Im vorherigen Kapitel wurden basierend auf Literaturanalysen erste Faktoren und Merkmale im Hinblick auf die Gestaltung von SLEs identifiziert und in einem ersten theoretischen Unterbau verdichtet. Dieses theoretisch hergeleitete Grundgerüst wird im folgenden Kapitel vor dem Hintergrund eines Design-Based Research Ansatzes im Rahmen eines mehrstufigen, triangulativen Untersuchungsdesigns validiert und erweitert, um den Gegenstandsbereich intelligenter und hybrider Lernräume differenziert beschreiben zu können. Hierzu wurde in einer ersten Teilstudie ein Fokusgruppen-Workshop durchgeführt. Darauf folgte die Hauptstudie in Form einer qualitativen Interviewstudie, die neun Experteninterviews mit insgesamt 11 Personen umfasste und anschließend mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (Mayring, 2010) ausgewertet wurde. Parallel zu den qualitativen Interviews wurde ergänzend im Rahmen einer zweiten Teilstudie eine quantitativ angelegte Befragung in Form eines systematischen Bewertungsbogens eingesetzt, um die einzelnen Faktoren von den Expert*innen priorisieren zu lassen. Für die deskriptive Statistik wurden mittels SPSS Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet und die Erfolgsfaktoren lokalisiert.

In Unterkapitel 3.1 erfolgt zunächst eine wissenschaftstheoretische Positionierung der Forschungsarbeit. Anknüpfend an die Postulate qualitativer und designorientierter Sozialforschung wird in Abschnitt 3.2 die Rolle des forschenden Subjektes offengelegt und in Abschnitt 3.3 die Fokussierung auf den Design-Based Research Ansatz begründet. Das im Rahmen der Forschungsarbeit verwendete Modellierungsverfahren wird in Abschnitt 3.4 erörtert. Die Zielsetzung und die Methodik des mehrstufigen Verfahrens werden in Abschnitt 3.5 erläutert. Hierbei liegt der Fokus auf der qualitativen Hauptstudie sowie auf der Auswertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse. Darüber hinaus wird dargestellt, wie die qualitativen und quantitativen Daten erhoben wurden und wie die Erhebungsinstrumente entwickelt wurden. Beschrieben werden die Entwicklung des Fokusgruppen-Workshops, des Leitfadens für die Experteninterviews sowie des begleitenden Fragebogens. Zudem werden die Auswahl der Expert*innen sowie die Interviewdurchführung und Transkription erörtert. Die hierauf aufbauende Datenanalyse ist Gegenstand des Unterkapitels 3.5.2.2. Nachdem das Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse dargestellt wurde, werden das Kategoriensystem und die Kodierregeln abgeleitet und erläutert, wie die Fundstellen extrahiert und in Ergebnisdokumente überführt wurden. Kapitel 3 schließt mit einer Darstellung und Analyse der Ergebnisse (Unterkapitel 3.5.2.3).

3.1 Wissenschaftstheoretische Positionierung

Wissenschaftliche Arbeit ist durch ein systematisches, regelgeleitetes, differenziertes, kontrollierbares und transparentes Vorgehen gekennzeichnet. Die sozialwissenschaftliche Forschung ist dabei durch unterschiedliche erkenntnistheoretische Paradigmen geprägt, die sich durch verschiedene Zugänge beim Erkenntnisgewinn äußern (Döring & Bortz, 2016). Ein geordneter Forschungsprozess basiert auf der systematischen Sammlung, Aufbereitung und Auswertung von empirischen Daten. Die unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Paradigmen spiegeln sich in der grundsätzlichen Forschungshaltung sowie den implizierten, forschungsleitenden Prinzipien, wie mit dem empirischen Datenmaterial umgegangen wird, wider. Gegensätzliche Grundpositionen bestehen zum einen hinsichtlich ontologischer Fragestellungen in dem Sinne, ob es eine reale und objektive Wirklichkeit überhaupt gibt. Zum anderen hinsichtlich epistemologischer Fragestellungen in dem Sinne, wie wir Wissen über die soziale Wirklichkeit erlangen können.

Die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Sozialforschung gehen auf Vordenker wie Kant, Popper, Einstein, Wittgenstein, Foucault, Bourdieu, Dewey, Husserl und Dilthey zurück und zeichnen sich insbesondere durch das quantitative und das qualitative Paradigma aus. Die unterschiedlichen Zugänge zur Erforschung der sozialen Wirklichkeit sind hierbei durch teilweise gegensätzliche ontologische und epistemologische Grundpositionen gekennzeichnet. Während sich ein quantitatives Forschungsparadigma auf die „Suche nach wahrem Wissen“ und „objektiver, allgemeingültiger Erkenntnis“ fokussiert, wird beim qualitativen Forschungsparadigma das forschende Subjekt beim Erkenntnisgewinn anerkannt, wobei das neu erlangte Wissen als Konstruktionsprozess und Eigenleistung des Subjektes interpretiert wird. Dies führte in der Vergangenheit oftmals zu Skepsis in Bezug zur Methodik, Zuverlässigkeit und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse (Flick, von Kardorff, Keupp, von Rosenstiel, & Wolff, 1995). Die bewusste Wahrnehmung des Forschers im Forschungsprozess als konstitutives Element im Erkenntnisprozess ist im Gegensatz zum quantitativen Paradigma ein wesentlicher Bestandteil qualitativer Forschung und bedingt eine sehr deskriptive, selbstkritische, transparente und reflektierte Arbeitsweise. In einem qualitativen Forschungsverständnis gibt es entsprechend keine objektive Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit, da die Subjekte Teil dieser Wirklichkeit sind und diese über kognitive Eigenleistung konstruieren.

Quantitative und qualitative Verfahren können wie folgt definiert werden (Brosius, Haas & Koschel, 2016, S. 4):

  • Quantitative Verfahren sind solche, in denen empirische Beobachtungen über wenige, ausgesuchte Merkmale systematisch mit Zahlenwerten belegt und auf einer zahlenmäßig breiten Basis gesammelt werden.

  • Qualitative Verfahren beschreiben ein komplexes Phänomen in seiner ganzen Breite.

Bei der quantitativen Forschung gilt die soziale Realität als objektiv und mit kontrollierten Methoden erfassbar. Demnach orientiert sich das quantitative Paradigma an naturwissenschaftlichen-analytischen Techniken, die eine exakte Definition und Messung aller Merkmale der sozialen Wirklichkeit verlangt, deren Auswirkungen und Verknüpfungen (Ursache-Wirkungs-Relationen) untersucht werden sollen. Ziel ist es, Verhalten in Form von Modellen, Zusammenhängen und numerischen Daten möglichst genau zu beschreiben und vorhersagbar zu machen. Das Verhalten wird in messbare Einheiten zerlegt und als Beobachtungseinheit definiert. Die quantitative empirische Forschung will theoriegeleitet Daten sammeln (deduktives Vorgehen), die den Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität und Validität) entsprechen müssen und die primär der Prüfung der vorangestellten Theorien und Hypothesen dienen (Döring & Bortz, 2016). Das Forschungsverfahren ist so ausgelegt, dass vom Allgemeinen auf das Besondere geschlossen wird. Der quantitativen Forschung wird gelegentlich der Vorwurf gemacht, sie hätte ein mechanistisches Welt- und Menschenbild, sie wäre zu weit von der Praxis entfernt und damit zu abstrakt und undurchschaubar und sie würde letztlich das Subjekt aus den Augen verlieren. Trotz dieser Kritik sind quantitative empirische Forschungsarbeiten in den Bildungswissenschaften sehr verbreitet. In Bildungsorganisationen sind quantitative Methoden z. B. dann sinnvoll, wenn mögliche Beurteilungskriterien geläufig sind und ein bekannter Gegenstand quantifiziert werden soll, beispielsweise bei der Beurteilung einer Weiterbildungsveranstaltung. Prinzipiell gilt für die Anwendung quantitativer Methoden, dass bereits genügend Kenntnisse über den Untersuchungsgegenstand vorliegen, um Hypothesen über mögliche Zusammenhänge oder ein theoretisches Modell aufstellen zu können.

Die qualitative Forschung steht in der Tradition der Geisteswissenschaften und zielt primär auf eine verstehend-interpretative Rekonstruktion sozialer Phänomene ab. Ziel der qualitativen Forschung ist es, die Wirklichkeit anhand der subjektiven Sicht der relevanten Gesprächspersonen abzubilden und so mögliche komplexe Zusammenhänge und Strukturen zu verstehen. Dabei hat der qualitative Ansatz den Anspruch, Lebenswelten von innen heraus aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben, um so ein besseres Verständnis sozialer Wirklichkeiten zu erhalten. Darüber hinaus verfolgt die qualitative empirische Forschung ein induktives Vorgehen, bei welchem vom Einzelfall bzw. aus Einzelbeobachtungen auf das Allgemeine geschlossen wird. Statt einer großen Fallzahl zeichnet sich die qualitative Forschung durch eine stärkere Subjektbezogenheit aus, d. h., der Hauptuntersuchungsgegenstand ist immer das menschliche Subjekt. Charakteristisch für den qualitativen Ansatz ist die Vielzahl von Vorgehensweisen, Theorien und Analyseverfahren, je nach Handlungsfeld und theoretischer Konzeption (Flick et al., 1995). Um Verzerrungen der Ergebnisse durch zu starre theoretische Vorannahmen und standardisierte Untersuchungsinstrumente zu vermeiden, präferiert die qualitative Forschung den direkten Zugang zu den betroffenen Subjekten (bspw. über persönliche Interviews oder Beobachtung). Die Untersuchung in alltäglicher Umgebung ist ein wesentliches Merkmal dieser Forschungsrichtung. Auch zeichnen sich die theoretischen Vorannahmen und Erhebungsinstrumente durch eine größere Offenheit aus. Damit ist es möglich, flexibel auf unvorhergesehene unbekannte Aspekte reagieren zu können. Eine wesentliche Besonderheit liegt in der Datenauswertung, die typischerweise interpretativ erfolgt (vgl. ebenda). Qualitativer Sozialforschung liegt die Annahme zugrunde, dass die Untersuchungsgegenstände von vorherein mit subjektiven Absichten belegt sind, wodurch sich für verschiedene forschende Subjekte immer wieder andere Bedeutungen ergeben können (Mayring, 2002, S. 25). Dementsprechend ist eine vorurteilsfreie Forschung nie ganz möglich und es ergibt sich zwangsläufig das Postulat, das Vorverständnis des Forschenden zu explizieren (vgl. Abschnitt 3.2). Nach Auffassung von Mayring (2002) ist daher die Introspektion, also das Zulassen eigener subjektiver Erfahrungen mit dem Forschungsgegenstand, als ein legitimes Erkenntnismittel der qualitativen Forschung zu betrachten.

Qualitative Verfahren sind besonders dann geeignet, wenn sich der Untersuchungsgegenstand in einem bis dahin noch kaum erforschten Bereich befindet. Wie bereits in den vorangegangenen Abschnitten dargelegt, geht es beim vorliegenden Forschungsprojekt um die Entwicklung eines Konzepts zur Gestaltung innovativer und hybrider Lernräume. Im Zentrum steht die Erforschung und Beschreibung von Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge auf Lehr- und Lernprozesse. Ein derartiges Vorgehen wurde bisher noch nicht unternommen. Daher müssen Erkenntnisse in einem bislang nur sehr wenig erforschten Bereich gewonnen und Strukturen, Hypothesen und Variablen ausfindig gemacht werden. Aus diesem Grund steht ein explorativer Zugang im Zentrum der Methodik. Ein schwerpunktmäßig qualitativ ausgerichtetes Verfahren wird daher angewendet, weil die Untersuchung einerseits in einem Entwicklungsstadium ansetzt, in dem es (noch) keine Massen-Diffusion gibt (nur Early Adopter) sowie weil andererseits die Fragestellung nicht auf die quantitative Ausbreitung, sondern auf qualitative Nutzungsformen ausgelegt ist. Daher ist das Verfahren hypothesengenerierend anstatt hypothesenprüfend.

Im Vergleich zu quantitativen Ansätzen, die hypothesenprüfend vorgehen, erfolgt die Hypothesengenerierung (Theoriebildung) schrittweise und wird während der qualitativen Untersuchung weiterentwickelt. Nach Döring & Bortz (2016, S. 63 ff.) lassen sich fünf Prinzipien der qualitativen Forschung zusammenfassen:

  1. 1.

    Ganzheitliche und rekonstruktive Untersuchung lebensweltlicher Phänomene

  2. 2.

    Reflektierte theoretische Offenheit zwecks Bildung neuer Theorien

  3. 3.

    Zirkularität und Flexibilität des Forschungsprozesses zwecks Annäherung an den Gegenstand

  4. 4.

    Forschung als Kommunikation und Kooperation zwischen Forschenden und Beforschten

  5. 5.

    Selbstreflektion der Subjektivität und Perspektivität der Forschenden

Oben aufgeführte Prinzipien werden hierbei von Döring & Bortz in den Kontext des Sozialkonstruktivismus gestellt, der eine Metatheorie der Soziologie darstellt und vorrangig ergründen möchte, wie soziale Wirklichkeit und einzelne soziale Phänomene konstruiert werden. Um die vorliegende Forschungsarbeit in entsprechender Tiefe wissenschaftstheoretisch verorten zu können, soll im Folgenden in Ergänzung zu den grundlegenden Paradigmen erkenntnistheoretischer Positionen, auf den lernpsychologischen Konstruktivismus eingegangen werden. Dieser beschäftigt sich mit kognitiven Konstruktionsprozessen von Lernenden und verfolgt das Ziel, diese zu verstehen, um sie für Lernprozesse und die Gestaltung von Lernumgebungen nutzbar zu machen. In Anlehnung an das qualitative Forschungsparadigma betont auch der Konstruktivismus die operationale Geschlossenheit des menschlichen Wahrnehmens, Denkens und Fühlens. Die Sinnesorgane der Lernenden und deren Kognitionen produzieren dem konstruktivistischen Verständnis nach keine Abbildungen der äußeren Realität, sondern sie konstruieren Wirklichkeiten (in dem Fall Lernerfolge) zum Zweck erfolgreicher Handlungen (Siebert, 2004).

Dabei konstruieren die Lernenden nicht nur eine Welt, sondern sie leben in ihr und sind untrennbar mit ihr verbunden. In diesem Zusammenhang gehen Humberto Maturana und Francisco Varela, die als Begründer des modernen Konstruktivismus bezeichnet werden können, auf die Begriffe Autopoesie (Selbsterzeugung) und Selbstreferentialität (Selbstreferenz und Selbstbezüglichkeit) ein (Maturana & Varela, 1987), welche von Niklas Luhmann im Rahmen einer Systemtheorie aufgegriffen wurden und sich zu grundsätzlichen Bezugspunkten seiner Theorie entwickelt haben (Luhmann, 1984).

Der Begriff Autopoiesis ist zusammengesetzt aus den griechischen Begriffen “autos” = selbst und “poiein” = machen. Autopoietische Systeme sind also solche, die sich “selbst machen” können. Selbstherstellung und Selbsterhaltung sind somit Grundeigenschaften dessen, was als Autopoiesis bezeichnet wird (vgl. ebenda). Das Autopoiesis-Konzept bezeichnet die Fähigkeit von Systemen, sich selbst zu reproduzieren.

Selbstreferentielle Systeme haben wiederum die Fähigkeit, Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese Beziehungen zu differenzieren gegen Beziehungen zu ihrer Umwelt. In diesem Sinne macht sich das System selbst zum Maßstab im Hinblick darauf, ob eine Operation als geeignet angesehen wird oder nicht.

Lernende werden in einem konstruktivistischen Verständnis als autopoietische, selbstreferentielle Lebewesen definiert, deren Erkenntnisgewinn durch eben diese Eigenschaften determiniert wird. Lernen erfolgt in direktem Zusammenhang mit der Umwelt als autopoietischer, emergenter, selbstreferenzieller Vorgang und kann als “strukturdeterminiert” bezeichnet werden. Das bedeutet, dass die Lernprozesse nur durch den Lernenden selbst beeinflusst werden können, nicht aber durch die Umwelt determiniert wird. “Von außen” können Gedanken allenfalls angeregt (perturbiert) werden. Die Autopoiese des Denkens lässt sich neurowissenschaftlich – mit Hilfe so genannter bildgebender Verfahren – belegen. Neuronale Netzwerke verarbeiten nur zum geringen Teil Inputs “von außen”, sondern sie operieren überwiegend selbst organisiert und eigendynamisch. Unser Gehirn kommuniziert gleichsam mit sich selbst, es aktiviert und verknüpft vorhandene Gedächtnisinhalte und Wissensnetze (Siebert, 2004).

Für die erwachsenenpädagogische Praxis lässt sich aus diesem erkenntnistheoretischen Vorverständnis ableiten, dass Lernen (ebenso wie die sozialwissenschaftliche Forschung) von den jeweiligen Subjekten und den damit verbundenen, kohärenten Eigenschaften und Einstellungen abhängig ist. Entsprechend können grundsätzlich nur günstige und passende Rahmenbedingungen zum Lernen geschaffen werden. Der Lernprozess an sich ist nicht von außen steuerbar.

Qualitative Verfahren wurden in der Vergangenheit oftmals aufgrund mangelnder Einhaltung wissenschaftlicher Gütekriterien kritisiert, die stellenweise in einem regelrechten Paradigmenkrieg ausgetragen wurden (Döring & Bortz, 2016, S. 9). Wie quantitative Verfahren weisen auch qualitative Methoden Nachteile auf. Der größte Kritikpunkt ist die mangelnde Objektivität. Es wird argumentiert, dass die Interpretationen kaum kontrollierbar sind, die Auswahl der Stichproben keine Repräsentativität erreichen und der Ansatz an sich zu zeitaufwändig sei. Weiterhin wird kritisiert, dass das Forschungsverfahren weitgehend theorielos und insgesamt nicht wissenschaftlich fundiert durchgeführt wird. Aufgrund der komplexen und auch unübersichtlichen Verfahren wird insgesamt eine transparente Nachvollziehbarkeit bemängelt, da sich ein einheitlicher Bezugsrahmen wie beim quantitativen Paradigma zum kritischen Rationalismus, bei den qualitativen Verfahren kaum herstellen lässt, da diese durch verschiedene Positionen wie z. B. Hermeneutik, Dialektik, Phänomenologie etc. geprägt sind.

Ungeachtet der aufgeführten Kritikpunkte werden auch qualitative Forschungsmethoden auf vielfältige Art und Weise im Bildungsbereich eingesetzt. Sie eignen sich insbesondere zur Erkundung von Ursachen und zur Erstellung von Typisierungen. Darüber hinaus sind qualitative Verfahren insbesondere auch für gestaltungsorientierte Forschungsvorhaben, die in Abschnitt 3.3 näher betrachtet werden, angemessen.

Beide methodologischen Paradigmen haben ihre Berechtigung und unterscheiden sich in ihrem epistemologischen und ontologischen Verständnis der Sozialwissenschaften sowie im Vorgehen des Forschungsprozesses. Beide Paradigmen arbeiten mit verschiedenen Untersuchungsdesigns, Stichprobentypen, Datenerhebungs- und Datenauswertungsverfahren. Insbesondere das Rollenverständnis des Forschenden tendiert in entgegengesetzte Richtungen. Und obwohl es starke Auseinandersetzungen in der Vergangenheit gegeben hat, zeichnen sich in den letzten Jahren Annäherungsversuche ab, die sich eher in einem Ergänzungs- anstatt Konkurrenzverhältnis widerspiegeln. Ein derartiger Methoden-Mix wird durch die gezielte und begründete Kombination unterschiedlicher Datentypen erreicht und wird auch als Daten-Triangulation bezeichnet (Döring & Bortz, 2016, S. 72). Flick (1995) differenziert darüber hinaus unterschiedliche Zielesetzungen, Verfahren und Konzepte der Triangulation und verweist auf zwei unterschiedliche Arten, die einerseits der „Theorien-Triangulation“ und andererseits der „methodologischen Triangulation“ zuzuordnen sind.

Die vorliegende Forschungsarbeit verwendet einen Methoden-Mix im Sinne einer methodologischen sowie theoretischen Triangulation, wobei die quantitativen Elemente eine Ergänzung zum schwerpunktmäßig explorativen Forschungsansatz einnehmen. (Döring & Bortz, 2016, S. 72f).

Es erfolgte eine Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden, um den komplexen Untersuchungsgegenstand so genau wie möglich analysieren und beschreiben zu können. Ziel war es einerseits, frühzeitig erlangte „Zwischenergebnisse“ zu validieren sowie andererseits, die interpretativ gewonnenen Erkenntnisse durch neuartige, deskriptiv-statistische Feststellungen zu erweitern, welche eine systematische Priorisierung von Faktoren ermöglichte und zur Identifizierung von Erfolgsfaktoren führte. Darüber hinaus war es über das deskriptiv-statistische Verfahren möglich, die Expertenmeinungen systematisch auf der Ebene einzelner Kategorien und Faktoren zu vergleichen, das über die rein qualitativen Erhebungs- und Auswertungsverfahren nicht möglich gewesen wäre.

Darüber hinaus erfolgte eine theoretische Triangulation, die sich in einer Verknüpfung unterschiedlicher theoretische Zugänge widerspiegelte. Hierbei wurden ausgewählte theoretische Konstrukte verschiedener Fachdisziplinen (vgl. Kapitel 2) kombiniert, um neue und bisher unberücksichtigte Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand zu eröffnen. Das vorliegende Forschungsprojekt verfolgt dabei gezielt einen transdisziplinären Zugang. Es kann festgestellt werden, dass die interdisziplinäre Forschung insgesamt an Bedeutung gewinnt. Dies stellt insofern eine triangulative Herausforderung dar, als dass sich durch die Fachkultur jeweils spezifische Anforderungen an die Forschungsmethoden ergeben. Durch die Anwendung der Triangulation wurden die Schwächen des schwerpunktmäßig qualitativen Forschungsansatzes systematisch und gezielt durch die Ergänzung quantitativer Elemente reduziert. Ziel des triangulativen Forschungsansatzes war es, die wissenschaftliche Qualität der Studie insgesamt zu erhöhen.

Wie im vorhergehenden Abschnitt dargelegt, ist das vorliegende Forschungsvorhaben in der Tradition konstruktivistischer Lehr- und Lerntheorien verankert und lässt sich aufgrund seines explorativen Charakters schwerpunktmäßig in der qualitativ ausgerichteten Sozialforschung verorten, auch wenn insgesamt ein Methoden-Mix vorgenommen wurde. Eine differenzierte Betrachtung der qualitativen Prinzipien führt jedoch auch zu offenen und ungeklärten Fragen hinsichtlich der explorativen Erforschung des Untersuchungsgegenstandes „intelligenter & hybrider Lernräume“. Wie sollen Expert*innen visionäre und innovative Lernformate wie SLEs beschreiben, wenn es diese in der Welt des forschenden Subjektes noch gar nicht gibt? Wie können Ideen expliziert und verbalisiert werden, die ein entsprechendes Vorverständnis sowie enorme visionäre Vorstellungskraft im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand voraussetzen? In der qualitativen Forschung geht es u. a. um die Rekonstruktion der alltäglichen, subjektiven Lebenswelten. Komplexe Lernformate wie SLEs sind alles andere als „alltäglich“, sondern sind visionäre und innovative Bildungskonzepte. Um in diesem Zusammenhang dem Untersuchungsgegenstand besser gerecht werden zu können, wurde das Untersuchungsdesign im Sinne eines Mixed-Methods Ansatzes, vor dem Hintergrund eines Design-Based Research Ansatzes durchgeführt. Design-Based Research ist eine besondere Ausprägung sozialwissenschaftlicher Forschung, die insbesondere auch triangulative Verfahren abbildet und seit den 1990er Jahren diskutiert sowie stetig weiterentwickelt wird. Eine nähere Darstellung des Design-Based Research Ansatzes erfolgt im nächsten Unterkapitel.

3.2 Explikation des Vorverständnisses

Da das Forschungsprojekt schwerpunktmäßig auf qualitative Methoden der Sozialforschung zurückgreift wird im nachstehenden Unterkapitel das Vorverständnis der Forscherin offengelegt, da dies ein Kriterium der Wissenschaftlichkeit darstellt. Mayring (2002) argumentiert die notwendige Offenlegung des Vorverständnisses damit, dass humanwissenschaftliche Gegenstände immer gedeutet und interpretiert werden müssen. Das bedeutet, dass diese Interpretationen nie voraussetzungslos möglich sind und das eigene Vorverständnis entsprechend die Interpretation beeinflusst (Mayring, 2002, S. 29). Hintergrund dieser Forderung sind die in Unterkapitel 3.1 geschilderten Herausforderungen in Bezug zur Objektivität, denen in qualitativen Verfahren durch systematische, regelgeleitete, kontrollierbare und transparente Forschungspraktiken begegnet wird.

In Anlehnung an Breuer wird im folgenden Abschnitt die Selbstreflexivität der Forscherin in den Prozess der Forschungsarbeit integriert, um die Fokussierung auf untersuchungsbegleitende Selbstreflexion als Erkenntnisquelle zu argumentieren (Breuer, 1996). Entgegen einer am nomothetischen Wissenschaftsideal orientierten Standardmethodologie (vgl. Abschnitt 3.1) wird im Folgenden die Rolle des Forscher-Subjekts im Erkenntnisprozess und -produkt beschrieben, obwohl diese in traditioneller, sozialwissenschaftlicher Forschung nicht anerkannt wird. Forscher-Subjektivität wird traditionell mit einem „Fehler-Verdikt“ belegt, wobei diese „Fehlerquelle“ durch methodische Kontrollmaßnahmen zu eliminieren bzw. einzugrenzen ist.

Die vorliegende Arbeit vertritt den Standpunkt, dass deduktive und induktive Anteile im Forschungsprozess durch eine reflektierte und selbstkritische Auseinandersetzung mit den Vorkenntnissen bei der Analyse der empirischen Phänomene unterstützend wirkt. Diese Nützlichkeit manifestiert sich in einer methodologisch begründeten Explikation beider Komponenten, wobei die Reflexion im Untersuchungsprozess gezielt als Erkenntnismittel eingesetzt wird.

Das Verhältnis von Erkenntnis (Wissen, Theorie) und Erfahrung (Wahrnehmung, Beobachtung) ist einem solchem Verständnis nach durch wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnet. Demnach führt Erfahrung einerseits zu Wissen, andererseits leitet dieses Wissen unsere Nachforschungen in der Welt und strukturiert so unsere Erfahrung und Wahrnehmung. Dieser Auffassung folgend leiten kognitive Schemata das Subjekt und wirken so auf seine Erkundungsoperationen im Wahrnehmungsfeld, die die Selektion der verfügbaren Information steuern, wodurch wiederum die kognitiven Schemata modifiziert werden (ebenda, 1996).

Die Autorin Muckel (1996) argumentiert in diesem Zusammenhang, dass das Element der Selbstreflexivität in konstruktiver Weise integriert werden sollte. In wissenschaftstheoretischer Hinsicht würde dies zu epistemologisch bescheideneren Aussagen, zu einem differenzierteren Phänomenverstehen und zu einer greifbareren Form des Umgangs mit Maximen der Wissenschaftsethik führen (Muckel, 1996, S. 61). Auf dieser Argumentation aufbauend wird im folgenden Abschnitt die allegorische Figur der Subjektivität expliziert und die Rolle der Forscherin in der Praxis beschrieben, um deren Auswirkungen auf die psychologisch-interpretativen Forschungsergebnisse in transparenter Weise offenzulegen.

Wie bereits in Abschnitt 1.2.1 dargelegt, hat die Forscherin langjährige Erfahrungen im Bereich der (gestaltungsorientierten) Bildungsforschung, die sich insbesondere auf die Untersuchung von Veränderungen in der Bildungsarbeit beziehen, die durch das Internet der Dinge in Erscheinung treten. Als Co-Autorin einer BMBF-Studie war sie in diesem Zusammenhang als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Durchführung einer qualitativen Studie verantwortlich mit dem Ziel, Trendqualifikationen im Bereich Internet der Dinge mit Schwerpunkt auf Smart House zu identifizieren und in Qualifikationsprofilen der mittleren Qualifizierungsebene zu verdichten. Der Abschlussbericht wurde 2010 veröffentlicht und zählt in Deutschland zu einer der ersten bildungswissenschaftlichen Früherkennungsstudien mit Fokus auf das Internet der Dinge (Abicht et al., 2010).

Auf diese Publikation folgten weitere Veröffentlichungen, die sich mit veränderten Berufsbildern aufgrund der technologischen Veränderungen beschäftigten (Abicht et al., 2012; Abicht & Freigang, 2011).

Nach der Durchführung von 60 Experteninterviews mit insgesamt 76 Personen aus unterschiedlichen Smart House-Anwendungsfeldern wie Haustechnik, Sicherheitstechnik, Servicerobotik oder Unterhaltungselektronik, verfügte die Forscherin zum einen über fundierte fachspezifische Kenntnisse zum Themenspektrum Internet der Dinge und Smart House sowie zum anderen über wissenschaftliche Kompetenzen in Bezug zur Leitfadenerstellung, Vorbereitung und Durchführung der Interviews, Auswertung und Synthese der Daten.

Der Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse gelang über die erfolgreiche Akquise und Durchführung eines sich anschließenden Verbundprojektes mit dem Titel „Female Smart House Professionals“. Für die Konzeption, Antragstellung und Projektplanung war die Forscherin verantwortlich. Das Projekt “Female Smart House Professionals” wurde vom 01.06.2011 bis 31.05.2013 aus Mitteln des BMAS und ESF gefördert.

Inhaltlich beschäftigte sich das Projekt mit wissenschaftlichen Methoden der Gewinnung und Qualifizierung von Frauen für Berufe im Umfeld von intelligenter Gebäudesystemtechnik (Smart House). Das Projekt wurde von isw Institut gGmbH (ehemaliger Arbeitgeber der Forscherin) und SmartHome Initiative Deutschland e. V. initiiert und wurde von BITKOM e. V. unterstützt. Ziel des Projektes „Female Smart House Professionals“ war es, 18 Unternehmen im Wirtschaftszweig Smart House darin zu unterstützen, Mitarbeiter*innen gezielt für Smart House-Aufgabenfelder zu qualifizieren. Im Rahmen des Projektes wurden wissenschaftlich fundierte und arbeitsprozessorientierte Methoden der Personal- und Organisationsentwicklung entwickelt und angewendet. Das Bildungskonzept beruhte dabei auf drei Ebenen: (a) Workshops in den Betrieben (insbesondere zur Bedarfserhebung), (b) Lernbegleitung am Arbeitsplatz an realen Projekten sowie (c) Förderung des selbstorganisierten Lernens durch das Führen eines e-Portfolios und den Austausch in einer Online Community of Practice.

Das Projekt „Female Smart House Professionals“ wurde aufgrund des innovativen Lernsettings 2012 mit dem 2. Platz beim Deutschen Weiterbildungspreis ausgezeichnet. Dies verdeutlicht die starke anwendungsorientierte Haltung der Forscherin sowie ihre fundierten Kompetenzen in Bezug zur Gestaltung innovativer, arbeitsplatzorientierter und selbstgesteuerter Lernformate. Eine Publikation, die innovative Qualifizierungsformate am Beispiel des Projektes „Female Smart House Professionals“ aufzeigt, wurde in 2013 veröffentlicht (Abicht & Freigang, 2013).

Bereits in ihrem erziehungswissenschaftlichen Studium mit Schwerpunkt auf Erwachsenenbildung sah sich die Forscherin in den Themenfeldern eLearning, Wissensmanagement, Qualitätsentwicklung in der betrieblichen Weiterbildung und Arbeits- und Organisationspsychologie verwurzelt. Diese Kenntnisse vertiefte sie auch über das Ende des Studiums hinaus durch kontinuierliche Weiterbildungen, die sich überwiegend mit Social Media, neuen Lernformen und neuen Technologien auseinandersetzten. Im Folgenden ist eine Auswahl an Qualifizierungsaktivitäten aufgeführt (Tabelle 3.1):

Tabelle 3.1 Auswahl an Qualifizierungsaktivitäten der Forscherin (Vorverständnis)

Parallel zu oben aufgeführten Weiterbildungen wurden darüber hinaus regelmäßig stattfindende Messen & Kongresse wie z. B. Didacta, Re:publica, Learntec, Online Educa, CeBIT und IFA besucht. Zur Reflektion und Dokumentation der eigenen Lernprozesse nutzte die Forscherin seit 2011 intensiv den Mikrobloggingdienst Twitter (@EduOrakel) sowie seit 2013 das Open-Source Content Management System WordPress zur Erstellung eigener Blogbeiträge. Zu einigen der oben aufgeführten Weiterbildungsaktivitäten lassen sich entsprechende Reflektionen und Dokumentationen auf dem Blog finden. Demnach verfügt die Forscherin über umfassende Kompetenzen im Einsatz von Social Media, die sich speziell im Bereich des persönlichen Wissensmanagements manifestieren. Eine vertiefte Auseinandersetzung zum Zusammenhang zwischen Social Media Tools und der eigenen Wissensarbeit erfolgte im Rahmen einer Publikation zum Thema Personal Learning Environment in der Fachzeitschrift „wissensmanagement – Das Magazin für Führungskräfte“ (Freigang, 2014).

Ausschlaggebende Praxiserfahrungen, die ergänzend zu oben aufgeführten Erfahrungen das Vorverständnis der Forscherin prägten, war das Engagement auf dem ersten deutschen „IoT-Hackathon im Bildungsbereich“, auf welchem die Forscherin im Rahmen einer Keynote einen Vortrag zum Thema „Smart Learning Environments“ hielt und anschließend die Hackathon-Teams in der Entwicklung intelligenter Lernformate unterstützte. Der Hackathon wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) im November 2016 durchgeführt. Darüber hinaus leitete sie eine Forschungswerkstatt am Institut für Informatik an der Volkswagen AutoUni zum „Arbeitsplatz der Zukunft“ (Augsten & Freigang, 2016) und begleitete die agile Softwareentwicklung bei Bosch Software Innovations im Hinblick auf die Entwicklung von IoT-Services und Produkten als technische Redakteurin.

Parallel zur laufenden Forschungsarbeit beteiligte sich die Forscherin regelmäßig an wissenschaftlichen Konferenzen (vgl. Tabelle 3.1), indem sie Beiträge zur aktuellen Forschungsarbeit verfasste und im Rahmen von öffentlichen Publikationsaufrufen („Call for Paper“) einreichte. Auf der wissenschaftlichen Konferenz „GeNeMe 2017“ publizierte sie gemeinsam mit weiteren Co-Autoren einen aktuellen Stand zur Dissertation (Freigang, Schlenker & Köhler, 2017). Darauf folgte in 2018 eine internationale Publikation in der Springer Reihe zu Lecture Notes in Educational Technology. Der eingereichte Beitrag (Freigang, Schlenker & Köhler, 2018) wurde im Rahmen einer Poster-Session auf der International Conference of Smart Learning Environments im März 2018 in Peking vorgestellt.

Das offengelegte Vorverständnis zeigt, dass sich die Forscherin kontinuierlich, zielorientiert und konsequent mit neuen Technologien und deren Auswirkungen im Bildungsbereich auseinandersetzt. Im Rahmen einer transparenten und auf Partizipation ausgerichteten Methodik werden die aktuellen Forschungserkenntnisse regelmäßig auf einem Weblog dokumentiert und reflektiert. Dabei wird die wissenschaftliche Community aktiv eingeladen, um sich am Erkenntnisprozess zu beteiligen. Entsprechend bietet diese Plattform im Internet in Form des Weblogs weiterführende und detailliertere Informationen und liefern ein umfassendes Bild über die Forscherin und ihre subjektiven Erfahrungen im Forschungsprozess.

3.3 Design-Based Research als gestaltungsorientierter Forschungsansatz

Da die Perspektive des Innovierens und Gestaltens im vorliegenden Forschungsprojekt einen sehr hohen Stellenwert einnimmt und in den traditionellen Paradigmen und Methoden keine entsprechende Berücksichtigung findet, wird im Folgenden auf Design-Based Research eingegangen und begründet, warum dieser Ansatz eine passende forschungsmethodische Grundlage bildet, die in abgeschwächter Form angewendet werden konnte.

Im Vergleich zu den eingangs eingeführten wissenschaftstheoretischen Grundpositionen, die auf eine lange Tradition wissenschaftlicher Auseinandersetzung zurückblicken können, nimmt der Design-Based-Research-Ansatz eine vergleichsweise neue Haltung im wissenschaftstheoretischen Diskurs der Lehr- und Lernforschung ein.

Leslie Ann Brown (1992) und Alan Collins (1992) haben Anfang der 1990er Jahre erstmals einen Zusammenhang zwischen Design und Bildung herausgearbeitet. Seitdem wird der gestaltungsorientierte Forschungsansatz insbesondere dann in der Lehr- und Lernforschung angewendet, wenn es darum geht, nachhaltige Innovationen (innovative learning environments) im Bildungsbereich hervorzubringen (The Design-Based Research Collective, 2003).

Design-Based Reseach (DBR) wird von den Autoren Wang und Hannafin (2005, S. 6 f.) wie folgt definiert:

„Design-Based Research is a systematic but flexible methodology aimed to improve educational practices through iterative analysis, design, development, and implementation, based on collaboration among researchers and practitioners in real-world settings, and leading to contextually-sensitive design principles and theories.“

Demnach wird DBR als eine systematische und flexible Methode verstanden, die in enger Anlehnung an Design Prinzipien und Theorien, auf eine Verbesserung der Bildungspraxis abzielt, indem Analyse, Gestaltung, Entwicklung und Implementierung iterativ durchlaufen werden und gleichsam in einem Prozess der Zusammenarbeit zwischen Forschern und Praktikern unter realen Anwendungsbedingungen erfolgt. Forscher aus dem DBR-Ansatz wollen etwas bewirken, sie verschreiben sich geradezu der kontinuierlichen Verbesserung der Bildungspraxis. Insofern liegt dem DBR-Ansatz eine starke Anwendungs- und Handlungsorientierung zugrunde, indem ein Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Bildungspraxis bereits im Forschungsprozess durch enge Rückkopplungsprozesse systematisch unterstützt wird. Als Ergebnis einer gestaltungsorientierten Bildungsforschung entstehen bei Anwendung von DBR-Ansätzen durch die Generalisierung von Design-Lösungen „Design-Frameworks“, die als Leitlinien zur Gestaltung innovativer Lernumgebungen dienen (Reinmann, 2005).

Damit versucht der DBR-Ansatz, der wachsenden Komplexität von Lehr-Lernsituationen gerecht zu werden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Vielzahl an wirksamen Variablen existieren, deren unzähligen Interaktionen mit wiederum anderen Variablen in Zusammenhang stehen und der experimentellen wie auch der korrelativen Forschung klare Grenzen setzt. Dem Praktiker nutzen wissenschaftliche Aussagen relativ wenig, wenn die Statistik kausale Zusammenhänge einer kleinen Anzahl an Variablen „beweist“, die nur für eine klar definierte Zielgruppe in einer ganz genau abgegrenzten Situation Gültigkeit haben (vgl. ebenda).

Weiterhin argumentiert Reinmann (2005), dass der in vielen akademischen Bereichen vorherrschende „belief-mode“ welcher sich auf die Überprüfung von Wissen und auf Beweisführung durch den Beleg von „Wahrheit“ (oder Wahrscheinlichkeit) konzentriert (vgl. quantitatives Paradigma Abschnitt 3.1), nicht dazu geeignet ist, Innovation zu entwickeln. Ziel von DBR ist es nicht, einen Beweis zu führen, sondern Lernforschung zum Zweck der Innovation zu betreiben. Entsprechend wird nach neuen Anwendungsmöglichkeiten gesucht, die einen schöpferischen Prozess („design-mode“ umfassen. Der „design-mode“ wie man ihn aus der Arbeitswelt kennt, fokussiert weniger auf Wissen und Wahrheit als vielmehr auf Nützlichkeit und Passung sowie auf künftige Potenziale. Auf neue Ideen reagiert man im „design-mode“ mit der Suche nach möglichen Anwendungen, nach passenden Kontexten und nach Verbesserungsmöglichkeiten. Dabei schließen sich beide „Modi“ nicht aus. Der „belief-mode“ begleitet den „design-mode“ an geeigneten Stellen im Prozess und führt zu einer Flexibilität, die im akademischen Bereich nicht immer anerkannt wird (vgl. Limitationen Abschnitt 4.3).

DBR zeichnet sich dadurch aus, dass der Forscher beide Sichtweisen verbinden, die des Wissenschaftlers wie auch die des Designers bzw. Gestalters. Die Autoren Wang und Hannafin (2005) sprechen in diesem Zusammenhang von einer „hybriden Methode“, welche klassische Forschungsmethoden wie z. B. Literaturanalysen, Experteninterviews, Beobachtung, Fragebogen etc. mit Methoden aus dem Design kombinieren. Eine seit einigen Jahren sehr populäre Methode aus dem Designbereich ist „Design Thinking“ (DT). Diese Methode ist durch einen iterativen Zyklus gekennzeichnet, der aus den Phasen Problemdefinition und Re-Definition, Need Finding und Synthese, Ideengenerierung, Prototyping und Storytelling sowie Testen besteht (Uebernickel et al., 2015). Die einzelnen Phasen bzw. Begrifflichkeiten werden in der Design-Thinking-Literatur nicht stringent verwendet, sondern variieren in einem überschaubaren Maß. Ein zentrales Merkmal der Methode ist eine starke Fokussierung auf den Nutzer*innen und das Verstehen von Bedürfnissen und Problemen, um darauf aufbauend sinnvolle Lösungen zu gestalten. Ein gängiger, iterativer Gestaltungsprozess des Design Thinkings sieht dabei insgesamt sechs Phasen vor, die in der folgenden Grafik veranschaulicht sind (Abbildung 3.1).

Abbildung 3.1
figure 1

(Quelle: HPI)

Der Design Thinking Prozess des HPIs

Design-Thinking ist mittlerweile zu einer Art Trend geworden, der dazu führt, dass etliche Organisationen unter dem Druck der Digitalisierung Design-Thinking Workshops durchführen lassen, um mit dieser Methode einen Weg in Richtung „Transformation“ zu beschreiten. Die derart hochgesteckten Ziele führten in der jüngsten Vergangenheit dazu, dass Design-Thinking stellenweise „belächelt“ wurde. Eine umfassende Darstellung der Gründe wäre an dieser Stelle zu weitführend.

Die Grundprinzipien des DTs lassen sich jedoch auch auf Design-Methoden zurückführen, die insgesamt eine längere Entwicklungsgeschichte und Fundierung mitbringen. Die Prozesse und Arbeitsweisen des DTs lassen beispielsweise deutliche Überschneidungen zum Human-Centered Design (HCD) erkennen. Giacomin (2014) definiert den menschenzentrierten Gestaltungsansatz wie folgt:

„Human centred design is an approach to systems design and development that aims to make interactive systems more usable by focusing on the use of the system and applying human factors/ ergonomics and usability knowledge and techniques. ISO 9241–210 specifically recommends six characteristics:

  • The adoption of multidisciplinary skills and perspectives

  • Explicit understanding of users, tasks and environments

  • User-centred evaluation driven/refined design

  • Consideration of the whole user experience

  • Involvement of users throughout design and development

  • Iterative process.“

Die Ursprünge des HCDs lassen sich in den Disziplinen Wirtschaftswissenschaften, Informatik und Künstlicher Intelligenz verorten (vgl. ebenda). Entsprechende internationale ISO Normen aus den Jahren 1999 und 2010 (ISO 9241–2010 und ISO 13407:1999) verweisen auf diese Entwicklungsgeschichte. Deutliche Querverbindungen gibt es im Hinblick auf die Entwicklung von Technology Enhanced Learning Environments (TELEs). Wang und Hannafin (2005, S. 12) verweisen auf das besondere Potenzial des DBR-Ansatzes für TELEs, da die Mehrheit der entwickelten Systeme aufgrund der nicht geeigneten theoretischen Fundierung ihre Ziele verfehlten. Diese Kritik teilen auch die Autoren Chatti, Agustiawan, Jarke und Specht (2012, S. 66) und fordern eine stärkere Fokussierung auf lernendenzentrierte Modelle:

„Most current TEL initiatives still take a centralized technology-push approach in which learning content is pushed to a predefined group of learners in closed environments. A fundamental shift toward a more open and learner-pull model for learning is needed.“

Smart Learning Environments sind TELEs, die einer ganzheitlichen Betrachtung unterzogen werden müssen, wenn die Entwicklung und Implementierung systematisch an den Bedürfnissen der Lernenden anknüpfen soll. In diesem Zusammenhang wird im Rahmen der DBR-Theorie ein sehr hoher Stellenwert auf die Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes gelegt (Anderson & Shattuck, 2012; The Design-Based Research Collective, 2003; Wang & Hannafin, 2005). In den Wirtschaftswissenschaften wird dieser Umstand im Rahmen der Information Systems Design Diskussionen geführt und spiegelt sich in soziotechnischen Gestaltungsansätzen wie des Information Systems Research Framework von Hevner et al. (2004) wider, die in Abschnitt 3.4 näher erläutert werden.

Das iterative Vorgehen im DBR-Ansatz (The Design-Based Research Collective, 2003) mit einer systematischen Verknüpfung von theoretischen Grundlagen, ersten Entwürfen und Rückkopplung in der Praxis hat sich für das vorliegende Forschungsprojekt als geeignete Methode dargestellt, um den Untersuchungsgegenstand systematisch zu untersuchen und darauf aufbauend handlungsorientierte Methoden und Werkzeuge zu entwickeln.

Abbildung 3.2
figure 2

(nach McKenney & Reeves, 2013)

Iterative Phasen des DBR-Ansatzes

Damit findet die Entwicklung und Forschung in kontinuierlichen Zyklen von Gestaltung, Durchführung, Analyse und Re-Design statt. Innovation, Analyse und Revision wechseln also einander ab. Dabei spielt Design und die Gestaltung bzw. Visualisierung von Entwürfen, Ideen, Abläufen, Kontexten oder Modellen eine zentrale Rolle. Es werden hypothetische Modelle entworfen, analysiert und iterativ überprüft, korrigiert und weiterentwickelt. Diese Schritte sind charakteristisch für DBR, insbesondere, dass der Entwurf bereits Teil des Forschungsprozesses ist und dieser nicht vor- bzw. nachgelagert wird (vgl. Abbildung 3.2).

Typisch für DBR ist darüber hinaus, dass nicht das methodische Verfahren oder Paradigma, sondern das forschungsleitende Ziel im Mittelpunkt steht. Von daher kommen in der Regel integrative, triangulative Verfahren durch Mischung aus quantitativen und qualitativen Methoden zum Einsatz (Anderson & Shattuck, 2012; Reinmann, 2005; Wang & Hannafin, 2005), auch wenn DBR grundsätzlich explorativ angelegt und überwiegend in der Tradition qualitativer und konstruktivistischer Paradigmen steht (vgl. ebenda). Insofern kann auch an dieser Stelle ein für das vorliegende Forschungsprojekt stimmige und gegenstandsangemessene Forschungsmethodik im DBR-Ansatz erkannt werden.

Die Anwendung von Design-Arbeitsweisen im Forschungsprozess im Sinne des DBR bedingt ein systematisches und regelgeleitetes Vorgehen. Insofern werden in Anlehnung an Reinmann (2005) abschließend Prinzipien aufgeführt, die im Rahmen des Forschungsprojektes berücksichtigt wurden (Abbildung 3.3):

Abbildung 3.3
figure 3

(nach Reinmann 2005)

Design-Based Research Prinzipien

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass DBR vorausschauend und reflektierend zugleich verläuft. Vorausschauend, weil Designs vor dem Hintergrund hypothetischer Lernprozesse und auf der Basis theoretischer Modelle implementiert und untersucht werden, reflektierend, weil Annahmen im Forschungsprozess analysiert und (mehrfach) überprüft werden. DBR eignet sich insbesondere durch folgende Überschneidungen zum vorliegenden Forschungsprojekt:

  • Starker Bezug zum Thema Design und Architektur

  • Gestaltung von Bildungsinnovationen als Ziel

  • Handlungs- und anwendungsorientierter Bezugsrahmen

  • Entwicklung von Technology Enhanced Learning Environments

  • Theoriegeleitetes Vorgehen

  • Entwurf hypothetischer Modelle, die in der Praxis validiert werden

  • Ganzheitliche, soziotechnische Perspektive, die den Kontext erfasst

  • Entwicklung eines Design-Frameworks

  • Anwendung integrativer Forschungsverfahren (Triangulation)

Eine differenzierte Auseinandersetzung, ob es sich bei DBR um eine Methode, einen Forschungsansatz oder um ein epistemologisches Paradigma handelt ist in der aktuellen theoretischen Literatur bisher nicht eindeutig erfolgt. Demnach wird der DBR-Begriff in unterschiedlichen Kontexten verwendet.

Im vorliegenden Forschungsprojekt fungiert DBR als eine konkretisierte Erweiterung der wissenschaftstheoretischen Positionierung aus Abschnitt 3.1, indem es das theoretische und methodische Fundament für die Forschungsarbeit legt. Dabei können aus ökonomischen Gründen jedoch nur Teilmengen des DBR Ansatzes abgebildet werden, die den Zyklus in abgeschwächter Form nur einmal durchlaufen. Die Adaption des DBR-Ansatzes erfolgte durch eine gezielte Verschränkung mit den einzelnen Phasen des Untersuchungsdesigns (vgl. Abschnitt 3.5, Abbildung 4.6. Dabei wurde die Analyse und Exploration durch die Literaturanalysen abgebildet, die dann innerhalb der Konstruktionsphase in einen ersten Modellentwurf überführt wurden. Im Rahmen des Fokusgruppen-Workshops wurde der erste Entwurf einer Evaluation durch Praxisexperten unterzogen. Eine weitere Validierung mit Fachexperten aus dem wissenschaftlichem Umfeld rundete die Evaluation ab, so dass im Rahmen einer Auswertung und Reflexion ein Re-Design der Modellierung angefertigt werden konnte.

Dementsprechend kam kein klassisches DBR zum Einsatz, indem Prototypen in echten Praxissituationen wieder und wieder getestet sowie re-designt werden konnten. Es wurden nur Teilelemente im Rahmen der Teilstudie 1, der Experteninterviews sowie der Teilstudie 2 übernommen. Als Brücke zwischen Bildungswissenschaften und Informationstechnologie fungiert DBR als eine wertvolle Methode, um menschenzentrierte Bildungsinnovationen entwickeln zu können. Insofern wird die methodische Grundidee auch nach Abschluss der vorliegenden Forschungsarbeit weitergeführt, indem im Sinne einer ganzheitlichen Systemgestaltung das Konzept zur SLE Entwicklung in Form eines Design Sprints aufgegriffen und die Nutzung des Modells in der Praxis geplant ist, um SLEs gemäß dem Zyklus des DBR folgend, iterativ zu designen, zu prototypen, zu testen, zu modifizieren und letztlich auch informationstechnisch zu entwickeln.

3.4 Modellierung

Aufbauend auf dem theoretischen Fundament des DBR-Ansatzes wird die Modellierung als eine gestaltende Analysemethode für die vorliegende Forschungsarbeit verwendet und bildet damit die Phase des Entwurfes und der Konstruktion ab. Die Modellierung reduziert die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes, indem Kernbereiche extrahiert und jene Merkmale gebündelt werden, die im Rahmen des Gestaltungsprozesses von SLEs relevant sind. Innerhalb des DBR Ansatzes spricht man in diesem Zusammenhang von „Abduktion“, um komplexe Sachverhalte neu zu ordnen und Zusammenhänge herauszuarbeiten.

Wie in den vorhergehenden Abschnitten dargelegt, unterstützen Smart Learning Environments Prozesse der Wissensgenerierung, indem sie auf adaptive und ubiquitäre Art und Weise mit Informationen umgehen und diese bedarfsorientiert sowie kontextbezogen den Nutzer*innen bereitstellen. Demzufolge sind SLEs hoch moderne Informationssysteme und damit Teil des sogenannten Informationsmanagements (Blendinger & Herden, 2009). Darüber hinaus werden Informationssysteme, also auch SLEs, als soziotechnische Systeme bezeichnet, wobei die Interdependenzen der sozialen, technischen und organisationalen Subsysteme zum Tragen kommen (Borowiak & Herrmann, 2011). Da für das Informationsmanagement die Bildung von Modellen von essentieller Bedeutung ist, wird im Folgenden auf die Modellierung von Smart Learning Environments eingegangen.

Dabei werden zunächst in Abschnitt 3.4.1 theoretische Grundlagen gelegt und relevante Zusammenhänge skizziert. Das Unterkapitel 3.4.2 erörtert auf dieser Basis unterschiedliche Frameworks bzw. Meta-Konzepte zu Modellierungsverfahren aus unterschiedlichen Fachrichtungen und prüft diese auf ihre Tauglichkeit für die vorliegende Untersuchung. Das Unterkapitel schließt in Abschnitt 3.4.3 mit einer begründeten Darstellung des eigenen Modellentwurfs.

Da eine detaillierte und umfassende Darstellung der Modellierung in soziotechnischen Systemen den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde, sollen im Folgenden nur die wichtigsten theoretischen Eckpfeiler skizziert werden, die im Rahmen des eigenen Modellentwurfes von SLEs relevant waren.

3.4.1 Modellierung in Soziotechnischen Systemen

Allgemein bezeichnet man als System eine gegenüber der „Umwelt“ abgegrenzte Gesamtheit von Elementen, zwischen denen Beziehungen bestehen. Durch diese Beziehungen und die Abgrenzung zur Umwelt – aber auch zu anderen Systemen – kann ein System als Einheit behandelt werden, z. B. eine Maschine, eine Organisation, eine Institution. Eine (Arbeits-)Organisation wird aufgrund ihrer sozialen und technischen Elemente als „soziotechnisches System“ bezeichnet.

Der Begriff „soziotechnisches System“ geht auf den soziotechnischen Gestaltungsansatz des englischen Tavistock Institutes in den 1950er Jahren zurück (Herrmann, 2003). Dieser Ansatz zielte auf die Optimierung sozialer und technischer Systeme. Dabei wurde jedes System als unabhängig begriffen, mit eigenen Regeln und Zwecken, im Produktionsprozess jedoch als voneinander abhängig. Enid Mumford erweiterte den Begriff um informationstechnische Systeme. Demnach meint soziotechnisches Design den Versuch, die sozialen und technischen Anforderungen bei der Gestaltung und Entwicklung eines neuen Arbeitssystems aufeinander abzustimmen und in einem ausgewogenen Verhältnis zu berücksichtigen (Mumford, 2006).

Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann hat sich in umfassender Weise dem Begriff des sozialen Systems gewidmet und im Rahmen seiner Systemtheorie, die Funktionsweise sozialer Systeme umfassend analysiert und beschrieben. Nach Luhmann bestehen Soziale Systeme nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen (Luhmann, 1984). Luhmanns soziologische Systemtheorie schließt an die allgemeine Theorie selbstreferentieller Systeme an. Danach hat jedes System einen eigenen Reproduktionsmechanismus (autopoietisch) und ist durch eine Selbstbezüglichkeit (selbstreferentiell) gekennzeichnet. In Bezug auf Organisationen bedeutet dies, dass diese zwar mit ihrer Umwelt kommunizieren, aber letztlich geschlossene, selbstreferentielle und autopoietische Systeme darstellen (Herrmann, 2003).

Unter dem Begriff „Modellierung“ (Synonym „Gestaltung“) versteht man im Allgemeinen die Konstruktion eines Ideal- oder Sollmodells aus der zweckbezogenen Sicht eines oder mehrerer Modellierer. Die Gestaltung eines Modells ist eine Abstraktion der Wirklichkeit. Ziel der Modellbildung ist es, Informationen über ein Original zu erschaffen (vgl. Stachowiak, 1973, S. 131 ff.). Die Erstellung von Modellen erfolgt im Rahmen einer intensiven Informationsarbeit, deren Leistung für den Modellersteller vor allem darin liegt, Modelle, also Informationen, zu erschaffen und für andere nutzbar zu machen (Blendinger & Herden, 2009). Die Modellierung umfasst dabei die drei Prozessschritte Konstruieren, Rekonstruieren und Entwerfen von Modellen (vgl. ebenda).

In der Literatur werden der Modellbegriff und Modellierungsverfahren unterschiedlich verstanden. Je nach vorherrschender Fachdisziplin gibt es unterschiedliche Ansätze, die im folgenden Abschnitt beleuchtet und im Kontext des Untersuchungsgegenstandes interpretiert werden sollen. Ziel ist es dabei, eine fundierte Modellierungstheorie zu identifizieren, die für den eigenen Modellentwurf adaptiert werden kann, um im Gesamtergebnis eine systematische und wissenschaftlich fundierte Modellierung gewährleisten zu können.

3.4.2 Modellierungsverfahren

Gemäß dem für die Forschungsarbeit gewählten interdisziplinären Zugangs konnten im Hinblick auf Modellierungsverfahren unterschiedliche Ansätze aus der Literatur entnommen werden (vgl. Abbildung 3.4).

Abbildung 3.4
figure 4

(Quelle: Eigene Darstellung)

Modellierungsverfahren in einem interdisziplinären Vergleich

Die Abbildung stellt dabei keine umfassende Darstellung vorhandener Ansätze zur Modellbildung dar, sondern dient lediglich einer ersten interdisziplinären Annäherung. Da sich die vorliegende Forschungsarbeit schwerpunktmäßig in der Disziplin der Bildungswissenschaft verortet und ein SLE letztlich auch als innovatives Bildungsmodell der Zukunft interpretiert werden kann, wurden zunächst einmal bildungswissenschaftliche Lernmodelle identifiziert, um so Merkmale und Anforderungen an Modellierungsverfahren bei der Gestaltung von Lernmodellen extrahieren zu können. Die Autoren Celik & Magoulas (2016) haben in einem systematischen Literature Review Modelle und Ansätze untersucht und zusammengetragen, die als Grundlage für die Gestaltung von Lernangeboten dienten. Da in den vergangenen Jahren insbesondere auch die Entwicklung digitaler Lernformate in ihrer Bedeutung zugenommen hat, sind entsprechend relevante Modellierungsverfahren zu erwarten.

Im Ergebnis identifizieren Celik & Magoulas (2016) insgesamt 14 unterschiedliche Modelle, Vorlagen, Infrastrukturen, Paradigmen, Prinzipien, Frameworks und Ansätze, die zur Gestaltung von Lernangeboten genutzt wurden (vgl. Abbildung 3.5):

Abbildung 3.5
figure 5

(Quelle: Celik & Magoulas 2016)

Überblick zu Lernmodellen

Dabei wird bereits eine sehr heterogene Terminologie deutlich. In Abbildung 3.5 wurden darüber hinaus weitere gängige Lernmodelle ergänzt, die insbesondere im deutschsprachigen Raum zitiert werden.

In einer ersten Bewertung des Literature Review konnte festgestellt werden, dass es sich dabei zwar um sehr bekannte Modelle wie z. B. das Constructive Alignment handelt, die sich allerdings von der Ausrichtung und Zielstellung her nur in Teilen oder gar nicht auf das Konzept von SLEs übertragen lassen.

In einer weiteren Bewertungsschleife wurden die unterschiedlichen „Modelle“ näher untersucht. Dabei konnte festgestellt werden, dass sich das „3P Learning Model“ (A4) als inhaltlich relevant im Zusammenhang der Gestaltung von SLEs darstellt, da sich dieses explizit an die Gestaltung von TELE richtet. Die Autoren Chatti, Jarke & Specht (2010, S. 1) beschreiben das Modell folgendermaßen:

„The 3P learning model is a vision of learning characterized by the convergence of lifelong, informal, and personalized learning within a social context. The 3P learning model encompasses three core elements: Personalization, Participation and Knowledge-Pull.“

Das Vorgehen der Modellierung basiert auf der Identifizierung von insgesamt fünf Erfolgsfaktoren, die das Lernen positiv beeinflussen. Dabei wurden die Erfolgsfaktoren anhand einer Literatur herausgearbeitet, die konnektivistische und konstruktivistische Annahmen repräsentieren. Grundlage des 3P Modells sind die folgenden Erfolgsfaktoren (Chatti et al., 2010):

  • Learning is personal and self-directed

  • Learning is social

  • Learning is open

  • Learning is emergent

  • Learning is driven by Knowledge-Pull

Im Ergebnis präsentieren Chatti, Jarke & Specht (2010) ein Lernmodell, das o.a. Erfolgsfaktoren mit den Herausforderungen des lebenslangen Lernens, des informellen Lernens, des personalisierten und netzbasierten Lernens verschränkt. Dabei ist festzustellen, dass die Erfolgsfaktoren nicht zu 100 % identisch in das visualisierte Modell übernommen wurden und dass der Faktor „Learning is open“ im Modell als „distributed“ dargestellt wurde.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das 3P Learning Model zwar Anknüpfungspunkte bietet, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in Kapitel 2 abgebildet sind, jedoch in Bezug zum Untersuchungsgegenstand auf Grundlage einer soziotechnischen Perspektive keine Modellierungshilfe darstellt. Eine genauere Betrachtung der anderen Ansätze lieferte ähnliche Ergebnisse, so dass im Folgenden insbesondere auf die Allgemeine Modelltheorie nach Stachowiak (1973) sowie das Information Systems Research Framework nach Hevner (2004) eingegangen wird.

Im Sinne der Allgemeinen Modelltheorie (AMT) nach Stachowiak (1973) ist ein Modell als Repräsentation eines Originals im Sinne eines Abbildes oder Vorbildes für etwas zu verstehen. Der Prozess des Modellierens erfolgt durch rekonstruieren, entwerfen sowie konstruieren. Dabei wird durch den „Modellerschaffer“ die Annahme getroffen, dass eine Transformation eines gegenwärtigen Originals in einen veränderten Zustand in der Zukunft möglich ist. Stachowiak unterscheidet drei Merkmale auf (1973, S. 131 ff.):

  • Repräsentationsmerkmal

  • Modelle sind Repräsentationen von natürlichen oder künstlichen Originalen, die ebenfalls Modelle sein können. Dabei werden Modelle als Attributklassen interpretiert, die attributierte Systeme beschreiben.

  • Verkürzungsmerkmal

  • Im Allgemeinen werden durch Modelle nicht alle Attribute des Originals erfasst. Modelle repräsentieren damit einen Vorbereich unter Vernachlässigung sog. präterierter Attribute, die im Hinblick auf den Verwender und den vom Modellierer verfolgten Zweck irrelevant sind. Die Auswahl der benutzten Attribute in einem Modell unterliegt Relevanzbedingungen, die durch den Modellerschaffer definiert und durch den Modellbenutzer interpretiert werden. Daher kann die Verkürzung vom Benutzer nur dann nachvollzogen werden, wenn er das Modell selbst erstellt hat und das Original kennt. Andernfalls kann er die Verkürzung nur vermuten. Aus diesem Grund ist das Verkürzungsmerkmal ein pragmatisches Merkmal im weiteren Sinne.

  • Pragmatisches Merkmal (im engeren Sinne)

  • Zusätzlich zum Verkürzungsmerkmal, welches eine subjektive Auswahl der Attribute durch den Modellerschaffer (Modellbenutzer) unterstellt, wird durch das pragmatische Merkmal beschrieben, dass Modelle eine Ersetzungsfunktion für bestimmte Subjekte, innerhalb bestimmter Zeitintervalle und unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder tatsächliche Operationen erfüllen.

Diese Merkmale implizieren einen hohen Stellenwert des Subjekts als Modellersteller und verweisen in diesem Zusammenhang auf divergierende erkenntnistheoretische Paradigmen (vgl. Abschnitt 3.1). Dieses unterschiedliche Verständnis von Modellierung äußert sich entweder in einer „Abbildung eines realen Systems“ (Abbildungsorientierung) oder als „Ergebnis einer Konstruktion eines Modellierers“ (Konstruktionsorientierung). Wolf (2001, S. 73) geht auf die Konstruktionsorientierung wie folgt ein:

„Da das konstruktionsorientierte Modellverständnis auf dem konstruktivistischen Paradigma beruht, dem zufolge keine objektive Abbildung der Realität möglich ist, können Forderungen wie Morphismus und Analogie nicht aufrechterhalten werden. Vielmehr wird, auf Grund der Subjektivität der Erkenntnisse, das Subjekt als Modellersteller in den Mittelpunkt gestellt. Das Resultat ist ein Modellverständnis, in dem das Subjekt eine aktive Rolle als Konstrukteur des Modells spielt, nachdem es eine zweckgerichtete Interpretation der Realität vorgenommen hat.“

Zur Differenzierung von Modellen gibt Stachowiak (1973) eine pragmatische Einteilung in graphische, technische und semantische Modelle vor, die sich wie folgt unterscheiden lassen:

  • Graphische Modelle sind im wesentlichen zweidimensionale Modelle. Die Originale stammen meist aus dem Bereich des Wahrnehmens, des Vorstellens und der gedanklichen Operationen. Stachowiak unterscheidet hierbei ikonische und symbolischen Modelle

  • Technische Modelle sind vorwiegend dreidimensionale, raumzeitliche und materiell-energetische Repräsentationen von Originalen. Entsprechend der Natur ihrer Attribute lassen sich physiko-, bio-, psycho- und soziotechnische Modelle unterscheiden.

  • Semantische Modelle sind Kommunikationssysteme, die ein Subjekt zur informationellen Verarbeitung seiner Wirklichkeit verwendet. Es wird zwischen den internen Modellen der Perzeption und des Denkens sowie den externen semantischen Modellen, die sich aus Zeichen und Zeichenkombinationen aufbauen, unterschieden.

Zusammenfassend ergibt sich auf Basis der AMT nach Stachowiak (1973) eine theoretisch fundierte und umfassende Ausgangsposition, um SLEs wissenschaftlich begründet modellieren zu können, die allerdings auf einer sehr abstrakten Ebene einzustufen ist. Eine Adaption scheint auf Grundlage der Konstruktionsorientierung zwar möglich, gleichzeitig fällt eindeutige Zuordnung zu den von Stachowiak (1973) vorgegebenen Modelltypen jedoch schwer, da SLEs tendenziell zu technischen, wie auch zu semantischen Modellen zuzuordnen wären. Der Vorteil einer allgemeinen Theorie ist in diesem Fall zugleich ein Nachteil, da eine sehr offen und flexibel nutzbare Grundstruktur nicht die Modellierungsunterstützung im Detail bietet, die für eine Modellierung von SLEs wünschenswert wäre.

Dementsprechend soll abschließend das von Hevner et al. (2004) vorgestellte Information Systems Research Framework erläutert werden, das eine Modellierungsunterstützung bietet, die zum Zweck der Gestaltung von SLEs adaptiert werden kann und für die vorliegende Forschungsarbeit die theoretische Grundlage darstellt.

Zunächst einmal ist bei Hevners Framework festzustellen, dass es über die bis dato gängigen Forschungsparadigmen der Wirtschaftsinformatik, der Behavioural Sciences hinausgeht und explizit eine Brücke zu den Design Sciences schlägt (Hevner et al. 2004). Die Autoren verweisen im Zusammenhang einer Modellierung auf die Relevanz der Nützlichkeit. Gleichzeitig impliziert dies eine Kritik an einem ausschließlich hypothesenprüfenden, auf allgemeinen Wahrheiten beruhenden Forschungsansatz. Insofern spiegeln sich die wissenschaftstheoretischen Diskurse auch in Hevners Framework wider, wobei sein Versuch, beide Sichtweisen zu verbinden, in Einklang mit der vorliegenden Forschungsarbeit steht (vgl. Unterkapitel 3.1).

Ziel des Information Systems Research Frameworks ist es, auf einer theoretischen Basis und in einem systematischen Verfahren, Handlungsspielräume der Anwender zu erweitern. Das besondere Potenzial aus Perspektive der Design Sciences offenbart sich in einem problemlösungsorientierten Verfahren. Das Framework unterstützt dabei die Gestaltung innovativer Artefakte, die komplexe Probleme lösen sollen. Im Design spricht man in diesem Zusammenhang auch von „Wicked-Problems“. Dabei sollen gezielt die Grenzen menschlicher und organisationaler Fähigkeiten erweitert werden. Hevner et al. argumentieren, dass eine effektive Problemlösung durch Gestaltung innovativer Artefakte zunächst einmal auf einer umfassenden Problemanalyse beruht.

Abbildung 3.6
figure 6

(Quelle: Hevner et al. 2004)

Information Systems Research Framework

Die Modellierung von Informationssystemen erfolgt nach Hevner et al. (2004) in einem Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis (vgl. Abbildung 3.6). Dabei steht eine theoretisch fundierte Stringenz (Rigor) einer erfahrbaren Bedeutsamkeit (Relevance) gegenüber. Ziel ist es dabei, beide Bereiche miteinander zu verbinden. Ein derartiges Vorgehen spiegelt sich auch in der vorliegenden Forschungsarbeit wieder, indem zunächst theoretische Grundlagen auf Basis von Literaturanalysen herausgearbeitet wurden (vgl. Kapitel 2), die dann in Form eines ersten Modellentwurfs mit Praxis- (vgl. Fokusgruppen-Workshop, Abschnitt 3.5.1) sowie Fachexperten (Abschnitt 3.5.2) abgeglichen, modifiziert und angereichert wurden. Dementsprechend harmoniert der designorientierte Ansatz von Hevner et al. (2002) in besonderer Weise mit dem Untersuchungsdesign der vorliegenden Forschungsarbeit, die explizit vor dem Hintergrund eines Design-Based-Research Ansatzes durchgeführt wird und sich in iterativen Schleifen zwischen Analyse, Theoriebildung, Entwurf, Validierung und Re-Design vollzieht (vgl. Abbildung 3.16).

Darüber hinaus bildet das Framework nach Hevner et al. (2004) im Vergleich zu den anderen Modellierungsverfahren eine deutlich erkennbare soziotechnische Perspektive ab und wird somit der Situiertheit einer dynamischen SLE Praxis am ehesten gerecht. Auf der anderen Seite bietet es genügend Spielraum zur eigenen Abstraktionsleistung im Zusammenhang des Untersuchungsgegenstandes und baut auf denselben forschungsparadigmatischen Ansätzen auf.

Der im Folgenden vorgestellte Modellentwurf lässt sich vor dem Hintergrund der dargestellten Modellierungstheorien in den Kontext eines konstruktionsorientierten Modellverständnisses einordnen, der in Anlehnung an das Hevnersche Framework entwickelt wurde. Das Ergebnis ist dabei als ein erstes, hypothetisches Modell zur Gestaltung von SLEs zu interpretieren, welches im Zuge der Datenauswertungen und eines sich daran anschließenden Re-Designs ganz im Sinne des Frameworks nach Hevner et al. in Unterkapitel 3.5.2.3.3 weiter ausdifferenziert und modifiziert wird.

Aufgrund der Subjektbezogenheit der Modellierung wird darauf hingewiesen, dass das Modell als Rahmung des Untersuchungsgegenstandes dient und nicht als alleinige Musterlösung interpretiert werden kann. Im Gegenteil, die Modellierung ist ein erster Schritt in Richtung Komplexitätsreduktion zum Zweck einer Transferleistung, die letztlich im Anwendungsfall selbst erneut auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen anzupassen ist. Dementsprechend ist eine flexible und auf den individuellen Transferbedarf gerichtete Nutzung vorgesehen.

3.4.3 Modellentwurf zur Gestaltung von Smart Learning Environments

Wie in den vorhergehenden Abschnitten hergeleitet, können SLEs in der betrieblichen Weiterbildung als komplexe soziotechnische Informationssysteme betrachtet werden, bei denen die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten vieler Faktoren eine Rolle spielen. Entsprechend ist es für eine professionelle Gestaltungsarbeit von Bedeutung, die Komplexität zu reduzieren und modellhafte Strukturen, Muster und Faktoren herauszuarbeiten sowie in einem Modell zu komprimieren. Dabei erfolgt eine Berücksichtigung sozialer, materieller und virtueller Aspekte des Untersuchungsgegenstandes, die in Kapitel 2 detailliert beschrieben und inhaltsanalytisch herausgearbeitet wurden. Auf Basis dieser theoretischen Vorarbeiten wird nachfolgend ein ganzheitlicher Modellentwurf auf Basis eines soziotechnischen Systems präsentiert.

Ziel des Modellentwurfs ist es, einen Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis zu gewährleisten und ein handlungsorientiertes Werkzeug für Organisationen zur Verfügung zu stellen.

Das Modell besteht aus zwei Handlungsfeldern, sechs Einflussbereichen und insgesamt 46 Faktoren (vgl. Abbildung 3.7). Dabei stehen die Handlungsfelder (Mensch und Raum) in gegenseitiger Wechselwirkung und Interaktion miteinander (vgl. Abschnitt 2.3.1). Beide Handlungsfelder beinhalten jeweils drei Einflussbereiche, die das jeweilige Handlungsfeld auszeichnen und beeinflussen.

Abbildung 3.7
figure 7

(Quelle: eigene Darstellung)

Soziotechnischer Modellentwurf zur Gestaltung von SLEs

Auf Grundlage der „Lernraumforschung“ (vgl. Abschnitt 2.3) wurden zunächst in Anlehnung an den „erlebten Raum“ nach Bollnow (2010) zwei Handlungsfelder identifiziert, die sich gegenseitig beeinflussen und die jeweiligen Gestaltungsebenen darstellen.

Der Modellentwurf beginnt im menschlichen Handlungsfeld mit den Bedürfnissen der Nutzer*innen, reflektiert die Lern-bzw. Unternehmenskultur und berücksichtigt die Lern- und Arbeitsmethoden, die angewendet werden sollen. Im zweiten Handlungsfeld geht es um den Raum. Dort spielen vor allem die digitale und physische Ausstattung, die Architektur und die IT Infrastruktur eine wichtige Rolle.

Bei der Gestaltung intelligenter und hybrider Lernräume bzw. Smart Learning Environments ist entsprechend eine Berücksichtigung dieser soziotechnischen Artefakte sowie aller Variablen zu empfehlen, die im Folgenden auf Basis der in Kapitel 2 dargestellten Grundlagen erläutert werden.

Für eine übersichtliche und verständliche Modelldarstellung wurde die Analogie eines Fahrplanes genutzt, der die Einflussbereiche als „Streckenabschnitte“ und die Faktoren als „Haltestellen“ symbolisiert.

Der Fahrplan zur Gestaltung von SLEs sieht entsprechend wie folgt aus (Abbildung 3.8):

Abbildung 3.8
figure 8

(Quelle: eigene Darstellung)

SLE Modell als Analogie eines „Fahrplans“

Die sozialen Bestandteile des Systems lassen sich durch eine entsprechende Farbgebung (violett) von den technisch orientierten Systemkomponenten (blau) unterscheiden. Darüber hinaus wurde zu jedem Einflussbereich ein Icon erstellt, so dass dem Nutzer*innen eine Zuordnung zwischen Faktoren und Einflussbereich leichter fällt. Im Folgenden werden die einzelnen „Streckenabschnitte“ im Detail vorgestellt.

Handlungsfeld: Mensch

1. Bedürfnisse:

Ausgangspunkt zur Gestaltung von Smart Learning Environments sind die Bedürfnisse der Menschen, die diese nutzen. Nur wenn die Lernbedürfnisse mit den Lernangeboten in hohem Maße übereinstimmen, wird über die Sinnhaftigkeit intrinsische Motivation und Interesse erzeugt. Um herauszufinden, welche Fach- und Methodenkompetenz gewünscht bzw. notwendig wird, sollte im Vorfeld eine (Bedarfs-)Analyse durchgeführt werden, die letztlich in ein (Kompetenz-)Profiling mündet. Das Profiling dient unter Beratung von professionellen Lernbegleitern zur Entwicklung einer „Persönlichen Lernumgebung“ (PLE), die auf Basis der Bedürfnisse ein individuelles Wissensmanagement unterstützt und für formale wie informelle Lernformate genutzt werden kann (vgl. Abbildung 3.9).

Abbildung 3.9
figure 9

(Quelle: eigene Darstellung)

SLE Modell, Einflussbereich “Bedürfnisse”

2. Lern- und Arbeitsmethoden:

Um möglichst vielen Lerntypen und Lernbedarfen gerecht zu werden, ist es nützlich, innerhalb von Lernprozessen verschiedene Sinne anzusprechen und eine Methodenvielfalt zu erzeugen. Anregungen für problemorientiertes Lernen, situatives Lernen, arbeitsplatzbezogenes Lernen, selbstgesteuertes oder kollaboratives Lernen ist z. B. dem kleinen Handbuch der didaktischen Modelle (nach Flechsig) zu entnehmen. Lernen kann aus konstruktivistischer Perspektive nie direkt gesteuert werden und ist stets eine Eigenleistung des Subjekts. Es können lediglich günstige Rahmenbedingungen zum Lernen geschaffen werden. Hierfür bieten sich neue Medien in besonderer Weise an. Aber auch „analoge“ Methoden wie z. B. Design Thinking eignen sich, um Kreativität und Innovationskraft zu fördern (vgl. Abbildung 3.10).

Abbildung 3.10
figure 10

(Quelle: eigene Darstellung)

SLE Modell, Einflussbereich “Lern-/ Arbeitsmethoden”

3. Lern- und Unternehmenskultur:

Lernprozesse werden von einer Lern- und Unternehmenskultur geprägt, die sich über viele Jahre hinweg entwickelt und manifestiert. Es ist ein Unterschied, ob man zu einer Schulung geschickt wird oder jemandem die Möglichkeit dafür geboten wird. Es ist zudem ein Unterschied, ob Experimentieren oder Fehler machen erlaubt sind oder ob streng nach Plan vorgegangen werden muss. Es ist ein Unterschied, ob hierarchische Strukturen die Kommunikation prägen oder ob auch „Top-Manager“ über Netzwerke o.ä. ansprechbar sind. Es ist darüber hinaus ein Unterschied, ob die Ziele vorgegeben werden oder man über seine Ziele selbst entscheiden kann. Ist ein Unternehmen transparent und offen gegenüber den Mitarbeiter*innen oder ist Intransparenz an der Tagesordnung? Werden Mitarbeiter*innen befähigt statt kontrolliert und ist ein interdisziplinäres Zusammenarbeiten über vorhandene Silo-Strukturen über Fachbereiche hinaus möglich (vgl. Abbildung 3.11)?

Abbildung 3.11
figure 11

(Quelle: eigene Darstellung)

SLE Modell, Einflussbereich “Lern-/ Unternehmenskultur”

Handlungsfeld: Raum

4. IT-Infrastruktur:

Die intelligente IT-Infrastruktur ist das Kernelement eines „Smart Learning Environments“ und wird in aktuellen Diskussionen auch als „Digitaler Agent“ oder „Digitaler Assistent“ etc. bezeichnet. Durch Bündelung von Spezialist*innen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz können intelligente Funktionen und Systeme entwickelt werden. Hierzu müssen relevante Lernressourcen und Wissensquellen identifiziert und miteinander vernetzt werden. Durch Anwendung von Data Analytics und durch Verfahren aus der künstlichen Intelligenz wie Semantik können so neuronale Netze, also abstrakte Softwarearchitekturen geschaffen werden, die Sinnzusammenhänge zwischen unterschiedlichen Wissensbeständen und Datenquellen herstellen können. Letztlich entsteht auf dieser Grundlage ein intelligentes Empfehlungssystem, das in Abhängigkeit der individuellen Bedürfnisse (vgl. PLE) relevante Inhalte findet, aufbereitet und in bestimmte Typen klassifiziert. Die intelligente IT-Infrastruktur fungiert als Schnittstelle zwischen internen und externen Datenbeständen und organisiert bedarfsgerecht alle benötigten Informationen. Einen verfügbaren Prototyp hinsichtlich „intelligenter Empfehlungssysteme“ stellt das EEXCESS-Projekt dar, welches den Code als Open Source via GitHub zur Verfügung stellt (vgl. Abbildung 3.12).

Abbildung 3.12
figure 12

(Quelle: eigene Darstellung)

SLE Modell, Einflussbereich “IT-Infrastruktur”

5. Digitale und physikalische Ausstattung:

Ein wesentlicher Aspekt bei der Gestaltung intelligenter Lernräume ist die Ausstattung mit Gegenständen, also Möbel, technische Geräte oder auch Pflanzen etc. Einerseits handelt es sich hier um klassisch analoge Dinge wie Tische, Stühle, Hocker, Sofas, FlipChart, Stellwände, Stifte, Papier, Post-its usw. Andererseits handelt es sich um die technische Ausstattung mit PC, Beamer, Audio- und Konferenzsystem oder auch mit „smart devices“. Hiermit sind z. B. SmartPens, Tablets, 3D-Drucker, Smartphones, SmartTV, Powerwall, SmartBoards oder aber auch „intelligente Fenster“ gemeint, die sich automatisch öffnen, wenn frische Luft nötig wird. Besonders kreative Büro-Möbelzusammenstellungen sind in Co-Working-Spaces wie dem FabLab oder Impact HUB Berlin zu finden. Darüber hinaus verfügt ein intelligenter Lernraum über digitale Werkzeuge (Software-Applikationen), die den Lern- und Arbeitsprozess kontinuierlich unterstützen. Dies sind z. B. Anwendungen, die die Lernergebnisse mit einer (internen) „Community-of-Practice“ teilen oder auch vorinstallierte Werkzeuge, mit welchen man während des Lernprozesses Fotos, Grafiken oder Videos erstellen und bearbeiten kann. Eine gute Übersicht an Tools, die im Kontext von Lernen und Arbeiten relevant sind gibt es jährlich von Jane Heart (vgl. Abbildung 3.13).

Abbildung 3.13
figure 13

(Quelle: eigene Darstellung)

SLE Modell, Einflussbereich “Ausstattung”

6. Workplace Architektur:

Raumkultur wirkt auf Lernkultur. Es ist ein Unterschied, ob man sich in einem in Grau gehaltenen Büro oder in einem sinnlich gestalteten Google-Office befindet. Dies sind plakative Extreme – es gilt hier eine ausgewogene Balance zu finden. Wichtigste Ansatzpunkte sind ein angenehmes, modernes Design kombiniert mit multifunktionalem Mobiliar, welches sich einfach und schnell an unterschiedliche Lern- und Arbeitsszenarien anpassen lässt. Darüber hinaus bieten sich hier innovative Konzepte wie die des Upcyclings an, wobei z. B. aus Palletten Tische oder Regale gefertigt werden. Ein zentrales Merkmal des „Internet der Dinge“ ist die Integration der Technik in Alltagsgegenstände zu sogenannten „Smart Objects“. Damit ist die Anreicherung von Alltagsgegenständen wie z. B. einem Fenster mit Sensoren und Aktoren gemeint, um einen automatisierten Zusatznutzen zu generieren (Bsp.: Wenn die Luftqualität nicht lernförderlich ist, gehen die Fenster automatisch auf). Demnach tritt die Technik unauffällig in den Hintergrund. Die Technik wird Bestandteil der Architektur und des Mobiliars, sie ist in Wände, Tische, Stühle etc. integriert. Ein Beispiel sind integrierte Lautsprecher in Wände, Sofas o.ä. oder z. B. auch multifunktionale Raumteiler, die nur bei Bedarf einen Touchscreen zur Verfügung stellen und ansonsten als Regal oder beschreibbare Wand genutzt werden können (vgl. Abbildung 3.14).

Abbildung 3.14
figure 14

(Quelle: eigene Darstellung)

SLE Modell, Einflussbereich “Architektur”

Der vorgestellte Modellentwurf versucht die in Kapitel 2 enthaltene Komplexität zu reduzieren und auf die wichtigsten Merkmale zu komprimieren. Ausgehend von je einer Leitfrage pro Einflussbereich liefert der Modellentwurf erste Empfehlungen zur Gestaltung von Smart Learning Environments, die abschließend in der folgenden Grafik vorgestellt werden (Abbildung 3.15):

Abbildung 3.15
figure 15

Erste Empfehlungen zur Gestaltung von Smart Learning Environments

3.5 Forschungsmethodik und Untersuchungsdesign

In Auseinandersetzung mit den divergierenden erkenntnistheoretischen Zugängen (vgl. Abschnitt 5.1), die final im Rahmen eines 3-tägigen Methodenworkshops an der FU-Berlin unter Anleitung von Methodenspezialisten ausdiskutiert wurden, wurde für die vorliegende Untersuchung vor dem Hintergrund eines Design-Based Research Ansatzes (vgl. Abschnitt 3.3) ein mehrstufiges, triangulatives und exploratives Forschungsdesign gewählt. Die wesentliche Funktion von explorativer Forschung besteht im Sinne des Entdeckungszusammenhangs im Entwickeln von neuen und kontextreichen Hypothesen, Theorien und Bezugsrahmen (Gläser & Laudel, 2010). Hierbei zeichnet sich das qualitative Forschungsparadigma durch die Motivation zu neuartigen Fragestellungen und Ideen aus und meist sind komplexe Phänomene Gegenstand der Untersuchung. Von daher scheint ein explorativer Zugang als geeignet für die durchaus komplexen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit. In den vergangenen Jahren wurden Mixed Methods Designs große Beachtung geschenkt. Diese zeichnen sich durch eine Triangulation von qualitativen und quantitativen Methoden aus und streben an, die Nachteile einer Methode durch die Vorteile der anderen auszugleichen.

Das vorliegende mehrstufige, triangulative und explorative Forschungsdesign dient einerseits der Validierung, Erweiterung, Vertiefung und Aktualisierung des aus dem Literature Review abgeleiteten hypothetischen Modells (vgl. Unterkapitel 3.4) sowie andererseits zur Entwicklung eines ganzheitlichen, anwendungsorientierten Konzeptes zur Entwicklung von SLEs. Die folgende Grafik veranschaulicht das Untersuchungsdesign im Überblick mit den intendierten Ausgangsfragen und wissenschaftlichen Verfahren (vgl. Abbildung 3.16):

Abbildung 3.16
figure 16

(eigene Darstellung)

Untersuchungsdesign

Es handelt sich bei der vorliegenden Untersuchung also um aufeinander aufbauende sowie sich ergänzende Studien eines multimethodischen Forschungsdesigns, um wie dies bei Mixed Methods häufig der Fall ist, die Schwächen der Methoden auszugleichen. Zusätzlich lässt sich mit Hilfe des vorliegenden mehrstufigen, triangulativen Untersuchungsdesigns ein umfassenderes Bild erlangen, als dies mit einer einzigen Studie möglich gewesen wäre. Darüber hinaus spiegelt sich der Design-Based Research Ansatz in der iterativen Rückkopplung sowie im Re-Design wider.

Im Vorfeld der empirischen Untersuchung wurden ausführliche Literature Reviews mittels SQ3R-Methode nach Robinson (1978) durchgeführt (vgl. Abbildung 3.17), deren Analysen in Kapitel 2 zusammengefasst wurden.

Abbildung 3.17
figure 17

(eigene Darstellung in Anlehnung an Robinson 1978)

Systematische Literaturanalyse mit der SQ3R-Methode

Kontinuierliche Reflektionen, auszugsweise Präsentationen, Besprechungen sowie kritische Auseinandersetzungen erfolgten im Austausch mit anderen Doktoranden im Rahmen einer Forschungswerkstatt der Volkswagen AutoUni (2015–2016) sowie im Education & Technology Kolloquium der TU Dresden (2015–2017). Der gesamte Forschungsprozess wurde mit mehreren Forschungstagebüchern (digital und analog) begleitet, die Notizen und visuelle Darstellungen beinhalteten. Dazu zählten auch die Mitschriften, die während der Interviews oder der Doktorandenkolloquien erstellt wurden. Im Rahmen der Untersuchung wurden folgende Daten erstellt und dokumentiert:

  • Handlungsfeldbeschreibungen inklusive illustrierender Beispiele

  • Skizzierung erster Modelle und Einflussfaktoren

  • Literaturexzerpte und Reviews zum Forschungsstand

  • Reflektion und Dokumentation zu Inhalten von „zufälligen“ Gesprächen (z. B. auf Konferenzen)

  • Reflektionen und inhaltliche Zusammenfassungen von Tagungen, BarCamps etc.

  • Schematische Darstellungen zur Faktorenanalyse

  • Blogbeiträge mit Zwischenergebnissen

  • Entwürfe graphischer Modelle

  • Allgemeine Ideen, Reflexionen und Konzeptionen

Die empirische Datenerhebung setzte sich im Gegensatz zur kontinuierlichen Erstellung der Forschungstagebücher aus zuvor genau definierten und geplanten Phasen und Bestandteilen zusammen, die im nachstehenden Überblick zusammengefasst und in den folgenden Abschnitten detailliert beschrieben werden:

Empiriephase 1 (Sommer 2016)

  • Im Sommer 2016 wurde die erste Teilstudie (vgl. Abschnitt 3.5.1) in Form eines Fokusgruppen-Workshops durchgeführt. Ziel war es, eine generelle Einschätzung zur Nützlichkeit des aus der Theorie abgeleiteten Modellentwurfes für die Praxis zu erhalten sowie erste Anwendungsmöglichkeiten für „IoT in Education“ aus der Perspektive der Dozierenden zu entwickeln. Die Datenerhebung erfolgte mittels Simulation, Bewertungsmatrix, Gruppendiskussion und Erstellung eines umfassenden Fotoprotokolls. Nach ca. einem Jahr wurde ein reflektierendes Feedback-Gespräch durchgeführt und Feedback-Fragebögen ausgefüllt.

  • Die Teilstudie 1 richtete sich schwerpunktmäßig an die

  • Forschungsfrage F1: Welche neuen Lehr- und Lernformate entstehen durch das Internet der Dinge? sowie die dazugehörende

  • Unterfrage F1.1: Wie können Lernprozesse durch das Internet der Dinge unterstützt werden?

  • Unterfrage F1.4: Wie könnte ein didaktisch fundiertes Modell zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen aussehen?

  • Im Herbst 2016 schloss sich die Hauptstudie (vgl. Abschnitt 3.5.2) in Form von halbstrukturierten, leitfadengestützten Experteninterviews an mit dem Ziel, Anwendungsmöglichkeiten für „IoT in Education“ aus der Perspektive der Wissenschaftler/innen zu erforschen. Die Datenerhebung erfolgte mittels Audioaufzeichnung der Interviews und anschließenden Transkriptionen, die inhaltsanalytisch in Anlehnung an Mayring ausgewertet wurden.

  • Die Hauptstudie richtete sich schwerpunktmäßig an die

  • Forschungsfrage F1: Welche neuen Lehr- und Lernformate entstehen durch das Internet der Dinge? sowie die dazugehörende

  • Unterfrage F1.1: Wie können Lernprozesse durch das Internet der Dinge unterstützt werden? und

  • Forschungsfrage F2: Wie kann der Lernraum die darin stattfindenden Lernprozesse unterstützen? sowie die dazugehörende

  • Unterfrage F2.2: Welche Anforderungen an die Gestaltung von Lernräumen gibt es?

  • Die qualitative Interviewstudie wurde gleichzeitig durch eine zweite Teilstudie (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.2) in Form eines quantitativen Begleitfragebogens ergänzt mit dem Ziel, eine generelle Einschätzung zur Nützlichkeit des Modellentwurfes aus der Perspektive der Wissenschaftler/innen zu erhalten sowie ein Ranking der ermittelten Variablen in Bezug zur Wichtigkeit vornehmen zu können. Die Datenerhebung erfolgte mittels Fragebogen. Die Auswertung wurde im Rahmen einer deskriptiven Statistik mit SPSS vorgenommen.

  • Die Teilstudie 2 richtete sich schwerpunktmäßig an die

  • Unterfrage F1.2: Welche charakteristischen Einflussbereiche zeichnen intelligente und hybride Lernräume aus?

  • Unterfrage F1.3: Welche Erfolgsfaktoren müssen bei einer Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen berücksichtigt werden?

  • Unterfrage F1.4: Wie könnte ein didaktisch fundiertes Modell zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen aussehen?

Das Mixed-Methods Untersuchungsdesign zeichnet sich durch eine konvergierende Triangulation der Methoden aus, indem in den Empiriephasen qualitative und quantitative Daten parallel erhoben und ausgewertet wurden. Die quantitativen Elemente dienen dabei als Ergänzung des schwerpunktmäßig explorativ und qualitativ angesetzten Designs.

3.5.1 Teilstudie 1

Wie bereits in Abschnitt 3.3 dargelegt, ist bei einer gestaltungsorientierten Forschungsarbeit ein enger Austausch zwischen Forschung und Praxis notwendig, um frühzeitig möglichen Widersprüchlichkeiten zwischen Theorie und Praxis vorzubeugen und die Perspektive der „Anwender im Feld“ aufzunehmen. Analog zum wissenschaftlichen Forschungsprozess beim DBR-Ansatz, war das Ziel der ersten Teilstudie, Anregungen und Feedback zum ersten Modellentwurf von SLEs durch die Nutzer*innen zu erhalten und diese im Sinne einer iterativen Schleife des Design-Based Research-Ansatzes in den Gestaltungsprozess einfließen zu lassen.

Die Teilstudie wurde in Form eines Fokusgruppen-Workshops durchgeführt und entspricht damit keinem gängigen Forschungsverfahren. Die Schwierigkeit eines Workshops liegt in der Komplexität des Verfahrens begründet. Workshops zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass sie in der Regel über einen halben oder auch einen ganzen Tag hinweg dauern. Entsprechend kommen unterschiedliche Formen, Ausprägungen und Methoden zum Einsatz, die nicht ausschließlich einer wissenschaftlichen Datenerhebung im klassischen Sinne dienen, sondern auch weitere Aspekte adressieren, die sich erst im Kontext eines kollaborativen Settings erkunden lassen. In der Tradition des Design-Based Research Ansatzes verankert wird für die erste Teilstudie eine flexible Durchmischung unterschiedlicher Verfahren (Mixed-Methods) eingesetzt, die sich in Anlehnung an gängige Methoden der Sozialforschung an einer qualitativen Beobachtung, einer quantitativen sowie qualitativen Befragung sowie einer qualitativen Gruppendiskussion orientieren.

Der Begriff Fokusgruppen-Workshop bezeichnet in der vorliegenden Teilstudie ein systematisch geplantes, moderiertes Verfahren im Workshop Charakter, bei dem eine

ausgewählte Kleingruppe durch einen Informationsinput zur Diskussion und Bewertung über ein bestimmtes Thema angeregt wird. Insgesamt ermöglicht ein Fokusgruppen-Workshop eine inhaltlich tiefe Auseinandersetzung zum Untersuchungsgegenstand, der auch methodisch vielfältiger gestaltet werden kann, als dies beispielsweise in einem klassischen Experteninterview möglich gewesen wäre. Im Zentrum des Verfahrens steht der direkte und intensive Austausch und das kollaborative Arbeiten zu einem Thema.

Der Untersuchungsgegenstand „intelligente und hybride Lernräume“ impliziert zunächst zwei unterschiedliche Zielgruppen, die als Teilnehmer*innen des Workshops in Frage kämen. Zum einen die Lernenden und zum anderen die Lehrenden. Beide Zielgruppen haben wahrscheinlich unterschiedliche Anforderungen an einen „intelligenten und hybriden Lernraum“. Daher sollten im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung beide Perspektiven in einem Fokusgruppen-Workshop einfließen. Da die Verantwortung über die Nutzung der Räumlichkeiten (wann wird welcher Raum gebucht?) sowie in Bezug zur Vorbereitung und Ausgestaltung Raumes (wie viele Stühle, Tische, Flip Charts etc. werden benötigt? Welche Stuhlform ist gewünscht?) traditionell in der Verantwortung der Lehrenden (Trainer*innen, Dozenten, Referenten, Koordinatoren) liegt, richtete sich der Fokusgruppen-Workshop der vorliegenden Untersuchung an die Lehrenden. Ein weiterer Grund für diese Zielgruppe war, dass die Gestaltung intelligenter und hybrider Lernräume nur dann erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn die Verantwortlichen einen Mehrwert in der Entwicklung erkennen. Der Raum muss letztlich in der Lage sein, nicht nur die Lernenden, sondern auch die Lehrenden zu unterstützen.

Für die vorliegende Untersuchung wurden daher Trainer*innen gesucht, für die das Forschungsthema „intelligente und hybride Lernräume“ grundsätzlich von Interesse sein könnte, um diese im Sinne eines gegenseitigen Befruchtens für eine Mitwirkung an der Teilstudie zu gewinnen. Ein weiteres Kriterium für die Zusammenstellung der Fokusgruppe war, dass bereits ein erster Bezug zum Thema „Internet der Dinge“ vorhanden ist, um einen schnellen fachlichen Einstieg zu gewährleisten und auf ein vorhandenes Vorverständnis aufbauen zu können. Andernfalls hätte man das Technologiekonstrukt zunächst erklären müssen, das den Workshop in die Länge gezogen hätte. Diesbezüglich hat sich das Teilzeit- Arbeitsverhältnis der Forscherin bei Bosch Software Innovations GmbH in Berlin als günstige Ausgangsposition erwiesen, da die Forscherin einen direkten Zugang zum Feld hatte und die geeigneten Personen ansprechen konnte.

3.5.1.1 Umfeld des Workshops

Bosch Software Innovations wurde 2008 gegründet. Neben Mitarbeiter*innen aus der Bosch Konzernforschung, der zentralen IT und der Geschäftsbereiche besteht sie aus den akquirierten Startup-Unternehmen Innovations Software Technology (Immenstaad/Bodensee, 2008), inubit AG (Berlin, 2011) und ProSyst (Köln und Sofia, 2015). Bosch Software Innovations ist heute mit rund 730 Mitarbeiter*innen nicht nur an den genannten Standorten, sondern auch weltweit tätig und unterstützt interne wie externe Kunden mit Software- und Systemdienstleistungen in den Geschäftsfeldern der vernetzten Mobilität, Industrie, Energie, Smart Home und Smart Cities. Bosch Software Innovations ist ein Softwareanbieter, der sich speziell auf das Internet der Dinge spezialisiert hat.

Seit rund zehn Jahren gestaltet Bosch Software Innovations aktiv das Internet der Dinge und bündelt unterschiedliche Expert*innen, um nachhaltige IoT-Lösungen zu entwickeln. Dazu gehören IoT Consultants, Softwareentwickler, Lösungsarchitekten, Projektmanager, UX Designer, Geschäftsmodell-Innovatoren und Trainer*innen.

Bosch Software Innovations gehört als Tochterunternehmen (100 %) zur Robert Bosch GmbH, deren Geschäftsbereiche partnerschaftlich beim Aufbau von IoT-Technologie und -Kompetenzen unterstützt wird. Die Robert Bosch GmbH ist ein im Jahr 1886 von Robert Bosch gegründetes multinationales deutsches Unternehmen. Es ist tätig als Automobilzulieferer, Hersteller von Gebrauchsgütern (Elektrowerkzeuge, Haushaltsgeräte), Industrie- und Gebäudetechnik (Sicherheitstechnik) und darüber hinaus in der automatisierten Verpackungstechnik. Die Robert Bosch GmbH und ihre rund 450 Tochter- und Regionalgesellschaften in etwa 60 Ländern bilden die Bosch-Gruppe. Der Sitz der Geschäftsführung befindet sich auf der Schillerhöhe in Gerlingen bei Stuttgart. Das Unternehmen hat in Deutschland an 80 Standorten 132.000 Mitarbeiter*innen, weltweit in 50 Ländern an knapp 260 Standorten 375.000 Mitarbeiter*innen (Stand: 2015).

3.5.1.2 Auswahl der Praxisexperten und Sampling

Für den Fokusgruppen-Workshop wurde Kontakt zu Trainer*innen der „IoT-Academy“ aufgenommen, die für Bosch Software Innovations in Berlin tätig sind. Die IoT-Academy bietet ein großes Angebot an Trainings, Workshops und Zertifizierungen an, die zielgerichtet auf die Planung, Implementierung und den Rollout von IoT- Lösungen vorbereiten. Insofern verfügen die Trainer*innen bereits über ein umfassendes Verständnis zum Thema Internet der Dinge, was für den Untersuchungsgegenstand intelligenter und hybrider Lernräume von großem Vorteil ist, da der Zusammenhang zwischen IoT und Lernräumen schneller hergestellt werden kann, als wenn man den Begriff zunächst erklären müsste. Darüber hinaus wurde Interesse am Thema durch die Trainer*innen und den Abteilungsleiter bekundet.

3.5.1.3 Kontext der Durchführung

Der Berliner Standort von Bosch Software Innovations zog Ende 2017 in neue Büroräumlichkeiten um. Geplant wurden u. a. spezielle Räumlichkeiten wie ein Design-Thinking- Raum oder eine IoT-Werkstatt, die insbesondere das kreative Arbeiten mit Prototypen unterstützen sollen. Auch die IoT-Academy erhielt neue Schulungsräume, die durch die Budgetvorgaben allerdings keine großen Spielräume eröffneten.

Das Anliegen der IoT-Trainings-Academy war es, die bisher sehr einseitig via PowerPoint durchgeführten IoT-Trainings innovativer und didaktisch vielfältiger zu gestalten, auch wenn dies bei klassischen Software-Schulungen eine Herausforderung darstellt. Vor dem Hintergrund des zukünftigen Umzugs in neue Räumlichkeiten und dem Wunsch nach Methodenvielfalt in den eigenen Trainings, war das Thema „intelligente und hybride Lernräume“ ein optimaler Ausgangspunkt, um sich mit diesem Thema im Rahmen eines Workshops tiefer auseinanderzusetzen. Im Vorfeld des Workshops wurden von den Trainer*innen bereits erste Ideen in einem Brainstorming gesammelt, wie die neuen Räumlichkeiten für die IoT-Trainings besser genutzt werden könnten. Insofern war es das Anliegen des IoT-Academy Leiters, diese Punkte im geplanten Workshop aufzugreifen und mit den ersten Ergebnissen aus dem vorliegenden Forschungsprojekt zu erweitern. Da das Thema „intelligente und hybride Lernräume“ im Zusammenhang zur Ausgestaltung des geplanten Design-Thinking Raumes auch für die UX-Abteilung von Bosch Software Innovations interessant war, wurden aus dieser Abteilung weitere zwei Personen in die Workshop-Konzeption eingebunden.

3.5.1.4 Konzeption und Planung

Zunächst einmal wurde vom Abteilungsleiter der IoT-Academy die Unterstützung und die Genehmigung zur Durchführung eines Fokusgruppen-Workshops im Rahmen der vorliegenden Untersuchung eingeholt. Um aber auch die Trainer*innen für einen ganztägigen Workshop gewinnen zu können, wurde im weiteren Verlauf der Planung ein Gespräch mit der gesamten IoT-Academy geführt, um die Ziele der Abteilung mit den Untersuchungszielen des Forschungsvorhabens abzugleichen und in eine bestmögliche Balance zu bringen. Da das Thema „intelligenter und hybrider Lernräume“ bereits auf großes Interesse gestoßen war, konnte man sich im Vorfeld auf die wichtigsten Eckpunkte im Workshop einigen. Ziel der IoT-Academy war es, sich mit der Gestaltung von (intelligenten) Lernräumen zu beschäftigen, um das „Internet der Dinge“ nicht nur als Gegenstand der Schulungen zu vermitteln, sondern auch erfahrbar werden zu lassen, indem IoT-Funktionalitäten mit Lernformaten gekoppelt werden. Insofern deckten sich die Ziele des Unternehmens mit den Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung. Nach dem ersten Gespräch standen die Folgenden Eckpunkte des Fokusgruppen-Workshops fest, die dann die gemeinsame Basis für die weitere Ausgestaltung des Workshops bildeten:

  • Ziele: Simulation eines Modellentwurfes zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen (SLEs) mittels Vortrag und hybrider Vernissage. Bewertung des hypothetischen Modells „intelligenter Lernräume“ aus Praxissicht sowie Entwicklung konkreter Use-Cases für die IoT-Academy, wie das Internet der Dinge in den Schulungen eingesetzt werden könnte.

  • Termin: 19.07.2016, 9–15 Uhr, Bosch Software Innovations GmbH in Berlin.

  • Teilnehmer*innen: Es sollen insgesamt sieben Personen am Workshop teilnehmen. Dazu zählen der Abteilungsleiter der IoT-Academy sowie vier seiner Mitarbeiter*innen und zwei Personen aus der UX-Abteilung.

Um das Konzept weiter auszuarbeiten wurde daran anschließend das Gespräch mit der UX-Abteilung gesucht. Ziel war es einerseits, die UX Abteilung einzubinden, da diese für die Gestaltung der neuen Büroräumlichkeiten (Design-Thinking Raum) verantwortlich war sowie andererseits im Rahmen der Ideengenerierung mit der Methode Design-Thinking (vgl. Abschnitt 3.3) gearbeitet werden sollte. Die UX-Abteilung verfügte insofern über wertvolle Kenntnisse, die für den Workshop erschlossen werden sollten. Entsprechend hat sich die Zielgruppe im weiteren Planungsverlauf erweitert und setzte sich letztlich aus einem interdisziplinären Teilnehmer*innenkreis aus Designern und IoT-Trainer*innenzusammen, wobei die UX-Abteilung bereits innerhalb der Workshop-Konzeption involviert wurde und stellenweise eine aktive Rolle während der Durchführung des Workshops einnahm.

Das Konzept umfasste insgesamt drei thematische Hauptblöcke, wobei die UX-Abteilung die Verantwortung über den zweiten Block der Ideengenerierung in Anlehnung an die Design-Thinking Methode übernahm. Für die Ausgestaltung der anderen beiden Blöcke war die Forscherin zuständig, wobei sie die Rolle der Moderatorin einnahm. Die Konzeption des Workshops wurde mit dem Abteilungsleiter der IoT-Academy im Vorfeld abgestimmt und beinhaltete final folgende Agenda (Abbildung 3.18):

Abbildung 3.18
figure 18

(eigene Darstellung)

Agenda Fokusgruppen-Workshop

Im ersten Block „Inspiration“ wurde das Thema „intelligente Lernräume“ bzw. „Smart Learning Environments“ in einem 30-minütigen Vortrag der Forscherin zunächst kurz erläutert, damit sich die Workshop-Teilnehmer*innen im folgenden Abschnitt nähere Informationen in einer Vernissage (Simulation) selbständig aneignen und mittels Bewertungsbogen Feedback über die Wichtigkeit der einzelnen Teilbereiche abgeben konnten. Die interaktive Vernissage sah dabei vor, dass über einen auf der Stellwand angebrachten Barcode multimodale Zusatzinformationen über ein Smartphone abgespielt werden sollten. In diesem Zusammenhang wurde zunächst mit dem Abteilungsleiter der IoT-Academy und anschließend mit den Teilnehmer*innen des Workshops abgestimmt, dass zum Workshop ein Smartphone, ein Barcode-Scanner und Kopfhörer zur Verfügung stehen. Eine Stellwand beinhaltete die Darstellung eines 360 Grad Fotos, für welche im Vorfeld ein Tablet organisiert wurde. Eine Einladung an alle Teilnehmer*innen mit entsprechendem Hinweis auf das benötigte Equipment wurde inklusive der Agenda ca. 1 Woche vor Beginn des Workshops per E-Mail versendet.

Im zweiten Block „Ideen entwickeln“ wurde aufbauend auf den Ergebnissen aus der Vernissage mittels Design-Thinking neue Ideen (Use-Cases) generiert, die das Internet der Dinge im Lehr- und Lernprozess anwenden und IoT direkt im Lernraum erfahrbar machen. Im dritten Block „priorisieren“ wurden die Ergebnisse strukturiert und bewertet.

Im Vorfeld wurde zudem auf organisatorische Aspekte hingewiesen, wie beispielsweise, dass der Workshop fotographisch begleitet wird und eine Unterschrift zu Beginn des Workshops zu leisten ist. Da einer der Trainer*innen im Süddeutschen Raum angesiedelt war, wurde beschlossen, eine Skype-Session zumindest während der Präsentationen live zu schalten. Das methodische Vorgehen der einzelnen Bestandteile des Workshops sowie die jeweiligen Ziele sind in der nachstehenden Tabelle detailliert aufgeführt.

Uhrzeit

Inhalte

Methoden

Ziele

9:00–9:05

Begrüßung

Der Abteilungsleiter sowie die Forscherin begrüßten die Teilnehmer*innen und gaben einen Überblick zum Ablauf sowie zu den Zielen mittels Flipchart

Begrüßung, Erläuterung der Ziele und Einstimmung auf das Thema

9:05–9:15

Warm-Up

Im Design Thinking sind kurze Bewegungsübungen gängig, die Körper und Geist aktivieren und in kurzen Spielen als Einstimmung genutzt werden

Erzeugen einer positiven und aktiven Arbeitsatmosphäre

9:15–9:45

Präsentation zu IoT in Education – Was sind intelligente Lernräume?

Vortrag mit PowerPoint zu folgenden Inhalten:

1. Hintergrund des Workshops (Dissertation)

2. Digitale Transformation

3. Herausforderungen an das Lernen der Zukunft

4. Was sind intelligente und hybride Lernräume (Smart Learning Environments)

5. Ablauf der Vernissage

Die Präsentation diente dazu einen grundlegenden Überblick zum Thema zu geben. Dabei wurde die Präsentation absichtlich kurzgehalten, um vertiefende Inhalte in der Vernissage selbstgesteuert erarbeiten zu lassen

9:45–10:45

Interaktive Vernissage

Die Vernissage bestand aus 6 Stellwänden, wobei zu jedem der 6 Gestaltungsbereiche eine Stellwand mit folgenden Bestandteilen erstellt wurde:

Eine Visualisierung des Modell-Teilbereiches in Form eines „Fahrplans“, um einen Überblick zu erhalten (vgl. Abschnitt 3.4.3)

Eine Infobox, mit näheren Informationen in Textform (in Anlehnung an Abschnitt 2.4)

Ein interaktives Arbeitsblatt, das multimediale Zusatzinformationen mittels Barcode bereitstellte. Hierdurch entstand eine Mischform aus realer und digitaler Lernumgebung (hybrides Lernen)

Eine Bewertungsmatrix, um die Wichtigkeit des Bereiches einzuschätzen zu lassen (vgl. folgenden Abschnitt).

Ziel der Vernissage war es, das hypothetische Modell mit den sechs Teilbereichen zu simulieren, wobei sich die Teilnehmer*innen selbstgesteuert nähere Informationen über intelligente und hybride Lernräume selbst erarbeiten sollten. Dabei wurden gezielt hybride Methoden mittels Barcode integriert, um den Teilnehmer*innen einen ersten Eindruck zu geben, wie das Internet der Dinge für Lernformate genutzt werden kann.

10:45–11:00

Gruppendiskussion

Im Rahmen einer moderierten Diskussion wurden anschließend die Ergebnisse zu jeder Stellwand inklusive der jeweiligen Bewertungsmatrix besprochen. Um den Übergang zum nächsten Themenblock der Ideengenerierung einzuleiten, wurden die bereits vorhandenen Ideen der IoT-Academy auf einem Flipchart visualisiert. Der Themenblock der Inspiration wurde so vervollständigt und abgeschlossen.

Ziel war es herauszufinden, ob das Modell von den Praktikern als geeignet eingestuft wird, um intelligente und hybride Lernräume gestalten zu können und ob die identifizierten Bereiche als relevant eingestuft werden.

11:00–11:15

Pause

  

11:15–11:20

Was ist Design-Thinking?

Auf einem Flipchart wurden die Ziele und Arbeitsweisen des Design-Thinking-Ansatzes visualisiert und erläutert

Ziel war das Vermitteln der wesentlichen Merkmale und Arbeitsweisen im Design-Thinking Prozess, um eine gute Ausgangsposition für die folgende Session zu erzeugen

11:20–12:20

Empathize & Define

Zunächst wurden in Einzelarbeit positive und negative Erinnerungen bzw. Erfahrungen aus vergangenen Lehr- und Lernsituationen zusammengetragen. Darauf aufbauend wurden die Ergebnisse im Team vorgestellt und in Cluster (Organisation, Erwartungen, Personen, Lernatmosphäre, Infrastruktur, Räume, Lernmaterial & Lernmethoden) strukturiert.

Ziel dieser Design-Thinking-Einheit war es, dass sich die Teilnehmer*innen intensiv mit den Problemen und Wünschen in Bezug auf Lernen und Lernraumgestaltung auseinandersetzten. Dabei wurden zunächst Probleme aus eigenen Erfahrungen aus der Perspektive des Lernenden wie auch Lehrenden zusammengetragen.

12:20–13:00

Mittagspause

  

13:00–13:05

Warm-Up

Methodisch gleiches Vorgehen wie zu Beginn des Workshops lediglich mit einem anderen „Warm-Up“ -Spiel.

Aktivierung von Körper und Geist nach der Mittagspause sowie Förderung einer guten Teamatmosphäre

13:05–13:20

Fokussierung & Bewertung

Jeder Teilnehmer*innen bekam 3 Klebepunkte, um die für ihn relevantesten „Problemcluster“ zu identifizieren. Dabei wurden die „Lernatmosphäre“ und „Lernmethoden“ in die nächste Design-Thinking Phase „Ideate“ zur Generierung von Lösungen und Ideen überführt.

Fokussierung auf die wichtigsten Probleme, um systematisch nur die relevanten Punkte weiter zu bearbeiten.

13:20–14:05

Ideate

Um für die relevantesten Probleme Lösungen und Ideen zu entwickeln, wurde die Methode 635 angewendet und modifiziert. Die Gruppe wurde in zwei Teams aufgeteilt. Dabei erhielten die Teilnehmer*innen ein jeweils gleich großes Blatt Papier. Dieses wurde in drei Spalten aufgeteilt. Jeder Teilnehmer*innen wurde aufgefordert, in der ersten Zeile zu o.a. Problemen drei Ideen (je Spalte eine) zu formulieren. Jedes Blatt wurde nach angemessener Zeit von allen gleichzeitig, im Uhrzeigersinn weitergereicht. Der Nächste musste dann versuchen, die bereits genannten Ideen aufzugreifen, zu ergänzen und weiterzuentwickeln.

Aufbauend auf die vorhergehende Einheit war nun das Ziel, neue Ideen und Lösungsvorschläge in Bezug zu den vorhandenen Problemen zu entwickeln, wie der Raum einerseits kreative Lernmethoden unterstützen oder auch IoT im Lernraum erfahrbar machen lässt.

14:05–14:35

Präsentation der Ergebnisse

Nach 45 Minuten Ideation-Phase wurden die beiden Gruppen aufgefordert, Ihre besten Ideen kurz vorzustellen und in die Gestaltungsbereiche aus der Vernissage zu sortieren. Dabei wurden insgesamt 17 Ideen präsentiert und in die Vernissage als finales Ergebnis aufgenommen.

Ziel dieser Einheit war der Austausch über die in den Gruppen erarbeiteten Ideen sowie ein gezielter Rückbezug auf das einleitend simulierte Modell, um dieses systematisch mit „IoT-Use-Cases“ zu befüllen.

14:35–15:00

Feedback & Ausblick

Am Ende des Workshops wurde darüber gesprochen, was mit den Ergebnissen aus dem Workshop gemacht werden soll. Zusätzlich wurde ein mündliches sowie schriftliches Feedback mittels Flipchart eingeholt, auf welchem die Teilnehmer*innen den Ablauf und das methodische Vorgehen insgesamt bewerten sollten

Ziel der letzten Einheit war es, den Transfer in die Praxis zu fördern, indem die nächsten Schritte abgestimmt und formuliert wurden. Das Feedback diente dazu herauszufinden, ob der Workshop im Hinblick auf die Gesamtkonzeption stimmig war und Verbesserungspotenziale zu identifizieren

3.5.1.5 Instrumente und Verfahren der empirischen Datenerhebung

Wie im vorhergehenden Abschnitt erläutert, kamen bei dem Fokusgruppen-Workshop unterschiedliche Methoden und Verfahren zum Einsatz. Alle für den Workshop erstellten Inhalte sind im Original dem digitalen Anhang zu entnehmen und beinhalten im Einzelnen die folgenden Dokumente:

  • Die unterzeichneten Einverständniserklärungen zur Aufnahme von Fotos

  • Eine PowerPoint-Präsentation mit 28 Folien zum Thema „IoT in Education – Was sind intelligente Lernräume?“

  • Alle Inhalte der Vernissage (inkl. 6 Templates der Bewertungsmatritzen)

  • Die Fotodokumentation mit 47 Fotos vom Workshop (u. a. die 6 ausgefüllten Bewertungsmatrizen aus der Vernissage-Einheit, Zwischenergebnisse aus den Design-Thinking-Sessions sowie das Feedback-Flipchart)

  • Ein 9-seitiges Fotoprotokoll zum Ablauf und den Ergebnissen des Workshops

  • 4 ausgefüllte Feedback-Fragebögen

Da die Forscherin als Moderatorin des Workshops die jeweiligen Workshop-Einheiten (vgl. Unterkapitel 3.5.1.4) anleiten und steuern musste, erfolgte die sequenzielle, überwiegend nachgelagerte empirische Datenerhebung mittels Fotodokumentation, Feldnotizen, Gedächtnisprotokoll sowie Fragebögen.

Die folgende Grafik veranschaulicht die unterschiedlichen Forschungsmethoden und Verfahren, die während der Datenerhebung kombiniert wurden und den triangulativen Charakter des Untersuchungsdesigns widerspiegelt (Abbildung 3.19):

Abbildung 3.19
figure 19

(eigene Darstellung)

Forschungsmethoden der Teilstudie 1

Während des Workshops wurden Feldnotizen und Fotos angefertigt, die eine nachgelagerte Erstellung eines Gedächtnisprotokolls in Form einer 9-seitigen Fotodokumentation ermöglichte. Das forschungsleitende Ziel orientierte sich an den in Abschnitt 3.5 bereits erläuterten Forschungsfragen F1 (Welche neuen Lehr- und Lernformate entstehen durch das Internet der Dinge?) und F1.1 (Wie können Lernprozesse durch das Internet der Dinge unterstützt werden?).

Das Protokoll fasste die einzelnen Agenda-Punkte mit dem Vorgehen und den Ergebnissen des Workshops zusammen und wurde nach der Erstellung des Entwurfes mit einem/ einer Trainer*in aus der IoT-Academy besprochen, um die subjektive Interpretation und Zusammenfassung der Ergebnisse zumindest über ein „4-Augen-Prinzip“ zu reflektieren. Im Anschluss daran erfolgten geringfügige Korrekturen, die sich auf sprachlich nicht ganz eindeutige Aspekte bezogen. Das Fotoprotokoll wurde nach der Überarbeitung und in einer erneuten Abstimmungsrunde mit dem Abteilungsleiter an die am Workshop beteiligten Personen versendet. Entsprechende Rückkopplungsprozesse des ersten Datenerhebungsverfahrens sind in o.a. Grafik als „Gruppendiskussion“ gekennzeichnet.

Als ein zweites Erhebungsinstrument innerhalb der Teilstudie 1 wurde eine „Bewertungsmatrix“ entwickelt, die ein quantitatives Erhebungsinstrument in Form eines vollstandardisierten Fragebogens darstellte und in der folgenden Abbildung 3.20 exemplarisch für den 1. Einflussbereich des Modells (vgl. Abschnitt 3.4.3) abgebildet ist.

Abbildung 3.20
figure 20

(eigene Darstellung)

Bewertungsbogen Teilstudie 1

Dieses Erhebungsinstrument wurde während des Workshops in der Untereinheit „interaktive Vernissage“ eingesetzt. Die Bewertungsmatrix wurde mit dem Ziel entwickelt, eine differenzierte und vergleichbare Einschätzung für jeden der insgesamt sechs Teilbereiche des Modells zu erhalten, die einfach und zeitsparend von den Praxisexperten innerhalb des Workshops abgegeben werden kann. Dabei orientierten sich die abgefragten Items an der in Abschnitt 3.5 bereits erläuterten Forschungsfrage 1.4 (Wie könnte ein didaktisch fundiertes Modell zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen aussehen?) sowie an den Zielen der IoT-Academy. Das forschungsleitende Ziel bestand darin herauszufinden, ob alle aus der interdisziplinären Theorie abgeleiteten Teilbereiche von den Praxisexperten als relevant für die Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen eingeschätzt wurden. Dabei sollten die Teilnehmer*innen beim ersten Item bewerten, wie wichtig der dargestellte Teilbereich im Rahmen des Gesamtkonzeptes ist. Das zweite Item bezog sich auf die Wichtigkeit im Hinblick auf die neuen Büro- und Schulungsräume. Diese Frage sollte den Transfer in die Praxis dahingehend unterstützen, dass hoch priorisierte Teilbereiche in möglichen, sich an den Workshop anschließenden Ausarbeitungen stärker berücksichtigt werden und eventuelle Prototypen für die neuen Räumlichkeiten geplant und entwickelt werden. Bei der Formulierung der Items wurde die Wortwahl bewusst an die Fokusgruppe angepasst.

Für die Objektivierung und Quantifizierung der Experteneinschätzungen wurde eine gängige, intervallskalierte, numerische Schulnotenskala von 1–6 verwendet. Anstatt der üblichen Verwendung von 1 = sehr gut und 6 = ungenügend, wurde die Skala modifiziert wobei 1 als sehr wichtig und 6 als unwichtig hinterlegt wurde. Auf dem Fragebogen wurden aufgrund der besseren Lesbarkeit nur die Skalenendpunkte mit verbalen Marken versehen.

Die Bewertungsmatrix wurde bewusst während der interaktiven Vernissage eingesetzt, da die Teilnehmer*innen an dieser Stelle des Workshops die dafür notwendigen Zusatzinformationen nutzen konnten, die anschließend mit Klebepunkten auf der Matrix bewertet werden sollten. Dazu erarbeiteten sich die Teilnehmer*innen zunächst im Rahmen eines selbstgesteuerten Lernprozesses die einzelnen Inhalte der jeweiligen Teilbereiche, wobei eine Stellwand nach der anderen abgearbeitet wurde. Die selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit den Inhalten wurde mit systematischen Lernpfaden angeleitet, die auf den Stellwänden visualisiert und mit interaktiven Arbeitsblättern und Barcodes angereichert wurden. Als letzter Schritt bei der Abarbeitung des jeweiligen Lernpfades sollte schließlich eine Einschätzung von den Teilnehmer*innen auf der Bewertungsmatrix erfolgen, die sich auf die Wichtigkeit der auf der Stellwand vorgestellten Inhalte in Bezug zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen (Smart Learning Environments) bezog.

Diese Erhebungssituation wurde absichtlich auf diese Weise konstruiert, um die in Ratingskalen gängigen Urteilsfehler (z. B. Halo-Effekte) zu reduzieren. Ziel der Erhebungssituation war es, die für die Bewertung notwendigen Informationen in inhaltlich systematisierten, thematischen Blöcken zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus konnte während des Workshops eine Fragebogeninstruktion vor Beginn der Erhebungssituation durch die Forscherin erteilt werden. Als ergänzende Maßnahme zur Reduzierung von Urteilsfehlern wurde direkt im Anschluss an die Erhebungssituation (Vernissage) eine 15-minütige Gruppendiskussion geführt, die zur Erklärung und Reflektion der Bewertungsergebnisse im Sinne eines Fragebogen-Feedbacks diente. Empirische Pretests haben in diesem Zusammenhang aufgrund der geringen Vorbereitungszeit des Workshops von ca. 1 Woche nicht stattgefunden.

Als drittes Erhebungsinstrument wurde darüber hinaus ein qualitatives Erhebungsinstrument in Form eines halbstandardisierten Fragebogens entwickelt, der in der folgenden Abbildung 3.21 dargestellt ist.

Abbildung 3.21
figure 21

(eigene Darstellung)

Fragebogen Teilstudie 1

Dieses Erhebungsinstrument wurde erst ein knappes Jahr nach der Durchführung des Fokusgruppen-Workshops eingesetzt. Ziel war es herauszufinden, warum die im Workshop getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten und keine der Ideen weiterverfolgt wurden, obwohl 17 Ideen für „IoT in Education“ priorisiert wurden. Darüber hinaus wurde die Vernissage mit den 6 Stellwänden und den durch den Workshop generierten Ideen plakativ im Bürogebäude von Bosch Software Innovations ausgestellt, so dass die Trainer*innen der IoT-Academy täglich daran vorbeiliefen, sofern sie ihr Büro betraten.

Das Instrument richtete sich demnach nicht direkt an eine konkrete Forschungsfrage der vorliegenden Untersuchung, sondern verfolgte das Ziel, organisationale Hintergründe zu erforschen, die den konkreten Praxisnutzen bzw. eine Umsetzung in der Praxis fördern bzw. Hemmnisse zu identifizieren, die auf organisationaler Ebene den nachhaltigen Transfer hemmen.

Nichtsdestotrotz orientiert sich das dritte Instrument an der übergeordneten Zielstellung der Untersuchung, welche im Rahmen eines anwendungsorientierten Gestaltungsprozesses die Entwicklung eines wissenschaftlich fundierten Konzeptes zur Gestaltung intelligenter und hybrider Lernräume anstrebt. Dieses Konzept soll Organisationen schrittweise bei der Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen unterstützen (vgl. Abschnitt 1.4). Entsprechend diente das dritte Instrument dazu herauszufinden, was über das Modell hinaus an Unterstützung benötigt wird, damit die durch das Modell entwickelten Ideen auch systematisch weiterverfolgt werden.

Das überwiegend qualitative Fragebogeninstrument wurde mit einer quantitativen Einheit angereichert, die in Anlehnung an das zweite Erhebungsinstrument zur Objektivierung und Quantifizierung der Expertenaussagen eine gängige, verbale Ratingskala verwendete. Ziel der Durchmischung war es herauszufinden, ob es eventuell einen Zusammenhang zwischen der Einschätzung der Relevanz des Themas und den Ursachen für die Hemmnisse in Bezug zum organisationalen Praxistransfer gibt. Falls das Thema als nicht wichtig eingestuft worden wäre, wäre dies eine plausible Erklärung für den fehlenden Transfer gewesen. Falls dieser direkte Zusammenhang über das quantitative Element ausgeschlossen werden kann, dienen die offenen Antwortmöglichkeiten im nächsten Schritt dazu, differenziertere Ursachen zu erheben.

Im Gegensatz zum zweiten Fragebogeninstrument wurde die qualitative Fragebogenstudie in digitaler Form per E-Mail durchgeführt. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die Praxisexperten während ihres Arbeitsalltags ausreichend Zeit und Ruhe für das Ausfüllen der offenen Fragen finden und sich innerhalb einer Frist von einer Woche den Erhebungszeitpunkt selbst aussuchen können. Das E-Mail-Anschreiben inkl. Fragebogen richtete sich an alle Personen der IoT-Academy, die auch am Fokusgruppen-Workshop (Juli 2016) teilgenommen hatten und wurde im Mai 2017 versendet.

Im Vorfeld dieser dritten Datenerhebung wurde eine ca. 30-minütige Gruppendiskussion durchgeführt, an der drei von insgesamt vier Personen der IoT-Academy teilnahmen. Die Gruppendiskussion diente einerseits dazu, die Teilnehmenden des Fokusgruppen-Workshops nach knapp einem Jahr nochmals mit dem Thema und den Workshop-Ergebnissen zu konfrontieren, Ursachen für den fehlenden Praxistransfer im gemeinsamen Gespräch zu ergründen sowie auf die folgende, schriftliche Befragung einzustimmen, damit möglichst alle Personen der IoT-Academy an der Befragung teilnehmen. Die Datenerhebung der Gruppendiskussion erfolgte mittels Gesprächsnotizen.

3.5.1.6 Datenauswertung und Ergebnisse

Zur Datenauswertung wurde wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert auf insgesamt drei Erhebungsinstrumente zurückgegriffen. Dazu gehörten das Fotoprotokoll, die Bewertungsmatrix sowie die nach einem Jahr nachgelagerten Fragebögen, die mit einer 30-minütigen Gruppendiskussion angeleitet wurden. Da es sich bei der Datenauswertung der Teilstudie 1 im Verhältnis zur Hauptstudie um sehr kleine Datenmengen handelte, wurde an dieser Stelle auf eine umfassende und detaillierte Darstellung des Auswertungsprozesses verzichtet, um ausschließlich prägnante Punkte herauszuarbeiten, die eine kompakte und fokussierte Darstellung der Ergebnisse ermöglichte. Eine sehr tiefgehende Erläuterung der Datenanalyse und Ergebnisse, wie sie sich im Rahmen der Hauptstudie auf über 10 Unterkapitel erstreckte, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Insofern wurden parallel zu den Fragebögen ausschließlich Notizen und Protokolle (keine Transkriptionen) angefertigt, die im Rahmen der Auswertung und Ergebnisaufbereitung in Bezug zu den o.a. Forschungsfragen interpretativ ausgewertet und zusammengefasst wurden. Entsprechend erfolgte auch keine Kodierung (z. B. des Fotoprotokolls oder der offen formulierten Antworten aus dem Fragebogen) in MAXQDA. Darüber hinaus wurden die Datenanalyse sowie die Darstellung der Ergebnisse im vorliegenden Abschnitt zusammengefasst, um den Blick auf die wesentlichsten Erkenntnisse zu lenken.

Fotoprotokoll und Bewertungsmatrix

Zunächst einmal kann festgestellt werden, dass der Fokusgruppen-Workshop von den Teilnehmenden insgesamt als sehr gut bewertet wurde. Diese Interpretation beruht auf einer Feedback-Erhebung, die am Ende des Workshops durchgeführt wurde, bei welchem die drei Themenblöcke einzeln auf einer Notenskala von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) bewertet werden sollten. Bei dem errechneten Mittelwert von 1,4 kann entsprechend geschlussfolgert werden, dass die Teilnehmenden zufrieden waren und deren Erwartungen im Hinblick auf die gesetzten Ziele (vgl. Abschnitt 3.5.1.4) erfüllt wurden.

Die Simulation und Bewertung des ersten Modellentwurfes zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen (SLEs) hat ergeben, dass alle Teilbereiche des interdisziplinären Modellentwurfs von den Praxisexperten als relevant im Hinblick auf das Gesamtkonzept bewertet wurden. Dies lässt sich aus den berechneten Mittelwerten schlussfolgern, die in Tabelle 3.2 dargestellt sind.

Tabelle 3.2 Auswertung zu den Mittelwerten aus dem Bewertungsbogen der Teilstudie 1
Tabelle 3.3 Auswertung zu den Mittelwerten aus dem Fragebogen der Teilstudie 1

Bei der Analyse zu den Antworten aus den offen gestellten Fragen konnte festgestellt werden, dass überwiegend ähnliche Ursachen für den fehlenden Praxistransfer aufgeführt wurden. Zusätzlich zu den in der Gruppendiskussion genannten Gründe, konnten über die offenen Fragen folgende Ursachen identifiziert warden (Tabelle 3.3).

So stellte ein/e Trainer*in fest:

„Die Umsetzung erfordert einfach viel mehr Zeit als gedacht, viele der Ideen werden weiterhin verfolgt. Viele Ideen erfordern zudem viel Investition (Zeit!!!, Budget, Abhängigkeiten). Ideen die sich agil bzw. in kleinen Schritten entwickeln lassen, haben ein wesentlich höheres Potenzial realisiert zu werden. Das größte Problem besteht in der Integration verschiedener Plattformen, Technologien und Daten.“

Eine weitere Äußerung formulierte insbesondere die fehlende Unterstützung durch die Entscheidungsträger wie folgt:

„Für mich als Trainer sind neue Werkzeuge & Methoden & Möglichkeiten zur Wissensvermittlung grundsätzlich interessant. Allerdings sehe ich als nicht realistisch an, solche investitionslastigen Ansätze wie „smart learning“ in meinen Trainings einzusetzen: Zum einen gebe ich viele Trainings bei Kunden vor Ort, wo das Equipment nicht vorhanden ist und ich es nicht ständig mitnehmen kann. Zum anderen besteht in unseren eigenen Trainingsräumen nicht einmal für absolut grundlegende & gängige Hardware Budget, bspw. wird unisono als ungeeignet befundene Hardware (z. B. massiv flimmernder & bei Sonnenschein kaum lesbar lichtschwacher Beamer) nicht ersetzt und eine Verdunklung über Jahre nicht freigegeben.“

Die Befunde der Teilstudie 1 weisen im Gesamtergebnis darauf hin, dass das vorhandene Modell mit der intendierten interdisziplinären Gestaltungsarbeit zwar dazu dient, Ideen für konkrete SLE-Interaktionen zu formulieren, es aber nicht ausreicht, um über die Ideengenerierung hinaus eine Entwicklung in der Praxis anzustoßen. Dazu bedarf es einer strategischen Unterstützung durch die jeweiligen Führungskräfte sowie personellen und finanziellen Ressourcen. Darüber hinaus muss auch für den Gestaltungsprozess im Workshop viel mehr Zeit investiert werden, um fundierte und begründete Ideen generieren zu können, die diskutiert, getestet und detaillierter durchdacht, beschrieben und durchdrungen werden können.

3.5.2 Interviewstudie

In der empirischen Sozialforschung werden Daten über Befragungen, Beobachtungen, Experimente oder über non-reaktive Verfahren erhoben, wobei der ersten Methode die größte Bedeutung zukommt. Das Interview als eine Variante der Befragung ist in der empirischen Sozialforschung eine der wichtigsten Erhebungsmethoden. In Anlehnung an Gläser & Laudel (2010) werden das standardisierte, das halbstandardisierte und das nichtstandardisierte Interview unterschieden (vgl. Abbildung 3.22).

Abbildung 3.22
figure 22

(nach Gläser & Laudel 2010, S. 41)

Klassifikation verschiedener Interviewformen

Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass ausschließlich offene Fragen mit wenig Vorstrukturierung gestellt werden, auf die der Befragte frei und mit eigenen Worten antworten kann. Hierbei sind situative Anpassungen nicht nur möglich, sondern methodisch erwünscht. Als Unterscheidungsfaktor gilt also, inwiefern Fragewortlaut und -reihenfolge und deren jeweiligen Antwortmöglichkeiten vorgegeben sind.

Darüber hinaus lassen sich Interviews ebenfalls anhand der Bezeichnungen offen, nichtstandardisiert und qualitativ differenzieren. Laut Mayring (2002) bezieht sich der Terminus offenes Interview auf die Freiheitsgrade des Interviewpartners, also den Umstand, dass der Proband ohne vorgefertigte Kategorien antworten und somit frei formulieren kann, was er für bedeutend erachtet. Der Begriff „nichtstandardisiert“ legt den Fokus hingegen auf die Freiheitsgrade des Befragenden und somit den Umstand, dass der Interviewer je nach Interviewsituation Fragen und Themen frei formulieren kann ohne sich an einen vorher festgelegten Fragenkatalog halten zu müssen. Der Einsatz von qualitativ-interpretativen Techniken kommt wiederum durch den Begriff des „qualitativen Interviews“ zum Ausdruck, welcher sich auf die Auswertungsmethode bezieht (vgl. ebenda). Eine Übersicht der Begriffsbestimmung nach Mayring ist in folgender Abbildung 3.23 dargestellt.

Abbildung 3.23
figure 23

(nach Mayring 2002, S. 66)

Begriffsbestimmung qualitativ orientierter Interviewformen

Im Sinne der Klarheit und Lesbarkeit werden im weiteren Verlauf der vorliegenden Forschungsarbeit die Begriffe qualitatives, halbstrukturiertes Experteninterview verwendet. Parallel zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten werden in der Literatur zur qualitativen Sozialforschung eine Vielzahl spezieller Interviewtechniken aufgeführt. So listen Bortz & Döring (2016) allein 19 verschiedene Varianten qualitativer Einzelbefragungen auf. Anhand von Breite und Tiefe der wissenschaftsmethodisch diskutierten Interviewformen sind das narrative Interview (Schütze, 1983), das verstärkt im Bereich der Biografieforschung angewendet wird, das aus der Psychoanalyse stammende Tiefeninterview (Lamnek, 1995) sowie das problemzentrierte Interview (Witzel, 1982) hervorzuheben. Die letztgenannte Interviewtechnik ist auf eine vom Forscher bereits analysierte Problemstellung fokussiert, strebt aber dennoch ein offenes Gespräch an. Das Vorwissen des Interviewers spiegelt sich in einem heuristischen Bezugsrahmen wider und manifestiert sich in einem Interviewleitfaden (Mayring, 2002). Aufgrund des in Abschnitt 3.5 hergeleiteten Untersuchungsdesigns, das trotz explorativem Charakter auf einer theoriegeleiteten empirischen Untersuchung basiert, wird für die vorliegende Studie ein problemzentriertes Interviewverfahren angewendet.

Experteninterviews stellen eine Sonderform des problemzentrierten Interviews dar, da die Probanden einer besonderen Zielgruppe angehören und somit in ihrer Rolle als Unternehmens- oder Branchenrepräsentant, also als Expert*innen, befragt werden. Laut Bogner & Menz (2002) werden Experteninterviews besonders im Rahmen von multimethodischen Forschungsdesigns angewendet, um das Untersuchungsfeld thematisch zu strukturieren. Sie scheinen somit für die Beantwortung der in Unterkapitel 2.4.2 hergeleiteten Forschungslücken sowie -fragen geeignet und kommen daher in der vorliegenden Studie als Erhebungsinstrument zum Einsatz.

In den vorhergehenden Kapiteln wurde dargestellt, dass basierend auf Literaturanalysen der Gegenstand intelligenter und hybrider Lernräume geschärft und durch Erkenntnisse angrenzender Fachdisziplinen angereichert wurde, so dass ein erstes Modell zur Gestaltung von Smart Learning Environments abgeleitet werden konnte. Dieses Modell wurde im Rahmen der Teilstudie 1 einer ersten Validierung aus Praxisperspektive unterzogen und wird im vorliegenden Kapitel im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie erneut validiert und erweitert, um im Sinne des Design-Based Research Ansatzes ein Re-Design des Smart Learning Environments Modells vornehmen zu können. Dabei richtet sich die Hauptstudie wie in Abschnitt 3.5 erläutert insbesondere an folgende Forschungsfragen:

  • Forschungsfrage F1: Welche neuen Lehr- und Lernformate entstehen durch das Internet der Dinge?

  • sowie die dazugehörende

  • Unterfrage F1.1: Wie können Lernprozesse durch das Internet der Dinge unterstützt werden?

  • und

  • Forschungsfrage F2: Wie kann der Lernraum die darin stattfindenden Lernprozesse unterstützen?

  • sowie die dazugehörende

  • Unterfrage F2.2: Welche Anforderungen an die Gestaltung von Lernräumen gibt es?

Ziel der Hauptstudie war es, in intensiven Gesprächen mit ausgewiesenen Fachexperten, die überwiegend aus einem wissenschaftlichen Umfeld kamen, den Untersuchungsgegenstand theoriegeleitet zu vertiefen. In Ergänzung zur ersten Teilstudie sollten auch in den Interviews Anregungen und Feedback zum ersten Modellentwurf durch die Fachexperten gegeben werden. Die qualitative Befragung wurde entsprechend mit einem quantitativen Begleitfragebogen (vgl. Teilstudie 2 in Abschnitt 3.5.2.1.2) kombiniert, um die Expertenmeinungen zu systematisieren, eine Vergleichbarkeit und quantifizierbare Auswertung zu ermöglichen. Die qualitative und quantitative Datenerhebung erfolgte überwiegend parallel während der Interviewsituation (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.4).

Nachdem die qualitativen, halbstrukturierten und problemzentrierten Experteninterviews durchgeführt und transkribiert wurden, kam in einem folgenden Schritt eine qualitative Inhaltsanalyse zur Anwendung, um die Daten auszuwerten. Die methodischen Grundlagen der Datenauswertung werden in Abschnitt 3.5.2.2 näher erläutert.

3.5.2.1 Datenerhebung

Qualitative Interviews folgen einem strukturierten Prozess, der aus unterschiedlichen Arbeitsschritten besteht. Bortz & Döring (2016) verweisen hier auf insgesamt acht Teilschritte, die in der folgenden Abbildung 3.24 dargestellt sind.

Die Erhebung beginnt mit der inhaltlichen Vorbereitung und der Planung des Interviewkonzepts. Beim Festlegen des Befragungsthemas ist zu definieren, was genau erforscht werden soll, wie weiträumig oder eng die damit einhergehenden Fragen sind und ob eine offene oder standardisierte Methodik verfolgt wird. Für die vorliegende Studie wurden diese Aspekte bereits in Abschnitt 3.5 betrachtet. Zur Strukturierung von Experteninterviews sind im Vorfeld ein Leitfaden zu erstellen und Fragen auszuformulieren, die im folgenden Abschnitt näher erläutert werden. Außerdem müssen die Kriterien definiert werden, anhand derer die Expert*innen ausgewählt werden (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.3).

Abbildung 3.24
figure 24

(eigene Darstellung nach Bortz & Döring 2016)

Ablauf eines qualitativen Interviews

Nachdem die organisatorischen Vorbereitungen abgeschlossen sind, beginnen qualitative Interviews mit einer gegenseitigen Vorstellung und einer Einführung zu Hintergründen und Zielen des jeweiligen Forschungsprojekts. Eine Darstellung der Durchführungssituation erfolgt in Abschnitt 3.5.2.1.4 Die Qualität der erhobenen Daten ist neben dem Wissen der Befragten wesentlich abhängig vom Interviewverlauf und somit von den Fähigkeiten des Interviewers. Um das Gespräch anregend passiv lenken zu können, sollte der Interviewer über eine hohe methodische als auch über inhaltliche Kompetenz verfügen und bestimmte Regeln der Interviewführung beachten. Nach Ende des eigentlichen Interviews sollten umgehend erste Notizen zu Inhalten, zur Gesprächssituation und zu nonverbalen Reaktionen des Gesprächspartners dokumentiert werden.

3.5.2.1.1 Konstruktion des Leitfadens

Da die Experteninterviews im Rahmen der vorliegenden Untersuchung theoriegeleitet und in Form eines problembasierten Interviews durchgeführt wurden, wird im Folgenden die Konstruktion des Leitfadens beschrieben. Dabei sind Interviewleitfäden weniger als Frage-Antwort-Schablone zu verstehen, sondern dienen als Gedächtnisstütze und allgemeinen Orientierungsrahmen für die Forscherin. Darüber hinaus kann der Leitfaden eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Interviews sicherstellen.

Der Leitfaden (vgl. Abbildung 3.25), der der vorliegenden Studie zugrunde lag und dem Anhang entnommen werden kann, bestand in Anlehnung an einen typischen Ablauf eines Interviews (vgl. Abbildung 3.24) aus insgesamt acht Phasen, die schrittweise aufeinander aufbauten. Die Leitfragen orientierten sich dabei an den Forschungsfragen, wie sie in Abschnitt 1.4 und 2.4.2 hergeleitet und erörtert wurden. Die Forscherin benutzte überwiegend direkte und offene Fragen, wohingegen latente Fragestellungen aufgrund der bereits sehr komplexen Thematik nicht benutzt wurden. Die Reihenfolge der Leitfragen wurde dabei gelegentlich angepasst bzw. Fragen aus dem technologisch orientierten Teil ausgelassen, falls der Befragte/ die Befragte eher dem Umfeld der Architektur oder Lernraumforschung zuzuordnen war.

Abbildung 3.25
figure 25

(eigene Darstellung)

Komprimierter Interviewleitfaden

Basierend auf den im vorherigen Abschnitt abgeleiteten Regeln zur Interviewdurchführung bestand der Gesprächsbeginn nach einer Vorstellung der eigenen Person und des Forschungsthemas aus 11 offenen Fragen, um generelle Informationen zu Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge im Kontext von Lehr- und Lernprozessen in physischen Lernräumen ermitteln zu können. Um die Fragen dem Vorverständnis der Expert*innen entsprechend modifizieren bzw. die Reihenfolge anpassen zu können, wurde als einleitende Frage nach dem fachlichen Hintergrund des Interviewpartners gefragt. Dies diente lediglich einer Absicherung, da im Vorfeld eine sorgfältige Auswahl der Expert*innen stattgefunden hatte (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.3). Anschließend wurde zunächst eine eröffnende Frage zu allgemeinen Veränderungen von Lehr- und Lernmethoden im betrieblichen Umfeld gestellt. Ziel war es zu ergründen, ob die Expert*innen der Meinung sind, dass sich diesbezüglich Veränderungen beobachten lassen. Erst im weiteren Verlauf wurde nach der Rolle der Technologie gefragt, wobei der Fokus insbesondere auf das Internet der Dinge und die künstliche Intelligenz gelegt wurden.

Im zweiten Teil des Gesprächs ging es dann um die Rolle der physischen Lernräume. Ziel war es herauszufinden, inwiefern sich o.a. Technologien in Lernräumen manifestieren und das Lernen unterstützen können. Diese Frage war sehr zukunftsbezogen und auf visionäre Lernszenarien ausgerichtet, so dass zur Beantwortung gewisse kreative Fähigkeiten seitens der Expert*innen benötigt wurden.

Im letzten Teil des Interviews wurde in Anlehnung an die Strukturlegetechnik nach Scheele & Groeben (1988) das visuell aufbereitete hypothetische Modell zur Gestaltung von Smart Learning Environments vor den Expert*innen ausgebreitet. Das Darstellungsmittel (Mayring 2002, S. 85 f.) bestand aus insgesamt acht auf Kartonpapier ausgedruckten Abbildungen auf DIN A4-Format, die das Modell mit den jeweiligen Handlungsfeldern, Einflussbereichen und dazugehörenden Faktoren visualisierte. Ziel war es, den Expert*innen einerseits einen ersten Eindruck über den aktuellen Stand der interdisziplinären Forschungsarbeit zu geben, der innerhalb des Modells verdichtet wurde. Andererseits sollten die aus der Theorie abgeleiteten Handlungsfelder, Einflussbereich und Faktoren auf Stimmigkeit, Verständlichkeit, Struktur und Systematisierung geprüft werden. Um die Expertenmeinungen systematisch erfassen zu können, wurde parallel zum Modell ein Begleitfragebogen ausgeteilt, der auf zwei Seiten alle Handlungsfelder, Einflussbereiche und Items komprimiert darstellte. Auf dem vollstandardisierten Fragebogen sollten die Expert*innen einschätzen, wie wichtig ihrer Meinung nach die einzelnen Faktoren sind (vgl. folgenden Abschnitt 3.5.2.1.2). Das quantitative Erhebungsinstrument wurde mit dem Ziel entwickelt, eine differenzierte und vergleichbare Einschätzung für jeden der insgesamt sechs Teilbereiche des Modells zu erhalten, das zudem einfach und zeitsparend von den Fachexperten innerhalb des Interviews ausgefüllt werden konnte. Nähere Erläuterungen zur Durchführung sind in Abschnitt 3.5.2.1.4 aufgeführt.

Das Interview endete mit einer finalen Frage hinsichtlich allgemeiner Bedenken und Risiken beim Einsatz derart intelligenter Lernumgebungen. Ziel war es, abschließend kritische Faktoren zu ergründen, die im Zuge eines Gesamtkonzeptes berücksichtig werden sollten.

Bei der Konstruktion des Leitfadens kamen die von Helfferich (2004) postulierten Regeln zur Leitfadenentwicklung zum Einsatz. Insbesondere wurde das Prinzip der Offenheit als wesentliches Merkmal qualitativer sozialwissenschaftlicher Forschung verfolgt. Die Anzahl der Fragen wurde begrenzt und am natürlichen Argumentationsfluss des Interviewten ausgerichtet. Weiterhin sollte das reine Ablesen von Fragen vermieden werden und spontanen Äußerungen seitens des Interviewten stets Vorrang gegeben werden. Besonderes Augenmerk wurde auf die Übersichtlichkeit und Benutzbarkeit des Leitfadens gelegt.

Der Expert*innenleitfaden wurde im Rahmen von 2 Experteninterviews im Vorfeld getestet. Dabei wurden insbesondere Schwächen in Bezug zu einer systematischen Bewertungsmethode des SLE-Modells deutlich, die sich in einer fehlenden Genauigkeit, Objektivierung und Vergleichbarkeit der Expert*innenaussagen manifestierten. Um diese Schwächen zu reduzieren wurde ein ergänzendes, quantitatives Erhebungsinstrument (o.a. Begleitfragebogen) für die Hauptstudie entwickelt, welches im folgenden Abschnitt (3.5.2.1.2) dargestellt wird. Darüber hinaus wurden Unschärfen in der Leitfragenformulierung sowie Reihenfolge erkannt und überarbeitet.

3.5.2.1.2 Konstruktion des Begleitfragebogens (Teilstudie 2)

Als ein zweites Erhebungsinstrument innerhalb der Hauptstudie kam neben dem Expertenleitfaden ein „Begleitfragebogen“ zum Einsatz, der im Rahmen einer 2. Teilstudie eingesetzt und ausgewertet wurde (vgl. Abschnitt 3.5.2.2.4). Der Begleitfragebogen resultierte aus den ermittelten Schwächen des Expertenleitfadens, die im Rahmen eines Pretests ermittelt und in vorherigem Abschnitt erläutert wurden. Um die Expertenmeinungen systematischer erfassen und vergleichen zu können, wurde parallel zur Bewertungsphase des SLE-Modells innerhalb des Interviews ein Begleitfragebogen konstruiert, der auf drei DIN A4-Seiten alle Handlungsfelder, Einflussbereiche und Items komprimiert darstellte. Auf dem vollstandardisierten Fragebogen sollten die Expert*innen einschätzen, wie wichtig ihrer Meinung nach die einzelnen Faktoren sind.

Das quantitative Erhebungsinstrument wurde mit dem Ziel entwickelt, eine differenzierte und vergleichbare Einschätzung für jeden der insgesamt sechs Teilbereiche des Modells zu erhalten, das zudem einfach und zeitsparend von den Fachexperten innerhalb des Interviews ausgefüllt werden konnte. Nähere Erläuterungen zur Durchführung sind in Abschnitt 3.5.2.1.4 aufgeführt. Die schriftliche Befragung wurde in Form eines vollstandardisierten Fragebogens umgesetzt und ist in der folgenden Abbildung 3.26 exemplarisch für das 2. Handlungsfeld „Raum“ des hypothetischen Modells (vgl. Abschnitt 3.4.3) ersichtlich. Das vollständige Erhebungsinstrument kann dem Anhang entnommen werden.

Abbildung 3.26
figure 26

(eigene Darstellung)

Auszug aus dem Begleitfragebogen

Auf der ersten (von insgesamt drei Seiten) wurde in Teil I der Befragung eine generelle Einschätzung von den Expert*innen abgefragt, die sich darauf bezog, wie geeignet das vorliegende Modell ist, um intelligente und hybride Lernräume didaktisch fundiert zu gestalten. Diese Frage wurde mit einer intervallskalierten, unipolaren, verbalen Ratingskala unterlegt, wobei von 1 = trifft zu bis 5 = trifft nicht zu, bewertet werden konnte. Aufgrund der Wichtigkeit dieser zentralen Frage wurde anschließend ein offenes Feld für eine Begründung oder generelle Hinweise eingefügt. Da jedoch ca. 50 % der Begleitfragebögen während der Interviewsituation ausgefüllt wurden, wurde eine Begründung in vielen Fällen mündlich dargelegt und im Rahmen der Inhaltsanalyse (vgl. Abschnitt 3.5.2.2) ausgewertet.

Teil II der Befragung wurde auf der zweiten und dritten DINA4-Seite des Begleitfragebogens umgesetzt (vgl. Abbildung 3.26) und bezog sich auf die Darstellung und Bewertung der zwei Handlungsfelder mit sechs Einflussbereichen und 47 Items.

Das quantitative Erhebungsinstrument war als Ergänzung zum qualitativen Interview gedacht und sollte aufgrund der Komplexität zunächst im Interview erläutert und anschließend ausgefüllt werden. Dabei orientierte sich das Erhebungsinstrument an den in Abschnitt 3.5 erläuterten (Unter-)Forschungsfragen:

  • Unterfrage F1.2: Welche Einflussbereiche zeichnen intelligente und hybride Lernräume aus?

  • Unterfrage F1.3: Welche Erfolgsfaktoren müssen bei einer Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen berücksichtigt werden?

  • Unterfrage F1.4: Wie könnte ein didaktisch fundiertes Modell zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen aussehen?

Das forschungsleitende Ziel bestand darin herauszufinden, ob das Modell auf Basis der aus der interdisziplinären Theorie abgeleiteten sechs Einflussbereiche mit den jeweils identifizierten Einflussfaktoren von den Fachexperten als systematisch konstruiert und relevant für die Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen eingeschätzt wurden. Zur Item-Konstruktion wurde zu dem zu messenden Konstrukt (intelligente und hybride Lernräume bzw. Smart Learning Environments) ein Pool von insgesamt 47 transdisziplinären Items identifiziert, die auf Basis von Theorien, Praxiserfahrungen und empirischen Befunden (vgl. Kapitel 2) zusammengestellt wurden. Bortz & Döring (2016) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass für eine Bewertung von Items eine typische 5-stufige Ratingskala von starker Zustimmung bis starker Ablehnung als valide gilt.

Für die Objektivierung und Quantifizierung der Experteneinschätzungen wurde in Anlehnung an Bortz & Döring eine gängige, intervallskalierte, unipolare numerische Skala von 1–5 verwendet. Diese Skala wurde gewählt, da in Bezug auf Reliabilität, Validität und den Differenzierungsgrad, mit fünf bis sieben Kategorien die fundiertesten Ergebnisse erzielt werden können (Menold, Bogner & GESIS-Leibniz Institute For The Social Sciences, 2014). Die Befragten sollten dabei jene Stufe der Ratingskala eintragen, die ihrem subjektiven Empfinden der Merkmalsausprägung bei dem infrage kommenden Item entspricht.

Demzufolge wurden alle 47 Items im Hinblick auf dessen Wichtigkeit im Rahmen des Gesamtkonzeptes von den Expert*innen bewertet. Dabei sollten die Expert*innen die Bewertung selbst eintragen, wobei 1 = sehr wichtig, 2 = wichtig, 3 = teils-teils, 4 = eher unwichtig und 5 = unwichtig bedeutete. Bei der Konstruktion des Begleitfragebogens wurde absichtlich eine Mittelkategorie angeboten, damit die Expert*innen trotz einer neutralen Einstellung nicht auf eine andere Kategorie auswichen und die Daten somit systematisch verzerrten.

Der Begleitfragebogen wurde bewusst während der Interview-Durchführung eingesetzt, da den Expert*innen die dafür notwendigen Zusatzinformationen durch eine vorangegangene Erläuterung des Modells durch die Forscherin vermittelt werden konnten. Insofern wurde die Erhebungssituation systematisch geplant, um die in Ratingskalen gängigen Urteilsfehler zu reduzieren. Ein weiterer Vorteil bestand darin, dass die Expert*innen jederzeit Rückfragen stellen konnten. Dies war insbesondere bei nicht ganz eindeutigen Items von Vorteil (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.4).

Im Hinblick auf eine gut lesbare und großzügig gestaltete Formatierung (Döring & Bortz, 2016) wurde das Layout des schriftlichen Fragebogens dahingehend ausgerichtet, dass anstatt der möglichen zwei Seiten, ein übersichtlicher Fragebogen auf insgesamt 3 Seiten entwickelt wurde.

Ein empirischer Pretest des Begleitfragebogens konnte aufgrund der bereits terminierten Experteninterviews leider nicht durchgeführt werden.

3.5.2.1.3 Auswahl der Fachexperten und Sampling

Für die vorliegende Interviewstudie wurde die in Frage kommende Stichprobe im Vorfeld genau eruiert und anhand bestimmter Merkmale festgelegt. Die Samplingstrategie richtete sich entsprechend dem Forschungsdesign und der Forschungsfragen an einen interdisziplinär ausgerichteten Expertenkreis, der sich idealerweise aus den Fachdisziplinen Bildungstechnologien, Informatik und Architektur zusammensetzte. Die Probanden wurden dabei im Sinne einer maximalen Kontrastierung ausgewählt, um dem transdisziplinären, gestaltungsorientierten Forschungsdesign gerecht zu werden.

Um sicherzustellen, dass eine theoretische Sättigung erreicht wird, wurden analog der im Vorfeld erarbeiteten Einflussbereiche Expert*innen gesucht, die in der Lage sind, jene Felder abzudecken. Insgesamt wurde bei der Auswahl der Expert*innen auf eine hohe akademische Expertise geachtet, da die Hauptstudie im Vergleich zur ersten Teilstudie eine theoriegeleitete Fundierung und Erweiterung anstrebte.

Wie Tabelle 3.4 verdeutlicht, konnten hochrangige Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen für das Experteninterview gewonnen werden. Von insgesamt 12 für die Befragung passenden und angefragten Expert*innen haben sich 9 Personen zu einem Interview bereiterklärt. Da mit einer niedrigeren Quote gerechnet wurde, wurden insgesamt mehr Interviews durchgeführt, als dies ursprünglich geplant war.

Tabelle 3.4 Anonymisierte Übersicht der Teilnehmer*innen der Interviewstudie

Bei der Zusammenstellung der in Frage kommenden Stichprobe wurde insbesondere auf die Publikationen im jeweiligen Fachgebiet sowie auf praktische Erfahrungen in der Realisierung von innovativen Bildungsprojekten geachtet. Um die Expert*innen für ein Interview zu gewinnen, wurden diese über E-Mail kontaktiert, über das Forschungsprojekt unterrichtet und um die Teilnahme an der Interviewstudie gebeten. Das vollständige Anschreiben kann dem Anhang entnommen werden. Die eigentliche Terminvereinbarung erfolgte in einem zweiten Schritt über dieselben Kanäle.

Für die empirische Interviewstudie standen somit insgesamt 11 Expert*innen zur Verfügung, die im Rahmen von neun problemzentrierten Interviews ihre subjektiven Einschätzungen, Deutungsmuster und Handlungsorientierungen zum Untersuchungsgegenstand offenlegten. Darüber hinaus wurden zwei weitere „Test-Interviews“ mit Expert*innen geführt, die aus dem Bereich der Bildungspolitik sowie der Bildungstechnologie stammten, die in o.a. Tabelle nicht enthalten sind.

Aufgrund der thematischen Sättigung wurden insgesamt sieben Interviews in die Datenauswertung überführt (vgl. 3.5.2.2).

3.5.2.1.4 Durchführung und Transkription

Die Experteninterviews wurden überwiegend persönlich am Arbeitsplatz der Expert*innen bzw. in drei Fällen Online via Skype durchgeführt, da die Terminierung keine andere Möglichkeit bot. Die Gespräche wurden in deutscher Sprache geführt, waren fachlich sehr tiefgehend und dauerten zwischen 51 und 129 Minuten. Die Gesprächsinhalte orientierten sich am zuvor entwickelten Leitfaden und den Interviewunterlagen (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.1). Um einen wissenschaftlich fundierten und reibungslosen Ablauf der Interviews zu gewährleisten, wurde zu jedem Interviewtermin folgendes Begleitmaterial vor Ort verwendet.

Dokumente und Equipment:

  • Allgemeine Hinweise (Dokument)

  • Vorstellung der eigenen Person (Dokument)

  • Vorstellung des Forschungsthemas (Dokument)

  • Expert*innenleitfragen (Dokument)

  • Forschungstagebuch (Notizbuch)

  • Aufnahmegerät (Phillips VOICE TRACER digital Recorder) inkl. Ersatzbatterien

  • Darstellungsmittel: SLE-Modell auf Kartonpapier (acht DIN A4-Seiten)

  • 3-seitiger Begleitfragebogen

Der Redeanteil der Interviewten war deutlich höher als der der Forscherin und die Antworten der Befragten enthielten spezifische und für die Forschungsfragen relevante Informationen. Die Gespräche wurden mit Zustimmung der Befragten digital aufgezeichnet, wobei absolute Anonymität zugesichert wurde.

Wie bereits in Abschnitt 3.5.2.1.2 dargelegt, wurde im letzten Teil des Interviews eine Bewertung der Fachexperten abgefragt, die sich mittels Begleitfragebogen an die bisherige Ausarbeitung des hypothetischen SLE-Modells richtete. In Anlehnung an die Strukturlegetechnik nach Scheele & Groeben (1988) wurde das visuell aufbereitete hypothetische Modell zur Gestaltung von Smart Learning Environments in einer ca. 6-minütigen Kurzvorstellung der Forscherin vor den Expert*innen ausgebreitet. Das Darstellungsmittel (Mayring 2002, S. 85 f.) bestand aus insgesamt acht auf Kartonpapier ausgedruckten Abbildungen, die das Modell mit den jeweiligen Handlungsfeldern, Einflussbereichen und dazugehörenden Faktoren visualisierte (vgl. Unterkapitel 3.4.3). Ziel war es einerseits, den Expert*innen einen ersten Eindruck über den aktuellen Stand der interdisziplinären Forschungsarbeit zu geben, der innerhalb des Modells verdichtet wurde. Andererseits sollten die aus der Theorie abgeleiteten Handlungsfelder, Einflussbereich und Faktoren auf Stimmigkeit, Verständlichkeit, Struktur und Systematisierung geprüft werden.

Dabei sollten die Expert*innen den Fragebogen während der Interviewsituation ausfüllen, um bei eventuellen Unklarheiten auf die Forscherin zugehen zu können. Etwa die Hälfte aller Fragebögen wurden jedoch nachträglich ausgefüllt und per E-Mail zurückgeschickt, da im Termin selbst keine Zeit mehr zur Verfügung stand. Eine 100 %-ige Rücklaufquote ermöglichte dennoch eine wissenschaftliche Auswertung, die in Abschnitt 3.5.2.2.4 erläutert wird.

In Bezug zur Transkription wurden sowohl Namen von Personen und Unternehmen als auch sonstige Inhalte, die Rückschlüsse auf deren Identität zugelassen hätten, anonymisiert. Um die Auswertung zu ermöglichen, wurden die Transkripte absatzweise durchnummeriert, wobei jeder Rednerwechsel einem neuen Absatz entsprach.

In der Literatur werden verschiedene Ansätze diskutiert, wie Interviews zu verschriftlichen sind (Döring & Bortz, 2016). Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden die vereinfachten Transkriptionsregeln nach Dresing & Pehl (2011) angewendet und die Aussagen der Interviewpartner nicht sinngemäß, sondern wortwörtlich transkribiert. Durch dieses stringente Vorgehen wurde sichergestellt, dass der Sinn des Gesagten erhalten blieb und während der Transkription noch keine Interpretation des Materials erfolgte. Die Transkriptionsregeln sind dem Anhang zu entnehmen.

Im Rahmen der Hauptstudie wurden insgesamt 897 Gesprächsminuten erhoben, von denen 661 Audiominuten in die Transkription eingingen und von einem professionellen Transkriptions-Servicedienstleister erstellt wurden. Von insgesamt neun durchgeführten Interviews wurden aufgrund der theoretischen Sättigung sieben Transkriptionen in die systematische Datenanalyse überführt.

3.5.2.2 Datenauswertung

Qualitative Daten in Textform lassen sich auf unterschiedliche Weise auswerten. Ziel ist dabei, die Daten methodisch kontrolliert und in systematischer Weise auszuwerten. Es gibt unterschiedliche Arten der Auswertung wie z. B. die narrative Analyse, phänomenologische Analyse, Konversationsanalyse, objektive Hermeneutik oder typologische Analyse (Döring & Bortz, 2016). Für die vorliegende Forschungsarbeit konnten zwei Methoden identifiziert werden, die in Bezug zum Forschungsdesign und den Forschungsfragen als gegenstandsangemessen scheinen. Dies ist zum einen die Grounded Theory und zum anderen die qualitative Inhaltsanalyse.

3.5.2.2.1 Datenauswertung der Interviews

In den vergangenen Jahren wurde die Methode der Grounded Theory (GT) nach Glaser & Strauss (1967) sowie Strauss & Corbin (1990) vielfach angewendet und ist zu einer gängigen Auswertungsmethode in der qualitativen Sozialforschung geworden. Die Grounded Theory eignet sich durch wiederholtes offenes und axiales Kodieren insbesondere zur Auswertung von Material, zu dessen Inhalten und Themen kein oder nur wenig Vorwissen besteht. So orientiert sich der Forscher zwar an einem zuvor aufgestellten Kodierparadigma, die Kodes selber werden allerdings erst im Prozess des Kodierens entwickelt. Ein charakteristisches Merkmal der GT ist eine gegenstandsverankerte Theoriebildung, wobei die Forschenden offen und nicht theoriegeleitet ins Feld gehen. Der GT-Ansatz ist im Bereich der qualitativen Datenanalyse mit Abstand die gängigste und verbreitetste Methode, die auch in der psychologischen Forschung etabliert ist (Döring & Bortz, 2016).

Innerhalb eines Design-Based Research Ansatzes bietet sich die Datenanalyse auf Grundlage der Grounded Theory Methodik aufgrund des offenen und explorativen Charakters geradezu an. Auf der anderen Seite wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung sehr theoriebezogen vorgegangen, so dass eine komplett unvoreingenommene Haltung im Forschungsprozess nicht eingenommen wurde, da intensive Vorarbeiten und die Modellierung erster Erkenntnisse auf vorhandenen Vorannahmen beruhten. Von daher passt die GT zwar zum allgemeinen gestaltungsorientierten Forschungsansatz, nicht jedoch in Bezug auf die sehr theoriebezogene und im Vorfeld festgelegte interdisziplinäre Ausrichtung der Forschungsarbeit.

Eine alternative Auswertungsmethode ist die qualitative Inhaltsanalyse. Im Gegensatz zur Grounded Theory geht die qualitative Inhaltsanalyse mit explizitem Vorwissen, also theoriegeleitet, in die Analyse. Sie verfolgt das Ziel, Texte systematisch zu analysieren, indem sie das Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriensystemen bearbeitet (Mayring 2002). Die qualitative Inhaltsanalyse ist besonders im deutschsprachigen Raum weit verbreitet und im Bereich der qualitativen Datenauswertung eine nicht zu vernachlässigende Alternative zur Grounded Theory. Insbesondere die Autoren Mayring, Gläser & Laudel sowie Kuckartz prägten in der Vergangenheit das methodische Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse.

Während Mayring (2010) schwerpunktmäßig beispielsweise eher einen Überblick über verschiedene Interpretationstechniken der qualitativen Inhaltsanalyse in seinem Lehrbuch gibt, beschäftigen sich Gläser und Laudel (2010) in ihrer Publikation stärker mit der Erhebungsmethode der leitfadengestützten Experteninterviews einerseits sowie mit einer der Methode der Extraktion arbeitenden qualitativen Inhaltsanalyse andererseits, die eine modifizierte Form der strukturierenden Inhaltsanalyse darstellt. Kuckartz (2012) verfolgt hingegen das Ziel, eine anwendungsorientierte, computergestützte Einführung in die qualitative Inhaltsanalyse am Beispiel von Daten aus leitfadenorientierten Interviews zu geben. In der Literatur werden entsprechend unterschiedliche Merkmale, Formen und Abläufe der qualitativen Inhaltsanalyse aufgeführt.

Einen vergleichenden Überblick gibt Schreier (2014), wobei die Autorin insgesamt 11 Varianten der qualitativen Inhaltsanalyse gegenüberstellt (vgl. Tabelle 3.5).

Tabelle 3.5 Varianten qualitativer Inhaltsanalyse (nach Schreier 2014, S. 3)

Alle oben aufgeführten Verfahren orientieren sich (bis auf die Inhaltsanalyse durch Extraktion nach Gläser & Laudel) an der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse, die von Mayring (2010) und Kuckartz (2012) explizit dargestellt wurden.

Insofern argumentiert Schreier, dass lediglich die strukturierende Inhaltsanalyse und Inhaltsanalyse durch Extraktion „echte“ Varianten qualitativer Inhaltsanalyse darstellen (in der Tabelle „fett“ abgebildet). Für alle übrigen Varianten, die in der Literatur genannt werden, gilt jedoch, dass sie nicht notwendig als eigenständige Verfahren gelten können, sondern an einer bestimmten Stelle von der generischen Variante qualitativ-strukturierender Inhaltsanalyse abweichen bzw. diese in einer bestimmten Weise spezifizieren. Mit der inhaltlichen, der evaluativen und der formalen strukturierenden Inhaltsanalyse findet jeweils eine Festlegung auf eine bestimmte Art von Kategorien statt; die zusammenfassende Inhaltsanalyse fokussiert eine bestimmte Art der Kategorienbildung und bei der typenbildenden Inhaltsanalyse wird die qualitative Inhaltsanalyse mit einem bestimmten Auswertungsverfahren kombiniert (Schreier, 2014).

Für die vorliegende Datenauswertung wurde eine inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse in Kombination mit einer evaluativ-strukturierenden Inhaltsanalyse verwendet, wobei sich letztere ausschließlich auf die Datenauswertung in Bezug zur Interviewleitfrage Nummer 10 bezog, in welcher das hypothetische Modell zur Gestaltung von SLEs bewertet werden sollte. Für alle anderen Leitfragen wurde die inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse angewandt.

Ziel der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse war es, am Material ausgewählte inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben. Vor diesem Hintergrund wird qualitative Inhaltsanalyse im Folgenden als ein Verfahren zur Beschreibung ausgewählter Textbedeutungen verstanden. Diese Beschreibung erfolgt, indem relevante Bedeutungen als Kategorien eines inhaltsanalytischen Kategoriensystems expliziert und anschließend Textstellen den Kategorien dieses Kategoriensystems zugeordnet werden. In dieser Definition spiegelt sich als zentrales Definitionsmerkmal die Kategorienorientierung des Verfahrens. Ein zentrales Merkmal des Verfahrens ist die Bildung eines Kategoriensystems.

In Abgrenzung zu Mayring (2010), der eine ausschließlich theoriegeleitete Kategorienbildung postuliert, wird in der vorliegenden Datenauswertung auf ein induktiv-deduktiv gemischtes Verfahren der Kategorienbildung zurückgegriffen. Darüber hinaus erfolgte in Anlehnung an Steigleder (2008) eine kontinuierliche Anpassung der Kategorien am Material, so dass keine Probekodierung und Überarbeitung des Kategoriensystems notwendig war. Die Bildung von Oberkategorien erfolgte überwiegend theoriegeleitet anhand der Interviewleitfragen, wohingegen die Unterkategorien in der Regel induktiv am Material entwickelt wurden.

In Anlehnung an Kuckartz (2012) erfolgte der Ablauf der Datenauswertung der vorliegenden Untersuchung mithilfe der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse in systematischen Schritten, die in Abbildung 3.27 dargestellt sind. Ziel der evaluativ-strukturierenden Inhaltsanalyse war es, skalierte Einschätzungen der Expert*innen in Bezug auf das hypothetische Modell und die jeweiligen Items zu erhalten. Da parallel zur mündlichen Befragung eine schriftliche Befragung in Form eines quantitativen Fragebogens zum Einsatz kam, dient die in dieser Sequenz erfolgte qualitative Datenauswertung lediglich einer Ergänzung.

Abbildung 3.27
figure 27

(nach Kuckartz 2012)

Ablaufschema einer inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse

Darüber hinaus wurde in einigen Interviews der Fragebogen erst im Anschluss an das Interview ohne Beisein der Forscherin ausgefüllt, so dass nicht für jedes Interview eine mündliche Erläuterung der Experteneinschätzung erhoben werden konnte.

Die evaluative Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2012) ist eine verbreitete Variante qualitativ-inhaltsanalytischen Arbeitens, die bei Mayring (2010) unter der Bezeichnung “skalierende Inhaltsanalyse” beschrieben wird. Während es bei der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse um die thematische Strukturierung und Beschreibung des Materials geht, werden bei der evaluativen Inhaltsanalyse Kategorien generiert, die eine Einschätzung oder Bewertung des Materials auf ausgewählten Dimensionen seitens der Forscherin erlauben.

Sowohl Mayring als auch Kuckartz weisen darauf hin, dass die Vorgehensweise bei der evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse weitgehend dem Ablauf der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse entspricht. Dementsprechend wurden die Oberkategorien bzw. Einschätzungsdimensionen aus dem hypothetischen Modell sowie induktiv aus der Bearbeitung des Materials entwickelt.

Auch die evaluativ-strukturierenden Inhaltsanalyse erfolgte in systematischen Schritten, die in Anlehnung an Kuckartz (2012) in der folgenden Abbildung 3.28 dargestellt sind.

Abbildung 3.28
figure 28

(nach Kuckartz 2012)

Ablauf einer evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse in 7 Phasen

Insgesamt ergeben sich folgende zentrale Merkmale, die bei der Datenauswertung der vorliegenden Interviewstudie stringent verfolgt wurden:

  • Kategorienorientierung

  • Interpretatives Vorgehen

  • Einbeziehung latenter Bedeutungen

  • Entwicklung eines Teils der Kategorien am Material (induktiv-deduktiv gemischtes Vorgehen)

  • Systematisches, regelgeleitetes Vorgehen

  • Orientierung an Reliabilität und Validität gleichermaßen

3.5.2.2.2 Kategoriensystem und Kodierregeln

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden aufgrund der theoretischen Sättigung sieben von insgesamt neun Interviewtranskripten systematisch durchgearbeitet und wie im vorhergehenden Abschnitt dargelegt kodiert. Da das Kategoriensystem durch ein deduktiv-induktiv gemischtes Vorgehen entwickelt wurde, das auf den theoretischen Erkenntnissen des Literature Reviews in Abhängigkeit mit den analysierten Textstellen aufbaute, ließ es sich im Falle der vorliegenden Studie in drei Hauptkategorien gliedern:

  1. 1.

    Neue Lehr- und Lernformate

  2. 2.

    Lernraumgestaltung

  3. 3.

    Modellierung

Die Ableitung der Hauptkategorien erfolgte dabei ausschließlich theoriegeleitet und orientierte sich an den im Interview abgearbeiteten Leitfragen. Im Vergleich dazu basierten die im Folgenden aufgeführten Subcodes (Unterkategorien) pro Hauptkategorie überwiegend aus dem Textmaterial selbst. Im vorliegenden Abschnitt soll ein Überblick der Kodierregeln gegeben werden, die in der vorliegenden Studie zur Anwendung kamen.

Um die Kodierung nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert zu gestalten, wurde ein Kodierleitfaden aufgestellt, der das Kategoriensystem schriftlich fixierte, indem die Kategorien mit Subcodes definiert sowie mit Ankerbeispielen untersetzt wurden. Dieser diente dazu, ein einheitliches Verständnis der Kodierung sicherzustellen, das Kategoriensystem zu validieren und Interkoderreliabilität zu gewährleisten. Entsprechend wurde eine fachliche Einschätzung weiterer Gutachter*innen zum Codesystem per E-Mail sowie in persönlichen Gesprächen eingeholt und für eine Überarbeitung des Codesystems genutzt. Durch das induktiv-deduktiv gemischte Vorgehen hat sich die Erstellung des Kategoriensystems in iterativen Schleifen vollzogen, wobei jede weitere Transkription zu einer Modifikation der Codes führte. Dementsprechend wurden Codes entfernt, die nicht bzw. zu wenig genutzt wurden oder sich als nicht anwendbar herausstellten.

Im Ergebnis wurden der ersten Hauptkategorie „Neue Lehr- und Lernformate“ die folgenden Subcodes zugeordnet:

1. Neue Lehr- und Lernformate

  • 1.1 Gründe für Veränderungen

  • 1.2 Weiterbildung verändert sich

    • 1.2.1 Bedarf an arbeitsintegriertem Lernen

  • 1.3 Technologien verändern sich

  • 1.4 Herausforderungen

    • 1.4.1 Mehrwerte erzeugen

    • 1.4.2 Mensch-Maschine-Interaktion

    • 1.4.3 Datenschutz

  • 1.5 Empfehlungen

  • 1.6 Bedenken

  • 1.7 KI in der Weiterbildung

    • 1.7.1 Digitaler Lern-Assistent

    • 1.7.2 Terminologie

    • 1.7.3 Recommender System

    • 1.7.4 Stand der Forschung

  • 1.8 Anwendungsmöglichkeiten von IoT auf Lehr- und Lernprozesse

    • 1.8.1 Abhängig vom Lebens-, Arbeits- oder lernweltlichen Zusammenhang

    • 1.8.2 Abhängig von Lerninhalten und Lerngegenständen

Wann immer diese Unterkategorien im Zusammenhang neuer Lehr- und Lernformate explizit oder implizit genannt oder umschrieben wurden, waren sie mit dem jeweiligen Subcode zu kodieren. Zusätzlich wurden Codes pro Unterkategorie definiert, wenn eine spezifische Einschätzung einer Kategorie von mehreren Interviewpartnern inhaltlich ähnlich beschrieben oder konkret benannt wurden (z. B. Kodierung 1.7.1 für „Digitaler Lern-Assistent“ als Subcode der Unterkategorie 1.7 „KI in der Weiterbildung“). Wenn relevante Textstellen nicht eindeutig zu einer einzigen Kategorie zuzuordnen waren, so wurde in Ausnahmefällen auch eine doppelte Kodierung pro Satz vorgenommen. Folgende Passage wurde bspw. den Codes „Weiterbildung verändert sich“ sowie „Gründe für Veränderung“ zugeordnet:

„Wenn ich mir ankucke, wie Arbeitsplätze sich verändern, und was das dann wieder für betriebliche Weiterbildung für Konsequenzen hat, dann ist das erste Wort, was mir einfällt Digitalisierung.“

(IP1-31).

Tabelle 3.6 gibt nachfolgend einen Überblick zu den im Kodierleitfaden festgelegten Definitionen und Ankerbeispielen der ersten Hauptkategorie „neue Lehr- und Lernformate“.

Tabelle 3.6 Ankerbeispiele zur Kodierung der ersten Hauptkategorie „neue Lehr- und Lernformate“

Der zweiten Hauptkategorie „Lernraumgestaltung“ wurden die folgenden Subcodes zugeordnet:

2. Lernraumgestaltung

  • 2.1 Gestaltungsprinzipien

  • 2.2 Zusammenhang zwischen Lernraum und Motivation der Nutzer*innen

    • 2.2.1 ja, es gibt einen deutlichen Zusammenhang

  • 2.3 Anforderungen an intelligente Lernräume

    • 2.3.1 Visuelle, haptische, olfaktorische Sinne ansprechen

    • 2.3.2 fließende Raumgrenzen

    • 2.3.3 Raum ist veränderbar (Personalisierung)

    • 2.3.4 Beispiele

    • 2.3.5 Funktionalitäten

    • 2.3.6 Interaktion mit Menschen

    • 2.3.7 Ästhetik

Die systematische Datenauswertung erfolgte auch bei der zweiten Hauptkategorie analog dem Vorgehen der ersten Hauptkategorie. Wann immer die o.a. Unterkategorien im Zusammenhang der Lernraumgestaltung explizit oder implizit genannt oder umschrieben wurden, waren sie mit dem jeweiligen Subcode zu kodieren. Zusätzlich wurden Kodes pro Unterkategorie definiert, wenn eine spezifische Einschätzung einer Kategorie von mehreren Interviewpartnern inhaltlich ähnlich beschrieben oder konkret benannt wurden (z. B. Kodierung 2.3.2 für „fließende Raumgrenzen“ als Subcode der Unterkategorie 2.3 „Anforderungen an intelligente Lernräume“). Wenn relevante Textstellen nicht eindeutig zu einer einzigen Kategorie zuzuordnen waren, so wurde in Ausnahmefällen auch eine doppelte Kodierung pro Satz vorgenommen. Folgende Passage wurde bspw. den Codes „fließende Raumgrenzen“ sowie „Ästhetik“ zugeordnet:

„Da, da ist Immersion viel wichtiger, glaube ich, weil der Raum so groß ist. Immersion heißt ja auch, dass ich den Raum als solchen wahrnehme. Sonst kann ich ja gar nicht ihn ihm gefangen sein. Aber vielleicht nur unterbewusst wahrnehme. Und dieser Effekt des hineingezogen Werdens, gefesselt Werdens ist da wahrscheinlich viel wichtiger, um diesen dahinterstehenden großen virtuellen Möglichkeitenraum, so nenne ich es mal, tatsächlich nutzen zu können. Das hat wieder glaube ich ganz viel mit dem Design zu tun. Design im Sinne von einer freundlichen Optik. “Is dat hübsch!”, aber auch Design im Sinne von Interaktionsdesign.“

(IP1-209)

Tabelle 3.7 gibt nachfolgend einen Überblick zu den im Kodierleitfaden festgelegten Definitionen und Ankerbeispielen der zweiten Hauptkategorie „Lernraumgestaltung“.

Tabelle 3.7 Ankerbeispiele zur Kodierung der zweiten Hauptkategorie „Lernraumgestaltung“

Der dritten Hauptkategorie „Modellierung“ wurden entsprechend der inhaltlichen Struktur des vorgestellten Modells die folgenden Subcodes zugeordnet:

3. Modellierung

  1. 3.1

    Allgemeine Anmerkungen zum Modell

  1. 3.2

    Abhängigkeiten und Beziehungen

  1. 3.3

    Alternative Darstellungsmöglichkeiten

  1. 3.4

    Anmerkungen zum Einflussbereich “Lern-/Unternehmenskultur”

  1. 3.5

    Anmerkungen zum Einflussbereich “Bedürfnisse”

  1. 3.6

    Anmerkungen zum Einflussbereich “Lern-/ Arbeitsmethoden”

  1. 3.7

    Anmerkungen zum Einflussbereich “IT-Infrastruktur”

  1. 3.8

    Anmerkungen zum Einflussbereich “Ausstattung”

  1. 3.9

    Anmerkungen zum Einflussbereich „Architektur“

Wann immer diese Unterkategorien im Zusammenhang der Modellierung explizit oder implizit bewertet und konnotiert wurden, waren sie mit dem jeweiligen Subcode zu kodieren. Eine Definition von zusätzlichen Subcodes pro Unterkategorie wurde hier aus sachlogischen Gründen nicht vorgenommen. Ebenso erfolgten keine doppelten Kodierungen, da relevante Textstellen eindeutig zu einer einzigen Kategorie zuzuordnen waren.

Zur Vervollständigung des Kategoriensystems gibt Tabelle 3.8 abschließend einen Überblick zu den im Kodierleitfaden festgelegten Definitionen und Ankerbeispielen der dritten Hauptkategorie „Modellierung“.

Tabelle 3.8 Ankerbeispiele zur Kodierung der dritten Hauptkategorie „Modellierung“

Neben den dargelegten inhaltlichen Kodierregeln wurde auch methodisch festgelegt, wie zu kodieren war. So waren Äußerungen des Interviewers nicht zu kodieren. Dessen Einwürfe und Nachfragen konnten jedoch mit kodiert werden, wenn diese innerhalb einer Sinneinheit des Befragten stattfanden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Code über mehrere Absätze hinweg vergeben werden konnte. Im Zweifel sollte eher umfangreich als zu wenig einer Aussage bzw. einer Textpassage kodiert werden, damit der Sinnzusammenhang der Kodierung erhalten blieb und nachvollzogen werden konnte. Hierzu zählt auch die Regel, dass einer Textpassage mehrere Kodes zugeordnet werden durften.

3.5.2.2.3 Extraktion der Fundstellen

Die Kodierung der Interviewtranskripte wurde computergestützt mit Hilfe der Software MAXQDA Version 12.3.2 vorgenommen. Dabei lieferte die Analyse zur Kodierungshäufigkeit pro Hauptkategorie und Interviewpartner eine stabile Verteilung und trägt damit zur positiven Gütebeurteilung innerhalb von MAXQDA bei.

Tabelle 3.9 Anzahl der Kodierungen je Hauptkategorie und Interview

Tabelle 3.9 ist zu entnehmen, dass insgesamt 430 Kodierungen am Material erfolgten. Die zweite Hauptkategorie „Lernraumgestaltung“ weist dabei im Verhältnis zur ersten Hautkategorie „neue Lehr- und Lernformate“ eine um ca. 50 % geringere Kodierungshäufigkeit auf.

Darüber hinaus liefert Tabelle 3.10 einen Überblick der Anzahl an Kodierungen aus dem Bereich der neuen Lehr- und Lernformate. Insgesamt wurden 237 Kodierungen in der ersten Hauptkategorie vergeben. Beispielhaft zeigt Abbildung 3.29 drei der insgesamt 13 Kodierungen, die mit der Subkategorie „Bedarf an arbeitsintegriertem Lernen“ versehen wurden.

Abbildung 3.29
figure 29

Beispiele für die Kodierung „Bedarf an arbeitsintegriertem Lernen“

Neben der Subkategorie 1.2.1 „Bedarf an arbeitsintegriertem Lernen“ wurde ein weiterer Code 1.2 „Weiterbildung verändert sich“ für IP7-14 und IP2-22 (vgl. Abbildung 3.29) für die angrenzende Sinneinheit vergeben, da beide Textpassagen eine Veränderung formulieren, wohingegen IP4-37 von einem aktuellen Zustand spricht. Die sachlogische Nähe der Kodierung wird dadurch abgebildet, dass „Bedarf an arbeitsplatzintegriertem Lernen“ eine Unterkategorie von „Weiterbildung verändert sich“ darstellt, auch wenn es strenggenommen eine zweite Unterkategorie mit 1.2.2 geben müsste. An dieser Stelle wurde der inhaltlichen Struktur eine höhere Priorität im Vergleich zur formalen Gliederungsstruktur eingeräumt (Tabelle 3.10).

Tabelle 3.10 Anzahl der Kodierungen zu “neuen Lehr- und Lernformaten” pro Interview

Einen Überblick der Anzahl an Kodierungen aus dem Bereich der Lernraumgestaltung liefert Tabelle 3.11. Insgesamt wurden 117 Kodierungen in der zweiten Hauptkategorie vergeben. Beispielhaft zeigt Abbildung 3.30 drei der insgesamt neun Kodierungen, die mit der Subkategorie „ja, es gibt einen deutlichen Zusammenhang“ versehen wurden.

Tabelle 3.11 Anzahl der Kodierungen zur “Lernraumgestaltung” pro Interview

Die Benennung der Subkategorie „ja, es gibt einen deutlichen Zusammenhang“ erfolgte in Anlehnung an ein in-Vivo-Kodieren. Das bedeutet, dass ein im Text vorkommender (besonders aussagekräftiger) Begriff oder Textteil direkt als Kategorie definiert, ins Kategoriensystem übernommen und die Textstelle gleichzeitig diesem Code zugeordnet wird. Aufgrund der sehr deutlichen Zustimmung aller Interviewpartner, wurde eine „in-Vivo-ähnliche Kodierung“ vorgenommen.

Neben der Subkategorie 2.2.1 „ja, es gibt einen deutlichen Zusammenhang“ wurde ein weiterer Code 2.2 „Zusammenhang zwischen Lernraum und Motivation der Nutzer*innen“ für IP2-66, IP4-82 und IP1-204 (vgl. (Abbildung 3.30) für die angrenzende Sinneinheit vergeben, da sich alle Textpassagen auf den Zusammenhang zwischen Lernraum und der Motivation auf die Lernenden beziehen. Die sachlogische Nähe der Kodierung wird analog zum Vorgehen der ersten Hauptkategorie dadurch abgebildet, dass „ja, es gibt einen deutlichen Zusammenhang“ eine Unterkategorie von „Zusammenhang zwischen Lernraum und Motivation der Nutzer*innen“ darstellt, auch wenn es strenggenommen eine zweite Unterkategorie mit 2.2.2 geben müsste. An dieser Stelle wurde der inhaltlichen Struktur eine höhere Priorität im Vergleich zur formalen Gliederungsstruktur eingeräumt (Abbildung 3.30).

Abbildung 3.30
figure 30

Beispiele für die Kodierung „ja, es gibt einen deutlichen Zusammenhang“

Einen Überblick der Anzahl an Kodierungen zur Modellierung liefert Tabelle 3.12. Insgesamt wurden 76 Kodierungen in der dritten Hauptkategorie vergeben. Die Übersicht zeigt deutliche Unterschiede in der Anzahl der Anmerkungen pro Interview. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass IP2 kaum Verbesserungsvorschläge einbrachte, da das Modell überwiegend positiv bewertet wurde. Bei IP4 war aus Zeitgründen keine detaillierte Besprechung möglich, so dass hier überwiegend die quantitative Auswertung zur Verfügung stand (vgl. Abschnitt 3.5.2.2.4). Auffallend ist darüber hinaus, dass die meisten Anregungen und Verbesserungsvorschläge von Expert*innen geäußert wurden, die dem Bereich der Informatik zuzuordnen sind. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Informatiker*innen in der Modellierung von Informationssystemen ausgebildet sind.

Tabelle 3.12 Anzahl der Kodierungen zur “Modellierung” pro Interview
3.5.2.2.4 Ergebnisaufbereitung

Vor dem Kodieren der Interviewtranskripte erfolgte zunächst ein „Visual Mapping“ (vgl. Abbildung 3.31), indem die Audiodateien sorgfältig abgehört und die wichtigsten Kernaussagen pro Interview und Leitfrage zusammengefasst wurden.

Abbildung 3.31
figure 31

Beispiel eines Visual Mapping pro Interview

Nach dem Kodieren der Interviewtranskripte wurden die einzelnen Kodierungen je Hauptkategorie (vgl. Abschnitt 3.5.2.2.2) systematisch durchgearbeitet und hierauf basierend Ergebniszusammenfassungen je Interview und Subcode erstellt. In tabellarischer Form wurde mit Hilfe der MAXQDA Funktion „Summary-Grid“ am Beispiel der dritten Hauptkategorie „Modellierung“ herausgearbeitet, welchen Einflussbereichen zugstimmt wurde und welche Bereiche und Faktoren aus Sicht der Interviewpartner wie verändert werden sollten. Des Weiteren wurde über die erste Hauptkategorie der „neuen Lehr- und Lernformate“ ausgewertet, mit welchen Veränderungen die betriebliche Weiterbildung konfrontiert ist, wie diese im Zusammenhang neuer Technologien wie z. B. der Künstlichen Intelligenz zu bewerten sind und wie man letztlich das Technologiekonstrukt auf Lehr- und Lernprozesse anwenden könnte. Die Auswertung der zweiten Hauptkategorie fasste schließlich die Ergebnisse hinsichtlich einer lernförderlichen Raumgestaltung zusammen.

Um die Systematisierung des Erkenntnisprozesses zu erhöhen, wurden zudem alle Codes in einer Tabelle aufgelistet und die Ergebnisse pro Kategorie zusammengefasst. Die folgende Grafik verdeutlicht das Verfahren am Beispiel der dritten Hauptkategorie „Modellierung“ mittels Screenshot aus MAXQDA (vgl. Abbildung 3.32), da die Darstellung der vollständigen Tabelle aufgrund der Größe nicht möglich war.

Abbildung 3.32
figure 32

Verfahren zur systematischen Extraktion der Ergebnisse mit der Funktion “Summary-Grid” in MAXQDA (Screenshot)

Besonders relevante Kodierungen wurden mit einer zusätzlichen Gewichtung kenntlich gemacht, wobei eine Zuordnung des Wertes 100 als „sehr wichtig“ und eine Gewichtung von 50 als „wichtig“ zu interpretieren waren. Zur systematischen Auswertung aller besonders relevanten, also gewichteten Codes, wurden diese in einer Tabelle zusammengeführt. Es wurden insgesamt 107 Kodierungen mit „sehr wichtig“ und 49 mit „wichtig“ gekennzeichnet. Falls Textpassagen Hinweise auf relevante Fallbeispiele, Projekte oder sonstige Internetquellen lieferten, wurden diese nachträglich recherchiert und als Zusatzinformation in Form von insgesamt 18 Memos dokumentiert. Memos wurden auch dann genutzt, um Ideen, Gedanken und konkrete Ableitungen, die nur indirekt aus dem Textmaterial erschlossen werden konnten, festzuhalten und zu dokumentieren. Alle Memos wurden im Zuge der systematischen Datenauswertung in einer Tabelle zusammengefasst und konnten somit zum Synthetisieren der Ergebnisse genutzt werden.

3.5.2.2.5 Ergebnisaufbereitung der Fragebögen (Teilstudie 2)

Nach der systematischen schriftlichen Bewertung des hypothetischen Modells insgesamt sowie dessen einzelner Faktoren mittels Fragebogen (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.2) soll im vorliegenden Abschnitt die Datenauswertung der Expertenmeinungen vorgestellt werden. Die quantitative Datenauswertung mit SPSS erfolgte auf Basis von neun Bewertungsbögen, deren Ergebnis in den folgenden Tabellen zu entnehmen ist.

Die erste Bewertung richtete sich an eine generelle Einschätzung der Expert*innen, ob das Modell dazu geeignet ist, um intelligente und hybride Lernräume didaktisch fundiert gestalten zu können. Die Daten wurden mit Hilfe einer Skala von „1“ (trifft zu) bis „5“ (trifft nicht zu) erhobenen.

Die deskriptive Statistik weist hierbei folgenden Mittelwert und folgende Standardabweichung auf (Tabelle 3.13):

Tabelle 3.13 Mittelwert zur generellen Eignung des Modells

Die zweite Bewertung richtete sich an eine Bewertung in Bezug auf die Wichtigkeit der identifizierten Faktoren, die den insgesamt sechs Einflussbereichen zugeordnet waren. Die Daten wurden mit Hilfe einer Skala von „1“ (sehr wichtig) bis „5“ (unwichtig) pro Kategorie (Einflussbereich) erhoben. Da die einzelnen Items innerhalb der jeweiligen Kategorie sehr hoch miteinander korrelieren, wurden zunächst die verschiedenen Items für die Auswertung zu jeweils einer Skala pro Kategorie zusammengefasst. Für die Skalenbildung wurde ein Mittelwert über alle Items berechnet. Die Skalen weisen trotz der geringen Stichprobengröße eine akzeptable bis gute Reliabilität auf (α = .70 bis α = .90).

Die gemessene Reliabilität gibt Auskunft über die interne Konsistenz, also das Ausmaß, nach dem alle Items, die zusammengefasst wurden, dasselbe Merkmal messen. Die gemessene Reliabilität ist entsprechend ein Maß dafür, wie stark die Items der jeweiligen Einflussbereiche miteinander zusammenhängen. Aufgrund der relativ hohen Ausprägung der ermittelten Reliabilität, kann dies als Indiz interpretiert werden, dass die verwendeten Subskalen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden und dazu verwendet werden können, um die jeweiligen Dimensionen zu erfassen.

Die deskriptive Statistik weist im Detail folgende Mittelwerte und Standardabweichungen pro Kategorie auf (Tabelle 3.14):

Tabelle 3.14 Mittelwerte der sechs SLE-Einflussbereiche

Die letzte Auswertung gibt Aufschluss über die von den Expert*innen eingeschätzte Wichtigkeit der einzelnen Faktoren pro Kategorie. Die deskriptive Statistik weist zusammengefasst für alle Kategorien folgende Mittelwerte auf (Tabelle 3.15):

Tabellen 3.15–3.20 Mittelwerte der jeweiligen Faktoren pro SLE-Einflussbereich

Aus der Ergebnisaufbereitung zur Einschätzung der Wichtigkeit der einzelnen Faktoren können in einem weiteren Schritt (vgl. Abschnitt 3.5.2.3) die identifizierten Erfolgsfaktoren abgeleitet werden, die pro Kategorie den niedrigsten Mittelwert aufweisen. Diese sind in den o.a. Tabellen „fett markiert“. Darüber hinaus ist bei der weiteren Modifizierung und Ausgestaltung auf eine Operationalisierung der Faktoren zu achten, da dies stellenweise zu Verständnisproblemen geführt hat. Eine differenzierte Überarbeitung der Modellierung insgesamt sowie der Zusammenstellung der Erfolgsfaktoren erfolgt im Rahmen weiterer Anpassungen des Modells, die auf Grundlage der qualitativen Datenauswertung in Abschnitt 3.5.2.3.3 vollzogen werden.

3.5.2.3 Ergebnisse

Im Folgenden werden die Resultate der qualitativen Inhaltsanalyse dargestellt, die mit den Ergebnissen aus der quantitativen Teilstudie 2 ergänzt werden. Die Ergebnisse werden in Relation zu den Forschungsfragen zunächst im Hinblick auf neue Lehr- und Lernformate (vgl. Abschnitt 3.5.2.3.1) sowie in Bezug zur Lernraumgestaltung (vgl. Abschnitt 3.5.2.3.2) ausgewertet. Darauf aufbauend fließen die Erkenntnisse in die Überarbeitung des Modells (vgl. Abschnitt 3.5.2.3.3), mit Hilfe dessen der Gestaltungsprozess von SLEs didaktisch sinnvoll, theoretisch begründet sowie wissenschaftlich fundiert ablaufen soll. Außerdem werden basierend auf den Ergebnissen Definitionen für die Einflussbereiche entwickelt, die in Form einer einleitenden Beschreibung pro Einflussbereich zur Operationalisierung der einzelnen Faktoren beitragen. Einige Faktoren werden zusätzlich anhand ausgewählter Beispiele am Ende des Abschnittes operationalisiert.

3.5.2.3.1 Neue Lehr- und Lernformate

Neue Lehr- und Lernformate entstehen, wenn Veränderungen in Lehr- und Lernprozessen zu beobachten sind. Entsprechend erfolgt die Identifizierung neuer Lehr- und Lernformate zunächst durch die Betrachtung von Ursache- und Wirkungszusammenhängen, die auf den Ebenen der Lernenden, Lehrenden, Bildungsinstitutionen und Technologien zu erkennen sind.

Ursachen für Veränderungen

Die Analyse der Ergebnisaufbereitung zeigt, dass alle Interviewpartner (IP) Veränderungen in der betrieblichen Weiterbildung feststellten. Als konkrete Gründe wurden Virtualisierung (IP7-10), Agilität (IP5-68), Vernetzung (IP5-17, IP1-32) und Digitalisierung (IP1-31) benannt. Die Veränderungen durch Digitalisierung und Agilität wurden von IP5 darüber hinaus in Verbindung mit dem Internet der Dinge gesetzt, indem darauf hingewiesen wurde, dass 2012 so viele Geräte über das Internet mit der Welt verbunden waren, wie es Menschen gibt. Prognosen für das Jahr 2030 hingegen würden eine Vernetzung über das Internet von 50 bis 500 Milliarden prognostizieren (IP5-17). Dies wiederum führe zu einem Druck innerhalb der Unternehmen, immer neue Produkte und Services in immer kürzerer Zeit zu immer individuelleren Kundenwünschen herstellen zu müssen. Dies sei nur über agile Arbeitsmethoden umsetzbar (IP5-68). Diese Veränderungen wurden auch von IP2 bestätigt und in den Kontext der Weiterbildung überführt, indem als ein weiterer Grund für Veränderungen im Weiterbildungsbereich, das schnelle Veralten von vorhandenem Wissen aufgeführt wurde (IP2-22).

Veränderungen im Weiterbildungsbereich

In der Folge kann konstatiert werden, dass der betriebliche Weiterbildungssektor mit vielfältigen Veränderungen konfrontiert ist, die auf dem technologischen Fortschritt sowie auf neuen Weiterbildungsbedarfen basieren. Grundlage für Lernprozesse seien nach IP3 die Arbeitsprozesse selbst. Wenn diese in der Folge digitalisiert, agil und eventuell sogar teilautomatisiert würden, dann müssten in der Folge auch die Bildungsangebote entsprechend gestaltet werden (IP3-60). Das heißt, dass einerseits neue Kenntnisse z. B. über Agilität und Digitalisierung vermittelt, und andererseits aber auch methodische Kompetenzen aufgebaut werden müssten, damit die Belegschaft die Kenntnisse auch im Arbeitsprozess anwenden kann. Daraus würden sich dann folglich auch neue pädagogische Ansätze ableiten lassen:

„[…] also wir müssten uns dann anschauen, welche Formen neuer Arbeit, welche Anforderungen an neue Arbeit entstehen und daraus dann ableiten, wie kann man sowas lernen, […] welche Anforderungen […] sind erforderlich? Also insofern würde ich schon sagen, auf jeden Fall, gewisse neue Lernanforderungen, die mit neuen pädagogischen, didaktischen Methoden und Ansätzen zu unterlegen sind.“ (IP3-6)

In diesem Sinne würde die Digitalisierung nach IP1 sogar dazu beitragen, dass die Bildungsinstitutionen in ihrer organisationalen Relevanz deutlich steigen würden. Im Laufe eines Berufslebens würde es mittlerweile zu enormen Wissenszuwächsen kommen, die nur über eine entsprechend entwickelte Lernkultur mit hoch integrierten Weiterbildungsformaten aufgefangen werden könnten (IP1-31,38).

IP2 geht auf neue Bildungsbedarfe am Beispiel Internet der Dinge wie folgt ein:

„Und gerade bei neuen Technologien, das Beispiel konkret mit dem Thema IoT, haben die vielleicht mal gelernt, wie man Software entwickelt auf einem PC, aber das ist halt nicht das gleiche, wenn ich jetzt IoT-Produkte reinbringe mit kleinen Devices und dann vielleicht noch Mobilfunk und WLAN und was es alles gibt, das heißt, dort haben die Mitarbeiter so gut wie keine Expertise.“ (IP2-22)

In der Folge kann konstatiert werden, dass insbesondere informelle und selbstgesteuerte Lernformate an Bedeutung gewinnen, die Face2Face am Arbeitsplatz über den Austausch mit Expert*innen oder auch Kolleg*innen abgebildet und neue Lerninhalte vermehrt über digitale Netzwerke abgerufen werden.

Bis auf IP3 formulierten alle Interviewpartner einen Bedarf an arbeitsintegrierten Weiterbildungsformaten (IP7-14; IP6-21,25; IP5-165-166; IP4-37; IP2-22; IP132,39), die durch „kundengetriebene“ Projekte geprägt seien und immer neue Wissensbedarfe „on the Job“ bedingen würden. IP7 beschreibt dies in einem zunehmenden Zusammenwachsen von Arbeiten und Lernen wie folgt:

„[…] dass in der betrieblichen Bildung Lernen und Arbeiten gar nicht mehr getrennt ist in der nahen Zukunft und das Lernen eher so was informelles ist, beziehungsweise von dieser Schwarmintelligenz auch lebt.“ (IP7-14)

IP1 formuliert in diesem Zusammenhang konkrete Potenziale kontextualisierter bzw. situativer Lernformen:

„Wenn ich mir das jetzt ankucke, was Digitalisierung dann eben für Konsequenzen hat für betriebliche Weiterbildung, dann ist meine Vermutung, wenn Digitalisierung, Vernetzung so massiv zunehmen und sich die Gegenstände am Arbeitsplatz plötzlich vernetzen können, neue Funktionen, neue Komplexitäten generieren, dass wir dann am Arbeitsplatz oder am Lernplatz ganz plötzlich zu schnell wechselnden Kontexten finden.“ (IP1-39)

Weiterhin kann konstatiert werden, dass das didaktische Modell „Lernen durch Lehren“ und die Produktion (statt Konsum) von Lerninhalten als Lehr- und Lernformate an Bedeutung gewinnen, (IP7-33, IP2-22), insbesondere dann, wenn das benötigte Wissen sehr spezifisch ist und nicht über gängige Kanäle zu beschaffen ist. IP7 spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Rolle des Lehrpersonals, das die Verantwortung über den Lernprozess an die Lernenden selbst abgibt und in ihrer Rolle eher als „Experten, Coaches, Mentoren oder Begleiter“ auftreten (IP7-14). Da das benötigte neue Wissen vielfach über das Internet erschlossen werden kann, ist es nach Einschätzung der Interviewpartner wichtig, soziale Netzwerke zum Wissenserwerb zu erschließen und zu pflegen (IP7-14). Lernen würde IP2 zufolge immer mehr innerhalb von Netzwerken stattfinden, da so die Möglichkeit bestünde, sich orts- und zeitunabhängig mit Expert*innen auf der ganzen Welt auszutauschen. Selbst wenn man in der eigenen Abteilung oder dem eigenen Unternehmen der/die einzige in einem Fachgebiet sei, gäbe es konzernweit bzw. weltweit gesehen ein enormes Potenzial von anderen zu lernen.

IP6 verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass zukünftig jede(r) Mitarbeiter*in über eine persönliche Lernumgebung (PLE) verfügen würde, über die persönliches Wissen mit anderen geteilt werden könnte. Eine Vernetzung dieser persönlichen Lernumgebungen mit anderen PLEs führe im Ergebnis zu sogenannten Wissensökologien (Knowledge Ecology), die im Sinne eines strategischen Wissensmanagements im Unternehmen mittels Explikation und Transparenz der Mitarbeiterexpertise abgebildet werden könne. Wenn Mitarbeiter*innen vermehrt über die eigene Tätigkeit und Expertise schreiben würden (z. B. via ESN, Blogs etc.), könnten andere daraus lernen und aktiv in Diskussion und Austausch treten, wobei erneute Lernprozesse angestoßen werden Könnten. Auf diese Art und Weise entstünde über die Zeit ein Wissensnetzwerk, das darüber hinaus als Datenquelle eines Empfehlungssystems genutzt werden könnte.

Die Automatisierung von Bildungsprozessen ist nach IP4-40 die logische Schlussfolgerung der Digitalisierung im Bildungsbereich. Sensorbasierte Informationen können bereits heute für Weiterbildungszwecke genutzt werden (z. B. mittels GPS Signalen). IP5 zufolge wird es in Zukunft eine Welt voller Sensoren geben, deren Daten hoch interessant seien, um sie für Weiterbildungsprozesse zu nutzen (IP516-17).

IP5 schlussfolgert weiter, dass selbst „der Stimulus zum Lernen aus der Datennutzung, aus der Maschine selbst und aus der aktuellen Situation heraus“ generiert werden würde (IP5-31). Dies führe zu einer grundsätzlichen Veränderung in dem Sinne, dass die Maschinen (oder auch die Systeme) zukünftig die Rolle eines Lehrenden übernehmen würden. Möglich werden würde dies, durch die „Nutzung der Maschinendaten in Echtzeit“. Somit wären die hinterlegten Lernsysteme in der Lage, den Lernenden zu erklären, was sie tun sollen bzw. wie die Maschinen oder Systeme zu bedienen sind. Insofern decken sich hier die Einschätzungen von IP5 mit den von IP1 formulierten Potenzialen hinsichtlich kontextualisierter bzw. situativer Lernformen am Arbeitsplatz.

Es kann festgestellt werden, dass die durch Digitalisierung geforderte Agilität im Arbeitsprozess dazu führt, dass bedarfsorientiertes und kontextbezogenes Wissen benötigt wird. „Das Lernen auf Vorrat ist veraltet und in solchen Situationen nicht praktikabel“ (IP5-67), da immer neue Arbeitsabläufe, Softwaretypen, Geräte und Maschinen in immer kürzeren Zyklen entwickelt, eingesetzt und angewendet werden würden. Insofern lieferten die von den Mitarbeiter*innen genutzten Systeme und Maschinen ihre Gebrauchsanleitung situationsbezogen mit. Sobald das System erkennen würde, dass eine “falsche Anwendung” erfolgt, würden wichtige Zusatzinformationen an den/ die Anwender*in übermittelt werden. Falls die Tätigkeit an einem Computer durchgeführt werden würde, würden die Zusatzinformationen auf dem Bildschirm direkt angezeigt, würde die Tätigkeit hingegen in der Produktion ausgeübt, würden zusätzliche Devices wie z. B. Datenbrillen eingesetzt werden können (IP5-70).

IP5 verweist in diesem Zusammenhang auf ein Beispiel aus der Luftfahrt:

„Also für die, die die Maschinen zusammenbauen am Schluss, das sind die sogenannten Endlinien im Bereich Zivilluftfahrt, werden solche Assistenzdienste auch unter anderem eingesetzt, weil logischerweise jedes, und das ist ja der Treiber, jedes Produkt, und das nimmt an vielen Stellen zu, ist am Ende des Tages ein Unikat, ja? In der Luftfahrt war das wirklich noch nie anders gewesen und das heißt, sie stehen da als Arbeiter und werden permanent mit Situationen konfrontiert, die leicht variabel sind und sie brauchen Unterstützung, weil sie können nicht alle Lösungen im Kopf haben.“ (IP5-67)

Der Bedarf an Weiterbildung wird zukünftig situationsbezogen von Maschinen (oder auch digitalisierten Lerngegenständen) erkannt. Ein integriertes Lernsystem ist dann in der Lage, Sachverhalte zu erklären und auf Hilfsmittel sowie Inhalte zu verweisen und übernimmt damit die Rolle eines Lehrers. Eine derartige Funktionalität kommt dann z. B. aus der Software direkt, die darüber informiert, wie sie angewendet werden soll oder aber aus Maschinen in einer Produktionsanlage.

IP7 gibt im Gegensatz zu IP5 zu bedenken, dass trotz dem allgemeinen Trend zur Virtualisierung, die Weiterbildung nicht komplett digitalisiert werden könne, da der persönliche Austausch in Präsenzveranstaltungen nicht ersetzt werden könne. Menschliche Bedürfnisse können nach IP7 nicht vollständig digital abgebildet werden. Von daher müssten Blended Learning Formate entwickelt werden, die analoge und digitale Lernformen fließend verbinden würden. Da die Wissensinhalte überwiegend über das Internet bezogen werden könnten, sollten Präsenzveranstaltungen insbesondere für Kollaboration, Diskussion, Interaktion und Innovation genutzt werden (anstatt zur reinen Wissensvermittlung) und erhielte somit eine generelle Aufwertung im Vergleich zu vollständig digitalisierten Lernformen (IP7-10,14).

Technologische Veränderungen

Alle Interviewpartner äußerten sich direkt oder auch indirekt zu technologischen Veränderungen, die in der Folge zu neuen Lernbedarfen einerseits sowie zu neuen Lernformaten andererseits führen und mit dem „Schlagwort Digitalisierung“ umschrieben wurden. IP1 stellt in diesem Zusammenhang einen direkten Bezug zum Internet der Dinge her, indem auf die Schnelllebigkeit der Digitaltechnologien verwiesen wird:

„Und wenn wir das noch mal in Bezug zu Internet der Dinge setzen, wo plötzlich, wie beschreibt man das, wo Systemfunktionalität oder Systemkomplexität aus der Digitalisierung entsteht, die völlig neue Größenordnung erreicht, als wir das früher ohne solche Vernetzung hatten, dann ist der Bedarf, am Arbeitsplatz lernen zu müssen aus meiner Perspektive heute wesentlich größer, als er das in den letzten Jahrzehnten war.“ (IP1-32)

IP7 ergänzt um die Potenziale von Augmented/ Virtual Reality und weist gleichzeitig darauf hin, dass digitalen Technologien auch körperliche Grenzen gesetzt seien (IP7-10). Gleichzeitig würde die Verfügbarkeit digitaler Technologien dazu führen, dass das Arbeiten in verteilten Teams, die weltweit agierten, zunehmen würde. Dies würde unter Umständen dazu führen, dass sich Kolleg*innen teilweise nur einmal pro Jahr in der physischen Welt treffen würden und jeglicher Austausch via Web Konferenzen stattfinden würde (IP7-14).

IP5 reduzierte die technologische Veränderung auf den zentralen Aspekt der „Datennutzung in Echtzeit“ (IP5-16), das auch von IP4 wie folgt umschrieben wurde:

„Die gravierendsten Punkte werden so ein bisschen die Algorithmen sein, also Big Data, das was virtuelle Assistenten angeht. Da denke ich, gibt es noch mal einen großen Sprung und wahrscheinlich auch eine ganze Menge Diskussionsbedarf.“ (IP4-40)

Künstliche Intelligenz in der Weiterbildung

Im Bereich der Neuentwicklung von Lehr- und Lernformaten ist zu konstatieren, dass diese erwartungsgemäß von technologischen Fortschritten forciert und begleitet werden. Diese Annahme wurde von den Interviewpartnern einstimmig bestätigt.

In der Literatur werden die Begrifflichkeiten Internet der Dinge, Auswertung von Daten in Echtzeit und maschinelles Lernen als eine logische Sequenz des technologischen Fortschrittes beschrieben. Dementsprechend soll im Folgenden ausgewertet werden, welchen Einfluss die Künstliche Intelligenz auf neue Lehr- und Lernformate hat und welche direkten oder indirekten Bezüge zum Internet der Dinge existieren.

Obwohl von einigen Interviewpartnern beklagt wurde, dass der Begriff der Künstlichen Intelligenz unterschiedlich verwendet werden würde (IP2-32, IP1-48, IP4-128), waren sich bei der Beantwortung der Frage, was unter intelligenten Technologien zu verstehen sei, die Interviewpartner einig, indem sie diese als ein Verfahren bezeichneten, das durch Datenauswertung in der Lage sei, proaktiv und kontextorientiert auf Nutzer*innen eingehen zu können:

„Okay, also die intelligenten Technologien werten Daten aus, von ihrem Einsatz, wie sie eingesetzt werden und nutzen diese Daten, um dem Nutzer*innen Angebote zu machen, um sich sozusagen darauf einzustellen, wie das Nutzungsverhalten ist.“ (IP6-27)

„Also für mich dann intelligent heißt, individuell und benutzerzentriert. Also ich meine ein System ist dann smart für mich, wenn das System vieles über den Benutzer weiß. Vieles über den Kontext der Aktivität […] und dann entsprechend intelligent Antworten und Rückmeldungen geben kann.“ (IP6-31)

„Intelligent heißt für mich proaktiv und kontextorientiert.“ (IP1-44)

„[…] die Intelligenz kommt aus dem maschinellen Lernen heraus. Also das heißt, um es auf den Punkt zu bringen, Verfahren und Methoden der künstlichen Intelligenz zu nutzen, um halt eben am Ende des Tages damit Lernprozesse zu optimieren, ja?“ (IP5-19)

Hinsichtlich einer Abgrenzung zu ähnlich verwendeten Termini verweist IP1 darauf, dass im internationalen Kontext unter „Ambient Intelligence“ eher „Pervasive Computing“ gefasst werden würde. Wohingegen „ubiquitous“ und „pervasive“ dahingehend abgegrenzt werden könnten, dass ubiquitous zunächst nur „allgegenwärtig“ und pervasive „durchdringend“ bedeuten würde. Es wäre letztlich eine Frage von Verfügbarkeit, was am Ende so etwas wie „unabhängig von Raum und Zeit“ bedeuten würde, aber dennoch nicht zwingend Intelligenz beinhalten würde. Demnach könnte ein hochgradig mobiles System zwar ubiquitär sein, allerdings nicht zwangsläufig intelligent. Erst eine gewisse Form der Adaptivität würde zur Intelligenz beitragen. Da intelligente Systeme jedoch den aktuellen Kontext erfassen müssten, um situationsbedingt intelligent reagieren zu können, müssten intelligente Systeme über kontextsensitive (ubiquitous/ pervasive) wie auch adaptive Funktionalitäten verfügen (IP1-50-65).

An dieser Stelle wird ein indirekter Bezug zum Internet der Dinge offenkundig, da das Internet der Dinge als allgegenwärtig und alles durchdringend definiert wird und auf Konzepten des Pervasive bzw. Ubiquitous Computing beruht (vgl. Abschnitt 2.2). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass das Technologiekonstrukt Internet der Dinge per Definition dazu geeignet ist, kontextbezogene Informationen in Lehr- und Lernsituationen zu erfassen und für adaptive Funktionalitäten bereitzustellen.

Ausschließlich IP2 beantwortet die Frage in einem direkten Bezug zum Internet der Dinge wie folgt:

„Intelligente Technologie für mich ist, dass ich ein Ding haben muss, auch in Bezug von IoT, ein Gerät haben muss, was in der Lage ist, Operationen auszuführen, Algorithmen auszuführen. Intelligent wäre es für mich dann, wenn das System auch selbst entscheiden kann, vom Kontext. Das heißt, was passiert, wenn nicht reinprogrammiert wurde, wenn A passiert mach B, sondern eben X passiert, was vorher nicht definiert war und das System dann darauf reagiert.“ (IP2-30)

Aus den Aussagen der Interviewpartner lässt sich schlussfolgern, dass die Anwendung von Verfahren aus der künstlichen Intelligenz wie z. B. Maschinelles Lernen zu Produkten und Services im Bildungsbereich führen, die Aktionen tätigen können, die im Vorfeld nicht programmiert wurden. Entsprechend könnten derartige Lernsysteme auf Basis der Nutzungsdaten den Kontext und die Lernsituation erkennen und auf Basis der Auswertung vergangener Situationen mittels Predictiv Analytics selbst entscheiden, was für die Lernenden am effektivsten wäre und entsprechend proaktiv reagieren. Ein wichtiger Indikator sogenannter intelligenter Systeme ist demnach, dass diese in der Lage sind, selbst zu lernen.

Von drei Interviewpartner wurde kritisch angemerkt, dass die Intelligenz letztlich nur von den Menschen kommen könne, da diese die hinterlegten Algorithmen steuerten und auch kontrollieren sollten (IP2-30; IP1-44; IP5-102).

Entsprechend schränkt IP1 die Intelligenz der Systeme wie folgt ein:

„Ich finde immer, wir Menschen sollten, wenn es geht die einzig Intelligenten bleiben, aber ein System suggeriert Intelligenz, wenn es Verhalten zeigt, bevor der Nutzer Verhalten anfordert, sondern das System beobachtet Nutzer, interpretiert Nutzer, sagt Nutzerverhalten, Nutzerbedürfnisse voraus und passt sich selbst und seine Systemfunktionen deswegen im Vorgriff auf die vermeintlichen Bedürfnisse des Nutzers an, bevor der Nutzer das verlangt.“ (IP1-44)

Eine anspruchsvollere Haltung, die über datengestützte Auswertungen und Reaktionen hinausgeht, wurde von IP7 beschrieben:

„[…] und wenn das System wirklich intelligent ist, dann reagiert es vielleicht auf so einer Ebene, die mehr so inspiriert, als direkt auf was zu reagieren.“ (IP7-21).

Der von IP7 genannte Aspekt der Inspiration ist im Zusammenhang neuer Lehr- und Lernformate insofern interessant, da menschliche Lernprozesse nicht ausschließlich linear und sachlogisch ablaufen, sondern auch von Emotionen, Visualisierungen, Irritationen oder auch indirekten Assoziationen beeinflusst werden (vgl. Abschnitt 2.1.2.1).

Im Gegensatz zu den klar formulierten theoretischen Ansätzen der Künstlichen Intelligenz und den aufgeführten Potenzialen im Weiterbildungsbereich, wird der aktuelle Stand der Forschung von den Interviewpartnern überwiegend als „schwierig“ eingestuft (IP2-36, IP6-54, IP5-115, IP4-53, IP2-42, IP1-69).

Die Mehrheit der Interviewpartner zählten in diesem Zusammenhang eigene Forschungsprojekte oder auch international bekannte EU-Forschungsprojekte auf, verwiesen aber gleichzeitig darauf, dass dies einzelne Insellösungen und Modellprojekte seien, die keinesfalls verbreitet oder gar als fertige Systeme zur Verfügung ständen.

Als Gründe wurden insbesondere datenschutzrechtliche Aspekte genannt. Aber auch die technische Komplexität derartiger Systeme, die mit entsprechend hohem Erstaufwand einhergeht (z. B. Modellierungen und Aufbau der Ontologien), wurden als hemmende Faktoren aufgeführt. IP1 erläutert die Herausforderungen folgendermaßen:

„So, und wir haben das probiert und sind am Ende da dran gescheitert, dass entweder die Verfahren für die Datenbasis, die wir hatten nicht mächtig genug waren oder die Datenbasis nicht so weit hätte erweitert werden können aus Datenschutzgründen oder technischen Gründen in der Uni oder Ähnlichem, dass die Verfahren da hätten weiterentwickelt werden können, so dass es unterm Strich für mich wieder unpraktikabel war.“ (IP1-83)

Einige der Interviewpartner formulierten konkrete Schwierigkeiten beim Einsatz Künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich, die eine flächendeckende Nutzung auch in nächster Zukunft behindern könnten:

„Es wird vieles von selbst gehen, auch KI-basiert von selbst gehen, im Learning sehe ich das noch nicht, weil wir die Semantik nicht in den Griff bekommen. […] Im Learning sind zu viele Unschärfen nach wie vor drin.“ (IP5-115-117)

„Ich sehe die Potenziale auch, sonst würde ich mich mit dem Thema nicht beschäftigen, aber es ist halt doch noch sehr schwergängig und in der Forschung sieht das alles schon prima aus, aber in die Praxis ist es im Moment noch schwer zu kriegen. […] Weil auch eben die Institutionen aus gutem Grund, die das tragen, ja eine gewisse Behäbigkeit haben, um sich vor Fehlentscheidungen zu schützen und dadurch dauert das wahrscheinlich auch einfach eine gewisse Zeit, bis das reinwächst.“

Es kann festgestellt werden, dass mittels Internet der Dinge automatisierte (Lern-)Systeme (vgl. Abschnitt 2.2.1.7) nicht automatisch gleichzusetzen sind mit sogenannten intelligenten (Lern-)Systemen, da diese erst schrittweise zu entwickeln sind (vgl. Abbildung2.5). Dementsprechend ist es wichtig, verschiedene Entwicklungsstufen des Internet der Dinge zu unterscheiden und bereits im Gestaltungsprozess zu überlegen, welche Entwicklungsstufe erreicht werden soll.

Digitale Lernassistenten

Im Zusammenhang Künstlicher Intelligenz im Weiterbildungsbereich wurden von vier Interviewpartner die spezifische Funktionalität einer „digitalen Assistenz“ beschrieben (IP6-104, IP5-67-68, IP5-76, IP4-43-45, IP2-38).

Laut IP5 und IP2 könnten uns Assistenzsysteme bei der täglichen Arbeit und auch bei Lernprozessen begleiten, indem Datenspuren aufgenommen und so aufbereitet würden, dass die Lern- und Arbeitsprozesse effektiver ablaufen könnten. In einem konkreten Fallbeispiel wurde von IP5 beschrieben, wie derartige Assistenz- und Wissensdienstsysteme die Mitarbeiter*innen bereits nach sechs Monaten der Nutzung in die Lage versetzt hätten, bei einem Großteil der Tätigkeiten auf die Assistenzsysteme zu verzichten und zugleich im Anschluss höherwertigere Arbeiten durchführen zu können als zuvor (IP5-76).

IP6 verweist in diesem Zusammenhang auf eine persönliche Lernumgebung (PLE), die gleichzeitig als „Personal Assistent“ fungieren könne. Laut IP6 würden Konzerne wie Apple, Microsoft und IBM bereits an derartigen Assistenten arbeiten (IP6-104).

Recommender Systems

Im Zusammenhang Künstlicher Intelligenz im Weiterbildungsbereich wurde darüber hinaus vielfach die spezifische Funktionalität eines „Recommender Systems“ beschrieben. Eine Abgrenzung zu digitalen Lernassistenten fällt an dieser Stelle schwer, da ein digitaler Assistent letztlich auch Empfehlungen aussprechen kann. Konkrete Bezüge zu Recommender Systems wurden von insgesamt sechs Interviewpartner direkt oder auch indirekt beschrieben (IP7-21, IP6-123, IP6-75, IP6-37, IP5-19, IP4-45, IP2-78, IP1-79-81).

IP2 skizziert eine mögliche Funktionsweise eines Recommender Systems an einem fiktiven Beispiel, das in einer konkreten Lehrsituation nicht nur die Lernenden, sondern auch die Lehrenden unterstützen könnte, indem passende, weiterführende Informationen und Links zu einem Thema live in der Trainingseinheit eingeblendet werden könnten. Eine vorangegangene Recherche und Zusammenstellung durch den Lehrenden würde somit entfallen und zur Entlastung beitragen. Falls das Recommender System zusätzlich auf die Wissensökologie der anwesenden Lernenden zurückgreifen könnte, könnten basierend auf den PLEs der Lernenden Querverbindungen analysiert werden, die z. B. über eine Empfehlung weiterer geeigneter Medien, wie z. B. fachspezifische Twitter-Kanäle abgebildet werden könnte (IP2-76).

Vorteile für die Lehrenden werden auch von IP6 aufgezeigt, die sich jedoch nicht nur auf fachliche, sondern auch auf didaktische Aspekte beziehen:

„Es gibt so viele, Hunderte von didaktischen Möglichkeiten, innerhalb eines Prozesses, den man da gestaltet und man kann natürlich dieses didaktische Expertenwissen versuchen im Raum zu implementieren, dass das auch Empfehlungen geben kann. Ich glaube nicht, dass man die Lehrperson dann ersetzen kann, aber eben als Technologie mit an die Hand geben.“ (IP6-123)

Die Analyse zeigt, dass für digitale Assistenten wie auch für Recommender Systems die gleichen technologischen Verfahren wie z. B. Data Mining, People Analytics, Learning Analytics oder auch Machine Learning angewendet werden. Von daher muss an dieser Stelle kritisch angemerkt werden, dass derartige Verfahren große Herausforderungen insbesondere hinsichtlich des Datenschutzes mit sich bringen, die den Einsatz in der Bildungspraxis unter Umständen erschweren oder gar unmöglich machen.

Anwendungsmöglichkeiten von IoT auf Lehr-und Lernprozesse

Die Analyse der Ergebnisaufbereitung zeigt, dass die Interviewpartner Schwierigkeiten damit hatten, Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge auf Lehr- und Lernprozesse zu formulieren. Ein wesentlicher Grund wird zum einen darin gesehen, dass das Internet der Dinge als Begriff sehr abstrakt ist. Zum anderen wird das Internet der Dinge üblicherweise mit anderen Anwendungsfeldern, wie z. B. der Logistik, Industrie oder Gebäudetechnik in Verbindung gesetzt. Eine Übertragung von Funktionalitäten aus dem Bereich des Internet der Dinge auf den Bildungskontext wurde bisher kaum unternommen, folglich wurden IoT-Anwendungsmöglichkeiten auf Lehr- und Lernprozesse noch nie untersucht. Entsprechend konnten die Interviewpartner auf keine theoretischen Vorkenntnisse oder gar Erfahrungswerte zurückgreifen.

Dennoch wurden von sechs Interviewpartner Anwendungsmöglichkeiten auf Lehr- und Lernprozesse benannt und beschrieben (IP1-40-44, IP1-133-142, IP2-52, IP3-16, IP5-125, IP6-80-81, IP6-100, IP742-43), die sich zur Explikation erster Ideen überwiegend an den typischen Merkmalen des Internet der Dinge orientierten. IP1 skizziert dazu folgende Übertragungsmöglichkeiten:

„Also Internet der Dinge, wenn sich plötzlich Dinge vernetzen und nicht Menschen vernetzen primär, wenn Dinge eigenständig interagieren ohne, dass ein Mensch gesagt hat, dass sie interagieren sollen. […] Das ist für mich der eine Ansatzpunkt, wo man dann aus pädagogischer Sicht mit den Dingen etwas machen muss, die durch das Internet der Dinge sich dann plötzlich anders verhalten.“ (IP1-135-140)

Von einigen Expert*innen wurde in diesem Zusammenhang auf die besondere Relevanz des situativen Lernens hingewiesen (IP6-80, IP5-19, IP1-40). Die IP betonen dabei die besondere Relevanz des „Kontextes“, der wesentlich für das Lernen im Umfeld des Internet der Dinge sei. Da eine Vernetzung durch das Internet der Dinge zu veränderten Kontexte führe, müssten auch die Lehr- und Lernprozesse kontextbezogen gestaltet werden können. Dies würde wiederum bedeuten, dass sich die Lernprozesse sehr schnell anpassen könnten, je nachdem, was für eine Lehr- und Lernsituation erkannt werden würde. IP3 geht auf die Vernetzung durch das Internet der Dinge im Bildungskontext wie folgt ein:

Ich versuche mir jetzt gerade ein Internet der Lerngegenstände vorzustellen, also Lerngegenstände geht von der Tafel bis zum Spielzeug, bis zum Schreibgerät, was man in der Hand hat, ob das jetzt ein Tabletstift ist oder der Bleistift. Wenn solche Gerätschaften untereinander unter didaktischen Gesichtspunkten vernetzt wären, was weiß ich, gegenseitig Daten zutragen, die für Lernerfolg optimiert werden könnten, kann ich mir sehr viele Möglichkeiten vorstellen. (IP3-16)

Zur Optimierung von Lehr- und Lernprozessen sei dann aber wiederum eine gewisse Form der Intelligenz notwendig, die so stark mit der Umgebung zu verweben sei, dass die IT nicht mehr wahrgenommen und als Teil der Umgebung im Lernkontext verschwinden würde. Die Räume würden dann als vergegenständlichte Kontexte fungieren.

Im Vergleich zu den eher abstrakten und generalisierten Übertragungs- und Anwendungsmöglichkeiten beschrieben IP7 und IP6 konkretere Lernszenarien, die mittels IoT umgesetzt werden könnten:

„Man könnte jedes Möbel im Prinzip, das im Lernkontext eingesetzt wird in irgendeiner Form sozusagen mit Technik unterstützen […], so dass man bestimmte Lademöglichkeiten über Induktion macht, das sind ja solche Aspekte, die vielleicht nicht Internet der Dinge, aber zumindest, dass man bestimmte sozusagen Strukturen schafft, innerhalb von physischen Materialien im Lehr- und Lernkontext. […] Vielleicht projiziere ich etwas an die Wand und dann habe ich das synchronisiert über meine Cloud und zuhause kann ich es dann auf meinem Tablet lesen, was ich da irgendwo an die Wand geschrieben habe. Oder ich sehe irgendwas, muss mir das nicht mehr abschreiben, sondern mache da so eine Aufnahme davon und es wird übertragen.“ (IP742-43)

Ein zentraler Aspekt sei dabei immer, dass die konkrete Lernsituation und der Kontext erkannt würde und entsprechend bedarfsorientiert auf die Lernsituation reagiert werden könne. Die Erfassung des Kontextes und der Lernsituation würde mittels Sensoren erfolgen, welche die gesammelten Daten auswerten und an weitere integrierte Komponenten weitergeben könnten (IP6-80-81).

Abhängigkeit von lebens-, arbeits- oder lernweltlichen Zusammenhängen

Insbesondere IP3 betonte, dass eine Modellierung des konkreten Nutzungskontextes (IP3-20) im Vorfeld der Gestaltung von IoT-basierten Lehr- und Lernformen stattfinden müsse. Kontextuelle Zusammenhänge müssten expliziert und dokumentiert werden, um herauszufinden, wie die jeweiligen Lehr- und Lernprozesse im lebensweltlichen sowie arbeitsweltlichen Zusammenhang eingebettet seien. Erst danach wäre man in der Lage, Lerninhalte und Lerngegenstände sinnvoll miteinander vernetzen zu können.

IP3 verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des „Lernweltdiagramms“. Dieses müsse zunächst einmal abgebildet werden, um konkrete Interaktionen, also Lehr- und Lernprozesse mittels IoT sinnvoll anreichern zu können. Es müsse analysiert werden, welche (Lern-)Gegenstände existierten und in welchem nutzungsprozessualen Zusammenhang diese stünden. Laut IP3 würde sich hier eine Art Workflowbeschreibung von Lehr- und Lernprozessen anbieten, die die jeweiligen Akteure mit ihren spezifischen Rollen identifizieren und beschreiben würden. IP3 zufolge wäre darauf aufbauend auch ein Standardsatz von Lernweltelementen vorstellbar, die in unterschiedlichen Gestaltungsprozessen als Schablone genutzt werden könnten, und lediglich mit spezifischen Zusatzelementen, Abweichungen und Varianten jeweils vor Ort abgeglichen werden könnten (IP3-26).

Erst wenn prototypische Standardelemente der Lernwelt definiert seien, könnte man über eine entsprechende IoT-Integration nachdenken:

„Welche von diesen Lernweltelementen könnten sozusagen noch zusätzliche Beziehungen zueinander aufnehmen, indem die sich jetzt sozusagen kommunikativ austauschen, also selber aktiv werden. Wenn der Schwamm dann mit dem Waschbecken redet.“ (IP3-30)

Situative Abhängigkeiten, die im Vorfeld eine genaue Analyse erforderten, formulierten auch IP5-45,139 und IP6-34. Dabei sei insbesondere auf die sehr heterogenen Lernbedarfe und Arbeitszusammenhänge einzugehen, da beispielsweise Mitarbeiter*innen in der Produktion in völlig anderen lebens-, arbeits- oder lernweltlichen Zusammenhängen stünden als Mitarbeiter*innen mit einem festen Büroarbeitsplatz mit PC. Insofern kämen hier nicht nur andere Lernmethoden, sondern auch andere Lerngegenstände (z. B. mittels Datenbrillen, um die Hände frei zu haben) in Frage, die zunächst im Vorfeld zu definieren seien.

Abhängigkeit von Lerninhalten und Lerngegenständen

Es kann festgestellt werden, dass das Formulieren von generalisierten Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge auf Lehr- und Lernprozesse eine Herausforderung für sämtliche Interviewpartner darstellte. Ein Grund könnte die von allen IPs beschriebene Abhängigkeit von Lerninhalten sowie Lerngegenständen sein. So wurde von allen sieben Interviewpartner festgestellt, dass eine konkrete Antwort dieser Frage, ohne den Lernkontext zu kennen, schwierig sei.

IP2 gab in diesem Zusammenhang Folgendes zu bedenken und fokussiert damit den Lerninhalt als ersten Bezugspunkt der Abhängigkeit:

„Wenn ich jetzt aber eine Sprache vermitteln möchte, Chinesisch lernen, da fehlt mir jetzt der Kontext dann… Die Frage war ja IoT, da fehlt mir der Bezug zu diesem physikalischen Ding. Deshalb sage ich, ist das abhängig vielleicht von dem, was ich schulen möchte, ob mir da IoT hilft, oder nicht.“ (IP2-52)

Im Vergleich dazu stellte IP6 eher die Lerngegenstände in den Mittelpunkt der Abhängigkeiten, indem zunächst geprüft werden solle, welche Lerngeräte (insbesondere Tablets und Smartphones) bereits in Lernumgebungen integriert seien und für Lehr- und Lernprozesse zur Verfügung ständen. Zunehmend würden IP6 zufolge auch Displays, die im Gebäude verbaut seien bzw. überhaupt zur Verfügung ständen, als Lerngegenstände genutzt.

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die Nutzung von Smartphones oder Tablets allein zunächst nichts mit dem Internet der Dinge zu tun haben muss und sich die IoT-basierten Lehr- und Lernprozesse durch die Integration von Smart Objects und deren Vernetzung innerhalb von Cyber-Physischen Systemen manifestieren, in welche in der Regel natürlich auch Smartphones und Tablets eingebunden sind. In einem Beispiel führten IP6 die Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge durch den Lerngegenstand sogenannter Tangibles näher aus:

„Ein System das wir eben nutzen wollen, zum Beispiel um in der Informatikausbildung […] bestimmte Programmierparadigmen und Abstrakte Dinge, die man lernen kann, paralleles Programmieren und so weiter, anfassbar zu machen. Die Idee ist, dass man eben so einen Multitouch Tisch nutzt und darauf so genannte Tangibles, also Geräte, die man anfassen kann, anordnen kann und dass die eine bestimmte Interaktionsform haben, um zum Beispiel parallele Prozesse zu zeigen, wie ich was programmiere und so weiter.“ (IP6-88)

Dieses Beispiel ist aus zweierlei Gründen sehr interessant, da es zum einen die durch IoT ermöglichte Digitalisierung physischer Objekte umdreht, indem abstrakte und digitale Lerninhalte anfassbar und vergegenständlicht werden. Zum anderen werden aber auch bisher nicht digitalisierte Gegenstände wie Tische zu Multitouch-Tischen erweitert, die mit Tangibles in Beziehung stehen. Ein Multitouch-Tisch dient als physische Arbeitsfläche und als Display, auf dem Inhalte für alle Lernenden sichtbar sind. Auf ihm können Lernende mehrere Tangibles (anfassbare Objekte) ablegen, verschieben und manipulieren (vgl. Abbildung 3.33). Der Tisch erkennt die Objekte auf seiner Oberfläche und verfolgt fortlaufend ihre Position und Rotation.

Abbildung 3.33
figure 33

(Quelle: RWTH Aachen)

Tangibles auf einem Multitouch-Tisch als anfassbare Knoten in einem binären Suchbaum

Auf die besondere Relevanz von Touchscreens als Lerngegenstände wurde auch von IP7-48-50 hingewiesen, wobei angemerkt wurde, dass selbst eine komplette Wand im Raum als Display bzw. Touchscreen umfunktioniert werden könnte oder auch in Möbel integrierbar wären. An den Ausführungen von IP7 wurden konkrete Zusammenhänge und Bezüge zu Lernräumen an sich deutlich, da letztlich alle zum Raum gehörenden Bestandteile, von Wänden über Fußböden bis hin zu den Möbeln mit IT angereichert und als Lerngegenstand genutzt werden könnten.

Eine abstraktere Form der Abhängigkeit von Lerninhalten und Lerngegenständen formulierte IP1, indem die von IP6 verdeutlichte Vergegenständlichung digitaler Lernartefakte wie folgt zum Ausdruck kam:

„Also, wenn ich ein Lernszenario über unser Sonnensystem habe, erwarte ich, dass da irgendwie Planeten rumschwirren oder so was. […] Das kann auch eine abstrakte Verkörperung des Lerngegenstandes sein. Aber irgendwie müssen sich die Inhalte, die Lerngegenstände da wiederfinden, ansonsten kann ich sie nicht lernen. Und das muss für mich in so einem Lernraum auch irgendwie funktionieren.“ (IP1163-170)

In diesem Zusammenhang wird auch von einer Überlagerung physischer Lerngegenstände mit virtuellen Inhalten gesprochen. IP5-131 und IP2-52 gingen diesbezüglich auch auf handwerkliche Lernprozesse ein, für die sich IoT-basierte Lehr- und Lernformen besonders gut eignen würden, da von Feilen über Bohrer bis hin zu Motoren und Maschinen bereits vielfältige physische Lerngegenstände zur Verfügung ständen, die entweder durch virtuelle Inhalte überlagert oder gar durch sensorbasierte Datenauswertung in Echtzeit den Lernenden angeben könnten, wie sie die Säge, den Bohrer oder auch die Feile zu bedienen hätten.

Herausforderungen

Abschließend soll in diesem Abschnitt auf die von den Interviewpartnern spezifizierten Herausforderungen eingegangen werden, die sich in Summe darauf bezogen, wirkliche Mehrwerte zu erzeugen, gelungene Mensch-Maschine-Interaktionen zu gestalten sowie den Datenschutz zu berücksichtigen.

Laut IP7 bestünde die wesentlichste Herausforderung darin, pädagogische Mehrwerte zu erzeugen und den Lernenden selbst ins Zentrum jeglicher Gestaltungsarbeiten zu rücken. Das Lernen müsse nach IP7-23 zu einer „beglückenden, erfüllenden, kreativitätsanregenden, positive Emotionen fördernden Erfahrung“ gemacht werden. Dies sei IP7 zufolge die wichtigste Basis für das Gestalten erfolgreicher Lehr- und Lernszenarien.

Auf eine sinnvolle, auf didaktischen Modellen beruhende und nutzengenerierenden Anwendung von IoT auf Lehr- und Lernprozesse verwiesen auch IP3-16-22, IP2-6, IP2-30, IP2-58 und IP5-153. Gleichzeitig wurde betont, dass bei derartigen Entwicklungen, die fundierte Ausgestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion an Bedeutung gewinnen würde und sich die Usability von der reinen Nutzbarkeit der Anwendung in Richtung Experience Design verschieben würde. Demnach müsse auch die Bedienung von technischen Geräten als etwas Erfüllendes und Angenehmes empfunden werden.

Große Herausforderungen in Bezug zum Datenschutz wurden insbesondere von IP1 und IP6 geäußert, wobei laut IP1 der Datenschutz bereits bei der Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen mitkonstruiert werden müsste:

„Vielleicht muss man Datenschutzaspekte bei der Entwicklung von solchen Technologien mitdenken. Also nicht einfach die Datenauswertung in den Mittelpunkt stellen, sondern den Datenschutz bei der Auswertung gleich mit rein konstruieren, also Mechanismen schaffen, dass ein Nutzer*innen seine Daten zwar gibt, aber dann nur für einen bestimmten Zweck gibt und der Algorithmus sicherstellt, dass jenseits dieses Zweckes nichts mit den Daten passieren kann. Dass der Nutzer*innen das auch nachdem er seine Daten gegeben hat noch in der Hand hat.“ (IP1-89)

Von einigen Interviewpartnern wurden zusätzliche Bedenken geäußert, dass beispielsweise durch den Einsatz von digitalen Assistenten präferierte Ansichten und Meinungsbilder zu einer unterschwelligen Manipulation der Lernenden führen könnte oder sich die Informationsaufbereitung durch eine auf Algorithmen beruhende Auswahl negativ auf die Informationskompetenz insgesamt auswirken würde (IP7-18-20, IP1-460, IP4-40). In diesem Zusammenhang wurde von IP4 kritisch angemerkt, dass die Lernenden immer stärker in eine Konsumentenrolle gedrängt werden würden, die laut IP1 letztlich dazu führen könne, dass das Lernen selbst verlernt werden könnte (IP1-458).

Aus der Analyse der Kodierungen geht hervor, dass direkte und indirekte Bezüge zwischen dem Internet der Dinge und dem Entstehen neuer Lehr- und Lernformate im Rahmen der Studie extrahiert und belegt werden konnten. Die von den Expert*innen beschriebenen Funktionszusammenhänge, die im Zusammenwirken zwischen IoT und Lernen stattfinden, entsprechen dabei den in Kapitel 2 theoretisch hergeleiteten Grundlagen zu IoT und SLEs. Obwohl Smart Learning Environments nicht explizit als Begriff bzw. neue Lehr- und Lernform von den IP genannt wurde, lässt sich aus der Studie einen direkten Bezug zum Internet der Dinge schlussfolgern. Dementsprechend können IoT-basierte Lehr- und Lernformate als „Smart Learning Environments“ bezeichnet werden.

Als ein generalisierendes Muster zur Anwendung des Internet der Dinge konnte die Digitalisierung von physischen Lerngegenständen und Lerninhalten sowie die Vernetzung der Lerngegenstände untereinander identifiziert werden. Als dessen Gegenpol konnte ein weiteres Muster abgeleitet werden, welches digitale Lerninhalte im physischen Raum projiziert, um die Lerninhalte zu vergegenständlichen. Die Studie belegt, dass durch die Anwendung des Internet der Dinge auf Lehr- und Lernprozesse fließende Übergänge zwischen digitalen und physischen Lehr- und Lernformaten zu erreichen sind, die über eine Anwendung von rein ubiquitären und adaptiven Lernformen hinausgeht. Die Abgrenzung ist in der Hybridisierung der Lehr- und Lernformate zu verorten, die weder über ubiquitäre noch über adaptive Lernformen, sondern ausschließlich über die Nutzung von IoT erzielt werden kann.

Als Schlüsselelement, das einen fließenden Austausch zwischen informellen, digitalen und personalisierten Lerninhalten einerseits und den formalen sowie analogen Lernformen andererseits gewährleisten könnte, wurde das Konzept der persönlichen Lernumgebung identifiziert. Eine PLE bündelt alle Lerninhalte, Lernergebnisse sowie Lernwerkzeuge der Mitarbeiter*innen, die letztlich über eine Vernetzung mit anderen PLEs als Wissensbasis (Knowledge Ecology) fungieren können.

Die Studie hat ergeben, dass für die Entwicklung intelligenter Lernformate mittels IoT die Cyber-Physischen-Lernsysteme letztlich mit den aktuell stattfindenden Lernprozessen verknüpft werden müssen, um auf Basis der erkannten Kontextdaten als digitaler Lernassistent fungieren zu können. Eine Umsetzung in der Bildungspraxis scheint derzeit allerdings nur bedingt möglich zu sein, da in Bezug auf Data Mining und People Analytics datenschutzrechtliche Gesetze, die die Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe der persönlichen Daten regeln, eine Auswertung im Sinne von Big Data untersagen. Parallel dazu stoßen auch die technischen Möglichkeiten aufgrund der gestiegenen System- und Funktionskomplexität an ihre Grenzen.

Aus der Studie geht darüber hinaus hervor, dass ein bedeutendes Merkmal des Internet der Dinge im Bildungsbereich die konkreten Lehr- und Lernkontexte darstellen. Entsprechend müssen zur Ausschöpfung der IoT Potenziale zunächst umfassende Kontextanalysen durchgeführt werden, um auf einer konkreteren (Micro-)Ebene IoT basierte Interaktionen gestalten zu können, die das Lehren und Lernen optimieren.

3.5.2.3.2 Lernraumgestaltung

Gegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit sind intelligente und hybride Lernräume. Ergebnisse hinsichtlich der Attribuierungen „Intelligenz“ und „Hybridisierung“ wurden im vorhergehenden Abschnitt dargelegt. Der folgende Abschnitt stellt die Ergebnisse in Bezug zur Ausgestaltung der Lernräume dar.

Zusammenhang zwischen Lernraum und Motivation der Lernenden

Die Analyse zeigt, dass alle Interviewpartner davon überzeugt sind, dass die physische, räumliche Umgebung einen direkten Einfluss auf die Lernenden und auf die darin stattfindenden Lehr- und Lernprozesse hat (IP7-23, IP6-108, IP5-165, IP4-80, IP3-44, IP2-66, IP1-204). Dieser Einfluss kann sich positiv wie auch negativ auswirken.

Nach Ansicht von IP4-82 gäbe es da einige wichtige Faktoren. So zum Beispiel die allgemeine Gestaltung, ob diese passend oder eher unpassend gestaltet sei. Oder ob der Raum die Lernenden zu einem „Miteinander“ einlade oder eher nicht. Ob der Raum Barrieren und Hierarchien verstärken würde und die Kommunikation befördern oder gar erschweren würde. Letztlich müsse man sich wohlfühlen. Dies hätte auch viel mit der Steuerung von Licht und Temperatur zu tun.

Für IP3 gehören auch sozialpsychologische Faktoren dazu. So verfüge der Raum regelrecht über „Macht“. Dementsprechend würde der Raum bestimmen, wo man sich hinzusetzen habe oder wo man an Gruppentischen zusammenarbeiten könnte. Ebenso seien die Positionierungen der Personen im Raum entscheidend in dem Sinne, wer sich eher vorne (z. B. Management) oder eher hinten platzieren (z. B. Mitarbeiter*innen) würde.

Sozialpsychologische Einflüsse des Raumes wurden auch von IP6 aufgegriffen, wobei explizit auf einen Zusammenhang zwischen der Möblierung und den möglichen Lernformen hingewiesen wurde. So sei das Klima im Raum entscheidend, wie gut gelernt werden könnte. Verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung zu haben, um die Anordnung von Lerngruppen zu variieren bzw. Sitzordnungen zu ändern, würden sich IP6 zufolge positiv auf didaktische Vielfalt auswirken. Lernprozesse verliefen laut IP6 unterschiedlich, je nachdem, ob Lernende am Tisch, gegenüber im Stuhlkreis, kinoartig oder frontal ausgerichtet seien. All diese Faktoren hätten einen deutlichen „Einfluss auf den Lernprozess und damit auch auf das Lernergebnis.“ (IP6-108)

Einen Zusammenhang zwischen der Motivation zum Lernen und dem emotionalen Erleben eines Raumes formulierte IP1 folgendermaßen:

„Also, so wie Essen mehr Spaß macht, wenn eine schöne Tischdecke drauf ist und die Kerze brennt und der Blumenstrauß dasteht, und man am Ende, selbst wenn man nur Currywurst mit Pommes gegessen hat, irgendwie den Eindruck hat es war viel leckerer und man isst genussvoller und man unterhält sich schöner und am Ende wird der Abend viel romantischer, obwohl es bloß Currywurst mit Pommes war. Und ich glaube, auf die gleiche Art und Weise kann auch Lernen dann beflügelt werden. Und ich denke, dass das was zu tun hat zum Beispiel mit Motivation.“ (IP1-208)

Schlussfolgernd kann konstatiert werden, dass bei der Gestaltung von Lernräumen bestimmte Anforderungen zu erfüllen sind, die sich positiv auf die im Raum stattfindenden Lernsettings auswirken. Nachfolgend werden relevante Gestaltungsprinzipien und Anforderungen an intelligente und hybride Lernräume herausgearbeitet.

Gestaltungsprinzipien und Anforderungen an intelligente und hybride Lernräume

Agiler werdende Arbeitsabläufe erfordern aktive und kreative Lernformen. So zumindest argumentiert IP2-66, der im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit damit konfrontiert ist, IoT-basierte Produkte und Services kundenzentriert entwickeln zu müssen. Entsprechend würden heutzutage auch häufiger Innovationsmethoden eingesetzt, um den Anforderungen des Marktes und der Kunden entsprechen zu können.

IP2 fordert in diesem Zusammenhang Räume, die die Kreativität der Lernenden stimulieren und geradezu zum „Scribbeln “ einladen:

„Wir haben festgestellt, dass seitdem wir dann die Räume umgebaut haben, mehr Kreativität darin zugelassen haben, hellere Räume gehabt haben, mit mehr Licht, Fenstern, wo man auch mal was an die Wand schreiben kann, also gerade mir zum Beispiel hilft das, wenn ich lerne, ich muss immer einen Zettel haben, aufschreiben, an die Wand malen können, das haben wir dann dort in diesen Kreativräumen vor allem ermöglicht, dass man dann auch mit arbeiten kann, also nicht nur visuell, sondern eben halt auch anfassen, haptisch, wir haben entsprechend dann auch Gegenstände reingestellt.“ (IP2-66)

Das gezielte Ansprechen unterschiedlicher Sinneskanäle wurde von mehreren IPs als eine Anforderung aufgeführt, wobei sogar olfaktorische Stimulanz mittels unterschiedlicher Düfte im Raum aufgeführt wurde (IP7-52). Die in diesem Zusammenhang am häufigsten benannte Anforderung bezieht sich darauf, vielfältigste Möglichkeiten zur Visualisierung bereitzustellen. Die Visualisierung sollte jedoch nicht ausschließlich analog, also über viele beschreibbare Flächen bzw. Boards, sondern auch digital ermöglicht werden. IP6-118 beispielsweise verweist auf den Einsatz von Multitouch-Tischen, IP7-45 erläutert den Einsatz einer 3D-Software zu Visualisierungszwecken und IP2-74 betont in diesem Zusammenhang die Nutzung eines interaktiven Whiteboards oder auch Tablets, womit die Zeichnungen und Notizen direkt abgespeichert und hinterher verfügbar wären. Zudem wurden auch haptische, anfassbare Modelle oder andere Lerngegenstände gefordert, die im Raum zur Verfügung stehen sollten (IP6-92, IP2-66, IP1-170).

IP2 zufolge müsse es darüber hinaus auch ein heller und großer Raum sein, ein Lernraum müsse viel Platz für aktives Arbeiten anbieten auch insofern, dass Rückzugsnischen zum konzentrierten Nachdenken genutzt werden könnten. Es dürfe sich keinesfalls um kleine Räume handeln.

Hinsichtlich ästhetischer Gesichtspunkte wird von IP1-196 auf die Bedeutung von Licht, Pflanzen und Bilder hingewiesen, wobei IP4-88 auf eine Zurückhaltung in Bezug zur Farbgestaltung plädiert, da man aufgrund von Farbtrends schnell erkennen könne, in welchem Jahrzehnt der Raum gestaltet wurde. Demgegenüber verweist IP7-57 darauf, dass eine „zu schlichte“ und „zu einheitliche“, also eine Uniformierung der Möblierung aus ästhetischen Gesichtspunkten vielleicht zielführend sei, im Hinblick auf Lehr- und Lernprozesse jedoch auch inspirierendes, vielfältiges und durchaus auch abwechslungsreiches Mobiliar benötigt werden würde.

Diese These wurde auch von IP3 gestützt, der das Erzeugen einer angenehmen Raumatmosphäre mittels Upcycling empfahl:

„Also viel Atmosphäre entsteht eben auch durch Upcycling, da könnte man jetzt so ein bisschen philosophisch werden, also die Dinge, die durch ihre Gebrauchsspuren, durch ihre Nutzung und so weiter, die laden sich ja sozusagen auch mit Kontext, mit Stimmung oder Atmosphäre auf und das ist ja so auch die Macht der Dinge, dass die so eine dingliche Kraft auch entfalten, die oft auch sehr unmittelbar wahrnehmbar ist. Weiß nicht, ein altes Bügeleisen oder eine alte Schreibmaschine oder ein abgekauter Bleistift, der hat schon irgendwo eine Prägnanz, die auch sehr schnell wahrgenommen wird. Und diese Prägnanz oder auch diese Intensität, die fehlt halt Sachen, die halt eben nicht Geschichten haben. Also Atmosphäre und sowas bildet sich oft, nicht ausschließlich aber um solche stimmungshaltigen Gegenstände.“ (IP3-116)

Von insgesamt vier Interviewpartner wurden fließende Raumgrenzen als Anforderung benannt. IP7-55 formulierte in diesem Zusammenhang eine Erweiterung des physisch begrenzten Raumes auch auf Außenbereiche bzw. auf ein Zonenkonzept der Büro- und Arbeitsflächen insgesamt. Demnach müssten verschiedene Zonen zum Lernen genutzt werden können, wie z. B. „Entspannungszonen, Arbeitszonen, Individualzonen oder Gruppenzonen.“ Das Prinzip der fließenden Raumgrenzen wurde aber auch im Sinne einer digitalen Lernraumerweiterung umschrieben. So verwiesen IP6-84;104 und IP5-159;167 darauf, dass das Lernen ja mittlerweile überall stattfinde. Ob auf der Straße, Zuhause, auf dem Arbeitsweg oder wo auch immer, die Lernorte würden mit der Verfügbarkeit mobiler Endgeräte und Zugang zum Internet verschwimmen. Dementsprechend könne man heutzutage alles als „Lernraum“ bezeichnen.

Mit dem Begriff der Immersion beschrieb IP1 die Erweiterung des physischen Raumes wie folgt:

„Und dieser Effekt des hineingezogen Werdens, gefesselt Werdens ist da wahrscheinlich viel wichtiger, um diesen dahinterstehenden großen virtuellen Möglichkeitenraum, so nenne ich es mal, tatsächlich nutzen zu können. Das hat wieder glaube ich ganz viel mit dem Design zu tun. Design im Sinne von einer freundlichen Optik. “Is dat hübsch!”, aber auch Design im Sinne von Interaktionsdesign. Wie leichtgängig sind die Interaktionen. Wie natürlich sind die?“ (IP1-209)

Die deutlich am häufigsten genannte Anforderung bezieht sich auf die Flexibilität des Raumes (IP7-47, 55, 63; IP6-121,125,127; IP4-84-88; IP1-144,215-218,224-226). So bezeichnete IP7 einen Raum als intelligent, sofern dieser alle denkbaren didaktischen Überlegungen unterstützen könne (IP7-47). Heutzutage sei es aber meistens so, dass der Raum die Didaktik einschränke, weil der Raum keine Möglichkeit zur Personalisierung oder auch zur Umgestaltung anbiete. Entsprechend müsse die komplette Ausstattung des Raumes weitgehend mobil sein, es müsse sozusagen alles an die Bedürfnisse der Lernenden anpassbar sein. IP6 umschrieb die Notwendigkeit einer flexiblen Ausstattung wie folgt:

„Sie brauchen Infrastruktur, die flexibel gestaltbar ist, weil damit dann verschiedene didaktische Konzepte abbildbar sind […] Das gilt sowohl für einen Raum und die Raumgestaltung, als auch eben für die Programme, die dabei zum Einsatz kommen.“ (IP6-121)

Laut IP6 bezieht sich demnach die flexible Nutzung also nicht nur auf die physischen Gegenstände und das Mobiliar im Raum, sondern auch auf die digitalen Werkzeuge, die ein Raum anbieten sollte. Entsprechend müsste ein Raum beispielsweise für das didaktische Setting einer interaktiven Präsentation digitale Tools wie z. B. Mentimeter bereitstellen. Und für Projektarbeit müssten entsprechende Kooperationstools zur Verfügung stehen etc. (IP6-118).

IP1 sieht in der flexiblen Gestaltung und in der Möglichkeit zur Personalisierung eine indirekte Aufforderung an die Lernenden selbst, die dadurch in die Lage versetzt würden, sich den eigenen Lernraum so zu gestalten, dass es ihren Bedürfnissen am ehesten entsprechen würde:

„Der Raum muss dazu einladen, dass man ihn sich aneignet. Also, er muss nicht dazu zwingen, aber er muss dazu einladen.“ (IP1-215)

Darüber hinaus wurde die Interaktion und der Austausch mit Menschen als Anforderung an einen Lernraum benannt. IP3 betonte, wie wichtig es sei, sich in einer „Peergroup bzw. Learning Group“ auszutauschen und gemeinsam Fragen stellen zu können, in Diskussion zu treten und Lösungen entwickeln zu können (IP3-66). Interaktion und Austausch könne mit analogen Materialien wie z. B. mit Papier, Boards, Templates und Post its, aber auch digital, z. B. mit Touchscreens, Smart Boards oder Apps etc. unterstützt werden (IP6-86).

Als neuartige Funktion könne ein intelligenter Raum nach IP3-34 relevante Informationen automatisiert auf einem großen Touchscreen zur Verfügung stellen, der darüber hinaus auch „Relevanzfelder“ herausarbeiten könne, also diejenigen Informationen im Informationsüberfluss findet, die für die jeweiligen Lernenden besonders relevant sein könnten, z. B. in Abhängigkeit der jeweiligen Branche, des aktuellen Wirtschaftsgeschehens etc. In einem ähnlichen Kontext formulierte IP1 die Anforderung, dass man beim Lernen schließlich Dinge in Bezug setzen, verbinden, verlinken oder kommentieren müsse (IP1-184). Dies könne über eine entsprechende Visualisierung gefördert werden. Auf das Visualisieren und in Beziehung setzen von Lerninhalten ging auch IP7 wie folgt ein:

„Oder beim kognitiven Bereich Dinge, Zusammenhänge aufzuzeigen oder aufzeigen zu lassen. Also ich verwende gerne das Programm Scapple, das ist ein total primitives Programm, aber ich merke, dass mir das hilft, Dinge so zusammenzubringen, für mich zu klären, wie ich das vorher nicht konnte.“ (IP7-50)

Scapple ist ein Softwareprogramm, mit Hilfe dessen man digitale Mindmaps erstellen kann (vgl. Abbildung 3.34).

Abbildung 3.34
figure 34

Screenshot aus der Anwendung Scapple

Nun könnte man o.a. Funktionalität mit einem kollaborativen Lernansatz in der Form verbinden, dass das System bzw. der Raum eine erste Wissenslandkarte auf Grundlage der Daten erstellt, die ihm zur Verfügung stehen. Die jeweiligen Lerngruppen könnten dann anhand der vorhandenen Wissenslandkarte die Inhalte neu arrangieren, ordnen, strukturieren, ergänzen und annotieren. Nun könnte ein derartiges Vorgehen auch analog über Stellwände o.ä. umgesetzt werden. Digitalisierte „Wissenslandkarten“ hätten demgegenüber den Vorteil, unterschiedlichste Medien wie z. B. Videos, Animationen etc. integrieren zu können. Darüber hinaus wäre eine digitalisierte Zusammenstellung der Inhalte über das Internet leichter anpass- und veränderbar, als wenn die Informationen bereits im Vorfeld vom Lehrenden recherchiert und ausgedruckt wurden. Auf diese Weise könnten interaktive Wissenslandkarten in Gruppen erstellt werden, die über entsprechende Cloud-Lösungen (wie z. B. OneNote) zudem einfach auf mobile Endgeräte zu übertragen und somit auch nach der Schulung verwendbar wären.

Ein Dienst, der automatisierte Wissenslandkarten erstellt ist beispielsweise Open Knowledge Maps. Die Software visualisiert browserbasiert wissenschaftliche Publikationen zu einem eingegebenen Suchbegriff (vgl. Abbildung 3.35).

Spannend wäre in diesem Zusammenhang eine Kopplung mit der von IP6-19 beschriebenen „Knowlege Ecology“, einer vernetzten Wissensbasis, die auf den Inhalten der einzelnen Personal Learning Environments (PLEs) der Lernenden im Raum (oder auch eines ganzen Unternehmens) beruhen würde. Auf diese Weise könnten zum einen individuelle PLEs visualisiert und v. a. auch Bezüge zu anderen PLEs hergestellt werden, indem direkte oder indirekte Verbindungen zu anderen Fachthemen, Fachbereichen, Personen, Projekten, Dokumenten, Präsentationen und Expert*innen etc. visualisiert würden.

Abbildung 3.35
figure 35

Beispiel einer Open Knowledge Maps Visualisierung

Im Ergebnis könnte über die Beteiligung aller Lernenden bzw. Mitarbeiter*innen im Sinne eines Crowdsourcing Ansatzes und über eine jahrelange Nutzung bzw. Pflege und Kuration der Inhalte in den PLEs eine Art Biblionetz im Corporate Learning Bereich entstehen.

Das Beat Biblionetz ist eine von Prof. Dr. Beat Döbeli Honegger angelegte Sammlung aus Literaturquellen, Begriffen, Expert*innen, Thesen, Links sowie Zitaten zu einem Hypernetzwerk mit ca. 600.000 internen Verknüpfungen. Dieses Hypernetzwerk zum Thema konstruktivistischer Lehr- und Lerntheorien wurde von nur einer Person seit 1996 über viele Jahre hinweg aufgebaut. Durch die Hyperstruktur werden die Inhalte nicht losgelöst visualisiert, sondern Bezüge zu anderen Autor*innen, Zitationen, Büchern, Aussagen oder Begrifflichkeiten hergestellt.

Auf die Vernetzung mit Expert*innen im eigenen Unternehmen oder auch via Twitter oder anderer Netzwerke verwies auch IP2-62, wobei oben skizzierte Wissenslandkarte in Anlehnung an Beats Biblionetz als ein konkretes Hilfsmittel zur Erschließung wichtiger Informationen und Netzwerke genutzt werden könnte:

„Also ich glaube, das ist schon ein wichtiger Teil, […] dass Lernende sich zu einem Themengebiet, was gerade geschult wird, auch vernetzen können und möglichst passende viele Informationen dazu dann auch sammeln können. In Form von Austausch, in Form von Bildern, in Form von Virtual Reality.“ (IP2-62)

Eine Übertragung des Vorgehens von Beat Döbeli Honegger zum Aufbau einer persönlichen Lernumgebung auf einen Unternehmenskontext im Sinne des lebenslangen Lernens, die dann als Knowledge Ecology der Smart Learning Environments genutzt werden könnte, wäre zumindest denkbar und zu diskutieren.

Als technische Anforderung an intelligente Lernräume wurden von IP7-51 und IP4-82 die individuelle Steuerung von Licht und Temperatur aufgeführt, wobei IP2-82 auch eine Sprachsteuerung z. B. mittels Amazon Echo in Erwägung zog. Über die Sprachsteuerung könnten laut IP2 auch weitere Funktionalitäten und Services des Raumes aufgerufen und ausgelöst werden, wie Z.B. das Erstellen einer Wissenslandkarte auf Basis spezifischer Suchbegriffe. Letztlich sei nach IP6-86 das Prinzip immer das gleiche, nämlich die Auswertung von Daten über Sensoren, über Lernprozesse und Lernangebote. Die im Raum vernetzten Lerngegenstände könnten sich entsprechend austauschen und den Lernenden passende Angebote machen.

Von einigen Interviewpartnern wurden weitere konkrete Beispiele beschrieben, über welche Ausstattung oder Funktion ein intelligenter Lernraum verfügen sollte (Abbildung 3.36):

„Oder absehbar ist, dass man irgendwann mal Folien hat, die man auf die Wand aufrollt und dann darauf die Präsentation laufen lässt.“ (IP7-42)

„[…] vielleicht ist auch ein intelligenter Raum einer, der sich so anpasst, von den Farben, von den Stimmungen her, […] dass ich einfach sage: Ok, visualisiere mir doch jetzt mal folgende Zusammenhänge, System.“ (IP7-50)

„Oder jetzt möchte ich mal meinen Partner, mit dem ich Skype, in groß sehen und mit dem kommunizieren. Und demnächst möchte ich da gemeinsam mal so eine Mindmap malen und alle können da gemeinsam an der Wand arbeiten, sodass vielleicht die Wände einfach sehr multifunktional sein werden.“ (IP7-50)

„Es gibt einen Beamer, den kann ich aber überall hin ausrichten und über die Tablets können die Schüler sich jederzeit auf den Beamer schalten und was zeigen und präsentieren.“ (IP7-70)

„Im Prinzip gehen wir davon aus, dass in vier, fünf, sechs Jahren im Prinzip Virtual Reality auf dem Tablet möglich sein wird. Also die Technologien, dass man 3D-Darstellungen und so mit Tablets machen kann. […] hier am Beispiel der Virtual Reality Cave, dass man sagt okay, man kann jetzt zum Beispiel auch lernen, Chemie und solche Prozesse, man kann ja Moleküle auch virtuell anfassbar gestalten“ (IP6-95)

„Also man hat vielleicht ein Molekülmodell, das ich mir erstmal so betrachten kann, aber jetzt kann ich in der Virtual Reality oder Augmented Reality vielleicht reinzoomen oder noch irgendetwas machen.“ (IP6-100)

„[…] weil natürlich alle Musikinstrumente zukünftig digital sein werden und technologisiert und natürlich können sie lernen von Musikinstrumenten durch Echtzeitnutzung von Daten.“ (IP5-63)

„Selbst die Reckstange in der Trainingshalle ist natürlich IoT-mäßig in der Zwischenzeit schon längst vernetzt.“ (IP5-63)

„[…] also können sie beispielsweise die Feile so mit Sensorik und Aktorik ausgestattet, dass sie selber digital wird? Können sie dann mit ihrem Smartphone, irgendwelchen Applikationen sensorbasiert aufzeichnen? Und plötzlich machen sie aus der klassischen Ausbildungssituation eine cyber-physische Basis für IoT.“ (IP5143)

„Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel. Der Beamer und die Leinwand. […] Sie bauen dann einfach in die Beamerhalterung einen Motor rein. […] der Motor passt sich halt an das Lernszenario an und steuert in der Seminarsituation, wo hingebeamt wird. Dann ist es immer noch der stinknormale alte Beamer. Aber er wird plötzlich intelligent.“ (IP1227)

„Die Wand ist dann die, mit der ich physisch interagiere, obwohl ich eigentlich damit das Ding meine, was auf die Wand projiziert ist. Zum Beispiel. Aber ich würde da wirklich abstrahieren von dem physischen Gegenstand oder von irgendeinem virtuell überlagerten Gegenstand.“ (IP1-174)

Abbildung 3.36
figure 36

Beispiele für Mixed-, Virtual- und Augmented Reality Lernanwendungen

Die Studie zeigt, dass die Ausgestaltung von Lernräumen einen wesentlichen Einfluss auf die darin potenziell umsetzbaren didaktischen Konzepte hat. Es konnten dementsprechend Gestaltungsprinzipien identifiziert werden, die eine maximale didaktische Variation ermöglichen und einen Infrastrukturellen Rahmen für erfolgreiche (IoT-)Lernsettings bieten.

Darüber hinaus zeigt die Studie, dass IoT-basierte Lehr- und Lernformen in Wechselwirkung mit dem physischen Raum stehen. Schlussfolgernd müssen die im Raum befindlichen (Lern-)Gegenstände mit IoT Komponenten angereichert und zu cyber-physischen-Systemen vernetzt werden, um aus traditionellen Lernräumen, hybride und intelligente Lernräume entwickeln zu können. Im Zentrum IoT-basierter Lernräume steht stets der fließende Wechsel zwischen analogen und digitalen Lerninhalten sowie Lerngegenständen, die im Raum visualisiert und bearbeitet werden können.

Es wurde deutlich, dass bereits vielfältige Ideen existieren, welche Funktionalität bzw. welche Ausstattung ein intelligenter und hybrider Lernraum haben könnte. Dabei wurde von den Interviewpartnern natürlich nicht darauf geachtet, ob als Technologie nun IoT genutzt wurde oder nicht. Viele Beispiele bezogen sich auf digitalisierte Lernräume bzw. Lernformen z. B. mit Hilfe von Projektionen oder Virtual Reality, die zunächst keinen Bezug zum Internet der Dinge erkennen ließen, aber unter Umständen innovative Lernformate in der Weiterbildung eröffnen.

3.5.2.3.3 Modellierung

Ziel der Modellierung ist es, die Komplexität von Smart Learning Environments zu reduzieren und ein Entwurfsmuster mit den relevantesten Einflussfaktoren für den Gestaltungsprozess zur Verfügung zu stellen. Die Extraktion der Einflussfaktoren basiert dabei auf einer interdisziplinären Literaturanalyse aus den Fachdisziplinen der Bildungswissenschaften, der Informatik sowie Raumgestaltungskonzepten der Architektur. Das Modell soll als ein Teil des Gesamtkonzeptes einen Rahmen, also ein Framework für die praktische und interdisziplinäre Gestaltungsarbeit liefern, um im Ergebnis didaktisch begründete SLEs entwickeln zu können.

Wie bereits in Abschnitt 3.5.2.1 beschrieben, wurde ein erster Modellentwurf (vgl. Abschnitt 3.4) auf Basis der Literaturanalysen entworfen und im Rahmen der Interviews mit den Expert*innen validiert. Hierzu wurden mündliche sowie schriftliche Bewertungen, Hinweise und Anmerkungen von den Expert*innen eingeholt und systematisch ausgewertet (vgl. Abschnitt 3.5.2.2). Im Folgenden werden die Ergebnisse dargestellt.

Qualitative Auswertung

IP7-81 merkte an, dass eine wesentliche Ebene im Modell fehlen würde, und zwar die Ebene der „kulturellen Verortung“. So hätten beispielsweise Asiaten gänzlich andere Umgangsformen, die sich auch in Lehr- und Lernprozessen widerspiegeln würden. Auch von IP5-202 wurde darauf hingewiesen, dass sich das Modell insgesamt auf unterschiedlichen Ebenen bewegen würde, und dass dies in einer Überarbeitung zu überdenken sowie zu schärfen sei.

Fehlen würde zudem die konkrete Interaktion der Menschen im Raum (IP7-77). Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte auch IP3-128, indem darauf hingewiesen wurde, dass soziale Dynamiken und Interaktionen im Modell nicht abgebildet werden würden. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass die Bedürfnisse und Ressourcen zwischen Großunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen unterschiedlich seien und dies in einer Art „Check-Liste“ erhoben werden könnte (IP7-129).

Laut IP6-155 stelle das Modell einen Idealzustand dar, den kaum ein Unternehmen erreichen könne. Das Modell sei zwar theoretisch fundiert, trotzdem müsse man definieren, welche der Faktoren zwingend und welche optional zu berücksichtigen seien. Dies könne man auch gut mit Hilfe einer SWOT-Analyse machen. Zudem wurde die Komplexität des Modells als kritisch eingestuft (IP6-196, 163), da es Faktoren bündele, die in einer unübersichtlichen Vielzahl an wechselseitig bedingten Abhängigkeiten zueinander stünden, so dass sich auf dieser Basis keine konstruktive Gestaltungsarbeit vornehmen lassen würde. Darauf aufbauend wurde auf die „Activity Theory“ verwiesen, bei welcher die konkreten Tätigkeiten im Mittelpunkt stehen würden (IP6-223). Insofern deckte sich diese Einschätzung mit der von IP7-77 benannten fehlenden Interaktion.

IP5-210 wies darauf hin, dass die im Modell sprachlich gefasste und formal geordnete Darstellung der Begrifflichkeiten als eine zugrundeliegende Ontologie nicht stimmig sei. Es müssten deutlichere Abgrenzungen zwischen den einzelnen Faktoren erkennbar sein. Zudem müssten die durch die Grafik erzeugten Hierarchien und sequenziellen Abfolgen überdacht sowie Beziehungen der Begriffswelten untereinander herausgearbeitet werden. Als zu ergänzende Begriffe wurden „Business Development“, „Governance“ und „Compliance“ zur Vervollständigung eines Top-Down Ansatzes aufgeführt, da das Modell an sich sehr Bottom-Up getrieben sei (IP5-219).

Von IP2-171 wurde positiv hervorgehoben, dass der Mensch im Mittelpunkt des Gestaltungsprozesses angeordnet sei und es keinen vorgegebenen, strukturierten Pfad von A nach B gäbe, sondern dass iterative Schleifen in einem dynamischen Gestaltungsprozess vollzogen werden könnten (IP2-189).

Deutlich am häufigsten angemerkt wurden die im Modell implizierten Wechselwirkungen zwischen den Einflussbereichen sowie den Faktoren untereinander, die jedoch nicht visualisiert bzw. herausgearbeitet seien (IP7-129, IP6-158, IP6-182, IP5-273, IP5-298-302, IP3-124-126, IP1-309, IP1-316-326). So wurde von überwiegend allen Interviewpartnern beanstandet, dass die Entwicklung eines klaren Beziehungsgeflechts sinnvoll wäre, das mögliche Start- und Endpunkte sowie Arten der Beziehungen festlegen würde. Zur Visualisierung könnten dicke vs. dünne Striche, Kreise vs. Dreiecke als Verbindungsknoten oder aber auch Pfeile genutzt werden. IP7 formulierte dies wie folgt:

„Es entsteht für mich so kein Netzwerk von den verschiedenen Aktivitäten, oder von den verschiedenen Elementen, sondern es sind Wege, die dann nachher auf einen Punkt zuführen, aber es gibt natürlich Querverbindungen auf allen Ebenen, die in irgendeiner Form thematisiert werden müssten, meiner Ansicht nach. Oder auch irgendwie visuell dargestellt werden müssten.“ (IP7-129)

Darüber hinaus sei zu klären, ob es sich um eine sequenzielle Abfolge aller Faktoren handele und falls ja, in welcher Reihenfolge diese angeordnet wären. IP1-310 merkte zudem an, dass eine Operationalisierung sinnvoll sei, um die abstrakten Begrifflichkeiten zu schärfen.

Da unter Umständen ein spezifischer Entwicklungsgrad bestimmter Faktoren vorausgesetzt werden müsste, um überhaupt SLEs gestalten zu können, schlug IP1-321das Festlegen von Mindestvoraussetzungen vor, die über ein Reifegradmodell analysiert werden könnten und für jedes Unternehmen einen eigenen „SLE-Reifegrad“ liefern würden.

Von insgesamt vier Interviewpartner wurden alternative Darstellungsformen in Erwägung gezogen (IP7-129, IP5-263, IP5-279, IP3-124, IP1-299). Als optionale Darstellungsformen wurden eine Mind-Map Struktur oder aber auch eine Netzwerkstruktur genannt. Demgegenüber entwarf IP3 eine plastische und dreidimensionale Darstellung in Form eines Origami:

„Also das wären sozusagen irgendwie so eine Einverfaltung jetzt, also das sieht ja schon aus wie so ein Origami-Ding, also ich stelle mir das vor wie diese Dinger, die man auffalten kann, mal so, mal so, mal so.“ (IP3-124)

Eine modellhafte Darstellung aus einem gefalteten Origami würde in einer sehr plastischen Art und Weise die Querverbindungen der unterschiedlichen Einflussbereiche und Faktoren verdeutlichen können.

Neben den eher grundsätzlichen Anmerkungen gab es auch spezifische Verbesserungsvorschläge und Anmerkungen zu den jeweiligen Einflussbereichen sowie zu spezifischen Faktoren. So wurde von IP5-213 auf eine unterschiedliche Darstellung der Faktoren aus dem Einflussbereich der „Unternehmens- und Lernkultur“ hingewiesen, bei welcher mittels gegensätzlicher Begriffspaare ein Unterschied verdeutlicht werden sollte. IP5 vertrat hierbei die Meinung, dass die Beschreibungen der Faktoren auf eine einheitliche Art und Weise erfolgen müsse. Demgegenüber wurde eben diese Darstellungsform von IP1-305 als sehr anschaulich wahrgenommen, das aus folgender Reaktion geschlussfolgert werden kann:

„Da musste ich mich gerade zurücklehnen. Das hat einfach weh getan, weil das gerade die Punkte sind, über die ich hier […] auch so schmerzhaft nachdenke. Welche Kultur leben wir durch die Art und Weise, wie bestimmte Akteure eben gestrickt sind oder handeln? Was entsteht dadurch für Kultur? Es, also, ja, Innovationsfreudigkeit und so was hängt ja so viel dran.“ (IP1-305)

Innerhalb des Einflussbereichs der IT-Infrastruktur wurde von IP6-104 der Bezug zwischen dem Faktor „Lieferung Nutzer*innenorientierter Inhalte“ und einer „Knowledge Ecology“ betont. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass der Datenaustausch und die Kommunikation zwischen unterschiedlichen persönlichen Lernumgebungen (PLEs) immer durch die PLE Inhaber*innen selbst zu steuern sein müsse. Von IP5-227 wurde der Oberbegriff „IT-Infrastruktur“ kritisiert, da die zugeordneten Faktoren nicht dazu passen würden und eher einem „IT-Management“ oder „Applikationsmanagement“ zugeordnet werden könnten. Insgesamt müssten die Faktoren mit ihren Begrifflichkeiten nochmals überdacht und sachlogisch geschärft werden. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch IP1-348-358, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die Faktoren „neuronale Netze“, „Klassifizierung der Inhalte“ und Lieferung Nutzer*innenorientierter Inhalte“ eigentlich alle unter den Faktor „Empfehlungssystem“ zu fassen seien.

Für den Einflussbereich der „Bedürfnisse“ wurde von IP5-204 bemängelt, dass auch hier die Oberkategorie mit den zugeordneten Faktoren nicht stimmig sei, da die Faktoren insgesamt mehr abbilden würden, als was unter dem Begriff „Bedürfnisse“ zusammengefasst werden könnte. Als Verbesserungsvorschlag wurde „Nutzermodellierung“ genannt. Innerhalb des Einflussbereichs der „Bedürfnisse“ sah IP1-277-286 einen Widerspruch zwischen den Faktoren „persönliche Lernumgebung“ sowie „persönliche Kompetenzentwicklung“ mit dem Faktor „Lernbegleitung“. Dies wurde so begründet, dass selbstgesteuertes Lernen ja schließlich bedeuten würde, dass man alleine lernt ohne Steuerung von außen. Nachdem von der Forscherin der Einwand erfolgte, dass nicht alle Mitarbeiter*innen per se in der Lage seien, selbstgesteuert und selbstverantwortlich zu lernen, wurde sich darauf verständigt, die Lernbegleitung nicht ausschließlich über die Personalabteilung zu „verordnen“, sondern diese nur bei Bedarf anzubieten sowie auch Angebote auf „Peer-Ebene“ zu initiieren. Demnach könnten sich dann selbstorganisierte Lerngruppen bilden, wobei sich die Mitarbeiter*innen gegenseitig unterstützen würden. Diese Form der Lernbegleitung wurde von IP1 als „Lernbegleitung auf Peer-Ebene“ bezeichnet (IP1-284).

IP4-153-158 führte während der Besprechung zum Einflussbereich der „Ausstattung“ das Thema der simulierten bzw. immersiven Lernwelten auf. So wurde argumentiert, dass für Virtual Reality Lernanwendungen entsprechende VR-Datenbrillen im Raum zur Verfügung stehen müssten. IP1-378 plädierte hinsichtlich der sequenziellen Abfolge der Ausstattungsfaktoren auf eine grundsätzliche Überarbeitung einer visuell erkennbaren Sequenzierung, falls dies keine beabsichtigte Reihenfolge zur Abarbeitung der einzelnen Schritte bzw. Faktoren implizieren solle.

Zum Einflussbereich „Architektur“ wurde lediglich von IP1-382-384 angemerkt, dass unter Umständen die Faktoren „Stromversorgung“ und „Tragfähigkeit“ zu ergänzen wären.

Es kann konstatiert werden, dass die meisten Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge von Expert*innen aus dem Bereich der Informatik formuliert wurden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Verfahren der Modellierung eine in der (Wirtschafts-)Informatik gängige Methode aus dem Bereich des Information Systems Design darstellt, wohingegen sozial- oder wirtschaftswissenschaftlich orientierte Expert*innen eine andere Perspektive auf die Modellierung erkennen ließen. Entsprechend kann geschlussfolgert werden, dass das interdisziplinäre Sampling der Expert*innen (vgl. Abschnitt 3.5.2.1.3) dazu beigetragen hat, die Qualität der Validierung zu erhöhen.

Quantitative Auswertung Teilstudie 2:

Im Ergebnis der quantitativen Auswertung weist der Befund darauf hin, dass das vorliegende Modell mit einem Mittelwert von 2,11 zunächst grundsätzlich dazu geeignet scheint, Smart Learning Environments didaktisch fundiert gestalten zu können. Die quantitative Auswertung ist jedoch aufgrund der geringen Stichprobengröße von n = 9 nicht repräsentativ und fallbezogen auf den Untersuchungsgegenstand zu interpretieren. Darüber hinaus geben die statistischen Werte keine Hinweise auf konkrete Verbesserungsmöglichkeiten bzw. in welcher Weise das Modell zu modifizieren ist. Dementsprechend trug die Anreicherung der quantitativen Ergebnisse durch die im vorhergehende Abschnitt geführte qualitative Auswertung zum Erkenntnisgewinn sowie zur empirischen Qualität bei.

Trotz der geringen Aussagekraft der quantitativen Auswertung kann festgestellt werden, dass die Expert*innen jeden Einflussbereich als wichtig für den Gestaltungsprozess von SLEs einschätzten. Entsprechend weisen die Befunde darauf hin, dass eine interdisziplinäre und soziotechnische Sichtweise förderlich ist, um den Untersuchungsgegenstand von SLEs tiefer und umfassender als bisher zu beschreiben und letztlich gestalterisch umsetzen zu können. Demnach kann geschlussfolgert werden, dass auch der interdisziplinäre wissenschaftliche Zugang fruchtbar für die Modellentwicklung war, da die ermittelten Faktoren überwiegend als relevant im Hinblick auf die Gestaltung von SLEs erachtet wurden. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus den errechneten Mittelwerten, die über alle interdisziplinären Gestaltungsbereiche hinweg ermittelt wurden (vgl. Abschnitt 3.5.2.2.4). Gleichzeitig kann konstatiert werden, dass sich qualitative Forschungsmethoden gerade bei komplexen Sachverhalten wie SLEs besser eignen, um nicht nur fachliche Einschätzungen, sondern eben auch konkrete Verbesserungshinweise zu ermitteln.

Re-Design der Modellierung

Aus der Validierung des ersten Modellentwurfes (vgl. Abschnitt 3.4) ergibt sich im Sinne eines Design-Based Research Ansatzes (vgl. Abschnitt 3.3) ein Re-Design des ursprünglichen Modells, das auf Basis der vorangegangenen Ergebnisanalysen beruht. Entsprechend wurden die Ergebnisse aus den Abschnitten 3.5.2.3.1 und 3.5.2.3.2 gebündelt, Erfolgsfaktoren abgeleitet und in einer überarbeiteten Modellierung zusammengeführt. So wertvoll die Ausführungen der Interviewpartner waren, so schwierig gestaltete sich deren Umsetzung im Rahmen einer umfassenden Überarbeitung des Modells, welches allgemeinverständlich ist und möglichst operationalisierte, abgrenzbare und prägnante Faktoren beinhaltet. Da hierbei nicht alle Verbesserungsvorschläge und Anmerkungen der Interviewten einfließen konnten, stellt das Re-Design notwendigerweise Verkürzungen komplexer Sachverhalte dar. Im Folgenden werden die wesentlichen Anpassungen je Einflussbereich dargestellt.

Zunächst einmal wurden die Handlungsfelder „Mensch“ und „Raum“ durch eine neue Struktur ersetzt, da die ursprüngliche Systematisierung zu viel Interpretationsspielraum und zu wenig Struktur erkennen ließ. Die neue Struktur orientiert sich im Sinne eines soziotechnischen Gesamtsystems an dem von Urie Bronfenbrenner (1979) entwickelten ökosystemischen Ansatz, der eine Systematik von unterschiedlichen Einflussfaktoren auf die menschliche Entwicklung liefert. Bronfenbrenner unterscheidet hierbei vier unterschiedliche Ebenen, auf denen die Einflussfaktoren auf den Menschen wirken (Bronfenbrenner, 1979). Diese bezeichnet er als Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosysteme (vgl. Abbildung 3.37).

Abbildung 3.37
figure 37

(Quelle: Bronfenbrenner 1979)

Der ökosystemische Ansatz zur Systematisierung von Einflussfaktoren auf die menschliche Entwicklung

Im Rahmen der Datenanalyse konnten eine „globale, kulturelle Verortung“ sowie „Interaktionen“ als fehlende Ebenen ermittelt werden. Diese fehlenden Ebenen entsprechen nach Bronfenbrenner einem Mikro- sowie Makrosystem, da das ursprüngliche Modell ausschließlich Einflussfaktoren auf einer Meso- und Exoebene beschrieben hatte. Entsprechend bietet sich zum Re-Design des SLE-Modells die Adaption des ökosystemischen Ansatzes nach Bronfenbrenner (1979) an. Unter Anwendung des ökosystemischen Modells auf eine Neustrukturierung von SLE-Einflussfaktoren ergibt sich eine neue Struktur, die in Abbildung 3.38 dargestellt ist. Daraus abgeleitet können folgende, grundsätzliche Ebenen im Rahmen des SLE-Modells unterschieden werden:

  • Das SLE-Makrosystem ist die Gesamtheit aller Beziehungen in einer Gesellschaft, damit auch der Normen, Werte, Konventionen, Traditionen, der kodifizierten und ungeschriebenen Gesetze, Vorschriften und Ideologien.

  • Ein SLE-Exosystem ist ein Beziehungsgeflecht, dem die Person, die ein SLE verwendet, nicht direkt angehört, so dass sie nur einen beschränkten oder gar keinen Einfluss auf dessen Gestaltung hat.

  • SLE-Mesosysteme bezeichnen die Gesamtheit der SLE-Beziehungen eines Menschen, also die Summe der SLE-Mikrosysteme und die Beziehung zwischen ihnen.

  • SLE-Mikrosysteme umfassen die unmittelbaren Beziehungen und Interaktionen der Lernenden innerhalb eines SLEs. Die Interaktionen können dabei entweder ausschließlich zwischen einer Person und dem SLE oder auch innerhalb eines kollaborativen Lernsettings mit anderen Lernenden stattfinden.

Abbildung 3.38
figure 38

(nach Bronfenbrenner 1979)

Adaption des ökosystemischen Ansatzes nach Bronfenbrenner zur Systematisierung von SLE-Beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen

In einem zweiten Schritt wurden die ursprünglichen Einflussbereiche dahingehend überarbeitet, dass eine Neuordnung der Begrifflichkeiten erfolgte, um die im Modell sprachlich gefasste und formal zugrundeliegende Ontologie zu verbessern. Dabei wurden für alle Einflussbereiche neue Oberkategorien (Überschriften) formuliert, die zugeordneten Faktoren besser voneinander abgegrenzt sowie über eine zusätzliche Beschreibung operationalisiert. Bedeutungsgleiche Faktoren wurden entfernt und unter Umständen auch neue Begriffe hinzugefügt, falls diese zu einer stringenteren Begriffsstruktur beigetragen haben. Aus der sachlogischen Überarbeitung der Begriffsstruktur ging darüber hinaus die Zusammenlegung der Einflussbereiche „Digitale und physische Ausstattung“ und „Architektur“ hervor. Sehr kleinteilige Faktoren wurden dabei geclustert und innerhalb von neuen Oberbegriffen als Faktor aufgenommen.

Nachfolgend werden die neuen Oberbegriffe der Einflussbereiche mit den ersetzten Bezeichnungen in Klammern aufgeführt:

  • Partizipative Unternehmenskultur (Lern- und Unternehmenskultur)

  • Nutzerzentrierung (Bedürfnisse)

  • Didaktische Vielfalt (Lern- und Arbeitsmethoden)

  • Hybrider Lernraum (Ausstattung und Architektur)

  • Hybride Lernassistenz (IT-Infrastruktur)

Aus den ursprünglich sechs Einflussbereichen wurden im Rahmen des Re-Designs fünf Einflussbereiche in die weitere Modifizierung des Modells überführt, wobei jeder Bereich bis auf die „Partizipative Unternehmenskultur“ als Entwurfsmuster ausgearbeitet wurde, um für den SLE-Gestaltungsprozess einen theoretisch begründeten Bezugsrahmen zu bieten.

In einem dritten Schritt wurde eine neue Darstellungsform gewählt, die die Einflussbereiche und Faktoren in erster Linie als Netzwerk und nicht als sequenzielle Abfolge visualisiert. Als Grundstruktur eines jeden Einflussbereichs wurde ein Netzdiagramm auf Basis eines Hexagons bestimmt, da diese mehrere Vorteile aufweisen. Zum einen können die sechs Ecken je einem Faktor zugeordnet werden. Zum anderen bieten Hexagone die Möglichkeit, ein dynamisches Netzwerk abzubilden, indem die jeweiligen Hexagone gedreht werden, bis die entsprechend gewünschten Verbindungen und Zusammenhänge sichtbar werden. Als weiterer Vorteil des Netzdiagramms erweist sich das Integrieren von Gitternetzlinien, die für Reifegrad- und Potenzialanalysen pro Einflussbereich und Faktor mittels Soll-Ist-Vergleichen herangezogen werden können (vgl. z. B. Abbildung 3.40).

Der vierte Schritt des Re-Designs bezog sich schließlich auf das Herausarbeiten von direkten und indirekten Beziehungen, wobei auch die Art der Beziehungen konkretisiert und in einer Legende beschrieben wurden (vgl. Abbildung 3.41). Direkte Zusammenhänge zwischen den Einflussbereichen werden durch direkt aneinandergrenzende Hexagon-Seiten kenntlich gemacht wobei die Zusammenhänge zwischen den Faktoren mit Pfeilen modelliert sind. Dicke Pfeile stehen für die Darstellung ausgeprägter „wenn-dann“-Beziehungen wohingegen dünne Pfeile eine „normale“ Abhängigkeit visualisieren.

Im Rahmen einer vorletzten Überlegung stand schließlich die Frage, ob für den SLE-Gestaltungsprozess mit Hilfe des Modells Start- und Endpunkte sowie Mindestanforderungen definiert werden könnten und ob es einer sequenziellen Abfolge bestimmter Faktoren bedarf. Um sich schrittweise einer Antwort zu nähern, wurde zunächst für jeden Einflussbereich auf das gestalterische Ziel fokussiert, das mit Hilfe der Faktoren zu erreichen ist. Das gestalterische Ziel ist jeweils mittig im Entwurfsmuster abgebildet und entspricht der jeweiligen Bezeichnung des Entwurfsmusters. In einem anschließenden Gedankengang wurden die Einflussbereiche und Faktoren fiktiv in einzelne, gestalterische Prozessschritte überführt, wobei eine klare Sequenz der Gestaltungsabläufe auf Mesoebene der Einflussbereiche erkennbar wurde. Dementsprechend wurde das Entwurfsmuster der „Nutzerzentrierung“ als Startpunkt (A) festgelegt. Als zweite Sequenz wurde das Entwurfsmuster der „Didaktischen Vielfalt“ (B), als dritte Sequenz das Entwurfsmuster der „Hybriden Lernassistenz“ (C) und als letzte Abfolge, also End- und Zielpunkt der „Hybride Lernraum“ (D) definiert. Ziel des Modells ist es schließlich, intelligente und hybride Lernräume zu entwickeln, entsprechend schien eine Abfolge in o.a. Reihenfolge sinnvoll zu sein.

Erst in einer erneuten Überarbeitung wurde die Sequenzierung der Entwurfsmuster dahingehend verändert, dass das Entwurfsmuster mit der höchsten IoT-Entwicklungsstufe ans Ende der Abfolge positioniert wurde, um leichter umsetzbare SLE-Entwurfsmuster nicht im Vorfeld durch zu komplexe Systemanforderungen (z. B. hinsichtlich Datenschutz) zu blockieren. Die finale Sequenz sieht folgende Abfolge vor: (A) Nutzerzentrierung, (B) Didaktische Vielfalt, (C) Hybrider Lernraum und (D) Hybride Lernassistenz. In einem finalen Arbeitsschritt konnten auch für die Faktoren des Entwurfsmusters (A) und (D) eine Reihenfolge festgestellt werden, die durch eine entsprechende Nummerierung sowie einen Pfeil gekennzeichnet wurde. Am Ende der Modellierung konnten abschließend sieben Faktoren als Mindestanforderung definiert werden, die für SLEs als verpflichtend angesehen werden können.

Dementsprechend wurden aus den Ergebnissen der Studie Mindestvoraussetzungen für IoT-basierte Lehr- und Lernformen abgeleitet, die bei entsprechender Ausgestaltung zumindest hybridisierte Lernformate mittels IoT Reifegrad 3 (vgl. Abbildung 2.3) realisieren lassen. Dazu gehören die folgenden Erfolgsfaktoren, die im Rahmen eines SLE-Gestaltungsprozesses berücksichtigt und individuell entworfen werden müssen:

  1. 1.

    Bedarfserhebung inkl. Tätigkeits- und Kontextanalysen (A1)

  2. 2.

    Toolkit-unterstütztes Lernen (B10)

  3. 3.

    Hybridisiertes Lernen (B11)

  4. 4.

    Digitale und physische Lerntools (C13)

  5. 5.

    Physisch integriertes IoT (C18)

  6. 6.

    Identifizierung der Lerngegenstände und Lerninhalte (D19)

  7. 7.

    Prozessual integriertes IoT (D20)

Im Folgenden wird das komplett überarbeitete Re-Design des Modells vorgestellt, wobei zunächst die aktualisierte Systematisierung der Ebenen und anschließend die Modellierung pro Entwurfsmuster dargelegt werden. Gleichzeitig wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei der Herausarbeitung der Beziehungen um probabilistische Abhängigkeiten handelt, die auf einer subjektiven Einschätzung und nicht auf validierten Zusammenhängen beruhen. Insofern wird eine dynamische Verwendung oder auch Anpassung des Modells in Relation zu den jeweiligen organisationalen Belangen empfohlen.

Makro- und Exosysteme sind nach Bronfenbrenner (1979) nicht direkt gestaltbar, insofern sind diese vom aktiven SLE-Gestaltungsprozess ausgenommen und dienen im Vorfeld zu Analysezwecken sowie zur Reflexion. Der aktive gestalterische Prozess findet auf der SLE-Mesoebene mit Hilfe der vier Entwurfsmuster (A, B, C und D) statt und führt im Ergebnis zu didaktisch begründeten SLE-Lehr- und Lernaktionen auf der SLE-Mikroebene (vgl. Abbildung 3.39).

Abbildung 3.39
figure 39

(eigene Darstellung)

Systematisierung der SLE-Entwurfsmuster nach ökosystemischem Ansatz nach Bronfenbrenner

SLE-Makroebene: Verortung in kulturellen und global geprägten Kontexten

Um einen erfolgreichen SLE-Gestaltungsprozess anstoßen zu können, muss zunächst der interkulturelle Kontext ermittelt werden, in welchem der Gestaltungsprozess stattfinden soll. Mittels einer Checkliste kann erhoben werden, aus welchem Kulturkreis potenzielle SLE Nutzer*innen stammen, welcher Branche die Organisation angehört sowie welche Unternehmensgröße vorliegt. Erste Angaben zu involvierten Abteilungen und Personen ermöglichen eine erste Einordnung des Gestaltungsprozesses auf der SLE-Makroebene.

SLE-Exoebene: Anforderungen an die Unternehmenskultur [0]

Ziel ist es, auf einer partizipativ ausgerichteten Unternehmenskultur aufbauen zu können. Wie bereits expliziert wurde, ist eine lernförderliche Unternehmenskultur, die ihre Mitarbeiter*innen aktiv an der Gestaltung der eigenen Kompetenzentwicklung partizipieren lässt, die Voraussetzung dafür, dass der SLE-Gestaltungsprozess überhaupt erfolgreich verlaufen kann.

Eine partizipative Unternehmenskultur wird durch den Erfolgsfaktor „Empowerment“ gefördert. Damit sind Strategien und Maßnahmen gemeint, die den Grad an Autonomie und „Selbstführung“ von Angestellten erhöhen und somit langfristig zur beruflichen Befähigung der Mitarbeiter*innen im Unternehmen beitragen. Die Unternehmenskultur hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob und wie Mitarbeiter*innen selbst befähigt werden, ihre Kompetenzentwicklung selbstorganisiert vorantreiben zu können, anstatt ausschließlich fremdbestimmt oder kontrolliert zu werden. Entsprechend ist es ein Unterschied, ob Mitarbeiter*innen zu einer Schulung geschickt werden oder jemandem die Möglichkeit dafür geboten wird. Es ist zudem ein Unterschied, ob „Experimentieren“ oder Fehler machen erlaubt sind oder ob streng nach Plan vorgegangen werden muss. Hierarchische Kommunikationsstrukturen behindern oftmals einen offenen und transparenten Austausch, der zum Beispiel über firmeninterne „Netzwerke“ wie ein ESN gefördert werden kann. Darüber hinaus bewirken selbstgesetzte Ziele ein höheres Engagement in der Zielerreichung, als wenn die Ziele fremdgesteuert werden. Letztlich tragen auch „interdisziplinäre Perspektiven“ zur Überwindung vorhandener Silo-Strukturen bei, welche förderlich sind, um innovative, fachbereichsübergreifende Lernprojekte initiieren zu können. Um das Lernen in Netzwerken bzw. von anderen gezielt zu fördern, bedarf es letztlich auch neuen Formen der Führung, die sich nicht durch Management, sondern durch „Leadership“ auszeichnen. Dazu bedarf es eines empathischen Führungsstils, der auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit basiert und so ein nachhaltiges Empowerment ermöglicht.

Zusammenfassend ergeben sich als Anforderung an eine lernförderliche, partizipative Unternehmenskultur folgende spezifische Erfolgsfaktoren mit entsprechender Operationalisierung:

  • Empowerment (vs. Controlling) – (01): Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die eine Selbstbestimmung der Mitarbeiter*innen fördern

  • Selbstführung (vs. Zielvereinbarung) – (02): Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die die Selbstführung der Mitarbeiter*innen fördern

  • Netzwerke (vs. Hierarchie) – (03): Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die einen Austausch über interne (z. B. via ESN) oder externe Netzwerke (z. B. via Twitter) fördern

  • Interdisziplinarität (vs. Fachabteilung) – (04): Eine interdisziplinäre und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit der Mitarbeiter*innen wird bestärkt und gefördert

  • Experimente (vs. Planung) – (05): Im Unternehmen werden finanzielle und personelle Ressourcen auch für Projekte freigegeben, die einen experimentellen Charakter haben und nicht bis ins letzte Detail ausgeplant sind

  • Leadership (vs. Management) – (06): Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die einen empathischen Führungsstil fördern, der die jeweiligen Mitarbeiter*innen in ihren Talenten stärkt.

Um SLEs didaktisch sinnvoll gestalten zu können, muss ein Reifegrad der Unternehmenskultur von mindestens 4 (von 8) erreicht werden (vgl. Abbildung 3.40). Dieser kann über eine Einschätzung der Beteiligten als „Soll-Ist-Analyse“ pro Faktor im Netzdiagramm ermittelt werden.

Abbildung 3.40
figure 40

(eigene Darstellung)

Re-designtes SLE-Modell zu den Anforderungen an die Unternehmenskultur

Die nachfolgende Legende (vgl. Abbildung 3.41) gibt Aufschluss über die Lesart der dargestellten Modell-Beziehungen.

Abbildung 3.41
figure 41

(eigene Darstellung)

Legende zur Beschreibung der Beziehungsarten im SLE-Modell

SLE-Mesoebene: Entwurfsmuster [A] zur Gestaltung der Nutzerzentrierung

Smart Learning Environments sind nutzerorientiert (vgl. Abschnitt 2.4.1). Um nutzerorientierte SLEs gewährleisten zu können, muss sich der Gestaltungsprozess entsprechend an den Lernenden ausrichten. Ausgangspunkt zur Gestaltung von Smart Learning Environments müssen insofern die Bedürfnisse der Lernenden sein, die diese nutzen. Insofern stellt das Entwurfsmuster (A) der „Nutzerzentrierung“ die erste Phase im Gestaltungsprozess dar. Nur wenn die Lernbedürfnisse mit den Lernangeboten in hohem Maße übereinstimmen, wird über die „Sinnhaftigkeit intrinsische Motivation [A5]“ und Interesse erzeugt. Um herauszufinden, welche Fach- und Methodenkompetenzen gewünscht bzw. notwendig werden, sollten im Vorfeld „Tätigkeits- und Kontextanalysen [A1]“ durchgeführt werden, die letztlich zum Zweck einer zukunftssicheren „Employability [A2]“ mit den Unternehmenszielen in Einklang gebracht werden müssen. Dabei werden die selbstgesetzten Ziele im Sinne eines Bottom-Up Ansatzes mit den strategischen Zielen der Organisation im Sinne eines Top-Down Ansatzes miteinander abgeglichen und letztlich ausgewogen verbunden, um in ein (Kompetenz-)Profiling überführt zu werden. Das „Profiling [A3]“ dient unter Beratung von „Lernbegleitern [A4]“, die auch auf einer Peer-Ebene initiiert werden kann, zur Entwicklung einer „Persönlichen Lernumgebung [A6]“, die auf Basis der „Bedarfserhebung [A1]“ ein individuelles Wissensmanagement unterstützt und für formale wie informelle Lernformate genutzt werden kann (vgl. Abbildung 3.42).

Für eine maximal ausgeprägte Nutzerzentrierung müssen alle Erfolgsfaktoren nacheinander von [A1] bis [A6] umgesetzt bzw. aktiv ausgestaltet werden, um letztlich über die Etablierung einer persönlichen Lernumgebung den Lernbedürfnissen am effektivsten gerecht werden zu können. Die Faktoren, die in einer sequenziellen Abfolge umgesetzt werden müssen, sind im Entwurfsmuster [A] durchnummeriert sowie mit einem Pfeil gekennzeichnet. Mindestanforderungen (MA) sind rot dargestellt (vgl. Abbildung 3.42) und werden im Folgenden aufgrund ihrer Relevanz ausführlicher operationalisiert.

Abbildung 3.42
figure 42

(eigene Darstellung)

Re-designtes SLE-Modell zum Entwurfsmuster [A]

Zusammenfassend ergeben sich für das Entwurfsmuster [A] zur Gestaltung der Nutzerzentrierung spezifische Erfolgsfaktoren mit folgender Operationalisierung:

  • Bedarfserhebungen inkl. Tätigkeits- und Kontextanalysen durchführen (A1 als MA): Ziel von A1 als eine Mindestanforderung ist es, die Lehr- und Lernbedarfe, Lerninhalte sowie Lernmethoden (von Lernenden wie Lehrenden) zu verstehen und für die Zielgruppen zu definieren. Entsprechend werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die die Bedarfserhebung inkl. Tätigkeits- und Kontextanalysen sicherstellen. Hierzu wird zu Beginn des SLE-Gestaltungsprozesses eine Modellierung der Nutzungskontexte angefertigt, indem die konkreten Lehr- und Lernprozesse in lebens- und arbeitsweltlichen Zusammenhängen expliziert und dokumentiert werden. Darüber hinaus werden die Lernkontexte mittels geeigneter Vorlagen für Tätigkeits- und Kontextanalysen ermittelt, die dann in ein umfassendes Lernweltdiagramm überführt werden, um Standardelemente der Lehr- und Lernprozesse abzuleiten, die dann im Rahmen der weiteren SLE-Gestaltung als „Muster“ guter Use-Cases verwendet werden. Die Kontextanalysen geben darüber hinaus Aufschluss über gängige Lehr- und Lernprozesse in Form einer Workflow-Beschreibung.

  • Employability sicherstellen (A2): Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die die langfristige Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter*innen sicherstellt.

  • Profiling veranlassen (A3): Das Unternehmen erhebt regelmäßig und in enger Abstimmung mit den Mitarbeiter*innen personenbezogene Daten in Bezug zur persönlichen Kompetenzentwicklung und nutzt diese, um die Weiterbildungsangebote zu optimieren.

  • Lernbegleitung anbieten – ggf. auch auf Peer-Ebene (A4): Das Unternehmen ermöglicht seinen Mitarbeiter*innen, eine Lernbegleitung wahrzunehmen, die in einer Art Coaching die selbstgesteuerte Kompetenzentwicklung unterstützt und begleitet.

  • Intrinsische Motivation durch Erzeugung von Sinn fördern (A5): Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die die intrinsische Motivation zum lebenslangen Lernen der Mitarbeiter*innen fördern.

  • Persönliche Lernumgebung entwickeln (A6): Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die die Etablierung und kontinuierliche Nutzung einer PLE durch die Mitarbeiter*innen ermöglichen.

SLE-Mesoebene: Entwurfsmuster [B] zur Gestaltung didaktischer Vielfalt

Smart Learning Environments müssen didaktisch vielfältig sein (vgl. Abschnitt 2.1), um effektive Lehr- und Lernprozesse zu ermöglichen. Das Entwurfsmuster (B) ist aufbauend auf die Nutzerzentrierung die zweite Phase im Gestaltungsprozess. Ziel des Entwurfsmusters [B] ist es, möglichst effektive Lernprozesse innerhalb eines SLEs anzustoßen, indem eine Methodenvielfalt durch Kombination verschiedener didaktische Modelle erzeugt wird. In diesem Zusammenhang hat die Studie ergeben, dass im Zuge der Veränderungen im Weiterbildungsbereich insbesondere „arbeitsplatzorientiertes Lernen (B7)“ gefördert werden muss, um kurzfristig und spontan auftretende Lernbedarfe in einer aktuellen Situation befriedigen zu können. Dementsprechend muss ein stark „personalisiertes Lernen (B12)“ gestärkt werden, das den immer agiler werdenden Arbeitsprozessen gerecht werden kann (vgl. Abschnitt 3.5.2.3.1). Um dies gewährleisten zu können, müssen „ubiquitäre und adaptive Lernformen (B9)“ ausgestaltet werden, die sich einerseits an persönlichen Bedarfen der Lernenden sowie andererseits an der aktuellen Situation am Arbeitsplatz oder im Lernraum orientieren.

Lernen kann aus konstruktivistischer Perspektive überdies nie direkt gesteuert werden und ist stets eine aktive Eigenleistung des Subjekts. Parallel zu der besonderen Relevanz des personalisierten Lernens sind den Ergebnissen der Studie zufolge auch „kollaborative Lernformen (B8)“ bedeutsam, da sich nur über einen entsprechenden Austausch und eine Vernetzung mit anderen Fachleuten spezifische, neu auftretende Lernbedarfe stillen lassen, wofür noch keine standardisierten Lernformate z. B. via WBT o.ä. zur Verfügung stehen. Hierfür bieten sich neue Medien wie z. B. Twitter oder LinkedIn in besonderer Weise an.

Aber auch „analoge“ Methoden wie z. B. Design Thinking eignen sich, um Kreativität, Austausch und Innovationskraft zu fördern. Aktive Lernelemente wie das Anfertigen von Skizzen, Zeichnungen oder einfachen Modellen erlauben das gleichzeitige Explorieren von Problem- und Lösungsraum. Ein Erfolgsfaktor zur Gestaltung einer didaktischen Vielfalt ist daher, dass vielfältige Werkzeuge und Materialien für das Entwickeln und Ausprobieren neuer Lernformen bereitstehen. Das dahinterliegende didaktische Modell des „Toolkit-unterstützten Lernens“ ist als Erfolgsfaktor B10 zusammen mit dem Erfolgsfaktor B11 „Hybridisiertes Lernen“ als Mindestanforderung im Entwurfsmuster (B) definiert. Unter hybridisierten Lernformen werden Lernprozesse verstanden, in welchen digitale und physische Lernmethoden in einem fließenden Wechsel verlaufen und bestenfalls Smart Objects als vollintegrierte Lerngegenstände genutzt werden können (z. B. ein Smart Pen).

Der Faktor „Toolkit-unterstütztes Lernen“ basiert auf einem didaktischen Modell, das der Taxonomie von Unterrichtsmethoden nach Baumgartner (2014) entnommen wurde. Der Autor differenziert insgesamt 148 unterschiedliche didaktische Modelle in 18 Modellfamilien. „Toolkit-unterstütztes Lernen“ ist der Modell-Familie #K14 (Ferne) zugeordnet und wird wie folgt definiert (Baumgartner 2014, S. 285):

„Lernende eignen sich über Bausätze, die mit der Post zugeschickt werden, Wissen, v. a. aber manuelle Fertigkeiten und Kompetenzen an.“

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird „Toolkit-unterstütztes Lernen“ in Anlehnung an Baumgartner wie folgt verstanden:

Lernende eignen sich über digitale oder physische Bausätze (z. B. Lego Serious Play), Modelle, Templates, Canvases, Werkzeuge, Toolboxen (z. B. SAP Scenes, Flemo) Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen an. Entsprechend müssen Toolkits zusammengestellt bzw. entwickelt und den Lernenden zur Verfügung gestellt warden (Abbildung 3.43).

Abbildung 3.43
figure 43

(eigene Darstellung)

Re-designtes SLE-Modell zum Entwurfsmuster [B]

Zusammenfassend ergeben sich für das Entwurfsmuster [B] zur Gestaltung didaktischer Vielfalt spezifische Erfolgsfaktoren mit folgender Operationalisierung, wobei keine bestimmte Abfolge berücksichtigt werden muss:

Es werden didaktische Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die…

  • arbeitsplatzorientiertes Lernen ermöglichen & fördern (B7)

  • kollaboratives Lernen ermöglichen & fördern (B8)

  • ubiquitäres & adaptives Lernen ermöglichen & fördern (B9)

  • ein Toolkit-unterstütztes Lernen ermöglichen & fördern (B10 als MA): Es wird eine vielfältige und bedarfsorientierte Palette an Toolboxen entwickelt, zusammengestellt und zum Lernen zur Verfügung gestellt. Dazu gehören beispielsweise analoge Werkzeuge (z. B. Methodenkarten, beschreibbare Boards/ Wände, Papiere in unterschiedlichsten Formaten und Farben, Stifte in unterschiedlichen Farben und Strichstärken, Canvas Templates, Innovation Games etc.) und digitale Werkzeuge (z. B. Tablets mit Stift, VR-Brillen, Kamera- und Audiosysteme, Beamer, Touchscreens, Smartphones etc.) sowie Softwareprogramme, mit denen Lerninhalte recherchiert, verwaltet, gespeichert, verarbeitet, geteilt und neugestaltet (vgl. hierzu z. B. Top Tools for Learning von Jane Hart oder Collaboration Tools von Robin Good) sowie virtuelle Konferenzen durchgeführt werden können (z. B. Skype for Business).

  • hybridisiertes Lernen ermöglichen & fördern (B11 als MA): Es wird eine nahtlose Verschmelzung zwischen physischen und digitalen Welten ermöglicht, indem z. B. digitale Artefakte auf greifbare physikalische Objekte gemappt werden und andersherum analoge Arbeitsergebnisse direkt und ohne Brüche digitalisiert und innerhalb digitaler Umgebungen weiter manipuliert werden können.

  • personalisiertes Lernen ermöglichen & fördern (B12)

SLE-Mesoebene: Entwurfsmuster [C] zur Gestaltung eines hybriden Lernraums

SLEs sind physische Räume, die in der Lage sind, digitale und physische Lernwelten zu hybriden Umgebungen zu verbinden (vgl. Abschnitt 2.4.1). Das Entwurfsmuster (C) ist aufbauend auf die didaktische Vielfalt die dritte Phase im Gestaltungsprozess. Um hybride Lernräume gestalten zu können, muss sich der Gestaltungsprozess einer allgegenwärtigen aber unsichtbaren IoT Infrastruktur bedienen. Co-Working Spaces dienen hierbei als gute, physische Design-Beispiele. Raumkultur wirkt auf Lernkultur. Es ist ein Unterschied, ob man sich in einem in Grau gehaltenen Büro oder in einem sinnlich gestalteten Google-Office befindet. Dies sind plakative Extreme – es gilt hier eine ausgewogene Balance zu finden. Wichtigste Erfolgsfaktoren sind laut der Studie das Erzeugen einer „lernförderlichen Raumatmosphäre (C15)“, die durch viel Tageslicht, frische Luft, ausreichende Beschattung, Heizung und Kühlung befördert werden kann. Eine automatisierte Steuerung dieser „grundlegenden Anforderungen (C14)“ sollten darüber hinaus mittels IoT Integration (individuell) steuerbar sein. Weiterhin sind ausreichend und große Fenster von Vorteil, die viel Tageslicht in den Raum lassen. Akustischen Störgeräuschen sollte systematisch z. B. mittels Schallschutzwänden etc. entgegengewirkt werden.

Formen, Strukturen und Farben des Raumes müssen dabei in einem stimmigen, „architektonischen Gesamtkonzept (C17)“ integriert sein, das schon beim Betreten des Raumes zum aktiven Lernen und Arbeiten einlädt. Ein angenehmes, modernes Design muss dabei mit „multifunktionalem und flexiblem Mobiliar (C16)“ kombiniert werden, welches sich einfach und schnell an unterschiedliche Lern- und Arbeitsszenarien anpassen lässt. Darüber hinaus bieten sich auch innovative Konzepte wie die des Upcyclings an, um eine lernförderliche und aktivierende Raumatmosphäre (z. B. mittels Tischen aus Palletten) zu erzeugen. Das architektonische Raumkonzept muss sich zudem in Farbgebung, Struktur und Ambiente harmonisch in die angrenzende Umgebung einfügen (C17).

Als bedeutsamste Erfolgsfaktoren konnten für das Entwurfsmuster (C) die Faktoren „physisch integriertes IoT (C18)“ sowie „digitale & analoge Lerntools (C13)“ als Mindestanforderungen zur Gestaltung hybrider Lernräume definiert werden. Hierbei können mittels „physisch integriertem IoT (C18)“ Alltagsgegenstände zu sogenannten „Smart Objects“ transformiert werden. Damit ist die Anreicherung von Alltagsgegenständen wie z. B. einem Fenster mit Sensoren und Aktoren gemeint, um einen automatisierten Zusatznutzen zu generieren. Demnach tritt die Technik unauffällig in den Hintergrund. Die Technik wird Bestandteil der Architektur und des Mobiliars, sie ist in Wände, Tische, Stühle etc. integriert. Ein Beispiel sind integrierte Lautsprecher in Wände, Sofas o.ä. oder z. B. auch multifunktionale Raumteiler, die nur bei Bedarf einen Touchscreen zur Verfügung stellen und ansonsten als Regal oder beschreibbare Wand genutzt werden können. Als zweite Mindestanforderung müssen schließlich „digitale und analoge Lerntools (C13)“, wie sie bereits im Entwurfsmuster (B) zur didaktischen Vielfalt beschrieben wurden, im Raum zur Verfügung stehen, indem z. B. Softwareprogramme aus der eigenen PLE im physischen Lernraum ohne Installationsaufwand aufgerufen werden können (Abbildung 3.44).

Abbildung 3.44
figure 44

(eigene Darstellung)

Re-designtes SLE-Modell zum Entwurfsmuster [C]

Zusammenfassend ergeben sich für das Entwurfsmuster [C] zur Gestaltung eines hybriden Lernraumes spezifische Erfolgsfaktoren mit folgender Operationalisierung, wobei keine bestimmte Abfolge berücksichtigt werden muss:

Es werden gestalterische Maßnahmen im physischen Lernraum umgesetzt, die…

  • grundlegende Anforderungen hinsichtlich Beleuchtung, Beschattung, Kühlung und Heizung erfüllen (C14)

  • eine lernförderliche Raumatmosphäre erzeugen (C15)

  • den Lernenden multifunktionales und flexibles Mobiliar zur individuellen Raumaneignung zur Verfügung stellen (C16)

  • ein architektonisch stimmiges Gesamtkonzept erkennen lassen (C17)

  • eine physisch integrierte, unsichtbare IoT Infrastruktur zur Verfügung stellen (C18 als MA): Das Unternehmen verwendet z. B. IoT Technologien (v. a. Sensoren und Aktoren) aus dem SmartHome Bereich wie z. B. EnOcean, ZigBee oder Z-Wave und integriert diese in den Lernräumen. Dazu werden ausgewählte, interoperable IoT Komponenten und Steuerungseinheiten in die Architektur und das Mobiliar eingebaut, um neue Funktionalitäten zum Lernen bereitstellen zu können. Dazu zählen auch programmierbare Knöpfe, die via Bluetooth andere Geräten ansteuern können wie z. B. die Flic-Buttons.

  • digitale und analoge Lerntools in einem fließenden Zusammenwirken ohne mediale Brüche zur Verfügung stellen (C13 als MA): Das Unternehmen stellt den Lernenden vielfältigste digitale und analoge Lernwerkzeuge, wie z. B. Foam Boards, Post its, Stifte, Lego, Mobile Devices etc. zur Verfügung und arrangiert diese in unterschiedlichen Lern-Zonen (z. B. Videoproduktionsecke, Bereiche mit großen langen Tischen für Gruppenarbeiten, Podeste mit Deckenkameras für Präsentationen und Vorträge, Werkstatt für handwerkliche Modelle/ Prototypen, Video-Konferenz Bereiche, Ruhezonen für Stillarbeiten etc.

SLE-Mesoebene: Entwurfsmuster [D] zur Gestaltung einer hybriden Lernassistenz

SLEs assistieren beim Lernen bedarfsorientiert und kontextbezogen (vgl. Abschnitt 2.4.1). Das Entwurfsmuster (D) zur Gestaltung einer hybriden Lernassistenz ist aufbauend auf die vorangegangenen Entwurfsmuster das Ziel im gesamten SLE-Gestaltungsprozess und stellt damit die letzte und komplizierteste Phase auf der Mesoebene dar. Um die Funktionalität einer (hybriden) Lernassistenz gewährleisten zu können, müssen die Erfolgsfaktoren des Entwurfsmusters (D) in einer sequenziellen Abfolge umgesetzt werden, um mittels „Empfehlungssystem (D24)“ eine optimale Lernassistenz zu Verfügung stellen zu können. Die Faktoren, die in einer sequenziellen Abfolge umgesetzt werden müssen, sind im Entwurfsmuster [D] durchnummeriert sowie mit einem Pfeil gekennzeichnet.

Die Abfolge der Erfolgsfaktoren beginnt zunächst beim Faktor (D19), wobei Lerngegenstände und Lerninhalte aufbauend auf Faktor A1 noch konkreter zu explizieren und dokumentieren sind. Erst durch eine systematische „Identifizierung der aktuellen (sowie zukünftigen) Lerngegenstände und Lerninhalte“ ist es in einem zweiten Schritt möglich, das Technologiekonstrukt Internet der Dinge derart in die ermittelten Lerngegenstände zu integrieren, dass diese in die Lage versetzt werden, den Lernprozess effektiv zu assistieren. Parallel dazu müssen auch die konkreten Lerninhalte und Lernprozesse definiert werden, um aufbauend auf das physisch integrierte IoT (C18) in einer zweiten Abfolge ein „prozessual integriertes IoT (D20)“ erzielen zu können.

Der dritte Erfolgsfaktor bezieht sich auf den Aufbau einer „Knowledge Ecology (D21)“. Diese fungiert als eine dem Assistenten zugrundeliegende Wissensdatenbank, die sich aus unterschiedlichen Ressourcen bzw. Datenbanken zusammensetzen kann. Hierzu müssen jedoch zunächst relevante Lernressourcen und Wissensquellen identifiziert, untereinander interoperabel gemacht sowie letztlich miteinander vernetzt werden. Sofern an dieser Stelle auf PLE- Daten (A6) zurückgegriffen werden kann, wäre dies ein entscheidender Vorteil. In einem vierten Schritt müssen dann durch die Anwendung von „Big Data Analytics (D22) & Privacy by Design (D23)“ Sinnzusammenhänge zwischen unterschiedlichen Wissensbeständen und Datenquellen hergestellt werden, ohne jedoch datenschutzrechtliche Pflichten und Gesetze zu missachten. Hierbei müssen Verfahren aus der künstlichen Intelligenz wie z. B. maschinelles Lernen angewendet werden, um Lernaktivitäten unterstützen zu können, die im Vorfeld nicht programmiert wurden. Auf Basis der Nutzungsdaten sowie des erkannten Kontextes ist die Lernassistenz somit in der Lage, aktuelle Lernsituationen zu erkennen und auf Basis der Auswertung vergangener Situationen mittels Predictiv Analytics (D22) selbst zu entscheiden, was für die Lernenden am effektivsten wäre und entsprechend proaktiv im Sinne eines „Empfehlungssystems (D24)“ zu reagieren (Abbildung 3.45).

Abbildung 3.45
figure 45

(eigene Darstellung)

Re-designtes SLE-Modell zum Entwurfsmuster [D]

Erst durch die sequenzielle Abfolge aller Erfolgsfaktoren kann ein vollumfassendes und intelligentes Empfehlungssystem entwickelt werden, das in Abhängigkeit der individuellen Bedürfnisse (vgl. Entwurfsmuster (A) zur Nutzerzentrierung) relevante Inhalte findet, aufbereitet und in bestimmte Informationstypen klassifiziert. Die hybride Lernassistenz resultiert dabei aus dem Vorhandensein einer digitalen Schnittstelle via PLE zum PC, Smartphone oder Tablet sowie auch als analoge Schnittstelle zum physischen Lernraum mittels Roboter wie z. B. Nabaztag, Pepper oder Kuri (vgl. Abschnitt 2.3.3) als physische Assistenz. Ein bereits verfügbarer Prototyp eines „intelligenten Empfehlungssystems“ wurde im Rahmen des EEXCESS-Projektes entwickelt. Der dazugehörende Quellcode zur Nachnutzung steht via GitHub zur Verfügung. Als Mindestvoraussetzungen wurden die Faktoren D19 und D20 festgelegt, sodass auch Assistenzsysteme entwickelt werden können, die über eine begrenzte Assistentenfunktionalität verfügen.

Zusammenfassend ergeben sich für das finale Entwurfsmuster [D] zur Gestaltung einer hybriden Lernassistenz spezifische Erfolgsfaktoren mit folgender Operationalisierung, wobei eine sequenzielle Abfolge berücksichtigt werden muss:

Es werden Strategien und Maßnahmen im Unternehmen umgesetzt, die…

  1. 1.

    aktuelle und zukünftige Lerngegenstände, Lernprozesse und Lerninhalte explizieren und detailliert beschreiben (D19 als MA)

  2. 2.

    ein prozessual integriertes IoT auf Ebene der Lehr- und Lernprozesse einführen (D20 als MA): Hierzu werden gezielt didaktisch sinnvolle Use-Cases (Interaktion zwischen Lernenden, Lerngegenständen und Lernprozessen) ausgewählt, die hybridisiert und in eine IoT-Infrastruktur eingebunden werden. Aus einem klassischen Use-Case wird dann ein „embedded case“ (vgl. Koper 2014)

  3. 3.

    zum Aufbau einer Knowledge Ecology führen (D21)

  4. 4.

    Big Data Analytics (D22) mit Privacy by Design kombinieren (D23), um Datenschutzproblemen bereits im Vorfeld zu begegnen

  5. 5.

    zu einem Empfehlungssystem führen (D24)

SLE-Mikroebene: Ableitung beispielhafter SLE-Interaktionen durch Anwendung des re-designten SLE-Modells

Die Studie hat gezeigt, dass eine Ebene hinsichtlich der konkreten (Mensch-Maschine) Interaktionen im SLE-Modell fehlte, die im aktuellen Abschnitt innerhalb der Mikroebene aufgenommen wurde. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, beispielhafte IoT-basierte Lehr- und Lerninteraktionen von SLEs auf Basis des überarbeiteten Modells herauszuarbeiten, die unter Zuhilfenahme der in Abbildung 2.3 differenzierten IoT-Entwicklungsgrade, unterschiedliche Reifegrade einer SLE-Interaktion abbilden. Das Referenzieren auf IoT Entwicklungsgrade ermöglicht eine spezifizierte Betrachtung darauf, wie weit ein SLE entwickelt ist und ob die per Definition vorhandenen adaptiven und kontextsensitiven Funktionalitäten auch abgebildet werden können. Dieses Vorgehen ähnelt dem von Kanagarajan & Ramakrishnan entwickelten „Smartness-Level“, der im Rahmen von differenzierten IoT Analysen zum Einsatz kam (Kanagarajan & Ramakrishnan, 2017).

Merkmale und Funktionsweisen von SLEs, wie sie in Unterkapitel 2.4 definiert wurden, entsprechen im Folgenden einem Reifegrad von 5 und beziehen sich auf die in Kapitel 2 entwickelten Reifegrade aus Abbildung 2.3. Da die Untersuchung ergeben hat, dass bei einer Entwicklung von SLEs mit einem idealen Reifegrad von 5 mit Umsetzungsschwierigkeiten in Bezug auf Datenschutz und Systemkomplexität zu rechnen ist, wird empfohlen, zunächst auf der Ebene der niedrigeren Reifegrade zu beginnen.

Exemplarische SLE-Interaktionen mit einem Reifegrad von 3

Beispiel 1: „Smarte Licht- und Klimasteuerung“

Geringe Umsetzungsschwierigkeiten sind bei der Digitalisierung, Vernetzung und Steuerung des Faktors C14 zu erwarten, da hierfür bereits viele Lösungen am Markt verfügbar sind. Der Faktor bezieht sich auf eine optimierte Steuerung der Frischluftzufuhr, der Temperatur, Beleuchtung und Beschattung. Obwohl die Relevanz dieses Faktors und dessen Auswirkungen auf Lehr- und Lernprozesse im Rahmen der Studie belegt werden konnte, ist in der Praxis oftmals festzustellen, dass die Räume schlechte Licht- und Klimaverhältnisse aufweisen.

Eine IoT-basierte Vernetzung würde in der Folge zu einer angenehmen Raumatmosphäre beitragen, indem auch die Lernenden über entsprechende Steuerapplikationen die Regelungen personalisiert vornehmen könnten. Darüber hinaus könnten angenehme und energieeffiziente Automatisierungen programmiert werden, so dass beispielsweise beim Betreten eines Raumes, beim Hinsetzen in einer Leseecke etc. das Licht automatisch an- bzw. beim Verlassen ausgeschaltet wird. Ähnliches ist für die Klimasteuerung realisierbar, so dass z. B. ungenutzte Räume nicht beheizt werden. Zudem kann die Steuerung der Frischluftzufuhr durch CO2-Sensoren im Raum und entsprechenden Aktoren an den Fenstern optimiert werden.

Beispiel 2: „Lernraumübergreifende Zusammenarbeit“

Eine wie oben beschriebene erste IoT-Infrastruktur könnte dann im Rahmen einer Ausgestaltung von hybridisierten Lernformen (Faktor B11) sukzessive erweitert werden, indem Bildschirme, Lautsprecher, Beamer, Kameras und zusätzliche Sensoren in das Netzwerk integriert werden. Dadurch könnten dann z. B. Interaktionen realisiert werden, die fließende, lernraumübergreifende Lernformen ermöglichen. Beispiel 2 basiert auf der Funktionalität eines Lernraumes (oder auch Arbeitsplatzes), bei welcher die über Devices/ Bildschirme dargestellten oder im Lernraum bearbeiteten Inhalte in einer Art Historie gespeichert werden. Sobald sich beispielsweise drei Lernende aus dem Lernraum entfernen, in welchem bereits seit 3h eine Schulung stattfindet, um bspw. eine Gruppenaufgabe in einem anderen Arbeitsbereich (z. B. Lounge-Bereich o.ä.) zu tätigen, wären Bildschirme, die sich in unmittelbarer Nähe befänden in der Lage, dieselben Inhalte bzw. auch die Aufgabe darzustellen, die zuvor in dem Lernraum oder auch am Arbeitsplatz bearbeitet wurden. Dementsprechend wird es möglich, innerhalb des hybridisierten Raums Inhalte und Ergebnisse zu sichern, in andere (physische) Räume mitzunehmen und die Arbeit an einer bestimmten Stelle wiederaufzunehmen. Integrierte Ladestationen in Wänden, Tischen, Sofas etc. erleichtern darüber hinaus ein ortsunabhängiges Lernen mit mobilen Devices.

Beispiel 3: „Digitalisierung von analogen Lernergebnissen“

Eine der wichtigsten Funktionen von IoT-basierten Lehr- und Lernformen ist der fließende Übergang zwischen analogen und digitalen Lernformen. Diese SLE Interaktion soll am Beispiel eines Entwurfes zu Faktor C24 (physisch integriertes IoT) erläutert werden. Eine nahtlose Verknüpfung der analogen und digitalen Welt ist beispielsweise über die sogenannten Flic-Buttons möglich. Flic ist ein physischer, smarter drahtloser Knopf welcher auf Basis von Bluetooth 4.0 funktioniert. Die Buttons ermöglichen so per Knopfdruck, also einer physisch getätigten Aktion, eine im Flic-Button hinterlegte digitale Interaktion auszuführen. Wenn der Flic-Button z. B. mit einer Bluetooth-fähigen Kamera vernetzt würde, könnten so einfach und unkompliziert Fotos von den Ergebnissen erstellt und via Cloud in die entsprechenden LMS/PLEs o.ä. überführt werden. Hinsichtlich einer Digitalisierung von analogen Lernergebnissen auf Stellwänden beispielsweise, würde es sich anbieten, den Flic-Button direkt auf der Stellwand zu platzieren, um per Knopfdruck ein Foto von der Stellwand auszulösen. Um eine optimale Ausrichtung der im Raum befindlichen Kamera zur Stellwand zu ermöglichen, müsste der Raum in der Lage sein, die Position der Stellwand im Raum zu identifizieren (vgl. Beispiel 5) und die Kamera entsprechend auszurichten. Eine zusätzliche Vernetzung des Flic-Buttons mit der Lichttechnik (vgl. Beispiel 1) könnte darüber hinaus eine optimierte Beleuchtung beim Fotografieren sicherstellen. Bereiche, die über einen Flic-Button verfügen und per Knopfdruck digitalisiert werden könnten, könnten mit einer farbigen Umrandung der jeweiligen Bereiche gekennzeichnet werden, um die hinterlegte Funktionalität im Raum zu kennzeichnen. Da die Flic-Buttons über 3 verschiedene „Druck-Modi“ verfügen, könnte zudem ein doppelter Klick für Videoaufnahmen genutzt werden, wobei ein langes Drücken z. B. den Pizzadienst aktivieren könnte. Je nach Bedarf (Faktor A) könnten hier unterschiedlichste Funktionalitäten im Raum integriert werden. Zur Orientierung und Anleitung der Lernenden wären entsprechende Anleitungen z. B. als „Menü-Karten“ (aufgestellte Kurzinfos), spezielle Navigations-Icons, kurze Übersichtspläne zu Vorgehensweisen etc. notwendig, um die einzelnen Bausteine zu erklären. Über das Einbinden von QR-Codes könnten diese physischen Anleitungen wiederum digital angereichert werden, indem bspw. Videoanleitungen via Smartphones oder angrenzender Wanddisplays abrufbar wären. Der Lernraum müsste so gestaltet sein, dass die integrierten Funktionalitäten auf den ersten Blick ersichtlich sind oder zumindest über Anleitungen schnell erschlossen werden können. So könnten bspw. schön gestaltete, kleine „Mini-Anleitungen“ am Flic-Botton dessen Funktion erklären.

Beispiel 4: Digitalisierung von analogen Lernprozessen

Um jedoch nicht nur Ergebnisse, sondern auch die Lernprozesse direkt digitalisieren zu können, soll im Folgenden ein Entwurf zum Faktor C13 (digitale & analoge Lerntools) erläutert werden. Ziel ist es, physische Handlungen und getätigte Aktionen im Entstehungsprozess digitalisieren zu können. Wenn z. B. ein Lernender mit einem Stift auf einem Blatt Papier etwas skizziert bzw. schreibt, dann kann dies durch eine berührungsempfindliche Oberfläche und einem „Smart Pen“ digitalisiert werden. Falls nun in einem Lernsetting z. B. als analoges Lernwerkzeug SAP Scenes eingesetzt wird, könnte der Erstellungsprozess z. B. mit Slate digitalisiert werden. Mit Slate können handgeschriebene Einträge umgehend digitalisiert und als 1:1 Abbildung oder umgewandelten Text zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Hierzu wird eine berührungsempfindliche Oberfläche (eine Art „Klemmbrett“) mit einem Stift kombiniert, der einen sensorbasierten Ring trägt und somit die Bewegungen erkennen und digital übertragen kann.

Beispiel 5: Positionsbestimmung der Lerngegenstände

Um wie in Beispiel 3 beschrieben, die Position und den Aufenthaltsort der Lerngegenstände bzw. Lerntools wie z. B. der Stellwände, SAP Scenes, Slate etc. bestimmen und für SLE-Lernzwecke nutzen zu können, soll im Folgenden ein Beispiel eines Entwurfes zu Faktor C18 (physisch integriertes IoT) erläutert werden, der im Rahmen der Teilstudie 1 konzipiert wurde. Mit Hilfe von TrackMyTools werden Bluetoothmodule auf den Lerngegenständen angebracht, die dann mittels Geodatenermittlung z. B. an eine Smartphone-App, abgerufen werden können. Diese Funktionalität wäre zum einen nützlich, um die vielfältigen Lerntools nicht zu verlieren und zum anderen, um Zusatzfunktionalitäten realisieren zu können, wie sie in Beispiel 3 erläutert wurden. Darüber hinaus könnten die Lerntools mit den Bildschirmen sowie mit den im Raum befindlichen mobilen Geräten wie z. B. Tablets gekoppelt werden. Sobald ein bestimmtes analoges Lerntool, z. B. ein SLE-Canvas, Lego Serious Play in der direkten Nähe eines Bildschirmes/ mobilen Gerätes wäre, könnten die Lerntools ihre Nutzung und Anwendung im Lernsetting erklären, indem z. B. Anleitungen mittels „How to use-Videotutorials“ auf den Screens abgespielt werden würden.

Exemplarische SLE-Interaktionen mit einem Reifegrad von 5

Beispiel 6: Digitale Lernassistenz

Für komplexere SLE-Interaktionen, die adaptive sowie kontextbezogene Unterstützungsleistungen innerhalb der Lehr- und Lernprozesse anbieten, indem z. B. Lerninhalte und Lernmethoden auf Basis der aktuellen Situation empfohlen werden, soll im Folgenden ein Entwurf zum Faktor D24 (Empfehlungssystem) erläutert werden. So wäre es denkbar, dass der Raum die Anordnung der Möblierung (z. B. durch TrackMyTools) sowie die Positionierung der Lernenden im Raum erkennt. Falls nun ein Lernender einen Lerninhalt von seinem eigenen Device (BYOD-Unterstützung) über den Beamer präsentieren möchte, so könnte sich der Beamer auf Grundlage der erkannten Positionierungen im Raum so ausrichten, dass die Lernenden die Projektion optimal erkennen können. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass je nachdem, wie viele und welche Personen sich um einen Tisch o.ä. gruppieren, unterschiedliche Lernformen über die in der Nähe befindlichen Screens angezeigt werden könnten. Darüber hinaus wäre es denkbar, dass wenn insgesamt „zu wenig“ Bewegung im Raum festgestellt werden würde, der/ die Lehrende einen Hinweis auf mögliche aktivierende Lernmethoden erhalten könnte. Auch die Ausrichtung und Nutzung von Möbelstücken kann als Ausgangspunkt für die Empfehlung geeigneter Lernmethoden dienen. Zudem könnte gezählt werden, wie häufig Lerngegenstände bzw. Toolboxen genutzt werden oder welche Stühle wie beieinanderstehen. Die Ausstattung von Möbelstücken mit Bewegungs-, Gewichts- und Ausrichtungssensoren lässt eine Analyse der Raumaktivitäten zu und könnte zu einer kontinuierlichen Verbesserung genutzt werden.

Wie bereits in Abschnitt 2.3.3 skizziert, könnten zudem mittels überdimensionaler, interaktiver Multitouch Screens (z. B. Multitouch Modul OMEGA) digitale Wissenslandkarten mit den unternehmensspezifischen „Relevanzfeldern“ automatisiert und auf Basis des aktuellen Schulungsthemas sowie der vernetzten PLEs (Knowledge Ecology) erzeugt werden, die dann im Sinne eines interaktiven Hypernetzwerks von den Lernenden weiterbearbeitet werden könnten. Beispielsweise könnten die Inhalte von mehreren Lernenden neu strukturiert, geordnet und bewertet werden, es könnten zusätzliche Informationen recherchiert und eingebunden oder auch Kommentare eingefügt werden. Zur Bearbeitung der Inhalte würde ein im System eingebundener Lernassistent geeignete digitale Tools, wie z. B. Mindmeister o.ä. empfehlen können. Im digitalen Raum erstellte Artefakte müssten darüber hinaus nicht nur digital bleiben, sondern könnten auch mittels angeschlossener Drucker oder gar 3D-Drucker vergegenständlicht werden. Weiterhin könnten die digitalen Inhalte auch per Cloud an andere Devices oder Bildschirme mitgenommen werden, so dass digitale Ergebnisse über die Touch Wände, die in einer großen Gruppe erstellt wurden, in einzelnen Zweier-Teams in lernraumübergreifenden Bereichen weiterbearbeitet werden könnten. Der Lernassistent könnte dann auch auf Basis der jeweiligen PLEs neue Vorschläge zu Inhalten, z. B. zu unternehmensinternen/ externen Fachforen oder Fachexperten und auch zu Lernmethoden geben. Falls beispielsweise eine zusammenfassende Grafik zu den behandelten Schulungsinhalten erstellt werden soll, so könnte der Lernassistent den Hinweis auf eine Software wie z. B. easelly geben, mit Hilfe derer professionelle Infografiken erstellt werden könnten. Ein digitaler Lernassistent wäre in formalen Lernsituationen, also in einem Lernraum genauso zugänglich wie am eigenen Arbeitsplatz mit Notebook bzw. PC.

Beispiel 7: Physische Lernassistenz

Alle oben beschriebenen Szenarien könnten innerhalb eines physischen Lernraumassistenten gebündelt werden, der dann sogar auf Sprachsteuerung reagieren könnte. Hierfür könnten Roboter wie Nabaztag, Pepper oder Kuri (vgl. Abschnitt 2.3.3) verwendet werden, die dann z. B. per Sprachbefehl eine bestimmte Präsentation starten, Musik und Beleuchtung regeln oder auch Informationen über die Screens anzeigen lassen kann. So könnten auch schnell und unkompliziert fehlende Personen via Skype zugeschaltet oder angerufen werden, indem der Roboter per Sprachbefehl aufgefordert wird: „Kuri, stelle Skype-Verbindung zu Michael Müller her“. Eine Interaktion mit einem Roboter eröffnet völlig neue Wege, da dieser in der Lage wäre zuzuhören und Gesagtes aufgreifen könnte, um den Lernprozess zu unterstützen oder eine bestimmte Aktion auszuführen. Ein großer Vorteil läge in seiner Beweglichkeit, da er auf seinen „Namen“ reagieren und im Bedarfsfall von Lerngruppe zu Lerngruppe navigieren könnte. Einen sehr großen Vorteil hätte dies insbesondere für den Lehrenden, der zeitkritische Bedarfe an den Roboter abgeben könnte. Statt nach einer Vorlage für eine Stärken-Schwächen-Analyse auf dem Computer zu suchen, könnte dem Roboter einfach gesagt werden, dass diese geöffnet werden soll: „Kuri, öffne SWOT-Vorlage“.

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Anwendung des ökosystemischen Modells nach Bronfenbrenner (1979) auf eine Neustrukturierung von SLE-Einflussfaktoren eine neue Struktur ergeben hat, die zu einer klaren Abgrenzung der unterschiedlichen Ebenen geführt hat. Im Ergebnis konnten alle Ebenen für einen SLE-Gestaltungsprozess definiert und beschrieben werden, wobei auch die dazugehörenden Faktoren weitgehend operationalisiert werden konnten.

Im anschließenden Kapitel 4 werden die Ergebnisse der Studie sowie die bisher unverbundenen Modellebenen in einer Gesamtschau zusammengeführt, um in einer Synthese der Ergebnisse direkte und indirekte Beziehungen sowie überraschende Querverbindungen zwischen den Erfolgsfaktoren lokalisieren zu können, die letztlich in einem umfassenden Vorgehensmodell münden.