5.1 Zur Einschätzung des eigenen Internationalisierungsmusters im International Sales Accelerator Modell

Tab. 5.1 und 5.2 fassen die Interviewauswertung anhand der ISA-Modell Bausteine getrennt nach KMUs und Großunternehmen zusammen.

Tab. 5.1 Übersicht Interviewauswertung der KMUs zu den ISA-Modell Bausteinen
Tab. 5.2 Übersicht Interviewauswertung der GUs zu den ISA-Modell Bausteinen

Wie aus den zusammengefassten Auswertungsergebnissen (siehe Tab. 5.1 und 5.2) hervorgeht, können mit Hilfe des ISA-Modells, das als Internationalisierungsprozess-Modell entwickelt wurde, individuelle Internationalisierungsmuster von Unternehmen dargestellt werden. Das ISA-Modell fasst die abstrakten Ebenen in sieben Bausteinen zusammen. Gleichzeitig macht es das Modell möglich auf individuelle Internationalisierungsmuster einzugehen (siehe auch Kapitel 6). Die in Kapitel 3 und 4 vorgestellten Ergebnisse liefern zudem erste empirische Erkenntnisse wie Manager mit Hilfe des ISA-Modells für ihr Unternehmen ein Internationalisierungsmuster planen und implementieren können. Das ISA-Modell kann als ein Leitfaden für Internationalisierungsprozesse dienen. Somit wurde das übergeordnete Ziel der Dissertation (siehe Abschnitt 1.2) erreicht.

Die in Kapitel 3 und 4 vorgestellten Forschungsergebnisse bestätigen die Ergebnisse bisheriger Studien in eine Unterteilung von systematischen und unsystematischen Vorgehensweisen bei Internationalisierungsmustern von Unternehmen (siehe auch Tab. 5.1 und 5.2)Footnote 1. Den Beweis dafür, dass ein systematisches Vorgehen bei der internationalen Zielmarktauswahl besser ist als ein nicht-systematisches Vorgehen, liefern z. B. Brouthers & NakosFootnote 2. Die Autoren haben herausgefunden, dass Unternehmen mit einem systematischen Internationalisierungsmuster eine bessere Performance ablegen als Unternehmen, die ein unsystematisches Internationalisierungsmuster habenFootnote 3. Das unsystematische Vorgehen vieler Unternehmen hat mehrere Gründe: Zum einen gibt es zahlreiche Forschungslücken zu dem Thema (siehe auch Kapitel 2). Es existieren Modelle zur internationalen Marktauswahl (siehe Tab. 5.3, Synopse zur internationalen Marktauswahl im Anschluss an dieses Kapitel), aber diese erweisen sich im Geschäftsalltag als sehr aufwändig. Forscher sammeln meistens mehrere Monate Daten und werten diese anschließend mit statistischen Programmen aus. In der Praxis fehlt es meistens an der Zeit und dem Willen für solche Auswertungen. Zum anderen funktioniert ein Internationalisierungsmuster auch ohne ein systematisches Vorgehen, jedoch wie Brouthers & Nakos herausgefunden haben, leidet darunter die PerformanceFootnote 4.

Tab. 5.3 Synopse zur internationale Marktauswahl-Literatur

Die in Abschnitt 2.2 aufgestellte zentrale Annahme, dass Großunternehmen mehr Bausteine des ISA-Modells anwenden als KMUs kann anhand der Tab. 5.1 und 5.2 bestätigt werden. Weiterhin bestätigen die vorliegenden Forschungsergebnisse z. B. Kochs ArgumentationFootnote 5. Koch argumentiert, dass die internationale Marktauswahl und Markteintrittsstrategien kein separater Prozess sind, sondern zwei Aspekte einer EntscheidungFootnote 6. Aus den geführten Interviews ergibt sich, dass noch ein weiterer Aspekt dieser Entscheidung hinzukommt. Dieser Aspekt lautet Vertrieb. Die Autorin der Dissertation geht davon aus, dass alle drei Aspekte als Grundlage einer Entscheidung betrachtet werden sollten. Der Vorteil wäre, dass sich Unternehmen bereits bei der internationalen Marktauswahl, Gedanken über erste Vertriebskanäle machen müssten. Die auf den Ergebnissen dieser Dissertation aufbauende Argumentation widerspricht somit Brewer's Sichtweise, dass die internationale Marktauswahl getrennt von den Markteintrittsstrategien betrachtet werden könnenFootnote 7.

Mit Hilfe des Schnell-Checks zum ISA-Modell (siehe Abb. 5.1) können Unternehmen ihre Vorgehensweise bei ihrem individuellen Internationalisierungsmuster überprüfen und feststellen, ob ihr Muster systematisch genug verläuft. Darüber hinaus können Unternehmen mit dem Schnell-Check zur Einschätzung des eigenen Internationalisierungsmusters im ISA-Modell nachschauen, welche Tätigkeiten sie bereits durchführen und welche ihnen noch fehlen. Der Schnell-Check fasst somit die Best Practice Ergebnisse aus über 54 Unternehmensinterviews (siehe separater und vertraulicher Anhang; siehe auch Hinweis im Quellenverzeichnis) zusammen. Die Tätigkeiten die in Abb. 5.1 aufgeführt sind, sind nicht abschließend aufgezählt. Sie ergeben sich aus den geführten Interviews. Unternehmen sollten sich die Auswertungskriterien anschauen und gegebenenfalls weitere eigene Auswertungskriterien in den Schnell-Check mitaufnehmen. Es besteht zudem Forschungsbedarf bezüglich der Gewichtung der einzelnen Auswertungskriterien (siehe Abschnitt 7.2).

Abb. 5.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Schnell-Check zur Einschätzung des eigenen Internationalisierungsmusters im International Sales Accelerator-Modell.

5.2 Zur Implementierung des International Sales Accelerator Modells

Die Auswertung sowohl der Literatur als auch der eigenen Interviews zeigt, dass ein neues Modell zur Geschäftsfelder- und Vertriebsentwicklung regelmäßige als auch einmalige Tätigkeiten beinhalten muss. Diese Voraussetzungen bringt das ISA-Modell mit. In Abb. 5.2 sind die sieben Bausteine des ISA-Modells im Rad der Implementierung dargestellt. Im inneren Kreis sind die einmaligen Tätigkeiten abgebildet. Der äußere Kreis zeigt die regelmäßigen Tätigkeiten.

Zur Implementierung der einmaligen Tätigkeiten

Die einmaligen Tätigkeiten im ISA-Modell umfassen in der strategischen Analyse zunächst die Segmentierung der Weltregionen, die Erstellung eines Marktauswahlmodells sowie der erste Aufbau von Geschäftsbeziehungen mit dem Ländermarkt. Danach erfolgt die Strategieformulierung und Auswahl in Form einer Entscheidung für eine Markteintrittsstrategie. Anschließend folgt in der Strategieimplementierung die Entscheidung für eine erste Region und einen ersten Vertriebskanal. Weiterhin sollten im Anschluss daran Entscheidungen in Bezug auf weitere Vertriebskanäle sowie der weiteren MarketingpolitikenFootnote 8 (Kommunikations-, Produkt-, und Preispolitik) getroffen werden. Eventuell müssen auch weitere Marketingpolitiken für Dienstleistungsunternehmen beachtet werden (Ausstattungspolitik, Prozesspolitik und Personalpolitik)Footnote 9. Letztendliches Ziel der Implementierung des ISA-Modells im Bereich der einmaligen Tätigkeiten ist der Aufbau einer Marke zur Steigerung der nationalen Marktpräsenz. Diese Tätigkeiten entsprechen im Prinzip dem in Abb. 2.5 aufgestellten ISA-Modell zu Beginn der Arbeit.

Abb. 5.2
figure 2

(Quelle: Eigene Darstellung)

ISA-Modell – Rad der Implementierung.

Zur Implementierung der regelmäßigen Tätigkeiten

Durch die Interviews mit Unternehmen aus Industrie- und Schwellenländern sowie aus unterschiedlichen Industrien konnten die regelmäßigen Tätigkeiten abgeleitet werden.

In Baustein 1 geht es um die regelmäßige externe Analyse von Umweltfaktoren nach Weltregionen. Wie sich gezeigt hat, analysieren Großunternehmen in regelmäßigen Abständen ihre vorher segmentierten und festgelegten Weltregionen nach der Gesetzeslage, Marktwachstumspotenzialen, Trends, industriellen Projektvorhaben, Aktivitäten von Wettbewerbern, politische Entwicklungen und kulturellen Gewohnheiten (siehe Abschnitt 3.1). Manager müssen für ihre Industrie und ihr Unternehmen die wichtigsten Umweltfaktoren herausfinden.

Im Anschluss an die externe Analyse steht eine interne Analyse in Baustein 2 an. Hier sollten regelmäßig die Auswahlfaktoren analysiert werden und eine Aktualisierung des Marktauswahlmodells vorgenommen werden. Potenzielle Auswahlfaktoren wurden in Abschnitt 2.2 und 3.2 vorgestellt. Die Interviews ergaben eine regelmäßige Analyse von folgenden Faktoren: Ressourcen, Auslandsaktivitäten von Großkunden, Analyse von langfristig potenziellen Märkten, Geschäftskontakten sowie die Einflussmöglichkeiten auf Stakeholder (siehe Abschnitt 3.2).

In Baustein 3 sollte ein regelmäßiger Kommunikationsaustausch als letzter Punkt der strategischen Analyse stattfinden. Die Interviews ergaben, dass Unternehmen aller Umsatzklassen einen regelmäßigen Austausch auf Messen begrüßen. Außerdem sind Kontakte zu Institutionen, Behörden, Verbänden & Vereinen, Kunden und Konkurrenzunternehmen im Auslandsmarkt hilfreich. Mehrere Unternehmen sammeln diese Informationen an einer Stelle im UnternehmenFootnote 10. Weitere Möglichkeiten der regelmäßigen Kommunikation im Auslandsmarkt können z. B. durch Publikationen von Aufsätzen in Fachzeitschriften stattfinden oder durch die regelmäßige Teilnahme an Delegationsreisen (siehe Abschnitt 3.3).

Im Anschluss an die strategische Analyse folgen in Baustein 4 die Strategieformulierung und Strategieauswahl. Hierbei sollten Business und Sales Development Manager regelmäßig die Ziele und Motive für den Markteintritt überprüfen. Außerdem sollte überprüft werden, ob die Unternehmensstrategie noch im Einklang mit der Markteintrittsstrategie ist (siehe Abschnitt 4.1). Darüber hinaus ist es zu empfehlen, dass die Markteintrittsstrategie je nach erreichten Umsatzzielen im Auslandmarkt ein Upgrade bekommt (siehe Abb. 5.3 und 5.4).

Abb. 5.3
figure 3

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Interview 11 2015)

Umsatzwachstumsempfehlungen für die Bausteine 4–7 des ISA-Modells.

In Abb. 5.3 werden konkrete Umsatzwachstumsziele für einen Auslandsmarkt vorgeschlagen. Verzeichnet ein Unternehmen ca. 100 K€ bis 300 K€ Auslandsumsatz durch direkte Exporte in einem Zielmarkt, gilt es den Auslandsumsatz weiter voranzutreiben. In der Regel (siehe idealtypischer Verlauf einer Entwicklung von Markteintrittsstrategien im Auslandsmarkt Abb. 5.4) entscheiden sich Unternehmen für einen lokalen Handelspartner, der die nächsten Umsatzziele von ca. 1 Mio. € erwirtschaften soll. Danach folgen oft weitere Handelspartner, die den Auslandsumsatz im betreffenden Zielmarkt auf ca. 3 Mio. € hochskalieren. Ab ca. 3 Mio. € bietet sich ein Upgrade der Markteintrittsstrategie an, d. h. der Wechsel vom indirekten Vertriebsstrukturen zu direkten Vertriebsstrukturen. Mehrere Unternehmen gaben in den Interviews an, dass sie gerne die Handelspartner aufkaufen und in ihr Unternehmen integrieren, um den Wechsel zu einer eigenen Vertriebsniederlassung zu meisternFootnote 11. Ab ca. 10 Mio. € Auslandsumsatz bietet sich ein Ausbau der eigenen Vertriebsniederlassung hin zu einer eigenen Landesgesellschaft an, welches der finale Schritt in einem idealtypischen Verlauf von Markteintrittsstrategien in einem Auslandsmarkt darstellt (siehe Abb. 5.4).

Abb. 5.4
figure 4

(Quelle: Eigene Darstellung)

Idealtypischer Verlauf einer Entwicklung von Markteintrittsstrategien in einem Auslandsmarkt.

In Baustein 5 fallen ebenfalls regelmäßige Tätigkeiten an, z. B. sollte die Art des ersten Vertriebskanals in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Außerdem gilt es die Schwerpunkte bei der Fokussierung auf eine bestimmte Region zu überprüfen (siehe Abschnitt 4.2). Macht es z. B. Sinn langfristig die Fokussierung auf zentrale Importzentren zugunsten von akquirierten Großkunden zu verlagern, etc.? Diese Überlegungen sind bereits Vorarbeiten zu Baustein 6.

In Baustein 6 geht es um die ständige Überprüfung und Verbesserung des Vertriebssystems sowie der weiteren Marketingpolitiken. Die Ergebnisse aus den Interviews zu diesem Schritt zeigen (siehe Abschnitt 4.3), dass die Unternehmen weitere Kundengruppen in unterschiedlichen Branchen erschließen, das Vertriebssystem von einem Einkanal- zu einem Mehrkanalsystem erweitern, den Ausbau weiterer, im Heimatmarkt bereits bestehender, Geschäftsbereiche vorantreiben, das Produktportfolio anpassen bzw. eine lokale Beschaffung aufbauen und den Ausbau der Vertriebsniederlassung zu einer Landesgesellschaft vorantreiben. Außerdem wurde berichtet, dass gezielte Kommunikationsstrategien ausgearbeitet werden, z. B. Suchmaschinenplatzierung, Eröffnung eines Kommunikationskanals in Social Media, Werbung in Fachzeitschriften, etc. Weiterhin müssen insbesondere in Schwellenländern die Preise angepasst werden bzw. weniger komplexe Produkte entwickelt werden, damit sie zu günstigeren Preisen verkauft werden können. In der Forschung spricht man in diesem Fall von frugalen InnovationenFootnote 12.

In Baustein 7 geht es um den Aufbau einer Marke zur Steigerung der nationalen Bekanntheit. Die Ergebnisse aus den Interviews haben gezeigt, dass auch hier regelmäßige Tätigkeiten anfallen. Zum Beispiel gilt es die Entwicklung der Anzahl der Vertriebsstandorte im gesamten Auslandsmarkt voranzutreiben. Darüber hinaus muss eine Marke aufgebaut werden, indem z. B. Kunden in einer Trendstadt akquiriert werden. Weitere Standorte können mit Hilfe von sogenannten Key Opinion Leadern und Multiplikatoren ausgebaut werden (siehe Abschnitt 4.4). Das Ziel ist eine kontinuierliche Verbesserung der Erreichbarkeit der Produkte für die Kunden. Außerdem sollte es, wie in Abschnitt 2.2 aufgezeigt, das Ziel sein eine vollwertige Landesgesellschaft mit eigener Beschaffung, Produktion und Forschung & Entwicklungs-Abteilungen im Auslandsmarkt aufzubauen. Wie bereits erwähnt müssen manche Unternehmen in Schwellenländern ihr Produktportfolio anpassen, indem sie weniger komplexe und weniger teure Produkte verkaufen. Das Ziel sollte sein, durch die Entwicklung zur vollwertigen Landesgesellschaft die Trends und Erkenntnisse aus dem Zielmarkt zu sammeln und ggfs. Produktinnovationen aus dem Zielmarkt in den Heimatmarkt oder andere Märkte übertragen zu können, um die anfänglichen Verluste bei den Forschung- & Entwicklungskosten und den geringen Preisen wieder aus dem Markt zurückzugewinnen. Wie dies der Fall sein kann, wird im nachfolgenden Kapitel anhand von Fallstudien zur Implementierung des ISA-Modells vorgestellt.