Legitimität ist ein zentrales Konzept politikwissenschaftlicher Analysen, aber auch der neo-institutionalistischen Organisationsforschung (Meyer und Rowan 1977; Hasse und Krücken 2009). Nicht nur Staaten und Herrschaftsformen bedürfen gesellschaftlicher Anerkennung und zugeschriebener Rechtmäßigkeit (Weber 1922/1972), sondern auch andere gesellschaftliche Institutionen (z. B. Schule, duale Ausbildung und Universität, Rentenversicherung, Rechtsprechung, Mitbestimmung) und einzelne Organisationen. Eine solche Institution ist das Theater, das seine Stellung in der Gesellschaft und damit Legitimität aus seiner sozialen, ökonomischen, politischen, rechtlichen und auch kulturellen Anerkennung und Wertschätzung erhält. Hieran schließt sich jedoch direkt die Frage an, wer oder was genau sich legitimieren muss und von wem legitimiert wird. Ist es das Theater insgesamt als Institution und schließt dies die Stadt- und Staatstheater, das Freie Theater, Theaterfestivals und die Privattheater mit ein? Oder sind es einzelne Häuser und Gruppen, die der Legitimierung bedürfen? Oder ist es gar die grundgesetzlich verankerte, aber in der Umsetzung der gesellschaftlichen Zustimmung bedürfende Kunstfreiheit?

Auch und hiermit verzahnt bedarf die konkrete kulturpolitische Förderung des Theaters bzw. der Theater (sei es durch öffentliche Trägerschaft mit den entsprechenden Mittelzuwendungen für die Stadt- und Staatstheater oder durch die Projektförderung freier Gruppen) der Legitimität, z. B. gegenüber anderen Ressorts und gegenüber anderen Anspruchsgruppen. Legitimität ist nicht einfach gegeben, sondern muss in Argumentationsstrategien und Aushandlungsprozessen immer wieder gesucht und hergestellt werden. Mit Legitimation wird ein Prozess bezeichnet, der zu Legitimität führt, d. h. Legitimität setzt Legitimation voraus. Legitimation schließt sowohl die Rechtfertigung eigener Handlungen oder Handlungsergebnisse ein (sich selbst Legitimität verschaffen) als auch etwas hinzunehmen oder Einverständnis zu erklären (anderen Legitimität verschaffen). Diese Rechtfertigung kann sich auf die Übereinstimmung mit Normen, Erwartungen und Leitbildern beziehen (Meyer und Rowan 1977), auf die Nützlichkeit des Handelns und die Erfüllung anerkannter gesellschaftlicher Funktionen, auf Gesetzestreue oder auch auf Legitimation durch Verfahren (Luhmann 1969). Die Notwendigkeit für Legitimation (d. h. Legitimationsdruck) ergibt sich insbesondere dann, wenn durch den Wandel von Normen, Erwartungen und Leitbildern Legitimität vermindert oder ganz entzogen wird, sei es in kleinen Schritten und zunächst fast unmerklich oder durch einschneidende Ereignisse (z. B. Schließung eines Theaters als Folge eines Delegitimationsprozesses). Fehlende Legitimität bedeutet eine geringere Anerkennung durch die relevante Umwelt (für das Theater: Kulturpolitik, Öffentlichkeit, Publikum, Medien), führt zu abnehmenden Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, zu weniger Ressourcen, zu geringerer Durchsetzungsmacht, zu einem steigenden Aufwand für Legitimation bis hin zur Existenzbedrohung (Krise).

Theater befinden sich im Kampf um Anerkennung. Axel Honneths (1992) Perspektive auf die strukturellen Ermöglichungsbedingungen individueller Identität haben wir hierbei auf Institutionen und Organisationen ausgeweitet. Die von Honneth für die bürgerlich-kapitalistische Wirtschaftsform identifizierten drei Anerkennungssphären, Liebe, Recht und soziale Wertschätzung, lassen sich auf das Theater übertragen: Liebe für die Kunst; Recht auf Kunstfreiheit und die in Deutschland damit verbundene öffentliche Kunstförderung; soziale Wertschätzung von Theater für dessen Leistung und Beiträge zur Gesellschaft. Gerade die letztgenannte Anerkennungssphäre ist es nach Honneth, in der Kämpfe um (Markt-) Bewertungen, Deutungskompetenzen und Einfluss vor dem Hintergrund soziokultureller Bezugsrahmen ausgetragen werden. So ist für das Theater und die theaterfördernde Kulturpolitik zu beobachten, dass sich Legitimationsanforderungen und -strategien verschieben und dass Legitimationsmuster vielfältiger werden. Traditionelle Leitbilder, wie „Kunst um der Kunst willen“, Bildungsauftrag und Traditionspflege (Aufführungspraxis, künstlerisches und bühnentechnisches Handwerk) sind heute nicht obsolet, aber sie werden u. a. ergänzt um einen eingeforderten Beitrag zur (stadt-)gesellschaftlichen Entwicklung (Offenheit, Vielfalt, Vernetzung, Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Teilhabe, Therapie) sowie Erwartungen an reputierliche (inter-)nationale Exzellenz und Sichtbarkeit, an Kreativität und Experimentierfreudigkeit, zeitgemäße Produktionsweisen und Organisationsstrukturen (flache Hierarchien, Partizipation, Chancengerechtigkeit, Nachwuchsförderung), aber auch an Effizienz und ökonomischen Erfolg.

Dass diese Erwartungen nicht widerspruchsfrei sind (zumal der Kunst gerade auch die gesellschaftliche Aufgabe zugeschrieben wird, nicht erwartungskonform zu sein) und ihnen daher in aller Regel (und mit den verfügbaren Ressourcen) auch kaum vollumfänglich entsprochen werden kann, liegt auf Hand. Gerade durch diese Spannungsfelder entfalten auf das Theater bezogene Legitimationsdiskurse ihre Wirkung und führen zu dauerhaftem Rechtfertigungsdruck bis hin zum einzelnen Projekt bzw. zur/zum einzelnen Künstler*in. Dass dies krisenhaft wahrgenommen wird und zugleich auch Transformationsdynamiken induziert, ist forschungsleitende Annahme der DFG-Forschungsgruppe (FOR 2734) „Krisengefüge der Künste. Institutionelle Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten der Gegenwart“. In diesem Teil des Bandes präsentieren verschiedene Teilprojekte dieser Forschungsgruppe Ergebnisse zu den Fragen, wie Theater und Theaterkünstler*innen sowie die Kulturpolitik auf Legitimationsdruck reagieren, welche Legitimationsstrategien beobachtbar sind und welche Auswirkungen diese haben.

Sebastian Stauss untersucht in seinem Beitrag am Fall des doppelten Intendanzwechsels am Staatstheater Hannover kulturpolitische (Selbst-)Legitimationsprozesse in der medialen Öffentlichkeit. Silke zum Eschenhoff analysiert am Beispiel von zwei freien Theatergruppen und auf Basis von Interviews und Probenbeobachtungen den Einfluss von Förderkriterien auf Produktionsbedingungen und Theaterästhetiken im niedersächsischen Kontext. Anja Quickert untersucht Krisendiskurse und Agenda-Setting in der Freien Theaterszene Berlins als Repolitisierung des künstlerischen Diskurses und als Strategie der (Selbst-)Legitimierung. Benjamin Hoesch zeigt in seinem Beitrag anhand von Fallstudien (Hamburg in den 1990er Jahren und Münchner Volkstheater) auf, wie zunehmende Aktivitäten der Nachwuchsförderung als Legitimationsmythos (Meyer und Rowan 1977) fungieren und welche Effekte dies hat. Bianca Michaels untersucht anhand der Veränderungen in der Programmplanung öffentlich getragener Theater und der kulturpolitischen Debatte um die Münchner Kammerspiele unter der Intendanz von Matthias Lilienthal den Zusammenhang von Spielplangestaltung und Legitimationsdiskursen.

Bei aller Vielfalt der Analyseperspektiven und der empirisch betrachteten Phänomene (Freies Theater, Nachwuchsförderung, Intendanzwechsel, theaternahes Rahmenprogramm) identifizieren und explorieren alle Beiträge sowohl einen zunehmenden Legitimationsdruck auf (das) Theater und die Kulturpolitik als auch sich verschiebende Rechtfertigungsnarrative. Sie zeigen, dass sich die verschiebenden Legitimitätsdiskurse und Legitimationsstrategien nicht nur rhetorisch auf die jeweils zu beobachtenden Rechtfertigungsnarrative auswirken, sondern auch konkret in veränderten Förderkriterien, Produktionsweisen, Formaten und Ästhetiken sowie in Selbstbildern und Künstler*innen-Identitäten widerspiegeln. Diese Transformationsdynamiken multidisziplinär (Theaterwissenschaft, Sozialwissenschaften) und aus neo-institutionalistischer Perspektive zu untersuchen, erweist sich als fruchtbar und bietet Anregungen für weitere Forschungen zu Krisendiskursen und Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten.