1.1 Motivation und Einführung

Im Rahmen dieser Einleitung erfolgt in Unterkapitel 1.1 eine Hinführung zum Thema, indem aktuelle Herausforderungen der Wissensgesellschaft erläutert und in den Kontext der technologischen Entwicklungen gestellt werden. Die Ausgangssituation und Problemstellung wird in Abschnitt 1.2. dargelegt. Nähere Erläuterungen zur thematischen Verortung und des wissenschaftlichen Zugangs folgen in Abschnitt 1.3. Das Kapitel 1 schließt mit der Zielsetzung (Abschnitt 1.4) und dem Aufbau der Forschungsarbeit (Unterkapitel 1.5).

Während in industrialisierten Gesellschaften körperliche Arbeit, Rohstoffe und Kapital die zentrale Rolle spielen, sind in post-industriellen Gesellschaften Informationen, Wissen und Handlungskompetenzen die Schlüsselressourcen für sozialen und wirtschaftlichen Erfolg (North, 2002). Erzeugung, Nutzung und Organisation von Wissen ist die Quelle für Produktivität und Wachstum. In diesem Zusammenhang erhält der Begriff der Wissensgesellschaft eine wegweisende Bedeutung in dem Sinne, dass jeder Einzelne freien Zugang zu Wissen erhält und eine lebenslange Kompetenzentwicklung unterstützt wird. In der Wissensgesellschaft steht im Gegensatz zur Informationsgesellschaft der Mensch und dessen Fähigkeiten im Vordergrund (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001). Durch die steigende Anzahl von vorhandenen Wissensquellen wird es darüber hinaus wichtiger, dass Wissen in einem sozialen Prozess angeeignet wird, welcher sich durch Kooperation und eine „Kultur“ des Wissens auszeichnet (ebenda). Das Wissen der Zukunft basiert auf der Expertise einzelner Wissensträger*innen, welches durch zielgerichtete Vernetzung eine neue Qualität erreicht. Vernetzte und kollaborative Lernformate, die über die neuen Medien und Web 2.0 Tools ermöglicht werden, spielen eine bedeutende Rolle in der Kompetenzentwicklung des Einzelnen bis hin zur Wissensgesellschaft.

Dieser Strukturwandel geht mit technologischem Fortschritt einher und verlangt nach neuen pädagogischen Konzepten, die soziale Interaktionen im Kontext von Lernen und Arbeiten sinnvoll mit technologischen Errungenschaften verweben. Eine effektive Nutzung vorhandenen Wissens ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor geworden, allerdings sind die Orte der Wissensaneignung am Arbeitsplatz nicht optimal auf die Bedürfnisse der Lernenden angepasst. Wirtschaftlicher Erfolg ist mehr denn je vom Humankapital abhängig, welches sich dadurch erhöhen lässt, dass bestmögliche Voraussetzung zum Lernen und Arbeiten gestaltet werden. Die Berufs- und Arbeitswelt ist gekennzeichnet durch einen enormen technologischen Wandel und unterliegt stetiger Veränderung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden internetfähigen Hard- und Softwaresysteme. Dabei werden die Entwicklungszyklen immer kürzer, wohingegen das technische Niveau exponentiell ansteigt (BMWi, 2010). Seit Entstehung des Internets vor gut 20 Jahren werden immer neue Anwendungen und Geräte in so rasanter Geschwindigkeit produziert, dass bereits eine heutige Armbanduhr eine größere Rechenleistung als ein Computer der ersten Generation vorweisen kann (Biermann, 2013). Dies hat einerseits direkte Auswirkungen auf Arbeitsaufgaben und -abläufe und andererseits auch auf Bildungsprozesse, da diese den qualifikatorischen Grundstein für eine erfolgreiche Wirtschaft legen. Im Berufsleben werden zum einen immer weiterführendere Kompetenzen im Umgang mit dem Internet vorausgesetzt und zum anderen bieten neue technologische Entwicklungen wie das Internet der Dinge auch enorme Potenziale zur Erschließung neuen Wissens.

Wie wäre es, wenn uns zukünftig ein intelligenter Tisch, eine smarte Lampe oder ein interaktiver Fußboden (vgl. Abbildung 1.1) beim Lernen oder Arbeiten unterstützen würde?

Abbildung 1.1
figure 1

(Quelle: Ars Electronica)

Ein Beispiel eines überblendeten, interaktiven Lernraumes

Und wie sollten diese in einem Gesamtkonzept arrangiert werden? Im vorliegenden Forschungsprojekt werden die Disziplinen Bildungswissenschaft, Informatik und Architektur verbunden, um der Frage nachzugehen, ob und wie das Internet der Dinge Lehr- und Lernprozesse in physischen Lernräumen bereichern kann. Die Europäische Kommission hat das Internet der Dinge bereits 2009 als bedeutenden Treiber für Wirtschaft und Gesellschaft identifiziert und einen 14 Punkte Plan entwickelt, in dem es wie folgt heißt:

„…IoT [Internet of Things] is not yet a tangible reality, but rather a prospective vision of a number of technologies that, combined together, could in the coming 5 to 15 years drastically modify the way our societies function. By adopting a proactive approach, Europe could play a leading role in shaping how IoT works and reap the associated benefits in terms of economic growth and individual well-being, thus making the Internet of things an Internet of things for people“ (European Commission, 2009, S. 12).

Der Bericht ist nunmehr neun Jahre alt und wir befinden uns an einem bedeutenden Wendepunkt. Technologische Entwicklungen, auf welche die Unternehmen reagieren müssen sind nicht neu. Im Gegenteil, die Geschichte ist geradezu geprägt von kontinuierlicher Weiterentwicklung und industriellen Revolutionen. Neu ist allerdings, dass die Gesellschaft insgesamt und Wirtschaft im Besonderen mittlerweile von sprunghaften technologischen Entwicklungen betroffen sind, die derzeit im Rahmen der „Digitalen Transformation“ beschrieben und diskutiert werden (Cachelin, 2016). Organisationen müssen sich dynamisch und vor allem schnell verändern. Dieser Wandel, der sich sowohl auf der sozialen wie auch auf einer technischen Ebene manifestiert, ist dadurch gekennzeichnet, dass bis dato tradierte Handlungspraxen und Geschäftsmodelle durch die exponentielle Entwicklung neuer Technologien disruptiv unterbrochen werden. Diese exponentielle Entwicklung wurde bereits 1965 von Gordon Moore beschrieben, die in der Folge als Mooresches Gesetz bekannt wurde. Darin wird in einer „Faustregel“ angegeben, dass sich die Leistungsfähigkeit von Mikroprozessoren ungefähr alle 2 Jahre verdoppelt (Schaller, 1997).

Das Mooresche Gesetz beruht auf der Beobachtung, dass über einen langen Zeitraum durch die Fortschritte in der Halbleitertechnik ein schneller Leistungszuwachs bei gleichzeitiger Preisreduktion erreicht werden kann. Eine Verdoppelung der Leistung etwa alle 2 Jahre bedeutet:

  • in 10 Jahren: Einen Leistungszuwachs um Faktor 100

  • in 20 Jahren: Einen Leistungszuwachs um Faktor 10.000

Aufbauend auf den Erkenntnissen des Moorschen Gesetztes können Probleme, deren Lösung bis vor kurzem undenkbar gewesen wären, in den Bereich der Lösbarkeit (Broy, 2010a) überführt werden. Beispiele der Vergangenheit sind Navigationssysteme mit ihrem hohen Rechenbedarf, Computerspiele, aber auch das Data Mining der Suchmaschinen im Internet. Gleichzeitig sorgt die Preisreduktion und Leistungssteigerung dafür, dass in immer neuen Gebieten der Einsatz solcher Systeme wirtschaftlich vertretbar wird. Mit dem Einsatz der Systeme fallen weitere Daten an und es entsteht eine digitale Infrastruktur, die wieder den Schritt in weitere Innovationen eröffnet.

Aktuelle technologische Entwicklungen sind aufgrund ihrer Exponentialität entsprechende Wegbereiter für den Einsatz neuerer Technologien bzw. Technologiekonstrukte wie dem Internet der Dinge (IoT) oder der Künstlichen Intelligenz (AI). Sogenannte „Supercomputer“ werden bereits in wissenschaftlichen Einrichtungen oder auch in Unternehmen getestet und weiterentwickelt, um insbesondere Services basierend auf Künstlicher Intelligenz zu innovieren oder naturwissenschaftliche Modelle zu berechnen (vgl. hierzu die TOP500 Liste der 500 schnellsten Computersysteme).

In der Folge stehen Management und Mitarbeiter*innen vor neuen Herausforderungen, insbesondere was die Weiterbildung betrifft. Der technologische Wandel wirkt sich direkt auf die Arbeitswelt aus, etwa im Einsatz von Maschinen, Robotern (Industrie 4.0), technischer Arbeitsgeräte allgemein oder auch in der Art der Kommunikation, der Arbeitsprozesse oder Zusammenarbeit. Arbeit verändert sich und damit auch die Art wie wir diese gestalten (BMWi, 2017). Notwendiges Erlernen neuer Systeme, Prozesse, Umgangs- und Arbeitsformen werden als Aspekte einer lernenden Organisation zum ausschlaggebenden Wettbewerbsfaktor. Insofern sollten technologische Errungenschaften nicht nur indirekt auf Bildungsbelange in Form von neuen Kompetenzanforderungen wirken, sondern auch aktiv für die Gestaltung innovativer Bildungsformate genutzt werden, wie dies beispielsweise das Future Lab von Ars Electronica praktiziert (vgl. Abbildung 1.2).

Abbildung 1.2
figure 2

(Quelle: Ars Electronica)

Ein Beispiel eines überblendeten, interaktiven Lernraumes in Kombination mit Virtual Reality

Nicht zuletzt steht der Kulturwandel im Sinne einer lernenden Organisation als Leitwort für einen menschzentrierten Denkansatz, welcher neben dem technologisch bedingten Wandel auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen adressiert, um dualen Anforderungen an einen zukunftsorientierten Arbeitsplatz gerecht zu werden. Heutige Wissensprozesse zeichnen sich besonders durch den schnellen Wechsel zwischen individuellen und kollaborativen Arbeitsschritten, der Handhabung analoger und digitaler Artefakte sowie einer interdisziplinären Zusammenarbeit aus. Dadurch entstehen gleichsam „Brüche“ zwischen formalen und informellen, zwischen selbstgesteuerten und kollaborativen Lernphasen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ein fließender Übergang all dieser Lernprozesse eher selten gelingt (Sauter & Sauter 2013).

Gleichzeitig fordert der stetige Wechsel in der Wissensgenerierung durch den Umgang mit verschiedenen digitalen Devices und Services neue digitale Kompetenzen. Digitales Lernen erhält vermehrt strategische Relevanz in den Unternehmen. Von daher ist es erforderlich, dass sich die Mitglieder der Organisation stetig weiterbilden, um eine lernende Organisation zu ermöglichen. Doch wie können diese Lern- und Anpassungsprozesse strategisch erfolgreich eingeführt und operativ umgesetzt werden? Wie können modernste Technologien wie das Internet der Dinge für Lehr- und Lernprozesse effektiv genutzt werden?

Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse soll die vorliegende Forschungsarbeit neue Antworten auf die Herausforderungen der Wissensgesellschaft liefern. Das Wissen der Zukunft ist vernetzt, dezentral und interdisziplinär. Im Zentrum dieser Herausforderung stehen menschliche Bedürfnisse und nicht ausschließlich technische Möglichkeiten.

1.2 Ausgangssituation

Das Forschungsprojekt setzt sich vor dem Hintergrund der digitalen Transformation mit der Rolle des Internet der Dinge im Bildungskontext auseinander, wobei dem Forschungsprozess eine gestaltungsorientierte Perspektive zugrunde liegt. Es werden Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge auf Lehr- und Lernprozesse Erwachsener am Arbeitsplatz untersucht, wobei der Fokus auf einer didaktisch gezielten Verbindung von informellen und formalen Lernprozessen gelegt wird, um o. a. Brüchen entgegenzuwirken. Die neuen Erkenntnisse werden anschließend in einem Konzept zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen zusammengeführt.

Im Folgenden werden aufbauend auf den aktuellen technischen Entwicklungen, die im Rahmen der digitalen Transformation in Abschnitt 1.1 skizziert wurden, Beziehungen zum Kernthema „Bildung“ hergestellt, wobei insbesondere auf die Bereiche „Digitalisierte Bildung“ und „Lernen am Arbeitsplatz“ fokussiert wird. Weiterhin werden Bezüge und Zusammenhänge zum Technologiekonstrukt „Internet der Dinge“ herausgearbeitet, die ableitend in einer Problemstellung münden.

Technologische Fortschritte haben wie in Abschnitt 1.1 erläutert elementare Auswirkungen auf die Art und Weise der Vermittlung, Verarbeitung, Strukturierung, Speicherung, Aktualisierung und Erweiterung sowie des Austauschs von Wissen (Ebner, Schön & BIMS, 2011). Die Anzahl von verfügbaren Wissensquellen jeglicher Art wächst rasant an, wobei es schwerfällt, aus der Fülle der vorhandenen Wissenseinheiten noch den Überblick zu behalten. Nach Aussagen vom Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung wurden im Jahr 2012 1,8 Zettabyte an Daten weltweit produziert (Fraunhofer IOSB, 2013). Wirft man im Vergleich dazu einen Blick auf zukünftige Prognosen basierend auf dem weltweit produzierten Datenvolumen in Höhe von 16,1 Zettabyte im Jahr 2016, dann können laut Statista insgesamt 163 Zettabyte für das Jahr 2025 prognostiziert werden (Statista, 2017). In der Folge sehen sich Lernende damit konfrontiert, die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt zu finden sowie hochwertige Informationen von minderwertigen zu unterscheiden.

Die Konsequenzen der neuen Medien und des technischen Wandels wirken sich zunächst auf klassische Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten aus, reichen jedoch im Zuge des lebenslangen Lernens bis in den beruflichen Alltag hinein. Hierbei ist festzustellen, dass Lernen und Arbeiten immer stärker miteinander zusammenwachsen und mittels neuer Technologien verstärkt direkt am Arbeitsplatz nach benötigtem Wissen recherchiert wird, sozusagen „just in time“ gelernt wird. Dank innovativer Technologien wie beispielsweise Cloud-Computing sowie modernster Produkte wie Tablet PCs oder Smartphones wird die Datenverarbeitung zunehmend personalisiert und mobil. Das benötigte Wissen ist sofort abrufbar, da man „Always on“ ist. Nicht zuletzt durch neue Formen der Kollaboration im Web 2.0 unterliegt die Wissensverarbeitung fundamentalen Veränderungen. Demgegenüber steht das persönliche Wissensmanagement vor neuen Herausforderungen. Wie kann das vorhandene Wissen gezielt eingesetzt und verarbeitet werden? Welche Strukturen müssen etabliert werden, so dass jeder seinen Wissensprozess effektiv gestalten kann?

Insbesondere die Frage, wie man qualitativ hochwertige von weniger hochwertigen Inhalten unterscheiden kann, beschäftigt die Forschung im Bereich des Semantischen Web (Weller, 2009). Hierbei wird der Frage nachgegangen, wie schnell relevante Inhalte recherchiert werden können und in welcher Beziehung die Informationen untereinanderstehen, um somit eine Bedeutung und den Kontext der Informationen automatisiert zu erschließen. Es handelt sich somit um eine Erweiterung bzw. Weiterentwicklung des bisherigen Internet, wobei den Daten eine Bedeutung und der entsprechende Kontext hinzugefügt werden. Das Internet versteht gewissermaßen die Zusammenhänge von einzelnen Informationen und kann zusammengetragene Inhalte intelligent verbinden und verarbeiten (ebenda 2009).

Zukünftiges Arbeiten und Lernen wird sich derart verändern, dass intelligente Technologien mehr und mehr den Kompetenzerwerb unterstützen (Ebner u. a., 2011). Dazu bedarf es vernetzten und modern gestalteten Umgebungen, die die Phantasie und Kreativität anregen und die Lernenden motivieren, sich Inhalte selbständig zu erarbeiten. Hierfür werden eine intelligente Suche (Semantic Web) sowie ein unkomplizierter Zugriff auf Präsentations-, Informations- und Recherchemöglichkeiten notwendig. Wenn jedoch die aktuelle Bildungslandschaft betrachtet wird, stellt man fest, dass entgegen aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen zur Lehr- und Lernforschung noch immer ein traditionell geprägtes und bereits veraltetes Modell der Kompetenzentwicklung angewendet wird.

Demnach überwiegen deutlich lehrendenzentrierte Vermittlungsstrategien gegenüber einer lernendenzentrierten Lehre (Metz-Göckel, Kamphans & Scholkmann, 2012). Das bedeutet, dass insbesondere traditionelle Lehr- und Lernmethoden eingesetzt werden, die klassischen Frontalunterricht bzw. direkte Unterweisung zur Vermittlung von Wissen einsetzen und wenig abwechslungsreich gestaltet sind. Um jedoch zukünftigen Herausforderungen in Bezug auf Fachkräftemangel und immer höheren Ansprüchen seitens der Wirtschaft gerecht zu werden sowie um dem Übergang in die Wissensgesellschaft Stand halten zu können, bedarf es innovativer und alternativer Lehr- und Lernformate (am Arbeitsplatz), die bereits den Nachweis einer Wirksamkeit erbracht haben (ebenda, 221).

Dazu gehören mannigfaltig gestaltete Lernsettings, welche den Lernenden unterschiedliche Lernformen je nach pädagogischer Zielsetzung anbieten. Hierbei wird frontale Wissensvermittlung mit Phasen des selbstorganisierten Lernens oder mit (Klein-) Gruppenarbeit kombiniert, die einer eigenständigen und reflexiven Wissensverarbeitung und -verankerung dient. Moderne Lehr- und Lernmethoden wie beispielsweise kollaboratives Lernen, problemorientiertes Lernen, informelles Lernen, selbstgesteuertes Lernen, experimentelles Lernen, arbeitsprozessorientiertes Lernen, projektorientiertes Lernen, kooperatives Lernen, Lernen mit neuen Medien, Lernen durch Lehren, e-Learning, Game-based-Learning, Blended Learning, Mobile Learning etc., können ein derartiges, innovatives Lernarrangement unterstützen.

Hinzu kommen neue Formate wie beispielsweise „Flipped Classroom“, welches auch als „Inverted Classroom Model“ (ICM) bezeichnet wird (Handke & Sperl, 2012). „Flipped Classroom“ steht für einen "vertauschten Unterricht“, da die Lehrenden ihre Vorträge, die sie sonst als Frontalunterricht vortragen, per Screencast-Video aufzeichnen. Es ist ein innovativer Ansatz mit dem Ziel, Lehrveranstaltungen interessanter und interaktiver zu gestalten. Hierbei schauen sich die Lernenden den Vortrag bereits vor der Präsenzveranstaltung an und bereiten schon im Vorfeld spezielle Inhalte auf, die dann gemeinsam „Face2Face“ kollaborativ weiterbearbeitet werden. In der Präsenzveranstaltung bleibt somit ausreichend Zeit, um gemeinsam zu üben, zu diskutieren oder interessante Probleme zu vertiefen. Im Rahmen einer Untersuchung zum Einsatz des Inverted Classroom-Konzepts in einer Mathematikvorlesung der PH Heidelberg bewerteten Studierende das Veranstaltungskonzept überwiegend positiv. Darüber hinaus konnten Anzeichen für Strategien selbstregulierten Lernens aufgezeigt werden (M. Fischer & Spannagel, 2012). Flipped Classroom-Formate eignen sich auch für arbeitsplatzbezogenes Lernen, welches mit „Massive Open Online Courses“ (MOOCs) kombiniert werden kann (vgl. MOOCathonFootnote 1, Arbeiten 4.0-MOOCFootnote 2, Leuchtfeuer 4.0-MOOCFootnote 3).

Die sogenannten MOOCs sind eine spezielle Form von meist kostenlosen, frei zugänglichen Onlinekursen mit einer sehr hohen Teilnehmeranzahl. Im Herbst 2011 startete zum Beispiel im Umfeld der renommierten Stanford University ein MOOC zum Thema „Artificial Intelligence (AI)“, bei welchem 160.000 Teilnehmende angemeldet waren. Die Idee der Open Courses geht auf ein Konzept zurück, das von den kanadischen E-Learning-Experten Stephen Downes und George Siemens eingeführt wurde und eine besondere Form des vernetzten Lernens im Sinne des Konnektivismus darstellt (Bremer, 2013). Kennzeichnend für einen Open Course ist seine offene und dezentrale Infrastruktur, in welcher sich die Lernenden selbst die Ziele vorgeben und Inhalte in Form von Blogbeiträgen, Tweets, Podcasts, Videos, Sketchnotes etc. selbst erarbeiten und beisteuern.

Auf Grundlage der Meta-Analysen von Winteler und Forster (2008) sind positive Effekte zugunsten innovativer gegenüber traditionellen Lehrmethoden festgestellt worden, wobei Innovationen zu signifikanten Verbesserungen der Leistung von Lernenden führen. Auch in Bezug auf konstruktivistische Lernumgebungen belegen empirische Evidenzen, dass diese unter bestimmten Bedingungen das Lernen befördern können (Kyndt et al., 2011; Martin et al., 2003).

Konstruktivistische Lehr- und Lernmethoden beruhen auf der Annahme, dass jedes Individuum ein selbstreferentielles, autopoietisch abgeschlossenes System ist, das sich seine eigene Wirklichkeit konstruiert (Gerstenmaier & Mandl, 2011). Kriterium hierbei ist nicht eine objektive Wahrheit, sondern die subjektive Passung. Der Mensch bildet demnach als Beobachter der Welt diese nicht einfach ab, sondern er konstruiert und erschafft das, was er zu erkennen glaubt. Lernen ist demnach ein Prozess, der durch das lernende Individuum gesteuert wird. Was gelernt wird und wie gelernt wird, entscheidet der Lernende. Entscheidende Merkmale beim Lernen Erwachsener sind demnach, dass Lernprozesse aktivitätsorientiert und vorwiegend selbstgesteuert verlaufen, sich an arbeitsplatznahen Tools orientieren und im Wesentlichen situiert verlaufen. Die Kontextgebundenheit stellt somit ein wichtiges Kriterium beim Lernprozess dar (Gerstenmaier & Mandl, 2011). Im Kontext des situierten und kontextgebundenen Lernens Erwachsener erhält das Internet der Dinge eine besondere Relevanz (vgl. Kapitel 2).

1.2.1 Das Internet der Dinge im Bildungskontext

Nach Kaufmann (2015) beschreibt das Internet der Dinge eine globale Netzwerkinfrastruktur, an die Maschinen und Geräte angeschlossen werden. Ein wichtiges Merkmal des Internet der Dinge sind die sogenannten „Smart Objects“ – diese entstehen dadurch, dass Alltagsgegenstände (Objekte/ Dinge) mit „technischer Intelligenz“ ausgestattet werden. Somit sind die Objekte in der Lage, ihre Umgebung wahrzunehmen und Informationen zu verarbeiten. Diese „technische Intelligenz“ kann sich dabei sehr stark unterscheiden und reicht von einer eher passiven Informationsaufnahme, -speicherung und -verarbeitung bis zur autonomen Durchführung von Aktionen, indem die Dinge auf ihre Umgebung reagieren und mit ihren Nutzer*innen interagieren (Botthof & Bovenschulte, 2009). Technologische Grundlagen sind hier insbesondere Sensorik und Aktorik.

Soweit sensorische Elemente integriert sind, wird häufig auch der Begriff „Umgebungswahrnehmung“ gebraucht, der für unbelebte Objekte oder technische Systeme die Wahrnehmung ihres physischen Kontextes bzw. ihrer realweltlichen Umgebung durch Sensoren beschreiben. In der Informatik werden im Zusammenhang mit derartigen Sensornetzwerken auch die Begriffe „Ambient Intelligence“ (Umgebungsintelligenz) „Pervasive Computing“ (Rechnerdurchdringung) und „Ubiquitous Computing“ (Rechnerallgegenwart) verwendet. Im Zusammenspiel mit der Fähigkeit zu (teil-)autonomen Handeln entsteht aus der „Umgebungswahrnehmung“ die „Umgebungsintelligenz“ („Ambient Intelligence“). In einem „umgebungsintelligenten“ Umfeld kommunizieren untereinander vernetzte Dinge und Systeme, um Menschen in ihrer Alltags- oder Arbeitsumgebung zu unterstützen (Abicht et. al., 2010).

Das Internet der Dinge hält mehr und mehr Einzug in das private und auch das berufliche Leben, wobei technische Geräte und vermehrt auch Alltagsgegenstände mit "technischer Intelligenz" ausgestattet werden. In Bezug zur Bildung bedeutet dies, dass Lernprozesse insgesamt mehr und mehr digitalisiert und Lerninhalte beispielsweise multimodal angezeigt, neue Formen der Verarbeitung angeboten und Lernergebnisse automatisch aufgezeichnet, strukturiert und gespeichert werden, welche dann auch unterwegs oder von zu Hause aus abruf- und bearbeitbar sind.

Übertragen auf den Kontext der oben skizzierten konstruktivistischen Lernformate, bei welchen situatives und aktionsorientiertes Lernen im Fokus steht, könnten „IoT- Lernsysteme“ kontextbezogene Empfehlungen und Aktionen generieren, die den Lernenden auf Grundlage der aktuellen Situation und der zur Verfügung stehenden Daten, beim Lernen unterstützen.

Nunmehr stellt sich die Frage nach einer didaktisch fundierten Anwendbarkeit auf Lernprozesse. Wie könnte das Internet der Dinge das Lernen didaktisch sinnvoll und effektiv unterstützen? Was bietet diese Technologie, was andere Techniken nicht bieten? Oder noch konkreter, was haben Lernende davon, wenn Objekte untereinander vernetzt sind und Informationen austauschen? Welche Probleme werden durch das Internet der Dinge gelöst? Ein intelligenter Teppichboden könnte beispielsweise im Rahmen von Bildungszwecken zum Klavierspielen und gemeinsamen Musizieren verwendet werden, indem Fußschritte durch eine auf den Teppich aufgedruckte Tastatur aufgezeichnet und mit den darunterliegenden Sensoren sowie einem digitalen Piano gekoppelt werden (vgl. SensFloor®, 2013).

Auswirkungen und Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge bzw. intelligenter Systeme wurden bisher insbesondere in den Wirtschaftsbereichen Logistik, Telematik, Gebäudeautomation (SmartHome), industrielle Produktion und Telemedizin untersucht (BMWi 2008, BMBF 2007), wobei in erster Linie die Perspektive der Berufsbildungsforschung eingenommen wurde. Ziel dieser Untersuchungen war es, die als Früherkennungsinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt wurden, eventuell notwendige Anpassungen der Qualifikationsprofile auf Ebene der Berufsbildung möglichst frühzeitig zu identifizieren, um das Internet der Dinge flächendeckend in Deutschland einsetzen zu können.

Als Co-Autorin einer BMBF-Früherkennungsstudie aus 2010, in welcher Trendqualifikationen im Bereich Internet der Dinge mit Schwerpunkt auf Smart House identifiziert wurden (Abicht et.al., 2010), erweitert die Autorin der vorliegenden Forschungsarbeit o.a. Anwendungsbereiche, indem explizit ein bis dahin unberücksichtigter Bereich, der Bildungsbereich, ins Zentrum des Erkenntnisinteresses gerückt wird. Neben wirtschaftlich ausgerichteten Forschungsinteressen müssen auch Auswirkungen auf soziale Konstrukte untersucht werden. Diese Lücke soll in der vorliegenden Arbeit geschlossen werden.

Im Rahmen einer gestaltungsorientierten Perspektive werden systematisch Auswirkungen und Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge im Bildungsbereich erforscht. Wissenschaftlich fundierte Ansätze zur Anwendung des Internets der Dinge auf den Bildungssektor gibt es bisher nicht und befinden sich 2015 zu Beginn der Forschungsarbeit in ersten Diskussionen (Bremer, 2012).

Ausgangspunkt dieser Debatten ist die Aufnahme des Internet der Dinge in den Horizon Report im Jahre 2012 (Johnson, Adams & Cummins, 2012). Der Horizon Report identifiziert und beschreibt Technologien, die voraussichtlich innerhalb der kommenden fünf Jahre weltweit großen Einfluss auf den Bildungsbereich haben werden. Hier werden nur jene Trends aufgenommen, die ein Schlüsselkriterium für die aktuelle Bildungslandschaft darstellen und über eine eindeutige Relevanz für Lehre, Lernen und kreative Forschung im Hochschulbereich verfügen (ebenda, 39). Als wegweisende Technologien sind im Bericht von 2012 die folgenden identifiziert worden: Mobile Apps, Tablet Computing, Game-basiertes Lernen, Learning Analytics, Gestenbasiertes Computing und das Internet der Dinge, wobei sich der Zeithorizont vom ersten bis zum letztgenannten von ca. ein bis ca. fünf Jahre erstreckt (vgl. Abbildung 1.3).

Abbildung 1.3
figure 3

(Quelle: Eigene Darstellung)

Technologische Trendentwicklungen des Horizon Reports 2012

Weiterführende Diskussionen zur Übertragung des Internet der Dinge auf den Bildungsbereich wurden im Rahmen der Online Veranstaltung OpenCourse 2012Footnote 4 reflektiert. Dort wurden neben den innovativen Möglichkeiten des Lehrens und Lernens auch Aspekte der Datensicherheit bzw. der Risiken von Datenmissbrauch erörtert (Bremer, 2012). Durch das Internet der Dinge ändert sich beispielsweise der Vorlesungssaal rapide: die elektronische Tafel (Smart Board), Videoaufzeichnung mit „social tagging“, Tablets für jeden Lernenden, die eine interaktive Teilnahme an der Vorlesung ermöglichen (Skriptum, Hilfssysteme, Zugriff auf Hintergrundmaterial sowie auf das elektronische Tafelbild) schaffen eine rechnergestützte und intelligente Infrastruktur. Eben genannte Verfahren können bereits heutzutage relativ einfach umgesetzt werden.

Reinmann (2012) nimmt in einem Redemanuskript vom Mai 2012 Stellung zur Thematik Internet der Dinge und formuliert weitergehende Fragen, die sich auf die Auswirkungen der neuen Medien und des Internet der Dinge auf wissenschaftlich fundierte didaktische Modelle in der Lehre beziehen (Reinmann, 2012). Die Autorin plädiert für eine Änderung der Suchrichtung, die bisher beim Einsatz neuer Medien im Bildungsbereich von den innovativen Technologien ausgeht und diese dann in einem nachfolgenden Schritt auf Einsatzmöglichkeiten im Bildungsbereich hin überprüft. Diese Reihenfolge verfolgt auch der Horizon Report. Reinmann (2012) zufolge sollte jedoch die Perspektive dahingehend geändert werden, dass zunächst die Bedarfe oder gar Probleme der Lernenden im Fokus stehen und darauf aufbauend das Internet der Dinge als „Problemlöser“ didaktisch sinnvoll in Bildungsprozesse integriert wird. Somit erhielte die technische Innovation einen Nutzen und diene nicht ausschließlich einem Selbstzweck.

Ein derartiger Perspektivenwechsel wird im vorliegenden Forschungsprojekt aktiv aufgegriffen, indem die Bedürfnisse von lernenden Personen (auch im Sinne eines lebenslangen Lernens in der Arbeitswelt) berücksichtigt und aktuelle Herausforderungen – bezogen auf eine effektive Kompetenzentwicklung – beschrieben werden. Diese sollen dann in einem zweiten Schritt innerhalb intelligenter und hybrider Lernräume aufgelöst werden. Intelligente Technologien erzeugen auf diese Weise einen Mehrwert für Bildungsprozesse, da sie zur Problemlösung für Bildungsanliegen transformiert werden (Kerres, De Witt & Stratmann, 2003).

1.2.2 Untersuchungsgegenstand und Problemstellung

Gegenstandsbereich der Dissertation sind physische Lernräume, welche optimale Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen anbieten und sich in den Bereich „Architektur für Erwachsenenbildung“ einordnen lassen. Die Zeitschrift für Erwachsenenbildung widmet dem Thema „Architektur für Erwachsenenbildung“ die gesamte Ausgabe III/2012, in welcher ausgeführt wird, dass Raumkultur auf Lernkultur wirkt und damit Einfluss auf Bildungsmöglichkeiten ausübt (Ludwig, 2012).

Doch obwohl Räumlichkeiten Lehr- und Lernprozesse nachhaltig prägen, kann eine Forschungslücke festgestellt werden, welche sich darin äußert, dass „die Erwachsenenbildungswissenschaft mit Ausnahmen (Knoll, 1995) kaum eine fundierte Perspektive auf die Thematik“ entwickelt hat (Stang, Dollhausen & Schuldt, 2012, S. 20). Es fehlt an einem wissenschaftlichen Anforderungskatalog für die Architekten und all jene, die mit dem Bau von Bildungsinstitutionen betraut werden.

In der vorliegenden Forschungsarbeit wird der Untersuchungsgegenstand der Lernräume darüber hinaus durch zwei zentrale Attribute erweitert. Diese beziehen sich auf die Adjektive „intelligent“ und „hybrid“. Insofern geht es um eine besondere Art von Lernräumen, die spezifische Eigenschaften besitzen und intelligente sowie hybride Lernformen konstituieren.

Unter hybriden Lernwelten werden Lernszenarios verstanden, in der physische und virtuelle Lernräume miteinander verschmelzen und vielfältigste Lernarrangements miteinander kombiniert werden. Die multiplexen Möglichkeiten, die speziell durch die Nutzung neuer Medien und den Einzug des Web 2.0 auf soziales und gemeinschaftliches Lernen entstehen, müssen auch im Kontext der räumlichen Gestaltung Berücksichtigung finden. Kontextsensitive Technologien wie das Internet der Dinge sind Wegbereiter für die Gestaltung hybrider Lernräume, die ubiquitäre Lernformate ermöglichen. Ubiquitäres Lernen bedeutet, zu jeder Zeit und an jedem Ort lernen zu können, da die Umgebung über „Embedded Systems“ bzw. „Smart Objects“ (vgl. ab Abschnitt 2.1.1.1) verfügt und das Internet der Dinge unsichtbar in die Umgebung bzw. die Architektur integriert ist.

Darüber hinaus erhalten Verfahren aus der Künstlichen Intelligenz wie z. B. Machine Learning eine besondere Relevanz im Hinblick auf „intelligente Lernräume“. Diese konstituieren adaptive Lernformen z. B. mittels integrierter Empfehlungssysteme. Adaptives Lernen bedeutet, dass sich die Lernumgebung bzw. das Lernsystem bei der Darbietung von Lerninhalten und Lernmethoden an den Bedürfnissen der Lernenden orientiert. Grundlage eines adaptiven Lernformates ist die Anwendung von Learning Analytics, wodurch Lernprozess-Daten erhoben, ausgewertet und (semantisch) verknüpft werden können.

Wie im vorhergehenden Abschnitt hergeleitet, rangiert der Untersuchungsgegenstand an der Schnittstelle zwischen Bildungswissenschaften, Informatik und Architektur. Um den Untersuchungsgegenstand „intelligenter und hybrider Lernräume“ differenziert und systematisch erforschen zu können, bedarf es folglich einer Zusammenführung interdisziplinärer Erkenntnisse. Ein derartiger Forschungsansatz beugt einer einseitigen Suchrichtung vor und bündelt gezielt unterschiedliche Anforderungen an Lernräume, indem die interdisziplinären Disziplinen verschränkt werden. Dies beinhaltet einen wissenschaftlichen Diskurs zum aktuellen Forschungsstand „intelligenter und hybrider Lernräume“ aus unterschiedlichen Perspektiven, der im Rahmen der vorliegenden Dissertation geführt werden soll.

Für die Forschungsarbeit lässt sich darauf aufbauend folgende Problemstellung ableiten:

Zunächst einmal ist die Ausgangsposition und der Forschungsbereich keiner einzigen Fachdisziplin zuzuordnen. Die daraus resultierende Komplexität der Fragestellungen lässt sich nur durch eine Bündelung und Verschränkung unterschiedlicher Fachgebiete auflösen. Wie bereits in Abschnitt 1.2 skizziert, gibt es erste, eher einseitig geführte wissenschaftliche Diskurse, die sich mit der Thematik der Lernräume einerseits und dem Internet der Dinge im Bildungsbereich andererseits beschäftigen. Eine systematische Zusammenführung beider Aspekte wurde bisher nicht unternommen, obwohl sich das Internet der Dinge als eine konvergente Technologie am ehesten auf physische Lernumgebungen abbilden lässt (vgl. Kapitel 2). Dies ist eventuell darauf zurückzuführen, dass interdisziplinäre Forschungsvorhaben eher die Ausnahme darstellen. Zum anderen könnte es auch daran liegen, dass das Technologiekonstrukt Internet der Dinge noch relativ neu und unerforscht ist, so dass nur wenige bis keine theoretischen Grundlagen vorhanden sind, auf denen aufgebaut werden könnte.

Von daher erweitert sich die Problemstellung dahingehend, dass zur Komplexität und Interdisziplinarität des Untersuchungsgegenstandes, die theoretische Basis zunächst noch wissenschaftlich erarbeitet werden muss. Um dies leisten zu können, müssen in einem ersten Schritt Einflussbereiche und Faktoren erforscht und systematisch herausgearbeitet werden, um die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes zu reduzieren und einen Beitrag zur theoretischen Fundierung zu leisten. An dieser Stelle offenbart sich eine weitere Herausforderung der Forschungsarbeit. Denn wie können Einflussbereiche und Faktoren erforscht werden, wenn intelligente und hybride Lernräume mit ihren besonderen Eigenschaften noch gar nicht in der Bildungspraxis existent sind?

Um alle aktuell und auch zukünftig verfügbaren Technologien didaktisch sinnvoll für Bildungsprozesse in physischen Lernräumen zu erschließen, müssen bisherige Bildungskonzepte hinterfragt, neu gedacht und auf Basis aktueller Entwicklungen wissenschaftlich fundiert gestaltet werden (Reinmann 2012; Ludwig 2012). Eine ausschließliche Anpassung reicht hier nicht (mehr) aus. Auch eine mehr oder weniger sinnvolle Integration von Technologien in Lehr- und Lernprozesse erschließt nicht ansatzweise das Potenzial, das zur Verfügung steht, um die Bildungsinstitutionen der Zukunft zu gestalten.

Um nachhaltige Bildungsinnovationen zu entwerfen, bedarf es eines interdisziplinären und ganzheitlichen Ansatzes, welcher die Kompetenzen der Bildungswissenschaft, Informatik und Architektur bündelt. Nie zuvor wurden diese Disziplinen unter der Perspektive einer Neugestaltung von physischen Lernräumen zusammengeführt. Dieser Herausforderung widmet sich das vorliegende Dissertationsvorhaben.

1.3 Thematische Verortung und wissenschaftlicher Zugang

Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation und dem Einzug neuer Technologien wie dem Internet der Dinge, stehen in der Forschungsarbeit bildungswissenschaftliche Fragestellungen in Bezug zum lebenslangen Lernen am Arbeitsplatz im Mittelpunkt.

Ziel der Untersuchung ist die Entwicklung eines didaktisch fundierten Konzepts zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen im betrieblichen Umfeld. Dazu werden Erkenntnisse aus der aktuellen Lehr- und Lernforschung mit Ergebnissen aus der künstlichen Intelligenz sowie der Design- und Lernraumforschung kombiniert. Arbeits- und organisationspsychologische Erfahrungen hinsichtlich soziotechnischer Systeme runden den theoretischen Hintergrund ab. Dementsprechend liegt eine interdisziplinäre Verortung des Untersuchungsbereiches vor, bei welcher schrittweise die einzelnen Teilgebiete pro Fachdisziplin verdichtet werden. Die folgende Grafik veranschaulicht die thematische Verortung und Fokussierung des Untersuchungsgegenstandes (Abbildung 1.4).

Abbildung 1.4
figure 4

(Eigene Darstellung)

Interdisziplinärer Forschungszugang

Das Internet der Dinge bietet über die bereits einleitend skizzierten Anwendungsbereiche noch komplexere Lernszenarien wie beispielsweise Augmented-Reality-Simulationsumgebungen, die für arbeitsplatzbezogene, situierte Lernformen verwendet werden können und von daher relevant in Bezug zum Untersuchungsgegenstand sind.

Unter Augmented-Reality (AR) versteht man eine Erweiterung der Realität durch Zusatzinformationen, welche in der Regel „just in time“ über das Internet bezogen werden. Diese Zusatzinformationen können alle Sinnesmodalitäten ansprechen. Häufig erfolgt die Ergänzung in Form von erklärenden Texten, Bildern oder auch in Form von vertonten Podcasts und Videos. Mittels Augmented-Reality-Simulationsumgebungen werden völlig neue Lernformen möglich, welche in unterschiedlichsten Disziplinen der Geistes- sowie Naturwissenschaften eingesetzt werden können (Trochim, 2002). Zukünftig kann davon ausgegangen werden, dass Zusatzinformationen über AR-Brillen visualisiert werden können.

Weiterführende Forschungsaktivitäten gehen in Richtung virtueller Realitäten (VR) oder gemischter Realitäten (Mixed Reality), die derzeit beispielsweise mit HoloLens von Microsoft prototypisch entwickelt werden. Mit Holoportation kann ein Hologramm einer Person (oder eines Gegenstandes) live an einen anderen Ort in 3D und mit Sound wiedergegeben werden. Die entsprechende Person wird dabei an ihrem Aufenthaltsort durch eine große Anzahl an 3D-Kameras samt Mikrofonen aufgenommen. Die Daten werden komprimiert an den Ort übertragen, an dem sich der/ die HoloLens-Nutzer*in befindet, der/die über die Datenbrille das aus den Daten rekonstruierte Live-Hologramm sieht und mit der virtuellen Person auch sprechen kann. Laut Microsoft wird es mit dieser Technik möglich, selbst mit weit entfernten Personen so natürlich zu interagieren und zu sprechen, als befänden sie sich im gleichen Raum.

Rasante Weiterentwicklungen im Bereich der AR- und VR-Brillen haben in den letzten Monaten dazu geführt, dass sich selbst Endanwender derartiges Equipment leisten können. Eine „Low Budget“ Google-Cardboard-Brille ist im Versandhandel bereits unter 10 Euro erhältlich. Mit dieser können VR-Videos mit dem eigenen Smartphone abgespielt werden.

Nichtsdestotrotz werden Anwendungsmöglichkeiten von Augmented-Reality und Virtual-Reality für die Forschungsarbeit explizit ausgeklammert, da dies den Rahmen der Arbeit überfrachten würde. Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist bewusst auf physische Lernräume fokussiert, da diese im Gegensatz zu virtuellen bzw. Online Umgebungen weniger stark im Fokus der wissenschaftlichen Untersuchungen stehen.

1.4 Zielsetzung

Trotz wachsenden Interesses ist der Stand der Forschung zum Internet der Dinge wie auch zu physischen Lernräumen und erst recht in deren Kombination lückenhaft. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es daher, ein aktuelles Bild über Anwendungsmöglichkeiten des IoT für arbeitsplatzbezogenes Lernen in physischen Lernräumen zu zeichnen. Als Zielgruppe werden Bildungsverantwortliche in Unternehmen adressiert, die informelles und formales Lernen bzw. physische und digitale Lernräume verbinden möchten und gleichzeitig das Lernerlebnis durch innovative Technologien intensivieren sowie abwechslungsreich gestalten möchten. Das zu entwickelnde Konzept richtet sich an die betriebliche Weiterbildung mit einem Fokus auf sogenannte Wissensarbeiter*innen aus dem europäischen Kulturkreis.

Ein Großteil der bisherigen Studien zu IoT beschränkt sich auf die marktgerichtete Nutzung von IoT-Produkten und -Services und betrachtet in erster Linie Qualifikationserfordernisse, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern. Darüber hinaus werden überwiegend die Handlungsfelder Logistik, Produktion und SmartHome adressiert. Demgegenüber ist eine bildungstechnologische, gestaltungsorientierte und organisationsinterne Nutzung des IoT in Form von intelligenten und hybriden Lernräumen bisher nur wenig bis gar nicht erforscht. Die meisten Veröffentlichungen zum Internet der Dinge sind zudem sachlogischer Natur und orientieren sich an informationstechnischen Grundlagen.

Didaktisch sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten des Internet der Dinge auf Lehr und Lernprozesse in physischen Lernräumen wurden bisher nicht untersucht. Betrachtet man die Tatsache, dass es sich beim Internet der Dinge und erst recht bei der Übertragung des IoT auf Lehr- und Lernprozesse in Lernräumen um einen jungen, komplexen und interdisziplinären Forschungsgegenstand handelt, verwundert dies nicht.

Wie und wofür das Internet der Dinge von Lehrenden und Lernenden letztendlich genutzt werden kann, bleibt in der wissenschaftlichen Literatur unklar, ebenso wie die Einflussfaktoren, die einen intelligenten und hybriden Lernraum auszeichnen.

Die vorhergehenden grob skizzierten Forschungslücken, welche auf Basis einer umfassenden Literaturrecherche in Kapitel 2 und 3 genauer hergeleitet werden, spiegeln sich in den folgenden Forschungsfragen wider, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung beantwortet werden sollen. Die Forschungsfrage 1 hat insgesamt vier Unterfragen. Die Forschungsfrage 2 beinhaltet zwei Unterfragen:

Forschungsfrage F1: Welche neuen Lehr- und Lernformate entstehen durch das Internet der Dinge?

Forschungsfrage F1.1: Wie können Lernprozesse durch das Internet der Dinge unterstützt werden?

Forschungsfrage F1.2: Welche charakteristischen Einflussbereiche zeichnen intelligente und hybride Lernräume aus?

Forschungsfrage F1.3: Welche Erfolgsfaktoren müssen bei einer Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen berücksichtigt werden?

Forschungsfrage F1.4: Wie könnte ein didaktisch fundiertes Modell zur Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen aussehen?

Forschungsfrage F2: Wie kann der Lernraum die darin stattfindenden Lernprozesse unterstützen?

Forschungsfrage F2.1: Wie kann eine lernförderliche Raumatmosphäre erzeugt werden?

Forschungsfrage F2.2: Welche Anforderungen an die Gestaltung von Lernräumen gibt es?

Mit Hilfe eines umfassenden Literature Reviews sowie einer mehrstufigen, triangulativen Studie in Form eines Fokusgruppen-Workshops, halbstandardisierter Experteninterviews sowie vollstandardisierter Fragebögen sollen die Forschungsfragen beantwortet werden. Quantitative Methoden kommen bei der Beantwortung der Forschungsfragen F1.2 und F1.3 zum Einsatz (vgl. Abschnitt 3.5).

Das forschungsleitende Ziel der Arbeit ist es, den Untersuchungsgegenstand durch Anwendung des Internet der Dinge auf Lehr- und Lernprozesse systematisch und explorativ zu erforschen. Entsprechend erfolgt in einem ersten Schritt eine Annäherung an den Gegenstand über eine zielgerichtete Literaturanalyse angrenzender Disziplinen (vgl. Kapitel 2). In einem zweiten Schritt werden die aus der Theorie abgeleiteten Erkenntnisse in einem Modell zur Gestaltung intelligenter und hybrider Lernräume verdichtet, um dieses dann mittels Experteninterviews zu validieren und auf Grundlage der Expertenmeinungen zu konkretisieren.

Darauf aufbauend wird der deskriptive Ansatz im Sinne eines anwendungsorientierten Gestaltungsprozesses erweitert mit dem Ziel, ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zu entwickeln, das Organisationen mit konkreten Handlungsempfehlungen und Werkzeugen schrittweise bei der Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen unterstütz. Demnach liegt der Arbeit eine gestaltungs- und handlungsorientierte Sichtweise zugrunde.

Das zu entwickelnde Konzept basiert auf einem interdisziplinären Diskurs zum Thema intelligenter und hybrider Lernräume und leitet darauf aufbauend relevante Erfolgsfaktoren ab, die in einem ersten Modell gebündelt werden. Nach einer Validierung wird das erste Modell zu einem Framework erweitert, das Aufschluss über Wechselwirkungen zwischen den Faktoren liefert und als Analyse- und Planungswerkzeug ausgearbeitet wird. Handlungsempfehlungen zum methodischen Vorgehen in Form von Design Sprints, die eine auf dem Framework aufbauende SLE-Produktentwicklung ermöglichen, runden das Konzept inhaltlich ab.

Die folgende Grafik (vgl. Abbildung 1.5) verdeutlicht den gestaltungsorientierten Forschungsansatz und die einzelnen Bestandteile des zu entwickelnden Konzeptes:

Abbildung 1.5
figure 5

(Eigene Darstellung)

Forschungsleitendes Ziel

1.5 Aufbau der Forschungsarbeit

Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in vier Kapitel (vgl. Abbildung 1.6), die inhaltlich und methodisch aufeinander aufbauen. Kapitel 1 hat einleitend einen Überblick über die Motivation und Zielsetzung der Forschungsarbeit gegeben und eine theoretisch-thematische Einordnung des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen. Das Forschungsobjekt, der Forschungskontext sowie die Forschungsrichtung werden in Kapitel 2 eingeführt und Grundlagen zu den Themengebieten intelligenter und hybrider Lernräume, Internet der Dinge und Lernen am Arbeitsplatz erläutert. Zudem werden Begriffe dekonstruiert, definiert und abgegrenzt. Der aktuelle Forschungsstand zu intelligenten und hybriden Lernräumen (Smart Learning Environments) beendet Kapitel 2 in Form einer theoretischen Synthese, wobei die intensive Literaturanalyse der Herleitung von Forschungslücken dient. Basierend auf diesen theoretischen Grundlagen wird in Kapitel 3 das methodische Vorgehen dargestellt. Nach einer wissenschaftstheoretischen Einleitung wird das Modellierungsverfahren mit den identifizierten Einflussbereichen und Faktoren vorgestellt, die bei der Gestaltung von intelligenten und hybriden Lernräumen zu berücksichtigen sind.

Abbildung 1.6
figure 6

(Eigene Darstellung)

Aufbau der Forschungsarbeit

Alle identifizierten Faktoren werden in einem hypothetischen Modell zusammengeführt, welches ein Suchraster für die sich anschließende qualitative Interviewstudie darstellt. Es werden Modellierungsverfahren verglichen und erläutert sowie der eigene Modellentwurf vorgestellt. Der darauffolgende Abschnitt beschreibt die Forschungsmethodik, die eingesetzten Instrumente zur Datenerhebung, die Vorbereitung und Durchführung der Studie sowie die Auswertung der empirischen Daten. Kapitel 3 schließt mit der Darstellung der Ergebnisse, die im letzten Kapitel in ein umfassendes Konzept für die Praxis überführt werden. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit werden abschließend in Kapitel 4 zusammenfassend betrachtet, kritisch diskutiert und die Forschungsfragen beantwortet. Weiterhin werden Limitationen der Studien aufgezeigt und beurteilt. Im Rahmen einer Schlussbetrachtung wird der theoretische Erkenntnisgewinn erörtert und ein Ausblick auf zukünftige Forschungsthemen gegeben.