Zusammenfassung
Menschenbilder, d.i. jegliche Bestimmungen ‚des‘ und der Menschen einschließlich von Anthropologien und Philosophien; sowie Sprachbilder, die im Bild des Menschen anderes (Gesellschaft) intelligibel zu machen suchen, werden aus gesellschaftstheoretischer Perspektive avisiert. Betont wird zunächst – im Blick auf außereuropäische Bedeutungssysteme – die historische und regionale, kulturell-gesellschaftliche Vielfalt von Begriffen des Menschen. Zweitens werden gesellschaftliche Funktionen von Menschenbildern angesprochen, bevor sich der dritte Teil der französischen ‚Debatte um den Humanismus‘ widmet: der Kritik an den humanwissenschaftlichen Disziplinen, sowie an philosophischen Bestimmungen ‚des‘ Menschen, die sich aus dieser Perspektive als zu eurozentrisch erweisen.
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Notes
- 1.
Zu einer Sortierung der Vielfalt der Menschenbilder Zichy 2017, v. a. S. 286–299. Diese Überblicksarbeit kann gar nicht genug gewürdigt werden. Die hier eingenommene Perspektive unterscheidet sich von der dort leitenden Bestimmung gleichwohl: Aus der hier eingenommenen Perspektive sind philosophische und auch biologische Bestimmungen des Menschen Diskurse über den Menschen wie andere auch. Der vorliegende Text trennt daher nicht Begriffe des Menschen einerseits von „lebensweltlichen“ Menschenbildern andererseits. Auch wird der Begriff des Menschen nicht „an die biologische Art des homo sapiens“ (Zichy 2017, S. 299) gebunden – es ist dies ein Menschenbild oder Menschenbegriff, neben anderen.
- 2.
In den im Folgenden erwähnten, zentralen Texten von Lévi-Strauss; ebenso wie in den bereits erwähnten von Descola finden sich zur Übersetzungsfrage keine zentralen Hinweise oder Reflexionen; wir werden für Viveiros de Castro darauf eingehen (s. u.).
- 3.
Zeitgleich zu Voegelin und wie dieser hat auch Helmuth Plessner (1959) nach den historischen Gründen gefragt, die dazu führten, dass gerade die deutschsprachigen Intellektuellen die kollektive Einheit und Identität auf die Vorstellung des Blutes, der Rasse fundieren. Plessner führt dies unter anderem auf den fehlenden politischen Humanismus als Konkurrent der Rassenidee zurück.
- 4.
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Delitz, H. (2024). Menschenbilder, Begriffe des Menschen, Anthropologien: Bestimmungen des „Menschen“ und imaginär instituierte Kollektive. In: Zichy, M. (eds) Handbuch Menschenbilder. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32128-4_50
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