Schlüsselwörter

1 Einleitung

„Das Theater braucht Durchlässigkeit, Begegnungen mit dem, was außerhalb seiner selbst geschieht, um sich nicht selbst mit der Welt zu verwechseln. Es bedarf dazu Kommunikation und Konzentration. Das bedeutet, es geht bei Partizipation nicht primär darum, kulturelle Angebote verständlicher, attraktiver oder populärer zu kommunizieren, sie besser zu erklären. Es geht in erster Linie darum, wirklich im Kontakt zu sein mit denen, für die das Theater da ist. Dazu muss die Schwelle in beide Richtungen überschritten werden: rein und raus“ (Khuon 2019, S. 13).

In seiner Eröffnungsrede zum 4. Europäischen Bürgerbühnenfestival 2019 in Dresden erklärt Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, dass partizipative Projekte an den deutschen, öffentlich getragenen Häusern einen hohen Stellenwert haben. Khuon, seit der Spielzeit 2009/2010 Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, konstatiert darüber hinaus: Partizipation ermögliche eine andere und neue Form der Auseinandersetzung mit der Stadt und Stadtgesellschaft. Dass eine Vielzahl der öffentlich getragenen Häuser partizipative Projekte im Programm realisieren, offenbart eine Analyse der Spielzeithefte der Saison 2018/2019: 90 der 143 öffentlich getragenen Theater bieten partizipative Formen und Formate im Programm an, dies entspricht rund 63 %. Zusätzlich kann festgestellt werden, dass die Relevanz der partizipativen Projekte an den Häusern in den letzten 15 Jahren deutlich gestiegen ist. Exemplarisch zeigt sich dies in Form der Bürgerbühne. 2009 erstmalig als Sparte am Staatsschauspiel in Dresden gegründet, haben in den Folgejahren eine Vielzahl von Theatern ähnliche, vom Titel her gleiche, partizipative Formen in ihre Programme aufgenommen.Footnote 1 Gewiss sind die jeweiligen Bürgerbühnen in der inhaltlichen Ausrichtung und auch organisatorischen Justierung sehr verschieden, dennoch lässt sich konstatieren: Alle Häuser vereinen unter dem Begriff der Bürgerbühne die Arbeit beziehungsweise das Spiel mit nichtprofessionellen Darsteller*innen und dieser partizipativen Form wird im Programm verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Besonders ein kulturpolitisches Förderprogramm hat die Entwicklung und Stärkung derartiger partizipativer Formen in den Programmen der öffentlich getragenen Theater mitbestimmt: der Fonds „Heimspiel“ der Kulturstiftung des Bundes.Footnote 2 2005 initiierte die Kulturstiftung des Bundes mit diesem Fonds ein Förderprogramm, welches besonders den Austausch zwischen Stadt, Theater und Stadtgesellschaft verstärken sollte. Obwohl der Fonds bereits im Jahr 2013 ausgelaufen ist, sind die Auswirkungen der realisierten Projekte noch heute im Programm der Häuser zu finden. Besonders der Terminus Stadtprojekt hat sich seitdem als partizipative Theaterform in den Programmen der öffentlich getragenen Theater etabliert. Zusätzlich haben sich in den letzten Jahren bundesweit vermehrt ganze Sparten gegründet, welche die partizipativen Theaterformen bündeln und organisational rahmen. Der vorliegende Beitrag will den kulturpolitischen AkteurFootnote 3 Bundeskulturstiftung und sein Programm „Heimspiel“ näher betrachten. Zu erforschen gilt es demnach: Welche Häuser und welche Projekte wurden im Rahmen des Fonds „Heimspiel“ gefördert? Und: Wie beschäftigen sich diese mit der Stadt und Stadtgesellschaft?

Im Rahmen einer deskriptiv angelegten qualitativen Dokumentenanalyse werden im Folgenden unter anderem Zahlen aus der Deutschen Theaterstatistik und Kurzbeschreibungen der jeweiligen Stadtprojekte zur Auswertung herangezogen und diskutiert. Der Forschungsstand zum „Heimspielfonds“ ist überraschenderweise von einer gewissen Diffizilität geprägt. Zwar sind Kritiken und Stückbesprechungen in Theater-Fachzeitschriften und Onlineportalen wie „nachtkritik.de“ zu finden, eine differenzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand ist jedoch nahezu inexistent.Footnote 4 Die Berichterstattung zum „Heimspielfonds“ vonseiten der Kulturstiftung des Bundes beschränkt sich hauptsächlich auf die eigene Webseite.

2 Partizipation en vogue

Bevor der Fonds „Heimspiel“ und dessen Struktur näher analysiert wird, ist es essenziell, einen Terminus in den Mittelpunkt der Ausführungen zu platzieren, welcher nahezu durchgehend mit den Stadtprojekten in Kohärenz gesetzt wird: den Begriff der Partizipation.Footnote 5 Besonders in den letzten Jahren hat sich die Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit intensiviert und stark differenziert.Footnote 6 Dennoch resultiert Christoph Scheurle (2017, S. 19), „dass der Partizipationsdiskurs in der Theaterwissenschaft noch ganz am Anfang steht“. Zwei Jahre nach dieser Feststellung hat Johannes Kup (2019) mit „ Das Theater der Teilhabe“ eine – auch für die Theaterwissenschaft – umfassende Studie zum Umgang mit dem Begriff der Partizipation veröffentlicht, ausgehend von einer theaterpädagogischen Perspektive. Nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit Partizipation, unter anderem mit theoretischen und historischen Studien, resultiert er auf die Theaterwissenschaft und deren Verhältnis zum Terminus bezogen:

„Der Begriff der Partizipation bleibt hingegen in der Regel mit sozialen und politischen Fragen verknüpft und bezieht sich im kunst- und theaterwissenschaftlichen Diskurs sowohl auf die Beteiligung von Rezipient*innen als auch auf die Teilnahme nicht-professioneller Performer*innen oder Spieler*innen“ (Ebd., S. 120).

Kup akzentuiert mit dieser Definition eine Ambivalenz, welche den Begriff der Partizipation prägt: Es muss zwischen Beteiligung und Teilnahme unterschieden werden. Besonders in den Projekten des „Heimspielfonds“ fällt auf, dass die Grenzen zwischen Beteiligten und Teilnehmenden fließend erscheinen. Vermehrt war es Ziel, dass die Projekte nicht nur zur aktiven Teilnahme ermutigen, sondern dass auch das zunächst passive Publikum in den Aufführungsprozess involviert ist. Diese Problematik scheint auch in den gegenwärtigen partizipativen Theaterprojekten nicht gänzlich geklärt. So finden sich in den Programmen immer wieder Formen, in welchen Partizipation als Teilnahme, als Beteiligung oder als ein „Dazwischen“ begriffen werden kann.

3 Der Fonds „Heimspiel“

2005 wurde von der Kulturstiftung des Bundes der „Heimspielfonds“ initiiert, wodurch 62 Stadtprojekte antragsbasiert bis 2013 realisiert werden konnten.Footnote 7 Folgende Ziele wurden damit von der Bundeskulturstiftung proklamiert:

„Gefördert wurden Theaterprojekte, die sich mit der urbanen und sozialen Realität der Stadt auseinandersetzen und ein neues Publikum für das (Stadt-)Theater gewinnen sollten. Das Theater kann für das Selbstverständnis einer Stadt eine zentrale Rolle spielen. Es ist ein öffentlicher Ort, an dem sich Menschen versammeln, an dem sie sich mit sich selbst und der Gesellschaft auseinandersetzen. Dennoch müssen alle öffentlichen Theater um die Akzeptanz des Publikums und nicht zuletzt um ihre finanzielle Ausstattung kämpfen. Was bedeutet es heute Theater für eine Stadt zu machen? Wie kann das Theater zu einem Ort werden, der sich den drängenden Problemen der Gegenwart stellt? Wie kann es ein neues Publikum gewinnen und gleichzeitig seinem Stammpublikum ungewohnte Sichtweisen präsentieren?“ (Kulturstiftung des Bundes 2020).

Als Ausgangspunkt des Förderfonds gilt also die Annahme, dass die Daseinsberechtigung öffentlich getragener Häuser in der Stadt kein evidentes Gut (mehr) ist. In erster Linie wird vor allem die finanzielle Lage der Theater thematisiert, die nicht gesichert scheint.Footnote 8 Die Kulturstiftung des Bundes wollte demnach mit dem Fonds vor allem erreichen, dass sich Theatermacher*innen einerseits mit aktuellen Themen der StadtgesellschaftFootnote 9 auseinandersetzen. Andererseits sollten durch diesen Austausch und die Schaffung innovativer künstlerischer Formen neue Besucher*innen für das Theater gewonnen werden. Ein Dialog zwischen den Bürger*innen der Stadt und dem jeweiligen (Stadt-)Theater sollte neue Beziehungsrelationen etablieren. Zudem wurde von den Antragssteller*innen erwartet, dass vor der Projektantragsphase bereits umfangreich recherchiert wurde und konkret bestimmte Gruppierungen der Stadt erforscht wurden.Footnote 10 In elf Jurysitzungen wurden die eingereichten Projektanträge besprochen, respektive die Förderzusagen erteilt. Die Jury bestand stets aus drei Personen.Footnote 11 Zu den Rahmendaten: 47 TheaterFootnote 12 aus 42 Städten wurden im Rahmen des Fonds „Heimspiel“ der Kulturstiftung des Bundes gefördert.Footnote 13 Wie Abb. 1 verdeutlicht, befinden sich über zwei Drittel (72,34 %) der am „Heimspiel“ beteiligten Häuser in Städten mit über 100.000 Einwohner*innen, fast ein Drittel (31,91 %) sogar in Städten mit über 500.000 Einwohner*innen. Lediglich sieben der Städte mit Theatern (14,89 %) haben hingegen unter 50.000 Einwohner*innen.Footnote 14

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Berechnungen. © Lukas Stempel, 2020)

Geförderte Theater nach Stadttypen, Fonds „Heimspiel“ der Kulturstiftung des Bundes.

Zudem liegen über 60 % der am „Heimspielfonds“ beteiligten Theater (61,70 %) in Westdeutschland, 18 Theater (38,30 %) in Ostdeutschland. In 13 von 16 Bundesländern wurden Projekte realisiert. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben mit zehn (21,28 %), respektive sieben (14,89 %), die höchste Anzahl an geförderten Stadtprojekten. In Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Schleswig–Holstein wurden keine Projekte umgesetzt. Im Rahmen der Betrachtung von Abb. 2 fällt besonders auf, dass im eher kleineren Bundesland Sachsen-Anhalt sechs Projekte (12,77 %) realisiert wurden.Footnote 15

Abb. 2
figure 2

(Quelle: Eigene Berechnungen. © Lukas Stempel 2020)

Geförderte Theater nach Bundesland, Fonds „Heimspiel“ der Kulturstiftung des Bundes.

Deutlich mehr als die Hälfte der am Fonds „Heimspiel“ beteiligten Theater sind Stadttheater (59,57 %), etwas mehr als ein Viertel Staatstheater (27,66 %) und sechs Häuser (12,77 %) sind als Landestheater organisiert. Um einen diverseren Überblick zu erhalten, wie die im „Heimspielfonds“ der Kulturstiftung des Bundes geförderten Theater organisational und strukturell aufgestellt sind, lohnt sich ein Blick in die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins.Footnote 16 Abb. 3 zeigt in 21 Kategorien die Durchschnittswerte sowie die jeweiligen Minima und Maxima.Footnote 17 Haben die Durchschnittswerte einen eher instruktiven Charakter, sind im Kontrast dazu die Spalten Minimum und Maximum äußerst aufschlussreich. So zeigt sich nahezu in allen Kategorien, wie divergent und divers sich die Struktur der am Förderfonds beteiligten Theater darstellt.

Abb. 3
figure 3

(Quelle: Eigene Berechnungen. © Lukas Stempel, 2020)

Verschiedene Charakteristika der geförderten Theater, Fonds „Heimspiel“ der Kulturstiftung des Bundes.

Besonders große Kontraste können in den Bereichen Vorstellungen (Min. 131, Max. 1059), Besucher*innen Gesamt (Min. 6127, Max. 548.347), Personal Gesamt (Min. 26, Max. 1297), Einnahmen Insgesamt (Min. 1442, Max. 92.502) und Betriebszuschuss (Min. 41, Max. 238) eruiert werden. Es kann also konstatiert werden, dass mit dem „Heimspielfonds“ ein differenziertes Spektrum an Theatern erreicht wurde, beziehungsweise dass sich Häuser mit unterschiedlichsten Charakteristika für den Förderfonds interessierten. 62 Kurzbeschreibungen der im „Heimspielfonds“ realisierten Projekte sind auf der Webseite der Kulturstiftung des Bundes zu lokalisieren. Zu Beginn einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Projektinhalten ist zunächst eine einfache Analyse von Worthäufigkeiten von Nutzen.

Abb. 4 zeigt in erster Linie, dass die Wörter „Theater“, „Stadt“ und „Projekt“ erwartungsgemäß am häufigsten genannt werden.Footnote 18 Darüber hinaus lassen sich Begriffe wie „gemeinsam“, „heute“, „Leben“, „Recherche“, „zusammen“, „neuen“ oder „Region“ ermitteln, welche sich nah an den Zielen des „Heimspielfonds“ orientieren, das heißt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Antragsprosa heraus resultieren. Durchaus können jedoch auch Termini entdeckt werden, welche erste Rückschlüsse auf die inhaltliche Ausrichtung der jeweiligen Projekte ermöglichen. So sind die Worte „Jugendliche/n“, „Arbeit“, „Armut“ und „Migranten“ ein erstes Indiz dafür, welche inhaltlichen Schwerpunkte die Theater im Rahmen der Stadtprojekte setzten. Diese quantitativen Ergebnisse erfordern durch eine qualitative Betrachtung eine Konkretisierung.

Abb. 4
figure 4

(Quelle: Eigene Berechnungen. © Lukas Stempel, 2020)

Worthäufigkeiten in den Projektbeschreibungen, Fonds „Heimspiel“ der Kulturstiftung des Bundes.

4 Wer, wie, was – wieso, weshalb, warum?

Bildungsmisere, Rassismus, Prostitution, Jugendkriminalität, Atomkraft, Überalterung ‒ ein Blick in die Themenvielfalt der im „Heimspielfonds“ realisierten Projekte offenbart, dass sich die Theater mit unterschiedlichsten Fragestellungen auseinandergesetzt haben. Um die inhaltliche Analyse zu strukturieren, sollen die Projekte im Folgenden im Rahmen der W-Fragen-Methode (wer, was, wann, wo, warum, wie und wozu) betrachtet werdenFootnote 19, und dies aus dem Blickwinkel der jeweiligen Projektskizzen:

Wer wirkte im Rahmen der Projekte mit?

Neben den Theaterschaffenden wurden gezielt bestimmte Milieus und Gesellschafts- bzw. Berufsgruppen im Kontext der Projektarbeit angesprochen: u. a. Migrant*innen, Hooligans, Gastarbeiter*innen, Senior*innen, Polizist*innen, Bundeswehrsoldat*innen, Arbeitslose, Flüchtlinge ‒ die Aufzählung lässt sich noch weiterführen. Oft waren die jeweiligen Gruppen in den Produktions- und/oder Schaffungsprozess des Projekts direkt eingebunden und nahmen die Rolle eines Experten bzw. einer Expertin ein. Schlussendlich wirkten einige der Akteur*innen dann auch im Rahmen von Produktionen auf der Bühne mit. Es ist klar ersichtlich, dass die Projekte vermehrt an Kinder und Jugendliche adressiert waren. Die Partizipation erfolgte also aktiv (teilnehmend) und/oder passiv (beteiligt).

Was wurde im Rahmen der Projekte verwirklicht?

Wie in Abb. 5 ersichtlich, lassen sich sechs Themenfelder eruieren, die verstärkt in den Kurzbeschreibungen der Projekte genannt werden:

Abb. 5
figure 5

(Quelle: Eigene Darstellung. © Lukas Stempel, 2020)

Themenfelder der Projektbeschreibungen, Fonds „Heimspiel“ der Kulturstiftung des Bundes.

Im Kontext des Feldes Arbeit wird vermehrt die Problematik der Arbeitslosigkeit verhandelt. Die Thematik Migration steht sehr oft im Vordergrund, daran anschließend besonders der Stellenwert der Integration, hier aber nicht nur auf Migrant*innen bezogen, sondern beispielsweise auch auf Menschen mit Behinderung. Einige Projekte befassen sich konkret mit dem Problemfeld Gewalt. Die Stadtentwicklung und mögliche Utopien für eine Stadt der Zukunft – und ein Zusammenleben – finden sich im Bereich Urbanisierung wieder. Auch der Aspekt der Armut steht im Zentrum diverser Projekte. Obwohl im Rahmen der Ziele des Förderfonds indirekt angesprochen, beschäftigt sich lediglich ein Projekt konkret mit der Zukunft des Theaters bzw. entwickelt Ideen für eine Novellierung der Theaterstrukturen.

Wann wurden die Projekte realisiert?

Der Zeitraum des Gesamtprojekts wurde bereits erwähnt. Die Häuser selbst realisierten nach der Zusage der Förderung in ganz verschiedenen Zeitspannen die jeweiligen Projekte.

Wo haben die Projekte stattgefunden?

Im Rahmen der Ziele des Fonds formulierte die Bundeskulturstiftung den Wunsch, dass die Projekte (möglichst) auf der „Großen Bühne“ gezeigt werden. Nahezu alle Theater sind dieser Bedingung nachgekommen. Oft wurde der Abschluss des Projekts jedoch verbunden mit einer außerhalb des Theaters stattfindenden Aktion. Vermehrt wurden „Theatre Walks“ realisiert und/oder Stadtteilrundgänge an einem für das Projekt und die Handlung relevanten Ort.

Warum wurden die Projekte durchgeführt?

Ein Rückblick auf die von der Kulturstiftung des Bundes für den „Heimspielfonds“ definierten Ziele hilft, mögliche Motive der jeweiligen Projekte konkreter zu fassen. Zwei Hauptziele konnten in der vorherigen Argumentation bereits erläutert werden: zum einen die Auseinandersetzung mit Themen der Stadt und zum anderen die Gewinnung neuer Publika. Das erste Ziel ist im Hinblick auf die Kurzbeschreibungen der jeweiligen Projekte fortlaufend erfüllt. Es fällt allerdings auf, dass die Theater sich vor allem in ihren Projekten mit Problemen bzw. direkten Herausforderungen ihrer spezifischen Stadt beschäftigen und diese zum Gegenstand ihrer Recherchen und künstlerischen Arbeit machen. Zusätzlich sind die Theater mit Akteur*innen der Stadt in Austausch getreten und haben diese fast durchgehend in den künstlerischen Produktions-, Schaffungs- und Aufführungsprozess eingebunden. Ob schlussendlich neue Publika durch die Projekte angesprochen wurden, kann nicht verifiziert werden, auch da dazu keine Studien vonseiten der Theater oder der Bundeskulturstiftung vorliegen. Zudem fällt auf, dass die Häuser mit ihren Projekten den Dialog suchen, hin zur Stadtgesellschaft und dies multiperspektivisch. Die forcierten Dialoge können demnach ganz unterschiedliche Formen und Charakteristika annehmen: interkulturell, intergenerativ, interreligiös, integrativ und/oder innerstädtisch. Vereinzelt wird auch ein künstlerischer Austausch angesprochen, d. h. die künstlerischen Akteur*innen der Häuser wollen im Rahmen ihrer Arbeit beziehungsweise durch diese mit den Bürger*innen in den Dialog treten.

Wie wurden die Projekte umgesetzt?

Alle Projekte basieren auf realisierten Recherchen in der Stadt, unter anderem da dies als ein Förderkriterium der Bundeskulturstiftung vorgegeben war. Die Formenvielfalt ist stark ausgeprägt: sie reicht von szenischer Intervention, Kulissenschau, HipHop-Oper über Massentheater, lebendigen Geschichtsunterricht, Straßenoper und Talentgala. Eine Einteilung des jeweiligen Projekts in eine bestimmte Sparte ist demnach eher schwer zu realisieren. Es lässt sich lediglich resümieren, dass nahezu alle gängigen Sparten (Schauspiel, Oper, Tanz und Figurentheater) vertreten sind, ein Großteil lässt sich dem (erweiterten) Begriff des Sprechtheaters zuordnen.

5 Fazit und Ausblick – Stadtgesellschaft(en) „Heimspiele“ ermöglichen

Die Analysen zum „Heimspielfonds“ haben Folgendes gezeigt:

  • Der Fonds „Heimspiel“ hat aus einer strukturellen Perspektive heraus betrachtet ein äußerst heterogenes Teilnehmerfeld.

  • Die in den Projekten verhandelten Themen verfügen nahezu ausschließlich über einen problemzentrierten Ausgangspunkt. Das heißt: Es werden in den Projekten vorwiegend städtische und gesellschaftspolitische Herausforderungen diskutiert und reflektiert. Im Rahmen der künstlerischen Arbeit sollen dann Lösungswege und Veränderungspotentiale entwickelt werden.

  • Die nichtprofessionellen Akteur*innen wurden entweder passiv beteiligend oder aktiv teilnehmend in die Projekte integriert. Teilweise werden unterschiedliche Formen angeboten, die beide Partizipationsstile ermöglichen.

  • Im Fokus der Projekte steht vorwiegend die künstlerische Entwicklung innovativer Theaterformen und das „Ausprobieren“ neuer Ästhetiken. Nur ein Projekt beschäftigt sich konkret mit der Zukunft des Theaters und möglichen Veränderungsdynamiken.Footnote 20

„Ein Stadt- oder Staatstheater liefert im Grunde genommen Abend für Abend ein „Heimspiel“ auf bekannter Bühne, allein die „Fan-Zahlen“ lassen zu wünschen übrig. Und obwohl ein Theatergebäude geografisch meist im Zentrum einer Stadt angesiedelt ist, scheint es im Bewusstsein der Stadtgesellschaft eher einen Platz am „Rande des Spielfelds“ zu haben“ (o. V. 2020).

In allen Projekten stehen die Bürger*innen der Stadt, also die Stadtgesellschaft beziehungsweise Teile davon im Mittelpunkt der theaterpraktischen Arbeit. Der Platz am „Rande des Spielfelds“ sollte im Rahmen des „Heimspielfonds“ einem Platz „auf dem Spielfeld“ weichen. Die Stadtgesellschaft aktiv einbeziehen, zum Mitmachen animieren und besonders Außenseiter zu Wort kommen lassen.Footnote 21 Haben sich diese von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Maßnahmen verstetigt? Eine allumfassende Antwort auf diese Frage kann nicht gegeben werden. Wird der Fokus auf die im „Heimspielfonds“ geförderten Theater gerichtet, fällt vereinzelt auf, dass durch die finanzielle Projektförderung der Kulturstiftung des Bundes durchaus künstlerische Transformationsprozesse begünstigt und unterstützt wurden.Footnote 22 Exemplarisch zeigt sich dies beispielsweise an der Bürgerbühne in Dresden. Im Rahmen der ersten Spielzeit der 2009/2010 neu gegründeten Sparte am Staatsschauspiel wurde das Stadtprojekt „Alles Auf Anfang!“ mit Geldern des „Heimspielfonds“ realisiert. Die Bürgerbühne in Dresden hat sich seitdem in den letzten zehn Jahren etabliert, ist als Teil des Angebots im Programm am Staatsschauspiel fest verankert und hat schlussendlich sogar Intendanzwechsel überdauert: „Seit ihrer Gründung stellt die Bürger:Bühne in Dresden der Stadtgesellschaft einen alternativen Begegnungs- und Gesprächsraum zur Verfügung. Sie verschafft Gehör und Austausch für differenzierte Diskurse und leise Stimmen“ (Staatsschauspiel Dresden 2020). Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch am Badischen Staatstheater Karlsruhe beobachten. In der Spielzeit 2011/2012 verwirklichte das Staatstheater das Stadtprojekt „Der Gastfreund/Die Argonauten“. In derselben Spielzeit wurde die Sparte Volkstheater gegründet, welche sich auch heute noch die Frage stellt: „Besitzt das Theater in einer immer diverseren Gesellschaft die Macht, Veränderung anzustoßen und in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken?“ (Badisches Staatstheater Karlsruhe 2020). Und in Freiburg musste aufgrund einer politischen Legitimationskrise zum Start der Intendanz von Barbara Mundel 2006 die Frage zum „Verhältnis von Stadtgesellschaft und Theater als Kunstform“ neu gestellt werden (Hasselberg 2014). In diesem Kontext wurde das Stadtprojekt „Orbit“ entwickelt und umgesetzt (vgl. Mundel und Mackert 2007). Trotz diverser Veränderungen auf Leitungsebene und einer Neuausrichtung des Hauses seit 2017 existiert beispielsweise das im Rahmen der von Barbara Mundel bewirkten Öffnung zur Stadt entstandene, partizipative „Theaterlabor School of Life and Dance“ auch gegenwärtig.

Diese drei Beispiele zeigen exemplarisch, dass die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen der Projekte des „Heimspielfonds“ durchaus als Impulsgeber bzw. Unterstützer von Transformationsprozessen wahrgenommen werden kann. Die Produktion neuer künstlerischer Formen und die von der Bundeskulturstiftung geschaffene finanzielle Möglichkeit zum „Ausprobieren“ führten unter anderem dazu, dass die Theater auch nach dem Abschluss der Stadtprojekte dem Partizipativen deutlich mehr Entwicklungsmöglichkeiten gegeben haben. Es kann also durchaus resultiert werden, dass der „Heimspielfonds“ eine künstlerische Transformation begleitet und unterstützt hat. Im Kontrast dazu sind „angestoßene“ Transformationsprozesse auf organisationaler Ebene nicht klar zu verifizieren. Durch die Einführung von beispielsweise Bürgerbühnen haben sich Strukturen der Häuser sicherlich verändert, allerdings können diese nicht ausschließlich auf den durch den „Heimspielfonds“ ausgelösten künstlerischen Impuls zurückgeführt werden. Zuvorderst wurde von der Kulturstiftung des Bundes zunächst ausschließlich der Wunsch formuliert, dass durch den Erfolg des „Heimspielfonds“ „die Intendanten die Finanzierung solcher Formate vor dem Kulturausschuss und dem Abonnenten mit großer Überzeugung vertreten können“ (Völckers 2007). Bei den Intendant*innen scheinen die Impulse im Hinblick auf partizipative Theaterformen angekommen zu sein. So erklärt Intendant Ulrich Khuon:

„Partizipation verändert das, woran partizipiert wird. Die Institution muss folglich bereit sein, sich durch Partizipation auch selbst neu zu sehen und zu transformieren“ (Khuon 2019, S. 13).

Der Stellenwert von partizipativen Projekten bzw. Theaterformen mit Bezug zum Stadtraum hat sich also auch in den Leitungsebenen der Theater etabliert. Eine Entwicklung, welche partizipatives Theater und eine daraus entstehende Öffnung hin zur Stadtgesellschaft an den öffentlich getragenen Häusern in der Zukunft (weiter) stärkt.