Zusammenfassung
Der vorliegende Artikel präsentiert zentrale Ergebnisse des Forschungsverbunds „Studienabbruch, Habitus und Gesellschaftsbild“ (STHAGE). Es handelt sich um eine qualitative Studie mit zwei Teilprojekten an zwei Standorten (Hochschule Hannover und Universität Duisburg-Essen), in deren Rahmen insgesamt 55 themenzentrierte, lebensgeschichtlich orientierte Interviews mit Studienabbrecher*innen und Studienzweifelnden geführt wurden. Die Befragten besuchten Hochschulen unterschiedlichen Typs und Fächergruppen, die nach hoher und niedriger Abbruchquote kontrastiert wurden. Die Interviews wurden mithilfe der Habitus-Hermeneutik ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass langfristig im Herkunftsmilieu erworbene und im Habitus eingelagerte Bildungsstrategien für die „Passung“ zur Kultur der Hochschule und des Faches relevant und damit auch für Studienzweifel und -abbrüche bedeutsam sind. Die sozial ungleichen Ressourcen und Voraussetzungen der Studierenden sollten daher konzeptionell im Diversitätsdiskurs wie auch in hochschulischer Praxis stärker berücksichtigt werden.
Abstract
This paper presents key findings from the research network “Dropout phenomena, habitus and social image” (German acronym: STHAGE). It is a qualitative study conducted at two locations (Hanover University of Applied Sciences and Arts and University of Duisburg-Essen). A total of 55 topic-centered, biographically oriented interviews were conducted with dropout students and those who had doubts about their studies. The respondents attended universities of different types and subject groups, which were contrasted according to high and low dropout rates. The interviews were analyzed by applying habitus hermeneutics. The findings show that long-term educational strategies acquired in the social milieu of origin and stored in the habitus are relevant for the "cultural fitting" to the university and to the subject and are therefore significant for study doubts and dropouts. Consequently, the socially unequal resources and preconditions of the students should be taken into account more conceptionally within the diversity discourse as well as in higher education practice.
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Notes
- 1.
Bei Studienzweifelnden handelt es sich um Immatrikulierte, die einen Studienabbruch ernsthaft erwägen. Studienabbrecher*innen sind exmatrikulierte Studierende, die die Hochschule i. d. R. ohne ersten Studienabschluss verlassen haben. Im Zuge der Stichprobenbildung wurde das Ziel verfolgt und überwiegend auch erreicht, dass der Abbruch nicht mehr als fünf Jahre zurückliegen sollte.
- 2.
Zwar gibt es in den Ingenieurwissenschaften Bemühungen, die Abbruchquoten zu senken, allerdings ändern die dazu ins Leben gerufenen Projekte wenig an bestehenden Studienanforderungen und -strukturen. Die befragten Expert*innen wiesen zudem darauf hin, dass die Einführung des Bachelor- und Mastersystems die Situation noch verschärft habe, weil nun mehr Prüfungsleistungen in kürzerer Zeit absolviert werden müssten.
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Danksagung
STHAGE wurde im Rahmen der Förderlinie „Studienerfolg und Studienabbruch“ vom BMBF gefördert und gemeinsam von der Universität Duisburg-Essen und der Hochschule Hannover bearbeitet (Förderkennzeichen: 01PX16009A/B).
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Pape, N., Heil, K., Lange-Vester, A., Bremer, H. (2021). Studienzweifel und Studienabbruch als Folge kultureller Passungsverhältnisse im Hochschulalltag – Ergebnisse aus dem qualitativen Verbundprojekt „Studienabbruch, Habitus und Gesellschaftsbild“ (STHAGE). In: Neugebauer, M., Daniel, HD., Wolter, A. (eds) Studienerfolg und Studienabbruch. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32892-4_5
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