Abstract
Wir untersuchen die Hypothese, dass ein wieder kandidierender Wahlkreisabgeordneter (Amtsinhaber) sich nicht nur positiv auf seine Erststimmen, sondern auch auf die Zweitstimmen seiner Partei und damit auf die Ergebnisse der Verhältniswahl auswirkt. Diese Bonusstimmen gehen nicht zulasten der kleinen Parteien oder zulasten ideologisch nahestehender möglicher Koalitionspartner. Stattdessen wirkt sich der Amtsinhaberbonus des Kandidaten einer großen Partei zum Nachteil der rivalisierenden großen Partei auf der Verhältniswahlebene aus. So stärkt die Existenz der Einerwahlkreise im deutschen Mischwahlsystem den Erfolg einer der beiden großen Parteien und fördert den bipolaren Wettbewerb und den Regierungswechsel, wirkt aber nicht mäßigend auf die Fragmentierung des Parteiensystems.
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Notes
- 1.
Ein gemischtes Verhältniswahlsystem als Option für Kanada wurde von zahlreichen Reformkommissionen empfohlen, z. B. von der Law Commission of Canada im Jahr 2004 (Law Commission of Canada. 2004. Voting Counts. Electoral Reform for Canada. Ottawa. http://www.publications.gc.ca/collections/Collection/J31-61-2004E.pdf), und ist eine von vier Optionen, die im Dezember 2018 in Britisch-Kolumbien einem Referendum unterzogen wurden. Im Ergebnis sprachen sich die Wähler mehrheitlich für die Beibehaltung des Mehrheitswahlsystems aus. Moldawien führte ein Grabenwahlsystem mit der Wahlreform von 2017 ein, insbesondere trotz der Empfehlungen der Venedig-Kommission, die Bedenken hinsichtlich des starken Einflusses von Geschäftsleuten und anderen nicht wahlberechtigten Akteuren auf den Wahlprozess innerhalb von Einerwahlkreisen äußerte (Stellungnahme Nr. 884/2017 der Venedig-Kommission. Straßburg/Warschau, 19. Juni 2017). Es wurde im Juli 2019 zugunsten eines Verhältniswahlsystems wieder abgeschafft.
- 2.
Lokale Kandidaturen haben auch das Potenzial zu negativen Nebenwirkungen. Wenn starke lokale Kandidaten Parteilistenstimmen sammeln, schaden schwache Kandidaten der lokalen Parteiunterstützung und provozieren so einen negativen Einfluss auf die Parteilistenstimmen. Dies ist zu erwarten, wenn die Partei einen Kandidaten nominiert, der als inkompetent gilt, der den Wählern im lokalen Wahlkreis unbekannt ist oder von der Parteilinie abweicht. Es könnte daher ratsam sein, keinen Kandidaten zu nominieren, wenn kein starker Kandidat zur Verfügung steht.
- 3.
Andere Mischwahlsysteme, die Doppelkandidaturen zulassen, existieren in Neuseeland und in Japan.
- 4.
Eine Ausnahme bildet die PDS bzw. die Linkspartei, deren Kandidaten seit 1990 in Ostdeutschland des Öfteren aussichtsreich kandidierten. Die Grünen gewannen wiederholt einen der Berliner Wahlkreise und die AfD war bei der Bundestagswahl 2017 in drei Wahlkreisen in Sachsen erfolgreich.
- 5.
Wir verwenden die Politbarometer-Umfragen, die in den zwei Monaten vor der jeweiligen Wahl durchgeführt wurden. Die Studiennummern lauten ZA0055, ZA0056, ZA0556, ZA0426, ZA0635, ZA0823, ZA1053, ZA2209, ZA1536, ZA1920, ZA1987, ZA2546, ZA2559, ZA3160, ZA3849, ZA3850, ZA4259, ZA4258, ZA5432, ZA5431 und ZA5677 (siehe GESIS-Datenarchiv, https://search.gesis.org/). Ab 1990 berechnen wir gewichtete Mittelwerte, um das Oversampling der ostdeutschen Wählerschaft auszugleichen.
- 6.
Die Schätzungen werden mit dem Paket systemfit (Version 1.1–14) in R durchgeführt (Henningsen und Hamann 2007).
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Pappi, F.U., Kurella, AS., Bräuninger, T. (2021). Gegenseitige Einflüsse von lokalen und nationalen Parteimerkmalen auf Erst- und Zweitstimmen in den Wahlkreisen. In: Parteienwettbewerb und Wählerverhalten im deutschen Mischwahlsystem. Wahlen und politische Einstellungen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32861-0_9
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