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Territoriale und administrative Verfahrensexklusion

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Seenotrettung und Kirchenasyl

Part of the book series: Organisation und Gesellschaft - Forschung ((OGF))

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Notes

  1. 1.

    Der Begriff ist Giddens' Strukturierung der Klassenverhältnisse entlehnt, trifft jedoch doch den Kern der Verfahrensexklusion (Giddens 1984a).

  2. 2.

    Dazu auch Turner (2016a) der sich mit dem Konzept Denizen bzw. Denizenship beschäftigt.

  3. 3.

    Durch die Lektüre von Mackert (1993) und Giddens (1984a) habe ich den Begriff für meine Arbeit nutzbar gemacht.

  4. 4.

    Die Drittstaatenregelung geht auf die „Londoner Entschließung“ zurück (Prantl 2003).

  5. 5.

    Die EU Stand jeher zwischen zwei Polen der Migrationssteuerung. Einerseits gab und gibt es Versuche den Weg nach Europa zu versperren, andererseits versucht die EU stets Fachkräfte nach Europa zu holen. D. h. man hat es mit einem Aushandlungsprozess zwischen Öffnung der Grenzen für ‚gewünschte‘ Personengruppen und der Schließung der Grenzen für ‚unerwünschte‘ Gruppen zu tun. Dazu auch Hansen (2015, 2016).

  6. 6.

    So gibt es Personengruppen, denen die Einreise erleichtert wird. Dazu gehören Studierende und Schüler (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 11.05.2016, Forscher Rat der Europäischen Union 12.10.2005) und qualifizierte Fachkräfte, die auch mit der Blue Card in die EU kommen können (Rat der Europäischen Union 25.05.2009). Weiterhein können durch Familienzusammenführung und längeren legalen Aufenthalt, Zugänge zur EU ermöglicht werden (EU Migration and Home Affairs 2018 f). Familienzusammenführungen sind an verschiedene Bedingungen geknüpft (Rat der Europäischen Union 22.09.2003). Ein Status als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger ist nur bei entsprechender Beschäftigung und Integrationsmaßnahmen, über die der Mitgliedstaat entscheidet, möglich. Dabei ist eine Mindestdauer von fünf Jahren Aufenthalt vorgeschrieben, bevor der Status erreicht wird. Flüchtlingsaufenthalt, Saisonarbeit und Ausbildung werden nicht angerechnet (Rat der Europäischen Union 25.11.2003, Art 3(2) a–f).

  7. 7.

    Der Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt wird über sehr verschiedene Kriterien reguliert (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 26.02.2014, Art 5, 6). Gleichzeitig hat man versucht, Saisonarbeitern einen entsprechenden Schutz zu ermöglichen, damit diese nicht ausgebeutet werden (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 26.02.2014, Art. 6, 8, 13.12.2011b, Art. 12). Den Zugang ermöglichende Regelstrukturen basieren vor allem auf der Richtlinie 2011/98/EU und der Richtlinie 2014/36/EU (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 13.12.2011b, 26.02.2014).

  8. 8.

    Hierzu ist vor allem die kritische Literatur zur Stigmatisierung durch Labelling der Flüchtlinge (lesenswert Zetter 2007; ZETTER 1991; Sigona 2003).

  9. 9.

    Ein Beispiel: Eine syrische Familie beantragte in einer belgischen Botschaft in Beirut ein Einreisevisum. Belgien hätte ein humanitäres Visum ausstellen können, tat es aber nicht. Die Idee, dass Flüchtende schon in den jeweiligen Botschaften Asyl beantragen oder ein humanitäres Visum bekommen können, ist nicht neu. Dazu Semsrott (2017, S. 6). Allerdings würde diese Vorgehensweise das Dublin-System unterminieren.

  10. 10.

    Dieses Vorgehen wird als Containment-Politik beschrieben und hat die Verantwortlichkeiten regionalisiert (Hess et al. 2017b, S. 9).

  11. 11.

    „(1) Um die illegale Einwanderung wirksam zu bekämpfen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich alle Mitgliedstaaten einen Regelungsrahmen geben, der die Verpflichtungen der Beförderungsunternehmen festlegt, die ausländische Staatsangehörige in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verbringen. Damit dieses Ziel wirksamer erreicht werden kann, ist ferner unter Berücksichtigung der Unterschiede in den Rechtsordnungen und der Rechtspraxis der Mitgliedstaaten eine möglichst weit gehende Harmonisierung der derzeit in den Mitgliedstaaten vorgesehenen finanziellen Sanktionen für Beförderungsunternehmen, die sich nicht an diese Kontrollverpflichtungen halten, angezeigt“ (Rat der Europäischen Union 28.06.2001).

  12. 12.

    Dass die EU Grenzmanagement auf dem afrikanischen Kontinent durchführt, erscheint beinahe als Fortführung kolonialer Bestrebungen. So hatten europäische Staaten in Afrika künstliche Grenzen gezogen und den Gemeinschaften oktroyiert (Osterhammel 2010, S. 177–180).

  13. 13.

    Es gibt derzeit neun MPs (Moldawien, Georgien, Armenien, Cap Verde, Marokko, Tunesien, Jordanien, Weißrussland und Aserbaidschan).

  14. 14.

    Zudem engagiert sich insbesondere die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Marokko Schwarz 2017. Die GIZ ist mit den Projekten Deutsch-Marokkanische Partnerschaft für Asyl und internationalen Schutz und Stärkung marokkanischer Gebietskörperschaften bei der Verbesserung von Aufnahmestrukturen von Migranten in Marokko im Bereich Flüchtlingsaufnahme vertreten. Beide Projekte versuchen den Aufbau eines Asyl- und Aufnahmesystems in Marokko zu unterstützen.

  15. 15.

    Deutschland hatte auf die Implementierung der Drittstaatenregelung in Richtlinie 2005/85/EG über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gedrängt. So sagt die Richtlinie aus, dass „ein entscheidendes Kriterium für die Begründetheit eines Asylantrags […] die Sicherheit des Antragstellers in seinem Herkunftsstaat [ist]. Kann ein Drittstaat als sicherer Herkunftsstaat betrachtet werden, so sollten die Mitgliedstaaten diesen als sicher bestimmen und von der Vermutung ausgehen können, dass dieser Staat für einen bestimmten Antragsteller sicher ist, sofern Letzterer keine stichhaltigen Gegenargumente vorbringt“ (Rat der Europäischen Union 01.12.2005).

  16. 16.

    Auch hier gibt es Abstufungen. Der Schengenraum steht 26 von 27 Mitgliedstaaten zur Verfügung und damit auch nicht allen EU-Bürger*innen.

  17. 17.

    Mit dem Gesetz 943, 30 von 1986 begann der Anpassungsprozess, um an Schengen beteiligt zu werden. Regularisierungen waren meistens an Bedingungen gebunden, z. B. musste teilweise die Sozialversicherung nachgezahlt werden.

  18. 18.

    Zudem wurden noch Identifikationszentren eingerichtet (Finotelli 2007, S. 41) – das CDI Centro di Identificazione dient der geschlossenen Unterbringung. Dass Geflüchtete die CDIs nicht verlassen dürfen, versperrt ihnen den Zugang zu Ressourcen wie Rechtsberatung oder Weiterflucht. Sofern jedoch die italienischen Behörden nicht in der Lage sind, das Verfahren innerhalb von 20 Tagen durchzuführen, werden die Menschen aus dem CDI entlassen – mit temporär beschränkter Aufenthaltserlaubnis, deren Gültigkeit das Asylverfahren abdeckt (Klepp 2011, S. 154). Die Idee hinter der Gesetzesänderung war jedoch nicht nur, die Verfahren zu beschleunigen, sondern auch die Einspruchsfrist auf 15 Tage zu begrenzen. Mit einem Einspruch konnte jedoch keine Abschiebung verzögert werden.

  19. 19.

    Zur Entwicklung der unterschiedlichen Verträge und Abkommen, Richtlinien, Mindestnormen wie Dublin oder dem Harmonisierungsprozess und der Herausbildung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (siehe Amelung 2017, S. 32–35).

  20. 20.

    Im Jahr 2015 hatte Deutschland 33.793 Übernahmeersuche mit EURODAC-Treffer und 11.214 ohne EURODAC-Treffer (BAMF 2016e, S. 9). Im Jahr 2016 wurden 37.655 Übernahmeersuche mit EURODAC Identifizierung gestellt und 16.988 ohne EURODAC-Identifizierung (BAMF 2017a, S. 9). Im Jahr 2017 waren es 40.917 Übernahmeersuche mit EURODAC-Identifizierung und 22.774 ohne EURODAC-Treffer (BAMF 2018, S. 9). Übernahmeersuche stellen nun den ersten Teil einer weiteren Exklusionspraktik der staatlichen Agenturen dar. Sofern den Übernahmeersuchen auch zugestimmt wird, kommt es zur Überstellung. So wurden im Jahr 2015 3597, 2016 3968 und 2017 7102 Menschen im Rahmen der Dublin-Verordnung in einen anderen Mitgliedstaat der EU überstellt. Diese Form des Exklusionshandelns wendet jeder EU Staat an (BAMF 2015, 2016d, 2017b). Das BAMF versucht durch Übernahmeersuche möglichst effektiv, viele Dublin Fälle an Mitgliedstaaten weiterzuleiten. Hier zeigt sich auch die Strategie der Verantwortungsdiffusion, indem jede Organisation versucht, nicht verantwortlich für die Asylanträge zu sein und die Asylsuchenden gleichzeitig auszuweisen.

  21. 21.

    Die Asylverfahrensrichtlinie schreibt Standards zur Asylbeantragung vor, so dass an den Grenzen schon die Möglichkeit besteht Asyl zu beantragen (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 26.06.2013a Artikel 3 (1)). Zudem wird sichergestellt, dass Asylanträge bei allen Behörden gestellt werden können und diese die Anträge automatisch an die zuständige Behörde weiterleiten (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 26.06.2013a Artikel 6 (1)). Weiterhin wird in der Richtlinie festgelegt, dass die Mitarbeiter der zuständigen Behörden geschult sein sollen, um eben die aktuellen Richtlinien, Verordnungen und Gesetze auch umzusetzen. Die Richtlinie schafft die Möglichkeit von Schnell- und Grenzverfahren, wobei hier Asylverfahren beschleunigt werden (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 26.06.2013a Artikel 31 (8)). Damit unterstützt die Richtlinie die Verlagerung der Zuständigkeit an die EU-Außengrenzen, da an diesen Grenzen Asylverfahren oder Asylbeantragungen ermöglicht werden müssen Europäische Kommission 2014. In der Anerkennungsrichtlinie wird dargelegt, wann internationaler Schutz zu gewährleisten ist und wann nicht.

  22. 22.

    „(1) Die Union entwickelt eine Politik, mit der b) die Personenkontrolle und die wirksame Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen sichergestellt werden soll; c) schrittweise ein integriertes Grenzschutzsystem an den Außengrenzen eingeführt werden soll“ AEUV 01.12.2009, Art. 77 (1). Im zweiten Satz des Artikel 77 werden die Maßnahmen eingeführt, die von der EU unternommen werden sollen, um die Außengrenzen zu schützen: „a) die gemeinsame Politik in Bezug auf Visa und andere kurzfristige Aufenthaltstitel; b) die Kontrollen, denen Personen beim Überschreiten der Außengrenzen unterzogen werden; […] d) alle Maßnahmen, die für die schrittweise Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen erforderlich“ sind (AEUV 01.12.2009, Art. 77 (2)).

  23. 23.

    Zudem gibt es noch MARSUR – Maritime Surveillance, wobei hier Daten und Informationen zwischen den einzelnen Marinen und deren Informationssystemen ausgetauscht werden und ein Dialog ermöglicht wird.

  24. 24.

    Dass auch hier Sonderregelungen gelten zeigt die Local Border Traffic Regulierung (EU Migration and Home Affairs 2018a). Diese ermöglicht es Grenzbewohnern, die an den EU Außengrenzen leben, diese kurzfristig „aus sozialen, kulturellen oder nachgewiesenen wirtschaftlichen Gründen oder aus familiären Gründen“ zu überqueren (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 20.12.2006, Art. 3). Den EU-Mitgliedstaaten wird es ermöglicht über bilaterale Abkommen eine Visafreiheit einzurichten, damit kurzfristige Grenzübertritte möglich sind.

  25. 25.

    Für die Ergebnisse der ersten Testphase des RTP und EES siehe (eu-LISA 2015c, 2015a, 2015b).

  26. 26.

    Die Gründung von Frontex, der European Border and Cost Guard Agency im Jahr 2004, ist ein wesentlicher Schritt der EU zu einem gemeinsamen Grenzmanagement gewesen (Rat der Europäischen Union 2004), der zudem eine indirekte Vollzugsorganisation geschaffen hat. Frontex beeinflusst aufgrund von Risikoanalysen und Koordinierungsaufgaben staatliche Exekutivorganisationen wie Militär, Polizei, Küstenwache und Grenzschutz derart, dass ihr eine Vollzugsmacht zugestanden werden kann. Dem vorausgegangen war die Bildung einer „External Border Practitioners Common Unit – a group composed of members of the Strategic Committee on Immigration, Frontiers and Asylum (SCIFA) and Heads of National Border Control Services“ (Frontex 2018). Die Agentur wurde mit der Verordnung 2016/1624 in Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache umbenannt (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 14.09.2016, S. 13).

  27. 27.

    Die weitreichenden Kompetenzen und Aufgaben werden von der EU deutlich dargestellt: „Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen; […]Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten einschließlich der Festlegung gemeinsamer Ausbildungsnormen; […] Durchführung von Risikoanalysen, einschließlich der Bewertung der Kapazitäten, die den Mitgliedstaaten zur Bewältigung von Gefahren und Belastungen an den Außengrenzen zur Verfügung stehen; […] Beteiligung an der Entwicklung der für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen relevanten Forschung; […] Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, die verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, wozu auch humanitäre Notsituationen und Seenotrettungen gehören können; […] Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, insbesondere jener Mitgliedstaaten, die besonderem und unverhältnismäßigem Druck ausgesetzt sind; […] Zusammenstellung europäischer Grenzschutzteams, die für gemeinsame Aktionen, Pilotprojekte und Soforteinsätze eingesetzt werden; […] Bereitstellung der notwendigen Unterstützung für die Mitgliedstaaten, einschließlich – auf deren Ersuchen – Koordinierung oder Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen; […] Einsatz von Grenzschutzbeamten der europäischen Grenzschutzteams in den Mitgliedstaaten für gemeinsame Aktionen, Pilotprojekte oder Soforteinsätze; […] Entwicklung und Betrieb von Informationssystemen, die einen raschen und zuverlässigen Informationsaustausch über entstehende Risiken an den Außengrenzen ermöglichen, […] einschließlich Informations- und Koordinierungsnetzes; […] Bereitstellung der erforderlichen Unterstützung für die Entwicklung und den Betrieb eines europäischen Grenzüberwachungssystems und gegebenenfalls für die Entwicklung eines gemeinsamen Raums für den Austausch von Informationen, einschließlich für die Interoperabilität der Systeme“ (Rat der Europäischen Union 2004, S. 8).

  28. 28.

    „The Centralised Record of Query Available Technical Equipment (CRATE) is only a record that will help us in better planning Frontex operations. CRATE is like an e-shop, you can watch it on your screen and decide what you need, then order it and pay for it. Frontex doesn't have any vessels itself and cannot afford deployment of a big number of units to a chosen region. These assets belong to the Member States and they are subject to their will to deploy them. And as for the financial point of view, if we deployed the equipment from CRATE at once the budget of Frontex would evaporate in two weeks' time“ (Laitinen 2017). Das Budget hat sich exponentiell entwickelt. 2007 stand Frontex ein Budget von 35 Millionen Euro zu, 2016 waren 232 Millionen Euro (Frontex 2017, S. 19).

  29. 29.

    2006 gab es 15 Frontexmissionen, 2007 schon 24.

  30. 30.

    Schnelle Einsatzteams wurden bspw. mit RABIT – den Rapid Border Interventions Teams – geschaffen, die als kleine Verbände unterstützend bei der Grenzsicherungen tätig sein können (Klepp 2011, S. 62).

  31. 31.

    Der Weg zum Asyl beginnt schon früher und ist lebensgefährlich. Das Mittelmeer stellt nur eines von vielen Hindernissen dar, das die Flüchtenden überwinden müssen. Vgl. dazu das Buch von Gatti et al. (2010), der die Fluchtwege von Geflüchteten selbst – als Flüchtling verkleidet – nachgegangen ist.

  32. 32.

    Seit 2014 sind ca. 15.970 Flüchtende auf dem Mittelmeer gestorben oder werden vermisst (UNHCR 2018b). Dabei stieg die Zahl der Ertrunkenen seit 2011 enorm. Im Jahr 2011 sind mehr als 1500 Flüchtende im Mittelmeer ertrunken, 2016 stellte mit 5096 Toten einen Negativrekord dar (UNHCR 2018b).

  33. 33.

    In Zahlen bedeutet dies, dass Usurpationshandeln im 2011 61.767, 2013 37.258, 2014 166.370, 2015 152.343 und 2016 178.415 Geflüchtete auf dem Mittelmeer durch die Seenotrettung gerettet wurden (Guardia Costiera 2016, S. 4).

  34. 34.

    „Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein“ (Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union 26.06.2013d Artikel 20 (2)).

  35. 35.

    Doch auf dem Mittelmeer haben Geflüchtete das gleiche Recht auf ein Asylverfahren wie auf dem Land. Dies wird im internationalen Recht sowie im EU-Recht geregelt (Rat der Europäischen Union 01.12.2005, Art. 3(1); Vereinte Nationen 25.04.1954, Art. 33). Das Verbot der Zurückweisung ist auch in anderen Rechtstexten aufgeführt. Es ist in der Grundrechtscharta der EU verankert, in der Europäischen Menschenrechtskonvention, im Zivilpakt und im Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe – kurz CAT.

  36. 36.

    Mos Maiorum bspw. war eine Polizeiaktion, bei der man versuchte Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung zu identifizieren und zurückschieben (Liberti 2014). Im Jahr 2003 wurde zudem versucht mit dem decreto legge 172/2003 die Rückschiebung auf dem Mittelmeer für die italienische Küstenwache und Marine zu legalisieren (Klepp 2011, S. 157); dies gelang ebenso nicht.

  37. 37.

    Der Fall Hirsi ist wohl der bekannteste Fall, in dem verdeutlicht wurde, dass Push Backs illegal sind.

  38. 38.

    Obwohl Verfahren auf der Genfer Flüchtlingskonvention als Gesetzesgrundlage beruhten, grenzte Italien dieses sehr weitreichende Asylverständnis dahingehend ein, dass es nur auf europäische Flüchtlinge Anwendung fand – der sogenannte geografische Vorbehalt stellte eine kollektivistische Schließungsregel dar. Zudem stärkte Italien während der Zeit des Kalten Krieges das Image als Transitland, indem es Auswanderungsprogramme unterstütze und Italien nur als Zwischenstopp darstellte. Italien wurde ein Knotenpunkt für die Weiterflucht und die Möglichkeit von ehemaligen Sowjetbürger*innen in die USA und nach Israel zu emigrieren (Finotelli 2007, 22 f). Auch wenn es de jure nur wenig Flüchtlinge gab, war die Zahl von „De-Facto-Flüchtlingen“ weitaus höher (Finotelli 2007, 23 f). 1990 wurde der geografische Vorbehalt mit dem Legge Martelli aufgehoben, der Status als Flüchtling nach Genfer Flüchtlingskonvention wurde nicht mehr nur an Europäer vergeben. Es geschah in den 1990er Jahren daher eine gewisse Öffnung des Schließungsregimes, indem der Schutzraum erweitert wurde. Eine weitere Neuerung, die das Gesetz 39/90 mit sich brachte, war, dass Geflüchtete „selbst beim Verwaltungsgericht Einspruch gegen die Entscheidung der Anerkennungskommission erheben“ durften (Finotelli 2007, S. 40). Bevor es zur Anhörung im Asylverfahren kam, wurde den Asylbewerbern eine Erlaubnis zum Aufenthalt ausgestellt, die mindestens drei Monate galt, jedoch verlängert werden konnten.

  39. 39.

    Das Gesetz 943/1986 kann als erstes Einwanderungsgesetz Italiens gesehen werden (Klepp 2011, S. 148). Der Erlass 59/21.09.1992 und das Dekret 9/24.09.1992 des Innen- sowie des Außenministeriums erlaubten es Somalier*innen eine Arbeitserlaubnis zu erhalten oder in Italien Bleiberecht für ein Studium zu erlangen; mit dem Gesetz 390/1992 hatte man die Aufnahme von Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien genehmigt (Finotelli 2007, S. 42).

  40. 40.

    Dazu ausführlich (Finotelli und Arango 2011).

  41. 41.

    Insgesamt wurden dadurch in den 5 Regularisierungen von 1986 bis 2002 ca. 1.071.944 Menschen in einen (temporär) legalen Aufenthaltsstatus überführt.

  42. 42.

    Mit dem Gesetz Turco-Napolitano wurde der humanitäre Schutz in das italienische Asyl-Regelsystem implementiert. Die Regelung der humanitären Gründe schützen Geflüchtete seitdem vor Abschiebung (Finotelli 2007, S. 43). Weiterhin wurde mit dem Gesetz der vorübergehende Schutz im Regelsystem etabliert. Dass der humanitäre Schutz zu einer wichtigen Basis für Flüchtlinge wurde, verdeutlichen die Zahlen. In den Jahren von 1998 bis 2004 basierte der legale Aufenthalt von 120.000 Geflüchtete in Italien auf der Grundlage des humanitären Schutzes. Sie sind damit keine anerkannten Flüchtlinge laut GFK und eben nicht aufgrund eines Asylverfahrens in Italien, sondern aufgrund des humanitären Schutzes (Finotelli 2007, 43 f).

  43. 43.

    Die Aufnahmestrukturen, die durch das SPRAR System geschaffen wurden, basieren auf einem nichtstaatlichen Projekt. SPRAR wurde in den 2000er Jahren von Privatpersonen gegründet. Später wurde es vom Innenministerium zu einer öffentlichen Einrichtung umfunktioniert und neue Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst geschaffen. Da SPRAR ein Netzwerk von verschiedenen Projekten ist, waren und sind die Aufnahmestrukturen begrenzt. Seit 2011 ist das Aufnahmesystem allerdings überlastet, da die Aufnahme von einzelnen (bezahlten) Projekten abhängig ist, allerdings keine Verpflichtung kommunaler Träger besteht, sich in der Flüchtlingsaufnahme zu engagieren. Dass sich in Italien in den letzten Jahren ein standardisiertes Aufnahmesystem entwickeln konnte, hing besonders mit dem Programma Nazionale Asilo zusammen, das Italiens Asylsystem an EU-Anforderungen und Standards angleichen sollte (Finotelli 2007, S. 47). Das 2001 eingeführte Nationale Asylprogramm konzentrierte sich vor allem auf Aufnahmeeinrichtungen, Integration und Rückführung. Gemeinden konnten Projekte vorstellen und bei positiver Evaluierung und entsprechenden Ressourcen des Nationalen Asylprogramms wurden die Projekte durch das Programm finanziert (Finotelli 2007, S. 47). Die neuen Aufnahmekonzepte, die mit Hilfe des Nationalen Asylprogramms umgesetzt wurden, sind dann mit dem Sistema Nazionale Proteszione Richiedenti Asilo e Rifugati (SPRAR) auf der Basis des Gesetzes 189/2002 verstetigt und in institutionelle Formen überführt worden (Finotelli 2007, S. 48).

  44. 44.

    Die Kommission besteht aus Vertreter*innen der Präfektur, Kommune, Polizei, dem Flüchtlingskommissariat der UNO. Dabei nehmen nicht alle Personen an der Anhörung teil, meist wird die Anhörung von einer durchgeführt, es sei denn die Person, die politisches Asyl erfragt, bittet darum, von allen 4 Personen angehört zu werden. Zur vorgänger Organisation der zentralen Kommission in Rom (siehe Finotelli 2007, S. 40).

  45. 45.

    Zu weiteren Entwicklungen des italienischen Asylsystems und der statistischen Daten zu Geflüchteten und Asylanträgen (vgl. Caritas e Migrantes 2014, 2015). Zu rechtlichen Entwicklungen (Licata und Molfetta 2017).

  46. 46.

    Dass alte informale Beziehungen nicht einfach von neu eingesetzten Personen übernommen werden können, zeigt Luhmann (2016) sehr anschaulich in „Der neue Chef“.

  47. 47.

    Die Änderung des Aufenthaltsgesetzes besagt, dass „eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen […] nur […] bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen [vorliegt], die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist“ (Deutscher Bundestag 11.03.2016, Art 2(1)). Gleichzeitig sind psychologische Erkrankungen wie Traumata von schweren Erkrankungen ausgenommen, da psychologische Gutachten „nicht mehr als ‚qualifizierte Gutachten‘ […] anerkannt sind" (Pichl 2017, S. 167).

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Schmidt, M.O. (2021). Territoriale und administrative Verfahrensexklusion. In: Seenotrettung und Kirchenasyl. Organisation und Gesellschaft - Forschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32473-5_7

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