Zusammenfassung
Als wesentliche Ursache des in diesem Beitrag elaborierten dritten, digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit werden nicht Prozesse der Digitalisierung per se gesehen, sondern eine spezifische Facette derselben, nämlich die sogenannte Plattformisierung. Unter dem Begriff wird der gesellschaftliche Bedeutungsaufstieg digitaler Tech-Plattformen (u. a. Google, Facebook) seit den 2010er Jahren verstanden sowie der damit verbundene Prozess des fortschreitenden Eindringens infrastruktureller und regelsetzender Plattform-Elemente in die Internet-Ökosysteme, was nicht nur die Medienöffentlichkeiten einem fundamentalen Transformationsprozess aussetzt, sondern auch die Gesellschaft insgesamt. In diesem Beitrag wird der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit als Folge der Plattformisierung beschrieben und ein theoretisches Modell der Plattform-Öffentlichkeit entwickelt.
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(Eigene Darstellung)

Notes
- 1.
Tech-Plattformen sind auch untereinander vernetzt: Netflix oder Spotify beispielsweise laufen komplett über die Server von Amazon Web Services sowie die Google-Cloud. Und zur geografischen Navigation wird bei verschiedenen Tech-Plattformen der Kartendienst Google Maps genutzt und in das eigene Angebot integriert.
- 2.
Diese Expansion der Plattformen ins Internet ist auch in ihre Claims eingeschrieben, so zum Beispiel Facebooks Anspruch, das „operating system of our lives“ sein zu wollen (Nieborg und Helmond 2019, S. 200).
- 3.
- 4.
Dieser Erwartungsdruck ist längst auch in der Wissenschaft angekommen. So ist die Analyse von „big data“ mit Verfahren der „computational methods“ längst zum zentralen Reputationstreiber avanciert, dem sich kein Lehrstuhl mehr per se verschließen kann.
- 5.
Dabei beschränken wir uns auf Logiken von Tech-Plattformen, die an der Konstitution öffentlicher Kommunikation beteiligt sind wie Facebook, Google, YouTube, Twitter etc.
- 6.
Letzteres zeigt sich zum Beispiel im algorithmischen Umgang mit Gewalt und Nacktheit durch Facebook. Der Umgang mit Nacktheit erfolgt restriktiver. Nacktheit wird nur in Form „handgefertigter Kunst“ toleriert oder wenn es sich um „berichtenswerte Ausnahmen“ handelt.
- 7.
Die Encounter-Öffentlichkeit ist als „kleine“ Öffentlichkeit durch den geringsten Grad der Institutionalisierung und die niedrigsten Zugangshürden charakterisiert. Die Sprecher- und Publikumsrolle sind nicht festgelegt und wechseln dynamisch hin und her. Klassische Beispiele sind der Stammtisch oder die öffentliche Debatte in der Warteschlange. Neuere Beispiele sind Debatten in Online-Foren oder mittels Kommentar-Postings. Die Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit weist bereits eine höhere Reichweite und einen höheren Institutionalisierungsgrad auf: Strukturbildend wirkt das Thema und zumeist sind Veranstalter/Organisatoren an der Institutionalisierung dieses Öffentlichkeitstyps beteiligt. Beispiele sind öffentliche Vorträge, Proteste oder Kundgebungen. Neue Beispiele wären „Shitstorms“ (solange sie in ihrer Reichweite beschränkt bleiben, d. h. nicht in journalistischen Medien Resonanz erzielen), aber auch Online-Initiativen und -Kampagnen. Schließlich weisen massenmediale Öffentlichkeiten den höchsten Institutionalisierungsgrad und die größte gesellschaftliche Reichweite auf. In ihrer Urform sind sie an spezifische, soziotechnische Infrastrukturen (wie journalistische Organisationen) und spezifische Berufskulturen zurückgebunden. Die Rollenteilung in Kommunikator- und Publikumsrolle ist hier am stärksten festgeschrieben und die Zugangshürden sind am größten (vgl. Gerhards und Neidhardt 1991; Jarren und Donges 2006).
- 8.
So hat beispielsweise die amerikanische Pop-Sängerin Taylor Swift mit ihren rund 86 Mio. Followern auf Twitter fast doppelt so viele User wie die Traditionszeitung New York Times und erzielt damit eine Meinungsmacht, die sie auch im politischen Kontext – zum Beispiel im amerikanischen Wahlkampf – einsetzt. Auch der deutsche Youtuber Rezo ist ein Beispiel für einen Influencer mit massenmedialer Wirkung.
- 9.
Gemäß Daten des Reuters Digital News Reports ist der emergente Medienkonsum, der sich nicht mehr an spezifischen Medienmarken orientiert, für bereits ein Drittel aller Nutzerinnen und Nutzer das dominante Muster (Nielsen et al. 2019). Solche Nutzer erhalten Content über soziale Medien, News-Aggregatoren oder Suchmaschinen zugespielt.
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Eisenegger, M. (2021). Dritter, digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit als Folge der Plattformisierung. In: Eisenegger, M., Prinzing, M., Ettinger, P., Blum, R. (eds) Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. Mediensymposium. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32133-8_2
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