen in Produkten eingesetzt und machen daher auch massenbilanziell nur einen geringen Anteil an der Gesamtmasse der Metalle im anthropogenen Stofflager aus. Allerdings sind diese Technologiemetalle – wie ihr Name bereits vermuten lässt – unabdingbar für moderne Technologien. Diese modernen Technologien wie z. B. Elektromobilität oder Erneuerbare Energien sind wiederum in vielen Fällen unerlässlich für eine nachhaltige Entwicklung (Reck und Graedel 2012; Marscheider-Weidemann et al. 2016).
Während die Massenmetalle, die den Großteil des gesamten Metallbedarfs ausmachen, in der primären Produktion aus Erzen nur mit relativ geringen Aufwänden und Umweltwirkungen pro Masseneinheit verbunden sind, fallen die Aufwände und Umweltwirkungen für Edel- und Technologiemetalle sehr viel höher aus. So ist z. B. Gold mit Treibhausgasemissionen (THGE) von 12.500 kg CO2eq/kg verbunden, Tantal mit 260 kg CO2eq/kg, Eisen als Stellvertreter für die Massenmetalle jedoch nur mit 1,5 kg CO2eq/kg (Nuss und Eckelman 2014).
Die aktuelle Situation ist also selbst bei Metallen noch deutlich von einer vollständigen Kreislaufführung entfernt. Doch warum ist das so, wo Metalle doch ausgezeichnete Recyclingeigenschaften aufweisen? Und aus welchen Gründen werden gerade die Technologiemetalle, die in der primären Produktion mit hohen Aufwänden und Umweltbelastungen verbunden sind, nicht oder nur zu sehr geringen Prozentsätzen recycelt? Darauf ist im Nachfolgenden ausführlich eingegangen.
Das Recycling von Produkten bzw. Materialien, die in Produkten verbaut sind, gestaltet sich heute beliebig komplex und die Herausforderungen sind so umfangreich wie nie zuvor. So umfasst die Elementvielfalt, die aktuell benötigt wird, um Produkte zu bauen, nahezu alle stabilen Elemente des Periodensystems. Achzet et al. (2011) verweisen darauf, dass die Anzahl an Elementen, die die Menschheit benötigt hat und aktuell benötigt, um Energie bereitzustellen, in den vergangenen 300 Jahren exponentiell gestiegen ist. Abbildung 1.3 illustriert diese Entwicklung. Auch in näherer Vergangenheit kann dieser Trend beobachtet werden – u. a. am Beispiel von Leiterplatten. Im Jahr 1980 wurden noch 12 Elemente benötigt, um Leiterplatten zu produzieren. Im Laufe der nächsten 10 Jahre kamen 4 weitere Elemente hinzu. Heute sind Leiterplatten ohne Frage weit aus funktioneller als noch vor 40 Jahren, allerdings werden nun rund 60 Elemente benötigt, um diese Funktionalität herzustellen (NRC 2008). Die von Allwood (2014) als Frage formulierte Kritik zur vollständigen Kreislaufschließung, veranschaulicht diese Entwicklung: „Angenommen er hatte ein Auto, sollten Kenneth Boulding’sFootnote 9 Nachkommen heute ein Auto fahren, das vollständig aus den Atomen seines in den 1950er Jahren gebauten Autos hergestellt wurde?“Footnote 10 Natürlich ist diese Frage rhetorischer Natur, denn sie kann mit einem deutlichen Nein beantwortet werden. In den 1950er Jahren war ein Auto ein noch relativ simples Produkt. Es wurden nur eine Handvoll an Metallen und Materialien für die Herstellung benötigt – Eisen, Kupfer, Blei, Zink, Aluminium, Gummi und Plastik. Heute handelt es sich um hochtechnologische Produkte mit bis zu 150 Mikroprozessoren und 6.000 Halbleitern bzw. elektronischen Bauelementen. Dafür werden rund 60 Elemente benötigt (Wellmer et al. 2019, S. 44–45). Insbesondere durch den Leichtbau wurden auch die Kombinationen der Elemente hochkomplex. Die Vielzahl an unterschiedlichsten Materialien und Legierungen stellt das Recycling nun vor enorme Herausforderungen (Arowosola und Gaustad 2019; Dahmus und Gutowski 2007).
Nicht nur die Elementvielfalt der Produkte hat sich gravierend verändert, auch die Konzentrationen der verbauten Elemente haben teilweise drastisch abgenommen. Das kann u. a. durch das Beispiel Elektroschrott gezeigt werden (siehe Tabelle 1.1). Seit den 1970er Jahren sind insbesondere die Konzentrationen der Edelmetalle in dieser Schrottfraktion um über 80 % abgesunken. Diese Entwicklung ist noch immer aktuell. Das zeigt u. a. eine Analyse von Christian et al. (2014) zu den Metallkonzentrationen in Mobiltelefonen der letzten 20 Jahre. Hier wurden ebenfalls deutliche Rückgänge in den Konzentrationen der Edel- und auch Technologiemetalle beobachtet.
Ein wesentlicher Treiber der abnehmenden Metallkonzentrationen ist die Miniaturisierung von Bauteilen und Komponenten, die insbesondere bei elektronischen Produkten stattfindet (Ueberschaar et al. 2017a; Hainzl und Nicolics 2001). Ein Beispiel hierfür sind Tantalkondensatoren, deren Größe sich exponentiell verringert hat, und das bei zunehmender Kapazität. Heute sind die Kondensatoren rund 200 mal kleiner als es im Jahr 1970 der Fall war (Both 2016). Ein berühmteres Beispiel der Miniaturisierung ist durch das Mooresche Gesetz bekannt. Ob diese erstmals in den 60er Jahren formulierte Prognose, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Mikroprozessor alle 1–2 Jahre verdoppelt (Moore 1965, 1975), nun eine selbsterfüllende Prophezeiung war oder nicht, sei dahingestellt. Fakt ist, es hat genau dieses exponentielle Wachstum stattgefunden und damit die exponentielle Entwicklung der Miniaturisierung. Obwohl das Mooresche Gesetz nun wohl an seine Grenzen stoßen wird, sind Chiphersteller wie die Intel Corporation weiterhin bemüht, mehr Nutzen auf noch kleinerem Raum unterzubringen (Waldrop 2016).
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Miniaturisierung steht auch das abnehmende Produktgewicht, was ebenfalls schwerpunktmäßig bei den Elektrogeräten zu verzeichnen ist. Trotz steigenden Stückzahlen von u. a. Fernsehgeräten, Computern und Smartphones ist ein Rückgang der produktspezifischen Tonnagen zu erwarten. Geringere Massen, die für ein Recycling zur Verfügung stehen, haben unmittelbar Einfluss auf die Skaleneffekte und damit auf die Wirtschaftlichkeit des Recyclings (Hagelüken 2017). Steigende Stückzahlen von Produkten bei gleichzeitig rückläufigen Massen stellen zudem die Sammellogistik vor enorme Herausforderungen.
Tabelle 1.1 Metallkonzentrationen in Elektroschrott 1970 und heute Eine aktuelle Analyse von Bookhagen et al. (2018a) zu den Elementkonzentrationen von Leiterplatten in Smartphones verdeutlicht, welche Herausforderungen diese Entwicklungen für das Recycling mit sich bringen. In Abbildung 1.4 sind die Massenanteile der identifizierten Elemente sowie die kumulierten Massen in einem Paretodiagramm aufgeführt. Diese Darstellung veranschaulicht zum einen die enorme Bandbreite an unterschiedlichsten Elementen, die in solch komplexen Produkten verbaut sind. Neben den Massenmetallen wie u. a. Kupfer, Aluminium und Eisen sind Edelmetalle und zahlreiche Technologiemetalle verbaut. Betrachtet man die Konzentrationen der Elemente, so fällt auf, dass die Massenmetalle in relativ hohen Konzentrationen vertreten sind. Kupfer z. B. hat eine Konzentration in der Leiterplatte von fast 50 %. Auch Eisen ist mit 18 % noch hoch konzentriert. Die Summe aller Massenmetalle auf der Leiterplatte machen knapp 90 % der Gesamtmasse aus. Die Vielzahl an Edel- und Technologiemetallen nehmen die verbleibenden 10 % ein. Die Konzentrationen der meisten Technologiemetalle sind dabei so gering, dass sie nur in Spuren auf der Leiterplatte vertreten sind. Eine solche Vielfalt an Elementen, die zudem in einem komplexen Matrixverbund vorliegen, durch Recyclingprozesse aufzutrennen und zu separieren, stellt eine enorme, wenn nicht sogar unmögliche Herausforderung dar, die nur über entsprechende metallurgische Lösungen angegangen werden kann. Hierbei ist die Kombination der Elemente ein entscheidender Aspekt, denn sie ist bei Produkten – wie hier gezeigt – meist weitaus komplexer und teils fundamental unterschiedlich zu denen der natürlichen Erze (Wellmer und Dalheimer 2012). Die sehr geringen Konzentrationen stellen neben der technischen und ökonomischen Herausforderung eben auch insbesondere ein Aufwandsproblem dar. Denn der Aufwand der bei der Extraktion eines Materials betrieben werden muss, verhält sich annähernd umgekehrt proportional zur Konzentration des Materials (Moreau et al. 2017).
Solche hochtechnologischen Konsumentenprodukte wie Smartphones sind neben einem geringen Produktgewicht und geringen Metallkonzentrationen zudem meist durch eine hohe räumliche Verteilung gekennzeichnet. Weitere Extrembeispiele sind hier u. a. Smartwatches oder Hörgeräte. Für manche Metalle in solchen Produkten – insbesondere für die Technologiemetalle mit geringsten Konzentrationen – kann schon fast von einer dissipativen VerteilungFootnote 11 gesprochen werden.
Ciacci et al. (2015) haben die Dissipationen zahlreicher Metalle ausführlich untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die dissipativen Verluste in der Nutzungsphase, wie z. B. Abriebe von Bremsbelägen, bei nur 8 Metallen (Zink, Arsen, Selen, Quecksilber, Bismut und drei seltene Erden) über 10 % ihrer eingesetzten Gesamtmasse ausmachen. Die dissipativen Verluste in der Nutzungsphase aller weiteren Metalle liegen weit unter 10 %. Viel ausschlaggebender sind aus massenbilanzieller Sicht die dissipativen Verluste, die daraus resultieren, dass ein Recycling aus technischen und/oder ökonomischen Gründen nicht möglich ist. Kann ein Metall nicht gezielt rückgewonnen werden, geht es in anderen Metall- bzw. Stofffraktionen dissipativ verloren. Dieser Punkt ist unmittelbar auf die in Abbildung 1.4 exemplarisch veranschaulichte Komplexität zurückzuführen. Nach Angaben von Ciacci et al. (2015) sind aktuell knapp 30 Metalle zu über 10 % nicht recycelbar und gehen daher dissipativ verloren. Fast alle sind Technologiemetalle.
Dass die EoL-RQ aller Metalle noch deutliches Verbesserungspotenzial aufweisen, ist offensichtlich. Die niedrigen Konzentrationen und hohe Elementvielfalt in Produkten und somit auch in EoL-Produkten und Abfallströmen – in der nachfolgenden Arbeit als sekundäre Quellen bezeichnet – kann Recycling jedoch beliebig komplex und aufwandsintensiv werden lassen. Das bestätigen auch die Stimmen aus der Praxis. So hat z. B. die Aurubis AG – einer der weltgrößten Kupferrecycler – genau mit diesen Problemen zu kämpfen (Kawohl 2011). Theoretisch könnten zwar selbst die dissipativ verteilten Elemente rückgewonnen werden, das würde jedoch Unmengen an Aufwand bedeuten (Moreau et al. 2017).
Metalle in der Circular Economy
Dass Metalle eine wesentliche Bedeutung in der globalen Wirtschaft und insbesondere auch in der CE einnehmen, ist bereits in den vorherigen Abschnitten angeklungen. In der Menschheitsgeschichte haben sie schon immer eine entscheidende Rolle gespielt. Die Namensgebung von Perioden in der Menschheitsgeschichte wie Bronzezeit oder Eisenzeit verdeutlichen, wie entscheidend Metalle unsere Gesellschaft über die Zeitgeschichte hinweg beeinflusst haben (von Gleich 2006; Worrell und Reuter 2014). Aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften wie elektrische und thermische Leitfähigkeit, Formbarkeit, Stabilität sowie vielen weiteren werden sie in einem breiten Anwendungsspektrum in Bereichen wie Maschinen, Energie, Verkehr, Bauwesen, Informationstechnologie und einem schier endlosen Angebot an Produkten und Dienstleistungen eingesetzt. Um sich der Schlüsselrolle von Metallen in der Wirtschaft bewusst zu werden, genügt ein kurzes Nachdenken über ihre Beteiligung in der Energieerzeugung sowie Material- und Produktproduktion.
Die heutige Industriegesellschaft benötigt nicht nur so hohe Mengen an Metallen wie nie zuvor (UNEP 2016), auch die Vielfalt an unterschiedlichsten Metallen, die für das moderne Leben benötigt werden, ist kontinuierlich gestiegen – siehe hierzu Abschnitt 1.1.2. Es ist also nicht verwunderlich, dass die globalen Flüsse der meisten Elemente heute durch die Menschheit dominiert sind (Klee und Graedel 2004). Aktuellen Prognosen zufolge werden auch in Zukunft die Metallbedarfe weiter ansteigen (Elshkaki et al. 2016, 2018; van der Voet et al. 2019; Kleijn et al. 2011; Pauliuk et al. 2013; Schipper et al. 2018). Für die Massenmetalle Eisen, Mangan, Aluminium, Kupfer, Nickel, Zink und Blei werden sich die Bedarfe bis 2050 verdoppeln oder sogar verdreifachen. Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass die größten Bedarfszuwächse bei Entwicklungen hin zu einer nachhaltigeren Welt im Sinne des Ausbaus der regenerativen Energieerzeugung und einer Verbesserung der globalen Kollaboration und Gerechtigkeit prognostiziert werden (Elshkaki et al. 2018). Um eine CO2-arme Energieerzeugung durch den Einsatz entsprechender Technologien wie Photovoltaik oder Windkraft zu erreichen, wird pro erzeugte Energieeinheit ein Vielfaches an Metallen benötigt als es für die konventionellen Erzeugungstechnologien der Fall ist (Kleijn et al. 2011). Insbesondere der Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie die Zunahme der Elektromobilität und der generelle Zuwachs an elektronischen Geräten führen bis 2050 auch für zahlreiche Technologiemetalle wie Tantal, Neodym und Lithium mindestens zu einer Verdopplung ihres Bedarfs. Für Kobalt wird sogar ein Wachstum um den Faktor 10 erwartet (Deetman et al. 2018).
Um diesem wachsenden Metallbedarf der industriellen Gesellschaft gerecht zu werden, müssen die Metalle aus der Ökosphäre, also der natürlichen Umwelt, entnommen werden. Hierfür werden Erze aus Minen, deren Geologie einen Abbau begünstigen, da sich hier Metalle über die Erdgeschichte hinweg aufkonzentriert haben (Valero et al. 2010), gefördert, aufbereitet und bis zur Reinform metallurgisch raffiniert. Hier wird üblicherweise von primären Quellen und primärer Produktion gesprochen. Bereits heute macht die primäre Produktion von Metallen 8 % des globalen Energiebedarfs aus (Electrics et al. 2009) und trägt zu 6–10 % der globalen anthropogenen THGE bei (Nuss und Eckelman 2014; Rankin 2011, S. 198). Basierend auf den oben zitierten Prognosen wird sich der Anteil der Metallproduktion am weltweiten Energiebedarf auf 21–37 % erhöhen (Elshkaki et al. 2018). Auch der Anteil an den globalen THGE wird mit einer Erhöhung auf 15 % prognostiziert. Dieser Anstieg fällt wesentlich geringer aus als der Anstieg des Energiebedarfs, da ein Ausbau der Erneuerbaren Energien angenommen wird (van der Voet et al. 2019).
Eine nachhaltige Entwicklung ist also unmittelbar mit einem erhöhten Bedarf der Massen- und Technologiemetalle verbunden, der wiederum unmittelbar zu erhöhten Gesamtaufwänden der Metallproduktion in Form von Energiebedarfen und Umweltwirkungen führen wird. Den oben zitierten Prognosen zufolge ist für die steigenden Gesamtaufwände nicht das Bedarfswachstum allein verantwortlich. Es werden auch steigende Aufwände pro Masseneinheit für zahlreiche Metalle erwartet. Die Erwartung dieser Entwicklung beruht auf sinkenden Erzgehalten, die über die letzten 150 Jahre in den betriebenen Minen beobachtet werden konnten und der Prognose, dass dieser Trend sich fortsetzen wird (van der Voet et al. 2019; Mudd 2010; Christmann 2018; Mudd 2007a; Northey et al. 2014; Mudd et al. 2017). Der Zusammenhang ist im Grunde ein einfacher – je geringer die Konzentration des Erzes, desto mehr Masse muss bewegt und aufbereitet werden. Der Aufwand verhält sich entsprechend annähernd umgekehrt proportional zur Konzentration. Zahlreiche Studien haben dieses Thema bereits adressiert (Norgate und Haque 2010; Norgate und Jahanshahi 2010; Calvo et al. 2016; Koppelaar und Koppelaar 2016).
Die mit der Zeit sinkenden Erzgehalte müssen zwar nicht unbedingt ein Knappheitsindikator sein (Rötzer und Schmidt 2018; West 2011), dennoch ist die Erschöpfung der Ressourcen, insbesondere der Metalle, ein Thema, das seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird (Tilton 1996) und immer noch hochaktuell ist. So gehen Elshkaki et al. (2018) davon aus, dass das Angebot für Kupfer, Zink und Blei die stark zunehmende Nachfrage bereits vor 2050 nicht mehr decken kann. Solche Prognosen über die Zeitpunkte der Verknappung bestimmter Metalle und Ressourcen gab es auch schon in der Vergangenheit (u. a. Meadows et al. 1972), die, wie wir heute wissen, nicht zugetroffen haben. Die Angst um die Verknappung der Ressourcen beschäftigt die Menschheit im Grunde seit jeher (Schmidt 2019).
Neben dem sehr kontrovers diskutierten Thema der Verknappung spielt bei der Bereitstellung der Metalle auch die Kritikalitätseinstufung eine wichtige Rolle. Der Begriff der kritischen Metalle bzw. Materialien wurde erstmals 1932 definiert. Damals war die Kritikalität noch in den Kontext der Versorgungssicherheit kriegs- und verteidigungsnotwendiger Materialien eingebunden (Schmidt 2019). Heute steht neben der Versorgungssicherheit insbesondere die wirtschaftliche Notwendigkeit der Materialien im Fokus (EC 2014c, 2017b; Erdmann und Behrendt 2011; Kroop et al. 2014). Die Europäische Union stuft derzeit 20 Materialien als kritisch ein, 15 davon sind Metalle (EC 2017b).
Metalle sind also in der globalen Wirtschaft und Gesellschaft unabdingbar. Keine Elektromobilität, keine Erneuerbaren Energien, keine nachhaltige Entwicklung ohne Metalle. Ihre Bedeutung ist heute so hoch wie noch nie zuvor. Diskussionen um die zunehmende Verknappung sowie die Kritikalitätseinstufung zahlreicher Metalle lassen zudem Sorgen auf Seiten der Verfügbarkeit aufkommen. Gleichzeitig sind Metalle im Gegensatz zu anderen Materialien aber auch hervorragend für ein hochqualitatives Recycling und das Konzept der CE geeignet. Wenn durch entsprechende Maßnahmen die Korrosion verhindert bzw. eingeschränkt wird, können Metalle genutzt werden, um äußerst langlebige Produkte zu fertigen. Im Gegensatz zu z. B. fossilen oder nachwachsenden Energieträgern und Kunststoffen, deren Eigenschaften und Nutzen auf ihre molekulare Struktur zurückzuführen sind, sind die Eigenschaften der Metalle auf ihre Atome reduziert. Während die molekularen Strukturen direkt durch Verbrennen oder über die Zeit durch externe Umwelteinflüsse aufgeschlossen werden und somit ihre Eigenschaften verlieren, bleiben Metalle im Grunde ewig erhalten (Verhoef et al. 2004; von Gleich 2006). Verhoef et al. (2004) sind der Meinung, dass Metalle – in der Abwesenheit von nuklearen Reaktionen – als erneuerbare Ressource verstanden werden können. Zahlreiche Veröffentlichungen verweisen zudem darauf, dass das Recycling von Metallen wesentlich weniger Energieaufwand benötigt als die primäre Gewinnung (Chen et al. 2019; Johnson et al. 2008; Nuss und Eckelman 2014; Chapman 1973; EAA 2013). Tabelle 1.2 zeigt die Energieersparnisse durch Recycling einiger Metalle. Diese geringere Energieintensität des Metallrecyclings gilt allerdings nur für bereits in Reinform vorliegenden Metallschrott, also lediglich für das Umschmelzen. Die Herausforderungen, die in Abschnitt 1.1.2 beschrieben sind, lassen andere Werte erwarten.
Tabelle 1.2 Energieersparnis des Recyclings reiner Metallschrotte im Vergleich zu deren primärer Gewinnung (Werte nach Rankin 2011, S. 279)