Zusammenfassung
In der Soziologie wird über Charisma in Kategorien der Außeralltäglichkeit, der Revolution, der Wirtschaftsfremdheit oder der Personengebundenheit nachgedacht – in toto wird damit das soziale Phänomen Charisma der modernen Gesellschaft und ihren differenzierten Sphären und Ordnungen diametral entgegengesetzt: Charisma sei außeralltäglich, das Handeln in modernen Ordnungen sei aber routinisiert, regelmäßig und wiederkehrend – kurzum alltäglich. Charisma sei ein an Personen gebundenes Phänomen, moderne Ordnungen und ihre Handlungslogiken prämierten aber die Unpersönlichkeit. Charisma sei regelfremd und damit wirtschaftsfremd, die moderne Gesellschaft aber in zunehmenden Maßen von einer durch rationalisierbare Regelhaftigkeit gekennzeichneten Wirtschaft abhängig. Charisma trete nur in Zeiten der Unsicherheit auf und habe eine revolutionäre Wirkung, da es zu einer vollständigen und allumfassenden Transformation im Innern der Charismagläubigen als auch im Äußeren der institutionellen Ordnungskonfigurationen führe.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
„Versachlichung sollte man also nicht als eine Variante der Veralltäglichung verstehen“ (Schluchter 1979, S. 187). Weber benutzt Veralltäglichung und Versachlichung dagegen teilweise synonym zur Darstellung der Umbildung des genuinen Charismas.
- 2.
Wenngleich das nicht bedeutet, dass sich empirisch feststellbare, systematische Verkettung auf der Lebensführungsebene herausbilden.
Literatur
Bourdieu, P. (1987). Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bourdieu, P. (1996). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (8. Aufl.). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Eisenstadt, S. N. (Hrsg.). (1968). Max Weber on Charisma and Institution Building. Chicago: University of Chicago Press.
Giddens, A. (1996). Konsequenzen der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hitzler, R., Honer, A., & Maeder, C. (Hrsg.). (1994). Expertenwissen. Die institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion von Wirklichkeit. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Krämer, K. (2002). Charismatischer Habitus. Zur Konstruktion symbolischer Macht. Berliner Journal für Soziologie, 12, 173–187.
Krämer, K. (2008). Charisma im ökonomischen Feld. In A. Maurer & U. Schimank (Hrsg.), Die Gesellschaft der Unternehmen – Die Unternehmen der Gesellschaft. Gesellschaftstheoretische Zugänge zum Wirtschaftsgeschehen (S. 63–77). Wiesbaden: VS Verlag.
Lepsius, R. M. (1993). Demokratie in Deutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Roth, G., & Schluchter, W. (1979). Max Weber’s vision of history: Ethics and methods. Berkley: University of California Press.
Roth, G. (1987). Politische Herrschaft und persönliche Freiheit. Heidelberger Max-Weber-Vorlesungen 1983. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Schluchter, W. (1979). Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Gesellschaftsgeschichte. Tübingen: Mohr Siebeck.
Schluchter, W. (1988). Religion und Lebensführung, 2 Bände. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Schluchter, W. (1998). Die Entstehung des modernen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Entwicklungsgeschichte des Okzidents. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Schluchter, W. (2000). Individualismus, Verantwortungsethik und Vielfalt. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Schluchter, W. (2006). Grundlegung der Soziologie. Eine Theoriegeschichte in systematischer Absicht, Band 1. Tübingen: Mohr Siebeck.
Schweitzer, A. (1993). Verfassung, Präsident und Oberster Gerichtshof. Formen des institutionalisierten Charisma in den USA. In W. Gebhardt, A. Zingerle, & M. N. Ebertz (Hrsg.), Charisma. Theorie – Religion – Politik (S. 185–200). Berlin: de Gruyter.
Schwinn, T. (2001). Differenzierung ohne Gesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Schwinn, T. (2019). Soziale Ungleichheit in differenzierten Ordnungen. Zur Wechselwirkung zweier Strukturprinzipien. Tübingen: Mohr Siebeck.
Sennet, R. (1983). Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt a. M.: Fischer.
Stehr, N., & Grundmann, R. (2010). Expertenwissen: Die Kultur und die Macht von Experten, Beratern und Ratgebern. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Steyrer, J., & Stahl, H. (2008). Die Inszenierung von Führung: Narzissmus und Charisma in der Politik. In R. Jankowitsch & A. Zimmer (Hrsg.), Political Leadership. Annäherungen aus Wissenschaft und Praxis (S. 203–233). Berlin: Polisphere.
Steyrer, J. (2009). Theorie der Führung. In H. Kasper & W. Mayrhofer (Hrsg.), Personalmanagement, Führung, Organisation (S. 25–93). Wien: Linde.
Stichweh, R. (1988). Inklusion in Funktionssysteme der modernen Gesellschaft. In R. Mayntz, B. Rosewitz, U. Schimank, & R. Stichweh (Hrsg.), Differenzierung und Verselbständigung: Zur Entwicklung gesellschaftlicher Teilsysteme (S. 261–293). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Turner, S. (1995). Charisma und Gehorsam. Ein Risikoerkenntnis-Ansatz. Berliner Journal für Soziologie, 1, 67–87.
Weber, M. (1980). Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr (Paul Siebeck)
Weber, M. (1988a). Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr (Paul Siebeck).
Weber, M. (1988b). Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen: Mohr (Paul Siebeck).
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2021 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Bachmann, U. (2021). Charisma und Moderne: Zur Bedeutung des personalen Charismas in differenzierten Ordnungen. In: Bachmann, U., Schwinn, T. (eds) Theorie als Beruf. Studien zum Weber-Paradigma. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32000-3_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-32000-3_8
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-31999-1
Online ISBN: 978-3-658-32000-3
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)