Wie in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt, beruht die transformative Forschung auf ähnlichen Annahmen wie die Theorie des diskursiven Institutionalismus, laut welcher Akteur*innen durch neue Ideen und Diskurse letztlich Politikveränderungen herbeiführen können. Um herauszufinden, inwieweit dies bei bisherigen transformativen Forschungsprojekten auch gelang oder was dafür nötig wäre, wird im Rahmen einer Analyse untersucht, ob mithilfe zweier Anwendungen transformativer Forschung in Wuppertal bereits erfolgreich die Ideen in städtischen Diskursen diffundiert sind, ob damit eine Grundlage für eine Transformation gelegt wurde oder ob dies sogar bereits erfolgreich war. Was für eine umfassende Transformation ansonsten noch notwendig wäre, soll im Anschluss an die empirische Analyse konzeptionell aus der Theorie und den Ergebnissen der Empirie geschlussfolgert werden, indem Handlungsempfehlungen für die transformative Forschung herausgearbeitet werden (siehe Abschn. 6.2). Daneben dient die Analyse einer Weiterentwicklung der Theorie (siehe Abschn. 6.1).

In den folgenden Abschnitten wird zunächst der Ansatz der Kongruenzmethode vorgestellt (Abschn. 4.1) und die Auswahl der beiden Fälle (Abschn. 4.2) erläutert. Daran anschließend werden die Prognosen dargestellt, die mithilfe der Kongruenzmethode auf Übereinstimmung mit der Empirie abzugleichen sind (Abschn. 4.3), und die Erhebungs- und Auswertungsmethoden dargelegt (Abschn. 4.4 und 4.5). Im abschließenden Teil dieses Kapitels wird die Methode sowie die Rolle der Autorin kritisch beleuchtet und die Strategien zur Einhaltung von Qualitäts- und Gütekriterien dargelegt (Abschn. 4.6).

4.1 Vergleichende Fallstudie mithilfe der Kongruenzmethode

Aus der im vorherigen Kapitel beschriebenen Theorie zum diskursiven Institutionalismus wurden Kriterien hergeleitet, wann es eher zu einer Politikveränderung kommt und wann diese erschwert ist. Dabei wurde auch gezeigt, dass die meisten Studien, die bisher den diskursiven Institutionalismus als Grundlage verwenden, Fälle untersuchen, bei denen das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Wandel bereits von vorneherein ersichtlich ist. Ob der diskursive Institutionalismus auch in der Lage ist, kleinere Veränderungen zu erklären, soll in dieser Arbeit mithilfe der Kongruenzmethode geprüft werden. Dadurch, dass kleinräumige Projekte bereits nach drei Jahren Laufzeit analysiert werden und das Vorhandensein von Wandel zu erheben ist, stellt das vorliegende Buch auch eine methodische Weiterentwicklung des diskursiven Institutionalismus dar. Daneben bezieht sich die transformative Forschung bisher weitestgehend auf Erkenntnisse der Transition-Forschung, so insbesondere der MLP. Im Bereich der transformativen Forschung und allgemein Prozessen der Nachhaltigkeitstransformation wurde der diskursive Institutionalismus bisher kaum verwendet (siehe Abschn. 3.5). So können zum Forschungsfeld der transformativen Forschung und allgemein der Nachhaltigkeitstransformation gegebenenfalls wertvolle Erkenntnisse generiert werden, sollte sich der diskursive Institutionalismus als anwendbar herausstellen.

Der Ansatz der Kongruenzmethode wurde von George und Bennett (2005) eingeführt. Andere Autor*innen verweisen auf deren Buch „Case studies and theory development in social sciences“, verwenden dann allerdings teilweise den Begriff Kongruenzanalyse (Blatter et al. 2018; Blatter und Blume 2008; Haverland 2010). Im Folgenden werden die Begriffe Kongruenzmethode und Kongruenzanalyse auswechselbar verwendet. Dieser Ansatz ist eher als Perspektive beziehungsweise als eine Vorgehensweise bei Fallstudien zu verstehen, denn als ein spezifisches Analysewerkzeug. Wie genau vorgegangen wird, bleibt in der genannten Literatur größtenteils unklar. Als mögliche Datenquellen werden Interviews, Dokumente, statistische Daten sowie Sekundärquellen wie wissenschaftliche Veröffentlichungen genannt (Blatter et al. 2018, S. 275). Meist wird qualitativ analysiert, teilweise jedoch durch quantitative Berechnungen ergänzt. Spezifisch ist für die Kongruenzmethode, dass deduktiv aus einer oder mehreren Theorien heraus Erwartungen abgeleitet werden, was laut dieser Theorien in einem oder mehreren Fällen zu erwarten wäre. Der oder die Forschende untersucht dann jeweils, ob eine gewählte Theorie die Beobachtungen in den ausgewählten Fällen erklären kann, ob also die Prognosen aus der Theorie in der Empirie eingetreten sind (George und Bennett 2005, S. 181). Dabei schaut die Kongruenzmethode nicht auf den zeitlichen Ablauf oder die Identifikation von Kausalmechanismen, sondern vergleicht die aus der Theorie hergeleiteten Prognosen mit den Ergebnissen in den Fallstudien (Blatter et al. 2007, S. 151). Die Fallauswahl sollte dahingehend erfolgen, was sie in Bezug zu einer oder mehreren Theorien erwarten lässt (Nordbeck 2013, S. 141). Folgendes Vorgehen wird dabei in der Literatur vorgeschlagen:

Im ersten Schritt der Kongruenzanalyse wird herausgearbeitet, was für eine Entwicklung die Theorie für einen ausgewählten Fall unter den gegebenen Voraussetzungen prognostizieren würde; Indikatoren dafür werden festgelegt (Blatter et al. 2007, S. 151; George und Bennett 2005, S. 181; Nordbeck 2013, S. 142). Im nächsten Schritt wird überprüft, ob sich diese Prognosen in der Empirie bestätigt finden, ob also eine Kongruenz zwischen Theorie und Empirie vorliegt. Diese Übereinstimmung kann jedoch noch nicht als Kausalität gedeutet werden. Dafür wäre eine weiterführende Analyse notwendig (Blatter et al. 2007, S. 151; George und Bennett 2005, S. 181; Nordbeck 2013, S. 142). Blatter et al. merken an,

„[…], dass die Kongruenz-Methode nach unserem Verständnis kaum auf die Feststellung der Kovarianz von abhängigen und unabhängigen Variablen zielt, sondern auf einen detaillierten Vergleich der vielfältigen Implikationen einer etablierten Theorie mit empirischen Tatbeständen in einem oder mehreren Fällen.“ (Blatter et al. 2007, S. 155)

So kann die Kongruenzmethode zur Theorieentwicklung beitragen, diese anpassen, stärken oder verwerfen (Blatter et al. 2007, S. 156; Blatter und Blume 2008, S. 325; George und Bennett 2005, S. 182). Die Methode kann außerdem helfen, einen Theoriediskurs zu erweitern, indem beispielsweise eine Theorie auf ein neues Untersuchungsfeld angewendet wird oder neue theoretische Perspektiven getestet werden (Blatter et al. 2018, S. 267 f.), was hier geschehen soll, indem der diskursive Institutionalismus in einem Teil des Feldes Nachhaltigkeitstransformation systematisch auf Anwendbarkeit getestet wird. Für die Kongruenzanalyse eignen sich insbesondere Theorien, die mehr als nur eine abhängige und eine unabhängige Variable in Verbindung bringen, sondern mehrere Variablen betreffen (Blatter und Blume 2008, S. 326). So können Übereinstimmungen zwischen mehreren Elementen der Theorie überprüft werden (Blatter et al. 2007, S. 151).

Laut George und Bennett (2005, S. 182 f.) ist die Kongruenzmethode sowohl für Einzelfallstudien als auch vergleichende Fallstudien geeignet und kann mithilfe einer oder mehrerer konkurrierender Theorien durchgeführt werden, wohingegen Blatter und Blume (2008, S. 325) sowie Blatter et al. (2018, S. 266) vorschlagen, mindestens zwei konkurrierenden Theorien zu verwenden. In dieser Arbeit soll die Kongruenzmethode, wie von George und Bennett (2005, S. 182 f.) vorgeschlagen, als vergleichende Fallstudie mit lediglich einer Theorie durchgeführt werden, um zu untersuchen, ob der diskursive Institutionalismus die Vorgehensweise der transformativen Forschung erklären kann und ob bereits eine Veränderung eingetreten ist. Da dieser neue Forschungsansatz, ohne tiefgehend theoretisch fundiert zu sein, implizit doch an die gesellschaftliche Wirkung von neuen Diskursen und die spezifischen Akteur*innenkonstellationen von transformativen Forschungsprojekten glaubt, ist es zunächst sinnvoll zu prüfen, ob die im diskursiven Institutionalismus genannten Mechanismen und Prognosen mit der Empirie übereinstimmen. Die Kongruenzmethode stellt hier eine hilfreiche Vorgehensweise dar, um die Theorie mit den Fällen auf Übereinstimmung zu prüfen.

Dazu wird eine vergleichende Analyse von zwei Fällen durchgeführt, die beide zum Ziel haben, Veränderungen anzustoßen, bei denen jedoch davon ausgegangen wird, dass sie aufgrund ihrer kurzen Projektlaufzeit noch keine umfassende Transformation – also keinen Paradigmenwechsel – bewirkt haben. Ob sie bereits die Diffusion von neuen Ideen im städtischen Kontext bewirkt und Diskurse verändert haben, soll im Rahmen der Analyse aufgedeckt und diese Ergebnisse mit den Prognosen aus der Theorie auf Kongruenz überprüft werden. Da Fallstudien ein tieferes Verstehen weniger Fälle ermöglichen, mit dem Ziel, existierende Theorien weiterzuentwickeln (Blatter et al. 2007, S. 127; Kaiser 2014, S. 4; Muno 2009, S. 121), wird hier das Vorgehen einer vergleichenden Fallstudie mit dem Vorgehen der Kongruenzmethode verknüpft.

4.2 Fallauswahl

Wie im Abschnitt 3.3.2 beschrieben, hängt erfolgreiche Veränderung von Ideen, Politik und Institutionen von folgenden Kriterien ab: Vorhandensein, Wahrnehmung und Kommunikation einer Krise oder eines Widerspruchs – sowohl aus inneren Herausforderungen als auch exogenen Ereignissen heraus – die als Gefahr für die bestehende Macht- und Ressourcenverteilung wahrgenommen wird; das Vorhandensein einer Idee, die als legitim, relevant, umsetzbar und für den Kontext angemessen, sowie als effektiver oder nützlicher als andere Vorschläge erscheint. Außerdem müssen institutionelle Unternehmer*innen vorhanden sein, die die neue Idee vertreten und deren Umsetzung fordern. Sie benötigen Zugang zu Entscheidungsträger*innen und müssen breit vernetzt sein, um die Idee erfolgreich umsetzen zu können.

Für die Analyse werden daher zwei Fallbeispiele ausgewählt, die sich in mehreren dieser Kriterien unterscheiden, jedoch auf dasselbe Paradigma beziehen. Ausgehend von der Theorie werden einem der Fälle größere Erfolgsaussichten beim Anstoßen von Veränderung prognostiziert als dem anderen, weshalb sie sich gut für eine Kongruenzanalyse eignen. Im Folgenden wird der Kontext beider Fallbeispiele sowie die Auswahl der Fälle erläutert und begründet.

Transformative Forschung als neuer Forschungsansatz wurde bisher nur in wenigen Projekten explizit erprobt. Maßgebliche Akteur*innen dabei sind unter anderem der WBGU sowie das WI. Durch die Position von Professor Uwe Schneidewind als Präsident des WI von 2010 bis 2020 und seine Mitgliedschaft im WBGU von 2013 bis 2020 ist Wuppertal ein räumlicher Fokus transformativer Forschung geworden. Erste Projekte, die sich selbst im Sinne transformativer Forschung verstehen, wurden vom WI und dem Transzent in Wuppertal durchgeführt und standen miteinander im Zusammenhang. Dadurch stellt diese Stadt einen interessanten Fall für eine Analyse der Wirkungen dieses Forschungsansatzes dar.

Als Zeitraum der Analyse wird die Laufzeit des Forschungsprojektes Wohlstands-Transformation Wuppertal (WTW) von Mai 2015 bis Mai 2018 gewähltFootnote 1, welches das erste große gemeinsame Projekt der beiden Institute (WI und Transzent) darstellt und wohl eines der ersten Projekte war, das sich explizit als transformatives Forschungsprojekt bezeichnete. Im Rahmen dessen hat das Transzent enge Kontakte mit der Stadtgesellschaft und -politik geknüpft und ist vermehrt als Akteur der Transformation in der Stadt aufgetreten (Schneidewind et al. 2018, S. 16; Transzent und WI 2018). Zwei Projekte, die als Teilprojekt beziehungsweise eng angeschlossenes Projekt stattgefunden haben, werden im Rahmen einer vergleichenden Fallanalyse genauer betrachtet. Ob diese Projekte bereits zu einer Veränderung geführt beziehungsweise erfolgreich neue Ideen in die städtischen Diskurse eingebracht haben, wird in der folgenden Analyse untersucht.

Diese zwei ausgewählten Fälle beziehen sich beide auf die Forderung nach neuen Wohlstandsmodellen und einem Ersetzen des Wachstumsparadigmas (siehe Abb. 4.1): Die Entwicklung von Wohlstandsindikatoren für Wuppertal im Rahmen des Projektes WTW sowie die Entwicklung der App „Glücklich in Wuppertal“.

Abb. 4.1
figure 1

Quelle: Hall (1993). Eigene Darstellung

Veränderungsintension der Fallbeispiele. Die Abbildung zeigt, an welcher Stelle die Fallbeispiele mit ihren Zielen Veränderungen bewirken wollen. Zugeordnet zu den drei Graden der Veränderung nach Hall (1993) intendieren beide Fallbeispiele einen Wandel dritter Ordnung beziehungsweise eine Transformation.

Zur Entwicklung der Wohlstandsindikatoren für Wuppertal wurde die Stadtgesellschaft stichprobenartig im Rahmen eines Workshops mit Mitgliedern von zivilgesellschaftlichen Organisationen und einer Umfrage mit einer Zufallsstichprobe von Wuppertaler Einwohner*innen ab 16 Jahren zu ihren Vorstellungen des guten Lebens befragt. Anschließend wurde der BLI mit seinen elf Dimensionen und dazugehörigen Indikatoren auf die Stadt Wuppertal angepasst und zu zwölf Dimensionen weiterentwickelt. Zusätzlich wurde in Gesprächen und städtischen Prozessen die Etablierung der Indikatoren und Dimensionen in der Stadtpolitik und -verwaltung angestoßen. Ziel war es, ein erweitertes Verständnis von Wohlstand zu schaffen, das städtische Entscheidungen in Zukunft lenken kann. Angesiedelt war das Projekt am Transzent. Das WI war Projektpartner und hat die Projektidee von Beginn an maßgeblich vorangebracht. Finanziert wurde es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Förderlinie Nachhaltiges Wirtschaften für die Dauer von drei Jahren.

Die Entwicklung der Wohlstandsindikatoren war in eine Reihe weiterer Teilprojekte eingebettet, die das Ziel hatten, mithilfe des Reallaboransatzes (Wanner et al. 2018) lokale Projekte regionalen Wirtschaftens aufzubauen oder zu begleiten, die eine Transformation in Wuppertal unterstützen sollten. Die Wohlstandsindikatoren stellten dabei als Klammer des Projektes die Zielrichtung der Veränderung dar, um den Wohlstand bei geringem Ressourcenverbrauch zu erhöhen. Daneben wurden die Wohlstandsdimensionen zur Abschätzung der Beiträge der Reallabore zum Wuppertaler Wohlstand im Rahmen von transdisziplinären Workshops abgeschätzt (Transzent 2018a). Auch in städtische Prozesse wurden diese Wohlstandsdimensionen bewusst eingebracht, so als Kriterienset zur Bewertung von Projektvorschlägen im Rahmen eines Bürgerbudget-Prozesses der Stadt Wuppertal im Jahr 2017. Eine ähnliche Nutzung wurde für die Stadtentwicklungsstrategie W2025 geplant, jedoch nie realisiert (Transzent 2018a, 2018b). Während die zwölf Wohlstandsdimensionen mehrmals genutzt wurden, sind die konkreten Indikatoren bisher nicht zur Anwendung gekommen. Die Berechnungen dieser Indikatoren für die Stadt Wuppertal im Zeitvergleich sind bisher auch noch nicht vollständig öffentlich dokumentiert.

Der zweite Fall, das Projekt „Glücklich in Wuppertal“, zielt darauf ab, mit der Entwicklung und Anwendung einer App die Datenlage zu subjektiven Indikatoren in Wuppertal zu verbessern und den Blick auf subjektive, nicht-materielle Faktoren von Lebensqualität zu lenken. Gleichzeitig sollte durch kurzfristige Panelbefragungen der Bevölkerung ein neues Beteiligungsinstrument geschaffen und Einschätzungen der Teilnehmenden zu stadtpolitischen Fragen erhoben werden. Die App wurde von einem Konsortium aus WI und Happiness Research Organisation (HRO) mit Unterstützung der Stadtsparkasse Wuppertal und den Wuppertaler Stadtwerken (WSW)Footnote 2 entwickelt und in Wuppertal umgesetzt. Ermöglicht wurde das Projekt durch Anschubfinanzierung vom Forschungsinstitut Gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW), Eigenanteile der beteiligten Forschungsinstitute sowie finanzielle Unterstützung der WSW und Stadtsparkasse Wuppertal.

Der Fragebogen der App wurde zwischen 2017 und 2018 über 2000 Mal ausgefüllt, ein stabiles Panel konnte bisher jedoch noch nicht aufgebaut werden und die Erhebung ruht derzeit (Haake et al. 2019). Im Rahmen städtischer Prozesse konnten die ersten Ergebnisse der Erhebungen trotzdem bereits genutzt werden. So wurden im Rahmen des Stadtentwicklungskonzeptes Wuppertal 2030 (STEK2030) zusätzliche Fragen in den Fragebogen aufgenommen und die Einschätzung der Teilnehmenden zu Stadtentwicklungsthemen in das Konzept integriert. Für die Evaluierung der vorhergegangenen Stadtentwicklungsstrategie W2025 war es geplant, die App zu nutzen, wozu es dann allerdings nicht mehr gekommen ist (Haake et al. 2019; Stadt Wuppertal 2018, o. J.).

Das WI versteht die verschiedenen Aktivitäten in Wuppertal als gesamtstädtisches Reallabor (Schneidewind et al. 2018, S. 16). Die beiden zur Analyse ausgewählten Projekte stellen dabei zwei Vehikel dar, die zur Transformation beizutragen und alternative Verständnisse von Lebensqualität zu fördern versuchen. Eine vergleichende Analyse kann daher spannende Erkenntnisse darüber liefern, welcher der Fälle, die sich insbesondere hinsichtlich der Akteur*innenzusammensetzung, der vorhandenen Netzwerke und Kommunikationsmaßnahmen unterscheiden, ein größeres Potenzial und eine größere Wirkung hat und mit welchen Diskursen, Ideen und Akteur*innenkonstellationen transformative Forschung erfolgreicher ist.

4.3 Prognosen für die Kongruenzanalyse

Die beiden ausgewählten Projekte beziehen sich auf dieselbe Forderung der transformativen Forschung und finden im selben städtischen Kontext statt (siehe Abschn. 2.4), beziehen sich dabei aber auf sehr unterschiedliche Begrifflichkeiten und Ideen (Glück vs. Wohlstand) und werden von sehr unterschiedlichen Kooperationspartner*innen durchgeführt (Forschungsinstitutionen und lokale Unternehmen vs. lediglich Forschungsinstitutionen). Dadurch ist davon auszugehen, dass die Ideen Zugang zu unterschiedlichen Diskursarenen hatten und durch die jeweiligen Konstellationen von Akteur*innen auch unterschiedliche Veränderungen anstoßen konnten. Auch ist davon auszugehen, dass die Verwendung der zwei Konzepte Glück und Wohlstand unterschiedliche Akteur*innen mobilisieren konnte und die Anschlussfähigkeit mit bestehenden Ideen und Diskursen variiert (siehe Abschn. 3.3.2). Daher sollen die zwei Fälle im Hinblick auf die Ideen, Akteur*innen, Diskurse und Anzeichen für Politikwandel untersucht werden.

Die heterogene Zusammenstellung des Projektkonsortiums bei „Glücklich in Wuppertal“ und die damit einhergehenden größeren Netzwerke könnten laut diskursivem Institutionalismus ein Indiz für eine Stärke dieses Falls gegenüber den Wohlstandsindikatoren sein. Ebenso könnte es sein, dass der Begriff Glück gegebenenfalls leichter an lokale vorhandene Ideen anknüpfen kann als die Umdefinition des Begriffes Wohlstand und weniger deutlich das bestehende Wachstumsparadigma hinterfragt, was ebenfalls darauf hindeuten würde, dass „Glücklich in Wuppertal“ größere Chancen hätte, Veränderungen anzustoßen. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass eine Umdefinition des Begriffes und eine andersartige Messung von Wohlstand eine tiefergehende Veränderung darstellen würde als die vermehrte Verwendung des Begriffes Glück, weshalb – wenn erfolgreich – die Wohlstandsindikatoren einen Wandel höherer Ordnung (siehe Abschn. 3.3.1) anstoßen könnten als „Glücklich in Wuppertal“. Wie im vorangegangenen Abschnitt erörtert, intendieren jedoch beide Fälle einen Paradigmenwechsel – also eine Transformation – vom Wachstumsparadigma hin zu alternativen Wohlstandsverständnissen. Aus dem diskursiven Institutionalismus werden daher folgende Prognosen zu den beiden Fällen abgeleitet (siehe Tab. 4.1), die mithilfe der Kongruenzmethode auf Übereinstimmung mit der Empirie überprüft werden:

Tab. 4.1 Prognosen zur Kongruenzanalyse

4.4 Erhebungsmethode: Expert*inneninterviews

4.4.1 Methode der Expert*inneninterviews

Expert*inneninterviews eignen sich bei Fallstudien als Datenerhebungsmethode meist in Kombination mit anderen Datenquellen, wie der Analyse von Presseberichten oder Protokollen. Das Durchführen von Expert*inneninterviews ist ein

„[…] systematisches und theoriegeleitetes Verfahren der Datenerhebung in Form der Befragung von Personen, die über exklusives Wissen über politische Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse oder über Strategien, Instrumente und die Wirkungsweise von Politik verfügen.“ (Kaiser 2014, S. 6)

Ziel dabei ist es, Informationen über Prozesse, Kontexte und Zusammenhänge zu erhalten und weniger, dahinter liegende Wertvorstellungen der Befragten zu ermitteln (Kaiser 2014, S. 2–4). Der oder die Interviewte steht mit seiner bzw. ihrer Funktion als Expert*in im Vordergrund und ist als Person an sich nicht von Interesse für die Forschungsfrage (Gläser und Laudel 2010, S. 12; Hildebrandt 2015, S. 251 f.; Lamnek 1995, S. 38; Lamnek und Krell 2016, S. 687). Empfindungen und Position der Expert*innen sind nur insofern von Interesse, als dass sie für die Einordnung der Interviewaussagen relevant sind (Gläser und Laudel 2010, S. 12).

Dabei gelten wie bei anderen qualitativen Verfahren die Gütekriterien der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, eine theoriegeleitete Vorgehensweise sowie die Neutralität und Offenheit des Forschenden (Kaiser 2014, S. 6–8). Aus diesem Grund werden im Folgenden die Expert*innenauswahl, der Interviewleitfaden sowie Informationen zu den Interviewsituationen und den Analysemethoden offengelegt.

Das leitfadengestützte Expert*inneninterview ist die klassische Form des Expert*inneninterviews. Es ist systematisch und theoriegeleitet und hat das Ziel, spezifische Informationen zu gewinnen (Kaiser 2014, S. 29–35). Um zu einer Beantwortung der Forschungsfragen zu gelangen, waren auch in dieser Arbeit die Expert*inneninterviews durch einen Interviewleitfaden (Blatter et al. 2007, S. 62; Gläser und Laudel 2010, S. 43; Kaiser 2014, S. 5; Meuser und Nagel 2009, S. 472) strukturiert. Dieser war für alle Interviewten ähnlich aufgebaut, jedoch mit leichten Anpassungen an die jeweilige Gruppe von Akteur*innen, wobei die Vergleichbarkeit erhalten blieb (Gläser und Laudel 2010, S. 152; Kaiser 2014, S. 53, siehe Abschn. 9.2 im Anhang). Ziel dabei war es, wie von Kaiser beschrieben, unterschiedliche Arten von Wissen abzugreifen: Betriebswissen über Vorgänge in den Organisationen wie beispielsweise über Probleme und Lösungsansätze, die in der Organisation diskutiert wurden; Kontextwissen über die Rahmenbedingungen; und Deutungswissen über die subjektiven Wahrnehmungen der Expert*innen. Kontext- und Deutungswissen helfen insbesondere bei der Einordnung der Aussagen der Expert*innen (Kaiser 2014, S. 5, 42 f.). Im Vorfeld wurden außerdem explorative Expert*inneninterviews (Kaiser 2014, S. 29 f.) durchgeführt, um die Hypothesen zu formulieren und erste Informationen über den Untersuchungsgegenstand zu gewinnen.

Im ersten Schritt nach der Durchführung jedes Interviews wurde ein kurzes Protokoll (Gläser und Laudel 2010, S. 192; Kaiser 2014, S. 86 f.) angefertigt, in welchem Informationen über den Ablauf des Interviews, zur Atmosphäre, zu den Reaktionen der interviewten Person, zu Länge, Ort und Zeit des Interviews sowie Informationen zur Vereinbarung zum Umgang mit den erhobenen Daten festgehalten wurden. Im Anschluss an die Durchführung der Interviews wurden diese transkribiert. Daraufhin wurden nach den im folgenden Abschnitt genannten Regeln weitere Interviewpartner*innen ausgewählt und kontaktiert.

4.4.2 Auswahl und Ansprache der Expert*innen

Zu beiden Fällen wurden zunächst jeweils die Projektleiter*innen, wenn vorhanden Teilprojektleiter*innen sowie die jeweils zuständigen Mitarbeitenden des Projektes befragt. Zusätzlich wurde jeweils eine Person aus den beteiligten Projektpartnerinstitutionen befragt. Nach der Befragung dieser internen Projektbeteiligten wurde bei der Auswahl weiterer Expert*innen im Schneeballverfahren, ausgehend von den Interviews sowie den analysierten Dokumenten (siehe Abschn. 4.5.1), vorgegangen.

Expert*innen werden durch ihre Position und ihren Status definiert, die ihnen Zugang zu bestimmten Informationen verschaffen, welche für die Beantwortung der Forschungsfrage notwendig sind (Kaiser 2014, S. 38; Mayring und Fenzl 2014, S. 570 f.). Dabei ist die Rolle als Expert*in nicht unbedingt an den Beruf gebunden, jedoch an eine Funktion, die der entsprechenden Person Zugang zu exklusivem Wissen verschafft. Dies kann auch durch ehrenamtliches Engagement in einem Verein oder einem bestimmten Bereich geschehen (Meuser und Nagel 2009, S. 468). Wichtig für die Definition einer Person als Expert*in für die spezifische Forschungsfrage ist, dass sie über die nötigen Informationen verfügt und diese auch herausgeben kann (Kaiser 2014, S. 72). Daher wurden in der vorliegenden Analyse neben den Expert*innen aus den durchführenden Organisationen der Projekte auch Beteiligte aus Stadtpolitik und -verwaltung sowie aus der Zivilgesellschaft befragt, um analysieren zu können, inwieweit sich die Ideen der Projekte und der transformativen Forschung in der Stadt verbreitet haben.

Um diese auszuwählen, wurde in den Interviews jeweils nach beteiligten Personen oder Organisationen gefragt und die in die Analyse einbezogenen Dokumente nach weiteren beteiligten Akteur*innen durchsucht. Aufgrund der großen Zahl an beteiligten Personen durch beispielsweise größere Veranstaltungen, konnten nicht alle Personen mit dem notwendigen Detailsgrad befragt werden, die in den Interviews und Dokumenten erwähnt wurden. Im Analysekapitel (Kap. 5) wird jedoch dargestellt, wie viele Personen bei Veranstaltungen, bei denen die Projekte zur Sprache kamen, anwesend waren und wer in Interviews mit den Projekten in Verbindung gebracht wurde.

Die Personen oder Organisationen bzw. bei größeren Organisationen einzelne Bereiche, die in den Interviews oder Dokumenten mindestens zweimal genannt wurden, wurden für ein Interview angefragt. Wurden in den Dokumenten oder Interviews unterschiedliche Personen in einer Organisationseinheit genannt, so wurde jeweils die erstgenannte Person zuerst angeschrieben. Sollte sich mit dieser kein Interviewtermin vereinbaren lassen, so wurde dann die zweitgenannte Person kontaktiert.

Für die Interviews wurden die ausgewählten Personen jeweils per E-Mail angeschrieben, um einen Terminvorschlag für ein Interview gebeten und, soweit die Telefonnummer verfügbar war, ein Anruf angekündigt. Gab es innerhalb einer Woche keine Antwort mit einem Vorschlag für einen Interviewtermin, wurden die Personen von der Autorin entweder angerufen oder, falls nicht möglich, nochmals per E-Mail angeschrieben. Insgesamt wurden die gewünschten Interviewpartner*innen zweimal erinnert, falls zunächst kein Interviewtermin zustande kam. Auf diese Weise konnten mit Vertreter*innen aller für Interviews ausgewählten Organisationen außer einer zivilgesellschaftlichen Organisation Interviews durchgeführt werden, was einer Rücklaufquote von 97 Prozent entspricht. Alle Interviewten waren in den Interviews sehr gesprächsbereit und zeigten sich offen und interessiert am Forschungsthema.

Zu den Wuppertaler Wohlstandsindikatoren wurden 13 Interviews durchgeführt, zu „Glücklich in Wuppertal“ 20, die alle zwischen August 2018 und April 2019 stattfanden und durchschnittlich 33 Minuten dauerten (siehe auch Tab. 4.2). Die meisten davon (29) fanden an den Arbeitsorten der Interviewten statt. Durch die Wahl des Interviewzeitraumes waren die Projekte zwar bereits abgeschlossen, lagen jedoch noch nicht so lange zurück, dass sich die Interviewten sehr weit zurück erinnern mussten.

Tab. 4.2 Verteilung und Dauer der geführten Interviews

4.4.3 Interviewleitfaden

Die Entwicklung der Interviewfragen orientiert sich an Kaisers (2014, S. 57) Vorschlag einer mehrstufigen Operationalisierung, bei der aus der Forschungsfrage zunächst Analysedimensionen entwickelt und im Anschluss daraus Fragekomplexe hergeleitet werden („konzeptionelle Operationalisierung“). Im nächsten Schritt, der sogenannten instrumentellen Operationalisierung, wurden aus den Fragekomplexen dann letztlich Interviewfragen abgeleitet. Der in Abschnitt 9.2 im Anhang dargestellte Interviewleitfaden wurde in leicht veränderter Form für die Projektmitarbeitenden und die Expert*innen aus Stadtverwaltung und -politik sowie Zivilgesellschaft verwendet.

4.5 Auswertungsmethoden

4.5.1 Dokumentenanalyse

Neben den Expert*inneninterviews wurden weitere Dokumente in die qualitative Inhaltsanalyse einbezogen, um herauszufinden, wie sich die in den beiden Fällen angestoßenen Ideen in der Stadt verbreitet haben und um durch Methodentriangulation die Ergebnisse wechselseitig zu validieren (siehe Abschn. 4.6). Eine Dokumentenanalyse sollte die Diffusion der Ideen aufdecken, also unter welchen Akteur*innen und in welchen Medien sich die Projekte verbreitet haben und wo darüber berichtet wurde. Folgende Dokumente wurden sowohl in die Inhalts- als auch Dokumentenanalyse einbezogen: Protokolle oder Transkripte von Treffen zwischen den Projektpartner*innen sowie von Workshops mit Bürger*innen, Berichte in lokalen Medien, Beiträge von lokalen Akteur*innen in sozialen Medien sowie Projektdokumentationen wie Broschüren oder Texte auf den Webseiten der Projektpartner*innen. Außerdem wurden wissenschaftliche Publikationen, die auf den Webseiten der Projekte hochgeladen wurden, in die Analyse einbezogen. Auch wenn diese in internationalen Zeitschriften oder auf Tagungen publiziert wurden und somit nicht direkt zum lokalen Diskurs zählen, so wurden diese aus folgenden Gründen trotzdem einbezogen: Zum einen werden diese Publikationen auf den Webseiten der Projekte zur Verfügung gestellt, zum anderen sollte herausgefunden werden, ob der Fokus laut Projektbeteiligten auf der Produktion wissenschaftlicher Erkenntnisse lag oder auf dem transformativen Charakter. Dazu sollte die Analyse der eigenen Darstellung der Fälle in wissenschaftlichen Diskursen dienen. Einbezogen wurden Dokumente, die während des Untersuchungszeitraumes von Mai 2015 bis Mai 2018 veröffentlicht wurden beziehungsweise, wenn es sich um interne, nichtöffentliche Dokumente handelt, in diesem Zeitraum verfasst wurden.

Die Dokumentenanalyse dient in der vorliegenden Studie insbesondere dazu, die Prozesse zu rekonstruieren sowie zu analysieren, welche Akteur*innen wie eingebunden wurden und wie sich die Ideen in welchen Diskursen verbreitet haben. In der Dokumentenanalyse wurde untersucht, wo sich Informationen zu den beiden Fällen finden lassen, von wem sie herausgegeben und wo veröffentlicht wurden. Im anschließenden Schritt, der qualitativen Inhaltsanalyse, wurden dieselben Dokumente herangezogen und der konkrete Inhalt der Dokumente betrachtet und analysiert. So konnte die Idee aus Sicht der Projekte selbst in Protokollen untersucht und durch die Analyse der Presseberichterstattung verglichen werden, wie hoch die Resonanz in den Medien und der Öffentlichkeit bei den beiden Projekten war. Die Expert*inneninterviews ergänzen die fehlenden Informationen zum Verständnis der Ideen, deren Passung, Anwendbarkeit und Relevanz in der Stadtpolitik und -verwaltung und ermöglichen, detaillierter und theoriegeleitet die Charakteristika der jeweiligen Ideen und beteiligten Akteur*innen sowie Möglichkeiten für Wandel aufzudecken.

Für die Dokumentenanalyse des ersten Falles, der Wohlstandsindikatorenentwicklung, wurde in Lokalzeitungen, in Facebook, Twitter, auf den Webseiten beteiligter Organisationen und deren Blogs sowie, um möglicherweise weitere Artikel zu finden, in der Suchmaschine Google Search nach der Kombination der Begriffe „Wohlstandsindikatoren Wuppertal“ oder „gutes Leben Indikatoren Wuppertal“ gesucht. Außerdem wurden in einem explorativen Interview mit einem Projektmitarbeiter projektinterne Dokumente angefragt und in die Analyse einbezogen, wie Protokolle und Mitschnitte von Veranstaltungen. Dabei wurden insgesamt 40 Dokumente gefunden und in die Analyse einbezogen (siehe Tab. 4.3 und elektronisches Zusatzmaterial 2).

Für die Dokumentenanalyse des zweiten Falls, der App „Glücklich in Wuppertal“, wurde auf denselben Plattformen und mit denselben Suchmaschinen nach Dokumenten gesucht, die die Stichworte „App“, „glücklich“ und „Wuppertal“ enthalten. Darüber hinaus wurden in einem explorativen Interview mit einem Projektmitarbeiter projektinterne Dokumente angefragt und in die Analyse einbezogen. Dabei wurden 216 Dokumente gefunden, die in die Analyse einbezogen wurden (siehe Tab. 4.3 und elektronisches Zusatzmaterial).

Tab. 4.3 Übersicht der in die Analyse einbezogenen Dokumente

4.5.2 Qualitative Inhaltsanalyse

Die Dokumente und Expert*inneninterviews wurden zunächst getrennt voneinander ausgewertet, werden jedoch gemeinsam in der Auswertung dargestellt. Ziel der qualitativen Inhaltsanalyse ist eine detaillierte Erkenntnis über die Akteur*innen, Ideen und Diskurse in den Projekten. Aus der Kombination aus Expert*inneninterviews und weiteren Dokumenten sollte ein möglichst detailliertes und tiefgehendes Bild darüber entstehen, welche Ideen sich durch welche Akteur*innen wo verbreitet haben und ob es bereits zu einer Diffusion der Ideen oder gar einer Politikveränderung gekommen ist.

Im Gegensatz zu der von beispielsweise Lamnek (1995, S. 197–199) vorgeschlagenen sehr offenen Vorgehensweise wird bei der Inhaltsanalyse nach Mayring (2010, S. 603) bereits zu Beginn ein Kategoriensystem entwickelt. Da in der vorliegenden Analyse deduktiv vorgegangen wurde, eignete sich die Methode nach Mayring besonders gut. Er empfiehlt für Inhaltsanalysen zunächst festzulegen, welches Material in die Analyse einbezogen und interpretiert wird. Im nächsten Schritt müssen Informationen zu dem Material dargelegt werden: Wie das Material entstanden ist und wer bei der Erhebung beteiligt war (Mayring 2010, S. 603). Daraufhin sollen Analyseregeln formuliert werden, nach denen die Textanalyse vorgenommen wird. Diese Regeln können während der Analyse jedoch überarbeitet werden (Mayring 2010, S. 603).

Diese regelgeleitete Vorgehensweise wurde gewählt, um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses so gut es geht zu ermöglichen (Mayring und Fenzl 2014, S. 543, siehe auch Abschn. 4.6). Die Analyse des gesamten Datenmaterials wurde mithilfe der Software MAX-QDA durchgeführt. Dabei entsprachen die Analysekategorien in der vorliegenden Analyse den Fragekomplexen des Interviewleitfadens für die Expert*inneninterviews (Abschn. 4.4.3, sowie Abschn. 9.2 im Anhang).

Die Expert*inneninterviews wurden nach dem von Kaiser (2014) vorgeschlagenen Vorgehen, einer an Mayring (2000) orientierten, jedoch leicht angepassten Methode, analysiert. Die nach dem in Abschnitt 4.4 bereits beschriebenen Vorgehen durchgeführten und transkribierten Interviews wurden kodiert, indem Textpassagen den vorab festgelegten Analysekategorien und Indikatoren zugeordnet wurden. Stellte sich heraus, dass für wichtige Aussagen in den Interviews noch Kategorien fehlten, wurden diese aus dem Text heraus induktiv hergeleitet und ergänzt, woraufhin die in Tabelle 4.4 dargestellten Kategorien und Indikatoren feststanden.

Tab. 4.4 Operationalisierung der Voraussetzungen für und Anzeichen von Politikwandel

Als Analyseeinheit wurde in dieser Arbeit ein Absatz im transkribierten Interview gewählt, der, wie von Kaiser (2014, S. 102) empfohlen, dadurch abgegrenzt wird, dass ein neuer Gedanke im Interview eingeführt wird. Wenn in unterschiedlichen Passagen eines Interviews identische Angaben zu einer Analysekategorie gemacht wurden, wurden diese Doppelungen im folgenden Schritt zusammengefasst (vgl. Kaiser 2014, S. 105 f.). Nachdem alle Interviews unabhängig voneinander auf diese Weise kodiert waren, wurden die Kategorien und dazugehörigen Aussagen aus den unterschiedlichen Interviews zusammengeführt (Kaiser 2014, S. 108). Induktiv gebildete Kategorien sind in diesem Schritt ergänzt und angepasst worden, sofern in mehreren Interviews sich überschneidende Kategorien gebildet wurden. Daraufhin wurden Kernaussagen zu den Fragekomplexen identifiziert (vgl. Kaiser 2014, S. 108). Im weiteren Verlauf der Analyse wurden dann die Kernaussagen aus den Interviews mit der Theorie in Verbindung gebracht und interpretiert sowie die Kernaussagen induktiv Subkategorien zugeordnet.

Nach Abschluss dieser Analyse von Expert*inneninterviews und Dokumenten wurden die Ergebnisse der Analyse von Dokumenten und von Expert*inneninterviews zusammengeführt, um zu einer Beantwortung der Forschungsfrage zu gelangen. Dies geschah ebenfalls anhand der Zusammenführung der vergebenen Kodierungen. Neben der Frage, ob die Prognosen aus der Theorie eingetroffen sind (Kongruenzmethode), sollten Anzeichen für möglicherweise vorhandene Kausalitäten aufgedeckt werden. Durch den anschließenden Vergleich der beiden Fälle konnte einerseits die Kongruenz der Prognosen mit der Theorie überprüft und andererseits Schlussfolgerungen hergeleitet werden, warum womöglich einer der beiden Fälle erfolgreicher war als der andere.

4.6 Kritische Betrachtung des methodischen Vorgehens

Selbstverständlich kann durch eine begrenzte Anzahl an Interviews nicht der komplette städtische Diskurs abgebildet und nicht alle Wirkungsmechanismen in den untersuchten Fällen aufgedeckt werden. Durch eine strategische Auswahl an Interviewpartner*innen (siehe Abschn. 4.4.2) war es jedoch ermöglicht, herauszufinden, bis wohin die Ideen der beiden Fälle gedrungen sind und eventuell schon stattgefundene Veränderungen aufzudecken. Auch bezüglich der Datenerhebung und -auswertung wurden Strategien gewählt, um Qualitäts- und Gütekriterien der qualitativen Forschungsergebnisse gerecht zu werden, auf die im Folgenden genauer eingegangen wirdFootnote 3. Besonderes Augenmerk liegt dabei auch auf der Rolle der Autorin als Forscherin und ihrer Nähe zum Untersuchungsgegenstand.

Dabei ist diese Nähe auf der einen Seite ein Gütekriterium qualitativer Sozialforschung, da nur durch das Eintauchen in den Fall dieser wirklich verstanden und der Kontext der Erhebung berücksichtigt werden kann (Lamnek und Krell 2016, S. 151; Mayring 2016, S. 146). In der vorliegenden Analyse wurde das dadurch ermöglicht, dass einerseits die Autorin dieses Buches selbst als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Transzent im ersten der beiden Fälle (Entwicklung der Wohlstandsindikatoren) involviert war und über den zweiten Fall („Glücklich in Wuppertal“) aus dieser institutionellen Einbindung heraus ebenfalls nähere Einblicke hatte. Um jedoch im Vorfeld über beide Fälle ausreichend Informationen zu besitzen und diese von der subjektiven Erfahrung als Projektmitarbeiterin zu lösen, wurden vor Beginn der eigentlichen Analyse explorative Interviews mit Beteiligten beider Fälle durchgeführt. Daneben stützt sich die Analyse der beiden Fälle nicht auf das durch die Involviertheit gesammelte Vorwissen, sondern lediglich auf die Interviews und Dokumente. Der empirische Teil der Arbeit fand außerdem erst nach Ende der Untersuchungszeiträume statt, als die Projekte bereits abgeschlossen waren.

So sehr diese Involviertheit und Nähe zum Gegenstand den Einstieg in die Fälle und die Kontaktaufnahme mit den Interviewpartner*innen erleichterte, so könnte dies auch als Kritikpunkt bezüglich der Objektivität beziehungsweise Neutralität (Kaiser 2014, S. 6–8) gedeutet werden, was jedoch eine generelle Schwierigkeit qualitativer Sozialforschung ist. Lamnek und Krell (2016, S. 174) nennen dazu die Aspekte:

„Der Objektivitätsbegriff der qualitativen Sozialforschung ist dialektisch, weil einerseits die Subjektivität be- und gewahrt wird, andererseits diese aber durch die Lösung vom Subjekt aufgehoben wird. Objektivität wird vor allem dadurch erzielt, dass die Relevanz vom untersuchten Subjekt bestimmt wird. Transparenz ist wichtiger als Objektivität, d. h. der Forschungsprozess ist zum Zwecke der Nachvollziehbarkeit offen zu legen.“

Um diese Transparenz zu ermöglichen, wurden die Schritte der Datenerhebung und Analyse genau dokumentiert (siehe Abschn. 4.4 und 4.5). Bei der Auswahl der Interviewpartner*innen und der Dokumente wurden konkrete Kriterien formuliert und davon geleitet vorgegangen und die einzelnen Schritte festgehalten. Auch die qualitative Inhaltsanalyse wurde regelgeleitet durchgeführt. Diese Dokumentation und Strukturiertheit des Vorgehens soll eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit ermöglichen (Flick 2014, S. 420 f.; Lamnek und Krell 2016, S. 147–152; Mayring 2016, S. 144 f.). Gleichzeitig wurde die Offenheit beibehalten, das Vorgehen bei der Erhebung sowie die Analysekategorien bei Bedarf anzupassen, um die Nähe zum Untersuchungsgegenstand nicht zu verlieren (Lamnek und Krell 2016, S. 167).

Um trotzdem mögliche Unstimmigkeiten in der Kodierung der Daten aufzudecken, wurde außerdem die Intrakoderübereinstimmung (Mayring und Fenzl 2014, S. 546) geprüft, indem Stichproben des Datenmaterials im Nachgang von der Autorin noch einmal kodiert und mit den ursprünglich vergebenen Codes verglichen wurden.

Zusätzlich muss selbstverständlich beachtet werden, dass Intervieweffekte dafür sorgen könnten, dass die Interviewten positiver über die Ideen der Fälle und die beteiligten Wissenschaftler*innen sprechen, als sie es in anderen Kontexten formulieren würden und dies die Validität der Daten infrage stellen könnte. Diese möglicherweise vorhandenen Verzerrungen werden aber auf zweierlei Weise weitestgehend ausgeglichen: Erstens war es für die Analyse zwar wichtig, die Unterstützung durch Entscheidungsträger*innen und andere Akteur*innen zu erheben, gleichzeitig aber auch ihr Wissen über die Ideen der beiden Fälle aufzudecken. Sollten von einem/einer Interviewten aus Gründen von sozialer Erwünschtheit positivere Einschätzungen formuliert werden als bei anderen Gelegenheiten, dann würde trotzdem deutlich werden, wenn bei diesem/dieser Interviewten eigentlich kaum Wissen über die Ideen vorhanden ist und diese*r sich nicht genauer mit den Ideen auseinandergesetzt hat und nicht formulieren kann, wieso er/sie die Ideen für unterstützenswert hält. Dies könnte auf den Intervieweffekt der sozialen Erwünschtheit hindeuten. Zweitens können durch Methoden- und Datentriangulation der Dokumente mit den Interviews die Ergebnisse wechselseitig validiert werden und dabei Unstimmigkeiten in den Aussagen aufgedeckt werden. Die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Erhebungs- und Auswertungsmethoden können sich so ausgleichen und der Untersuchungsgegenstand in seiner Komplexität besser verstanden werden (Flick 2014, S. 411; Lamnek und Krell 2016, S. 155).

Durch die in den vorangegangenen Absätzen beschriebene Vorgehensweise kann in der vorliegenden Analyse von einer hohen Glaubwürdigkeit der Ergebnisse ausgegangen werden. Um diese auch auf andere Fälle verallgemeinern zu können, wurde nach den von Flick vorgeschlagenen Schritten vorgegangen, indem die zwei Fälle zunächst unabhängig voneinander analysiert und ausgewertet wurden und erst im Nachgang ein Vergleich vorgenommen und Generalisierungen abgeleitet wurden (Flick 1990, S. 186 f.). So wird im folgenden Analysekapitel nun auch vorgegangen.