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Zielgruppen und Unrechtscharakter der ‚vorbeugenden Verbrechensbekämpfung‘ im Nationalsozialismus

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Kontinuitäten der Stigmatisierung von ,Asozialität'

Part of the book series: Citizenship. Studien zur Politischen Bildung ((CSPB))

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Zusammenfassung

Bei den Begriffen ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘ (Beide Begriffe werden hier verwendet, weil eine Geschichte der ‚vorbeugenden Verbrechensbekämpfung‘ auf die historiografisch korrekte Benennung ihrer Hauptzielgruppen angewiesen ist. Zum Zeichen der Distanzierung vom pejorativen Gehalt der Ausdrücke stehen sie in Anführungszeichen. Auf den Gender-Star wird bei Begriffen des Nazi-Vokabulars hingegen bewusst verzichtet, weil ihre Transferierung in eine geschlechtergerechte Sprache meines Erachtens hinterrücks zu einer Wiederaneignung problematischer Quellenbegriffe führen würde.), welche die Hauptzielgruppen der ‚Vorbeugungshaft‘ bezeichneten, handelte es sich um ‚kriminologisch-rassenhygienische‘ Konstrukte, die zugleich verwaltungsrechtliche Erfordernisse bedienten. Der Artikel fragt danach, welche sozialen Gruppen erfasst und wie im ‚Vorbeugungshaftverfahren‘ konkrete Personen durch gezielte Zuschreibungen zu ‚Asozialen‘ bzw. ‚Berufsverbrechern‘ erklärt wurden. Abschließend wird gezeigt, wie der Unrechtscharakter der ‚Vorbeugungshaft‘ zum Gegenstand der Menschenrechtserziehung gemacht werden könnte.

Ich danke Lara Hoecken, Susann Lewerenz und Ingwer Schwensen für ihre Unterstützung

Beide Begriffe werden hier verwendet, weil eine Geschichte der ‚vorbeugenden Verbrechensbekämpfung‘ auf die historiografisch korrekte Benennung ihrer Hauptzielgruppen angewiesen ist. Zum Zeichen der Distanzierung vom pejorativen Gehalt der Ausdrücke stehen sie in Anführungszeichen. Auf den Gender-Star wird bei Begriffen des Nazi-Vokabulars hingegen bewusst verzichtet, weil ihre Transferierung in eine geschlechtergerechte Sprache meines Erachtens hinterrücks zu einer Wiederaneignung problematischer Quellenbegriffe führen würde.

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Notes

  1. 1.

    Alle Namen sind pseudonymisiert.

  2. 2.

    Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NdsLArch Hannover), Hann. 158 Moringen, Acc. 105/96, Häftlingspersonalakten des Frauen-KZ Moringen, Nr. 64, Nr. 189 und Nr. 257.

  3. 3.

    Für alle vorstehenden Zitate vgl. NdsLArch Hannover, Hann. 158 Moringen, Acc. 105/95, Häftlingspersonalakten des Frauen-KZ Moringen, Nr. 53.

  4. 4.

    Dabei konnten sie sich auf Führungszeugnisse und charakterliche Beurteilungen stützen, die sich in den Akten von Mehrfachstraftäter*innen oder Fürsorgeempfänger*innen ansammelten.

  5. 5.

    Zwischen den ‚Asozialen‘ und den ebenfalls verfolgten Sinti*zze und Roma*nja gab es Überschneidungen (Hörath 2017, S. 23 f.).

  6. 6.

    Die Kategorie ‚asozial‘ beschrieb eine relativ fest umrissene Klientel der Disziplinar- und Fürsorgeeinrichtungen, wobei die konkrete Zusammensetzung dieser Gruppe in der Vorstellungswelt der einzelnen Sachbarbeiter*innen, im Zeitverlauf und regional variieren konnte. Demgegenüber traf der Vorwurf der ‚Arbeitsscheu‘ in stärkerem Maße auch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft (Hörath 2014b, S. 311). Trotz solcher Differenzierungen waren ‚Asozialität‘ und ‚Arbeitsscheu‘ weiche Kategorien, die sich überlappten und transformierten.

  7. 7.

    NdsLArch Hannover, Hann. 158 Moringen, Acc. 105/96, Nr. 257.

  8. 8.

    Beide Auffassungen existierten bis in die 1940er-Jahre hinein parallel.

  9. 9.

    Gleiches gilt für ‚Schutz‘- und polizeiliche Ordnungshaft. Enthielt ein Formularvordruck keine Rubrik Begründung, was in den ersten Jahren, als die ‚Vorbeugungshaftverfahren‘ kaum standardisiert waren, bisweilen vorkam, hatte der ‚kriminelle Lebenslauf‘ den Stellenwert einer formalen Haftbegründung.

  10. 10.

    Für Beispiele vgl. NdsLArch Hannover, Hann. 158 Moringen, Acc. 105/96, Nr. 64, Nr. 189 und Nr. 257.

  11. 11.

    Zur Ausweitung des Gefahrenbegriffs der RBVO vgl. Hörath (2020).

  12. 12.

    GStAPK, I. HA. Rep. 84a, Justizministerium, Nr. 8203, Geheimerlass über die „Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher“, 13.11.1933.

  13. 13.

    Ebd.

  14. 14.

    LAV NRW R, BR 1111, Nr. 232, Kriminalpolizei Duisburg, 25.03.1934. Mit dem „Hang zum Verbrechen“ war das Bestimmungsmerkmal des „Gewohnheitsverbrechers“ angesprochen (Hörath 2017, S. 259 ff.).

  15. 15.

    Archiv des International Tracing Service Bad Arolsen (ITS-Arch Bad Arolsen), Konzentrationslager Flossenbürg/individuelle Unterlagen, Lebenslauf, 27.02.1934.

  16. 16.

    NdsLArch Hannover, Hann. 158 Moringen, Acc. 105/96, Nr. 112, Kriminalpolizei Plauen, Auszug aus dem Verzeichnis der Rechtsbrecher, März 1937.

  17. 17.

    Für die Anordnung der ‚Vorbeugungshaft‘ gegen Sittlichkeitsverbrecher war seit Februar 1934 nur eine Vorstrafe aufgrund eines Sexualdelikts notwendig. Bei der ‚Aktion Arbeitsscheu Reich‘ im Juni 1938 konnten Jüdinnen und Juden, die vorher eine Freiheitsstrafe von einen Monat verbüßt hatten, in ‚Vorbeugungshaft‘ genommen werden. Erlaß des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich an die Kriminalpolizeistellen, 01.06.1938, in: Ayaß (1998, S. 134 f.).

  18. 18.

    Das gilt auch für ihre historischen Vorläufer (Hörath 2017, S. 106 ff., 216 ff., 2020, S. 390 ff.).

  19. 19.

    Frauen verloren 1933 die Zulassung zum Richteramt und durften nicht mehr Anwältin werden.

  20. 20.

    https://ns-geschichte-institutionen-menschenrechte.de/seminarmodule.html. Zugegriffen: 18.08.2020; https://www.facebook.com/DachauMemorial/videos/911844729284027/. Zugegriffen: 17.08.2020. Für weitere Fallbeispiele vgl. Amesberger et al. (2019, S. 231 ff.); Hörath (2017, S. 245 ff.); Köchl (2016, S. 88 ff.). Eine entsprechende Quellensammlung liegt leider noch nicht vor.

  21. 21.

    In besonderen Fällen kann es auch ein ‚Schutzhaftbefehl‘ oder ein Einweisungsbeschluss gemäß § 20 Reichsfürsorgepflichtverordnung sein (Hörath 2017, S. 89 ff.).

  22. 22.

    Auf die Unanfechtbarkeit der ‚Vorbeugungshaft‘ müsste seitens der Pädagog*innen verwiesen werden, da sie nicht aus einem einzelnen ‚Vorbeugungshaftverfahren‘ abzuleiten ist.

  23. 23.

    „Grunderlass Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“, 14.12.1937, in: Ayaß (1998, S. 94 ff.); Durchführungsrichtlinie zum „Grunderlass Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“, in: ebd., S. 124 ff.; Heindl (1926, S. 140 ff., 160 ff.).

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Hörath, J. (2021). Zielgruppen und Unrechtscharakter der ‚vorbeugenden Verbrechensbekämpfung‘ im Nationalsozialismus. In: Amesberger, H., Goetz, J., Halbmayr, B., Lange, D. (eds) Kontinuitäten der Stigmatisierung von ,Asozialität'. Citizenship. Studien zur Politischen Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32449-0_2

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