Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen gesellschaftlichen Erstarkens von Rassismus in Europa und Nordamerika lässt sich auch eine aktualisierte Abwehr gegenüber rassismuskritischer sowie intersektionaler Theorie und Praxis in gesellschaftstheoretischen Analysen und Debatten beobachten. Auch in Deutschland wird mit Bezug auf die weitere Normalisierung rassistischer Gewaltförmigkeit öffentlichkeitswirksam über die ‚Falle der Identitätspolitik‘ diskutiert. So wird, mit Verweis auf die ökonomische und institutionelle Verwertbarkeit von (kommensurabler) Differenz, Rassismuskritik sowie intersektionale Kritik und Politik zunehmend und einseitig als neoliberale und depolitisierende Identitätspolitik verhandelt und den Kämpfen um soziale und ökonomische Gerechtigkeit oftmals binär gegenübergestellt. Demzufolge hängt das ‚Vergessen der sozialen Frage‘ mit einem ‚Zuviel‘ an Identitätspolitik zusammen. Die Arbeiten von Didier Eribon stellen in diesen Debatten einen Kristallisationspunkt dar, der in diesem Beitrag diskutiert werden soll. So wurde das dritte Kapitel der Rückkehr nach Reims, in dem Eribon sich mit der gegenwärtigen Konjunktur des Rassismus sowie dem Erstarken der Rechten in Frankreich beschäftigt, in Deutschland weitestgehend als Kritik an dem ‚Vergessen der Klassenfrage‘ rezipiert. Diesem Narrativ stellt der Beitrag eine rassismuskritische Lesart von Eribons Rückkehr nach Reims gegenüber, die, unter heuristischem und aktualisiertem Einbezug von W.E.B. Du Bois’ Konzept der wages of whiteness und Angela Davis’ Konzept der Intersektionalität der Kämpfe, Eribons theoretischen Beitrag zur Möglichkeit intersektionaler Klassenpolitiken herausstellt.
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Thompson, V.E. (2020). Von der Rückkehr nach Reims zur Vielfalt der Kämpfe. In: Kalmbach, K., Kleinau, E., Völker, S. (eds) Eribon revisited – Perspektiven der Gender und Queer Studies. Revisited – Relektüren aus den Gender und Queer Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32196-3_8
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