Globalisierung, Innovation und Alterung der Gesellschaft treiben den wirtschaftlichen Wandel voran. Der Aufstieg Chinas pflügt die Weltwirtschaft um, die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Welche neuen Herausforderungen ergeben sich für die Wirtschaftspolitik? Wie kann die Politik die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum in einer sich rasch ändernden Wirtschaft verbessern? Wer sind die Gewinner und Verlierer? Was kann die Politik tun, damit nicht nur wenige, sondern möglichst viele vom wirtschaftlichen Wandel profitieren?

Forschung für eine bessere Wirtschaftspolitik

Wissenschaft ist kein Selbstzweck. Der Erkenntnisgewinn soll Nutzen stiften. In Medizin und Pharmazie sind dies etwa neue Therapien und Medikamente. Mathematik und Physik legen die Grundlagen dafür, spektakuläre Bauten zu konzipieren und leistungsfähige Computer zu entwickeln.

Der praktische Nutzen der Volkswirtschaftslehre besteht darin, dass Familien, Unternehmen und Staat zu besseren Entscheidungen finden, die mehr Wohlfahrt ermöglichen. Das braucht Theorie und empirische Grundlagen. Einer Wirtschaftspolitik ohne Theorie fehlen Ziel und Plan sowie das Wissen über die zugrundeliegenden Wirkungsmechanismen. Eine Politik losgelöst von empirischen Grundlagen wäre spekulativ. Evaluationsstudien können systematisch aufzeigen, wie wirksam frühere Massnahmen und Reformen waren. Sie informieren die Entscheidungsträger darüber, welche Instrumente vielversprechend sind und welche nicht.

Wie kann die Wirtschaftspolitik diese Forschungsergebnisse nutzen? Entscheidungsträgern fehlt oft die Zeit und manchmal auch das spezielle Fachwissen, die Entwicklungen in den Fachzeitschriften der Volkswirtschaftslehre zu verfolgen. Zwar verfügen sie über erfahrene und kompetente Mitarbeiter, welche das Wissen aus der Forschung in den Entscheidungsprozess einfliessen lassen können. Sie sollten sich aber idealerweise selbst ein eigenständiges, informiertes Urteil bilden. Ebenso sollte das breite Publikum ein Grundverständnis über die wirtschaftlichen Zusammenhänge entwickeln, um wirtschaftspolitische Massnahmen besser bewerten zu können.

Eine Schwierigkeit im Umgang mit der empirischen Forschung liegt darin, dass viele Studien oft nur Einzelergebnisse liefern. Je nach untersuchter Politikänderung oder Reform, je nach Zeitpunkt und institutionellem Umfeld liefert die empirische Forschung eine grosse Bandbreite von Ergebnissen. Trotzdem lässt sich in vielen Fällen ein breiter Konsens ableiten.

Dieser Sammelband vermittelt einen Überblick über ausgewählte empirische Forschungsarbeiten. Studierende der volkswirtschaftlichen Master- und Doktoratsprogramme an der Universität St.Gallen haben zahlreiche neue Forschungsergebnisse prägnant zusammengefasst. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Wissenstransfer von der volkswirtschaftlichen Forschung in die wirtschaftspolitische Praxis und verbessern damit die Informationsgrundlagen für die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Debatte.

Neben der Relevanz der Forschungsarbeiten berücksichtigt die Auswahl der Beiträge zwei weitere Kriterien. Erstens stammen die Arbeiten aus den führenden Fachzeitschriften. Sie unterliegen damit einem harten Auswahlprozess mit strenger Qualitätskontrolle. Die besten Fachzeitschriften akzeptieren wenige der eingereichten Beiträge, die zudem in einem aufwendigen Begutachtungs- und Überarbeitungsprozess noch weiter verbessert werden. Zweitens stellt die Auswahl auf das Ansehen der Wissenschaftler in der Fachwelt ab. In den Spitzenzeitschriften vergehen oft mehrere Jahre bis zur tatsächlichen Publikation einer Arbeit. Daher werden auch ganz neue Forschungsarbeiten führender Ökonomen, die bereits als Diskussionspapiere renommierter Universitäten und Forschungsnetzwerke zugänglich sind, berücksichtigt.

Der vorliegende Sammelband stellt neue Forschungsergebnisse zu unterschiedlichen Themen zusammen. Trotz der grossen Breite und der selektiven Auswahl der Themen gibt es einen gemeinsamen Nenner, nämlich wirtschaftlicher Fortschritt durch Wandel. Dieser findet in vielen Bereichen wie Technologie, Industriestruktur und weltweite Arbeitsteilung, Alterung und Demographie statt. Er stellt die Wirtschaftspolitik vor neue Aufgaben, die von Bildung und Forschung über stabile Banken bis zu Fragen der sozialen Sicherheit reichen.

Die Triebkräfte wirtschaftlichen Wandels

Wichtige Treiber des wirtschaftlichen Wandels sind Innovation, Globalisierung und Demographie. Neue Produkte und Technologien verändern die Wirtschaft. Sie bieten den Konsumenten grössere Auswahl zu meist niedrigeren Preisen und führen zu Automatisierung von Produktion und Vertrieb. Die Digitalisierung, die aufgrund grosser Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie möglich wurde, verändert die Geschäftsmodelle der Unternehmen und die Arbeitswelt fundamental. Triebkraft dieser Entwicklung ist letztlich die Innovation. Dieser Prozess beginnt mit neuen, oft radikalen Ideen und führt im Ergebnis zu besseren Produkten und effizienteren Technologien. Innovation steigert die Produktivität und ermöglicht höheren Wohlstand. Dies gilt vor allem für die entwickelten Länder, die ihre Produktivität kontinuierlich steigern.

Aber Innovation hat Gewinner und Verlierer. Im Prozess kreativer Zerstörung verdrängen innovative Unternehmen mit besseren Produkten und Dienstleistungen die etablierten Konkurrenten, die es versäumt haben, ihr Geschäftsmodell anzupassen. Viele Arbeitnehmer können in den Wachstumsbranchen neue Chancen realisieren und an den Einkommensgewinnen teilhaben. Traditionelle Qualifikationen verlieren jedoch ihren Wert, sodass Löhne und Beschäftigung in Gefahr geraten.

Ähnliche Folgen hat die Globalisierung. Niedrigere Transportkosten, die Vertiefung und Erweiterung des europäischen Binnenmarktes und die Integration Chinas und anderer Schwellenländer in die Weltwirtschaft multiplizieren den internationalen Handel. Dieser ermöglicht eine bessere Spezialisierung und Arbeitsteilung, spart Kosten und ermöglicht niedrigere Preise. Der weltweite Wettbewerb und der Zugang zu grossen Absatzmärkten fördern die Innovation. Alle Länder gemeinsam profitieren von Handelsgewinnen durch niedrigere Preise und grössere Produktvielfalt. Aber auch im Welthandel gibt es Gewinner und Verlierer, und es braucht gleich lange Spiesse im internationalen Wettbewerb.

Der zunehmende Handel lässt Exporte und Importe gleichermassen wachsen. Während innovative Exporteure und multinationale Unternehmen stärker wachsen und mehr Beschäftigung schaffen, müssen andere Unternehmen der Importkonkurrenz weichen und Arbeitsplätze abbauen. Die Wirtschaftspolitik muss es schaffen, möglichst viel Beschäftigung auf die expandierenden Branchen zu lenken und mögliche Verlierer sozial abzusichern. So können möglichst viele an den Handelsgewinnen teilhaben, damit die Unterstützung für den Freihandel erhalten bleibt.

Schliesslich lassen Fortschritte in der Medizin und im Gesundheitswesen die Lebenserwartung bei länger anhaltender Gesundheit zunehmen. Die zunehmende Alterung der Gesellschaft verändert das Zusammenleben der jungen und alten Generationen und stellt die Politik vor grosse Herausforderungen. Sowohl die Pensionsversicherung als auch das Gesundheits- und Pflegesystem brauchen erhebliche Anpassungen.

Aufgaben der Wirtschaftspolitik

Wenn die Wirtschaft sich stark wandelt, muss auch die Wirtschaftspolitik sich ändern und neue Herausforderungen aufnehmen. Sie soll erstens die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der wirtschaftliche Wandel tatsächlich zu nachhaltigem Wachstum und höherem Wohlstand führt. Dies erfordert Investitionen in Bildung und Forschung sowie flexible Arbeits- und Kapitalmärkte, sodass Arbeitnehmer und Kapital von schrumpfenden zu expandierenden Branchen wechseln. Nur ein handlungsfähiger Staat ist dabei in der Lage, diese investiven Aufgaben zu erfüllen.

Die Wirtschaftspolitik soll zweitens dafür sorgen, dass möglichst viele an den Chancen des Wandels partizipieren können. Sie muss die Verlierer angemessen entschädigen und auch den Benachteiligten eine Perspektive auf sozialen Aufstieg bieten, damit die Ungleichheit moderat und das Wachstum inklusiv bleibt. Nach diesen beiden Prinzipien sind die zwei nachfolgenden Abschnitte des Buchs organisiert.

Wachstum durch Strukturwandel

Bildung, Innovation und wettbewerbsfähige Unternehmen

Die meisten Innovationen wie neue Technologien und Produkte nutzen Erkenntnisse der Grundlagenforschung. Gleichzeitig brauchen innovative Unternehmen eine gut ausgebildete Belegschaft. Deshalb sind ein gut funktionierendes Bildungssystem und insbesondere Universitäten mit ihren Standbeinen Forschung und Lehre eine zentrale Voraussetzung für Innovation. Auch für jeden einzelnen lohnt sich eine gute Ausbildung. Sie ist entscheidend für sichere Beschäftigung und attraktive Karriereperspektiven.

Wie ist der Nutzen staatlicher Bildungsinvestitionen zu bewerten? Bildung hat eine private Rendite wie höhere Einkommen und Lebenszufriedenheit. Doch sie ist nicht für alle gleich hoch. Es kommt sehr darauf an, dass jeder nach seinen Fähigkeiten und Interessen das passende Studium absolvieren kann. Zusätzliche Studienplätze ermöglichen es mehr Studienwerbern, ihre erstbeste Wahl verwirklichen. Weil sie von anderen Fachrichtungen in ihr bevorzugtes Fach wechseln, werden andernorts Studienplätze frei. Die gesamtwirtschaftliche Rendite von Bildungsinvestitionen muss die Gewinne jener „Aufrücker“ berücksichtigen.

Wie kommen besonders hohe Bildungsrenditen zustande? Ist Talent entscheidend, oder ein einflussreiches Elternhaus? Absolventen von Eliteuniversitäten haben eine gute Chance, Spitzeneinkommen zu erreichen. Die empirische Forschung macht deutlich, dass die Bedeutung von Beziehungen für die Karriere nicht in allen Fachrichtungen gleich wichtig ist. Gerade im Management hängt der Karriereerfolg aber oft stark von Beziehungen ab. Umso größer ist die Herausforderung der Politik, diesen Vorteil zu kompensieren und auf Chancengleichheit hinzuwirken, und der Eliteuniversitäten, ihr Beziehungsnetzwerk allen zu öffnen.

Neben Investitionen in Ausbildung und Grundlagenforschung fördert der Staat die private Forschung und Entwicklung von Unternehmen. Damit verbessern diese ihre Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt und steigern Innovation und Wachstum der Gesamtwirtschaft. Der Prozess verstärkt sich, da Unternehmen von den Erkenntnissen ihrer Mitbewerber profitieren. Daher ist die Rendite von Forschung und Entwicklung für die gesamte Wirtschaft viel höher als für ein einzelnes Unternehmen. Die Gesellschaft kann viel gewinnen, wenn sie Unternehmen bei Forschung und Entwicklung unterstützt.

Eine Möglichkeit sind Steueranreizen für forschende Unternehmen. Diese helfen vor allem jungen, innovativen Unternehmen, Finanzierungsengpässe zu überwinden und regen die Gründungsaktivitäten an. Die empirische Evidenz zeigt, dass Regionen mit Steueranreizen mehr Unternehmensgründungen verzeichnen als andere. Diese beschleunigen das innovationsgetriebene Wachstum und stärken die internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Kapitalmärkte, Banken und Strukturwandel

Innovatives Wachstum bringt einen andauernden Strukturwandel mit sich. Dieser erfordert, dass Arbeit und Kapital flexibel von schrumpfenden zu wachsenden Branchen und Unternehmen, wo die Zukunftschancen gut sind, wandern können. In der Realität erschwert eine Vielzahl von Friktionen diesen Wandel. Wenn Ressourcen in ihren bisherigen Verwendungen blockiert sind, bremst dies den Wandel und verringert das Produktivitätsgewinne. Deshalb kommt Banken und Wagniskapitalgeber eine wichtige Bedeutung zu. Sie finanzieren den Strukturwandel, indem sie Kapital aus wenig produktiven Firmen abziehen und es dorthin lenken, wo es produktiv eingesetzt wird und zum Wachstum beiträgt.

Allerdings können nur starke Banken mit ausreichend Eigenkapital diese Aufgabe erfüllen. Banken dürfen faule Kredite an wenig wettbewerbsfähige Unternehmen nicht weiter verlängern, sondern müssen sie fällig stellen und teilweise abschreiben, damit sie die Kredite zu den neuen Wachstumsunternehmen lenken können. Schwache Banken mit wenig Eigenkapital können den Strukturwandel nicht finanzieren, weil die dabei auftretenden Verluste ihre Mindestkapitalausstattung gefährden. Nicht nur die Finanzstabilität, sondern auch der Strukturwandel setzt einen starken Bankensektor mit robuster Kapitalausstattung voraus.

Eigenkapital ist jedoch teuer. Daher haben die Banken einen Anreiz, sich stärker zu verschulden. Dies macht sie nicht nur krisenanfälliger, sondern trägt auch dazu bei, dass sie faule Kredite nicht fällig stellen, weil ihr Eigenkapital die Verluste nicht ausgleichen kann. Die Besteuerung fördert den Verschuldungsanreiz zusätzlich. Denn das Fremdkapital wird steuerlich entlastet, das Eigenkapital aber nicht. Die Bankenregulierung will mit höheren Kapitalstandards die Eigenkapitalausstattung des Bankensektors stärken. Da macht es wenig Sinn, wenn der Staat mit dem steuerlichen Schuldenanreiz das genaue Gegenteil tut.

Auch der Wettbewerb zwischen den Banken trägt dazu bei, dass sie den Strukturwandel besser unterstützten können. Indem sie mehr Informationen über ihre Kunden sammeln und ihre Prozesse bei der Auswahl und Überwachung optimieren, gelingt es ihnen besser, die besonders vielversprechenden Unternehmen zu identifizieren. Dadurch können sie die Kreditvergabe vor allem auf die Unternehmen mit hohem Wachstumspotential lenken.

Bei der Finanzierung von Wachstum kommt es nicht allein auf die Banken an. Denn gerade bei Start-ups sind diese meist zurückhaltend. In diesem Fall sind Wagniskapitalgeber besonders wichtig. Sie können besser als andere die Erfolgschancen beurteilen und sind eher bereit, sich zu engagieren. Auf ihre Expertise können auch weitere Kreditgeber vertrauen. Wagniskapital hilft gleich zweimal. Die Wagnisfinanziers stellen selbst Kapital bereit und geben auch anderen Investoren das notwendige Vertrauen, sich zu beteiligen. Deshalb ist ein aktiver Markt für Wagniskapital in einer innovativen Wirtschaft so wichtig.

Trotzdem bleibt das Risiko groß, denn nicht alle Start-ups haben das gleiche Potenzial. Auch für Wagniskapitalgeber sind die Erfolgsaussichten oft schwer einzuschätzen. Da das Neue ist auf dem Markt noch nicht getestet ist, zählt die Erfahrung aus der Vergangenheit. Einem Unternehmensgründer, der bereits einmal Erfolg hatte und Erfahrung sammeln konnte, wird stärker vertraut. Auch ein Wagnisfinanzier, der auf einen erfolgreichen Leistungsausweis zurückblicken kann, genießt bei den Gründern und Banken mehr Vertrauen.

Globale Wertschöpfung

Innovation und Globalisierung ermöglichen tiefere Spezialisierung nicht nur von ganzen Volkswirtschaften, sondern auch von einzelnen Unternehmen. Der wirtschaftliche Wandel zeigt sich etwa an immer komplexeren Wertschöpfungsketten, die neue Risiken mit sich bringen.

Je stärker die Arbeitsteilung und Spezialisierung ist, desto mehr sind die Unternehmen in einem Netzwerk von Lieferbeziehungen eng verflochten und voneinander abhängig. Fällt ein schwer ersetzbarer Lieferant aus, oder geht einem wichtigen Kunden das Geld aus, kann es zu einem Unterbruch in der Produktionskette kommen. Die Ansteckung in der Wertschöpfungskette kann ganze Branchen erfassen und Konjunkturabschwünge verschärfen. Um die Krisenrobustheit zu stärken, können die Unternehmen z. B. mit Lagerhaltung, Diversifizierung der Lieferanten und ausreichenden Kapitalreserven vorsorgen.

Ein aktuelles Beispiel dafür, wie fragil globale Lieferketten sind, ist der Brexit. Zwar ist Grossbritannien mittlerweile aus der Europäischen Union ausgetreten, aber wie die künftigen Handelsbeziehungen aussehen, bleibt weiter unklar. Müssen sich die Unternehmen auf neue Zölle, kostspielige Formalitäten, Zeitverzögerungen an der Grenze, und teure Unterbrüche in der Wertschöpfungskette einstellen? Die empirische Forschung macht schon jetzt klar, dass Unsicherheit Gift für die Wirtschaft ist. Die Unternehmen müssen für alle Eventualitäten planen und Ressourcen einsetzen, und schieben wichtige Entscheidungen auf. Bereits bevor der Brexit vollzogen wurde, bremste die Unsicherheit darüber die britischen Unternehmen und beeinträchtigte Investitionen und Produktivitätswachstum.

Wirtschaftlicher Wandel und gesellschaftliche Teilhabe

Ein handlungsfähiger Staat

Der Staat kann nur in Bildung und Forschung investieren und die Entwicklung von Banken und Kapitalmärkte unterstützen, wenn er selbst stark und handlungsfähig ist. Dies setzt gut funktionierende staatliche Institutionen voraus, denen die Bürgerinnen und Bürger vertrauen. Mindestens genauso wichtig sind solide öffentliche Finanzen. Sonst muss der Staat viel Geld für den Schuldendienst verwenden, weshalb nur wenig Mittel für Zukunftsinvestitionen zur Verfügung stehen. Die Überschuldung kann zudem rasch zu einer Staatschuldenkrise führen, die harte Einschnitte für den Staat und dessen Gläubiger verlangt.

Die empirische Forschung zeigt, dass demokratische Institutionen die wirtschaftliche Entwicklung begünstigen. In einer Demokratie lenken die Bürger die Politik zu ihrem Vorteil. Reformen werden wahrscheinlicher, die für eine große Mehrheit und nicht nur für eine privilegierte Minderheit nützlich sind. Demokratisierung verspricht langfristige Wohlstandsgewinne. Schätzungen zeigen, dass nach 20 bis 25 Jahren, das Pro-Kopf Einkommen um rund ein Viertel höher ist. Diese Wohlstandsgewinne sind umso stärker, je mehr Menschen gut ausgebildet sind und besser am öffentlichen Diskurs und der Demokratie teilnehmen können.

Wenn Bürgerinnen und Bürger den staatlichen Institutionen vertrauen, sind sie stärker bereit, sich in der Politik und Zivilgesellschaft zu engagieren. Auch die Steuermoral und der verantwortungsvolle Umgang mit Sozialleistungen nehmen zu. Ein korrektes Verhältnis der Bürger zum Staat stärkt diesen und ermöglicht es ihm, den wirtschaftlichen Wandel in grösserem Umfang zu unterstützen und sozialverträglich zu gestalten.

Wie gross die Leistungsfähigkeit des Staates ist, hängt entscheidend von den öffentlichen Finanzen ab. Es gibt viele Gründe, wichtige Staatsausgaben mit Schulden zu finanzieren. Allerdings ist die Tragbarkeit der Staatsverschuldung begrenzt. Wenn jedoch eine bereits hohe Verschuldung weiter rasch zunimmt, verschwindet das Vertrauen der Investoren. Selbst überschuldete Länder können das Vertrauen wieder zurückgewinnen, wenn sie eine Wende einleiten. Eine sinkende Schuldenquote ist ein starkes Signal, dass die Finanzen unter Kontrolle sind. Fallende Risikoprämien und Zinsen erleichtern eine nachhaltige Konsolidierung.

Geht das Vertrauen der Anleger jedoch verloren, dann setzt eine unkoordinierte Kapitalflucht ein. Sie lässt die Zinsen schlagartig ansteigen und verschärft die Krise erst recht. In diesem Fall kann die Geldpolitik kurzfristig eingreifen, um die prekäre Lage zu stabilisieren. Die empirische Evidenz zu den Aufkaufprogrammen der Europäischen Zentralbank 2012 zeigt, dass allein deren Ankündigung die Zinsen rasch und signifikant verringern konnte. Der Zinsrückgang betrug etwa für italienische Staatsanleihen rund 2 Prozentpunkte, für spanische rund 2,5 Prozentpunkte.

In einer Staatsschuldenkrise können die Gläubiger mit einem Schuldenschnitt ein Ende mit Schrecken setzen, damit wenigsten die restliche Staatsschuld sicher zurückkommt. Oder sie einigen sich auf Schuldenerleichterungen und eine Streckung der Rückzahlung, und riskieren damit eine verschleppte Insolvenz anstatt nachhaltiger Gesundung. Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Schuldenschnitt eher Gewähr bietet, zu neuem Wachstum zurückzufinden und die Tragbarkeit der Staatsschulden wiederherzustellen.

Ungleichheit und soziale Mobilität

Der wirtschaftliche Wandel beeinflusst die Einkommensverteilung und damit die soziale Ungleichheit. Denn Innovation und Globalisierung schaffen Gewinner und Verlierer. Erfolgreiche Unternehmer und ihre Beschäftigten profitieren davon, die Produktion neuer und innovativer Güter und Dienste durch weltweiten Absatz zu vervielfachen. Wer dagegen in Branchen engagiert ist, die mit zunehmender Importkonkurrenz zu kämpfen haben, muss Einkommensverluste hinnehmen. Die Herausforderungen liegen darin, mehr Betroffenen eine neue Perspektive auf Aufstiegschancen zu geben und eine übermässige Konzentration der Einkommen mit starker Ungleichheit zu verhindern.

Die Superstars der Firmen sind überaus innovativ und erzielen überdurchschnittlich hohe Gewinne. Mit viel Knowhow und einer hoch qualifizierten, aber sehr kleinen Belegschaft dominieren sie die Branchen und sichern ihren Gründern und Eigentümern den Löwenanteil der Wertschöpfung. Der Anteil der Arbeitnehmer am Einkommen, die Lohnquote, sinkt, wenn sich die Wertschöpfung von den übrigen Unternehmen zu den Superstars mit besonders geringer Lohnquote verschiebt. Gerade in den innovativsten Branchen ist der Rückgang der Lohnquote am stärksten.

Die Wettbewerbspolitik ist daher neu gefordert, übermässige Gewinne durch Ausnutzung von Marktmacht zulasten der Arbeitnehmer und Konsumenten zu verhindern und den Zutritt neuer Anbieter zu erleichtern. Tatsächlich zeigt die empirische Evidenz, dass die Konkurrenz durch neue, innovative Unternehmen auf Dauer unverdiente Renteneinkommen verhindert. Die Beseitigung von Marktzutritts- und Wettbewerbsbarrieren kann daher inklusives Wachstum fördern und der Ungleichheit entgegenwirken.

Zu starke Ungleichheit gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Politik kann darauf reagieren, indem sie mit Steuern und Transfers im Nachhinein umverteilt, oder indem Sie, z. B. durch besseren Zugang zu Bildung die Aufstiegschancen verbessert. Wie diese wahrgenommen werden, beeinflusst die Einstellung der Bürgerinnen und Bürger zur Umverteilung. Wer in jungen Jahren aus einfachen Verhältnissen startet, mag nach erfolgreicher Karriere zu den Spitzenverdienern gehören. Und wer daran glaubt, bald selbst zu den Reichen zu gehören, hat womöglich weniger Verlangen danach, den eigenen Aufstieg mit progressiven Steuern und mehr Umverteilung zu erschweren.

Beschäftigung und Arbeitsmarkt

Handel und Innovation lösen einen Strukturwandel aus. Für den Arbeitsmarkt sind sie Chance und Gefahr zugleich. Innovative Unternehmen erschliessen neue Märkte und stellen neue Mitarbeiter ein, während andere unter starker Konkurrenz leiden, sodass Arbeitsplätze verloren gehen. Besonders die Jobverluste durch Importkonkurrenz etwa aus China führten in den vergangenen Jahren dazu, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger in den westlichen Industriestaaten den internationalen Handel kritischer betrachten.

Eine Studie aus den USA zeigt, dass die zunehmende Importkonkurrenz aus China insgesamt zu Arbeitsplatzverlusten führte, technologischer Fortschritt und Automatisierung jedoch kaum. So verringerten z. B. um 1000 US$ höhere Importe aus China pro Arbeitnehmer die Beschäftigungsquote in den USA um 0,7 Prozentpunkte in 10 Jahren. Besonders die wenig qualifizierten Arbeitnehmer waren davon betroffen. Den Handel zu unterbinden und den Strukturwandel aufzuhalten würde den Fortschritt blockieren. Die Politik braucht aber ein gezieltes Programm, das die betroffenen Arbeitnehmer absichert und aktiv unterstützt, mit neuen Qualifikationen anderswo eine neue Beschäftigung mit besseren Perspektiven zu finden.

Eine Möglichkeit dafür sind Qualifizierungsprogramme für Arbeitslose. Jährlich wenden Industrienationen beträchtliche Summen für solche Programme auf, in Frankreich beispielsweisen rund 1 % des BIP. Vor dem Hintergrund hoher Kosten sind belastbare Auswertungen, welche die Wirkung der Programme evaluieren, von grosser Bedeutung. Tatsächlich zeigen empirische Studien, dass die Teilnahme an Qualifizierungsprogrammen die Beschäftigungschancen und Einkommen steigern kann.

Schliesslich kann der Staat auch direkt strukturschwache Gebiete fördern. Regionalpolitik kann dazu beitragen, die Beschäftigung zu sichern und die Entwicklung mit neuen Investitionen anzustossen. Ist sie tatsächlich wirksam? Oder führt sie bloss zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen von nicht geförderten zu geförderten Regionen, ohne dass die Gesamtwirtschaft profitiert? Eine Studie aus Grossbritannien zeigt durchaus vielversprechende Ergebnisse. Investitionszuschüsse können die Beschäftigung in einer Branche steigern, vor allem bei kleineren Unternehmen. Der Beschäftigungsanstieg kommt meist dadurch zustande, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden, und nicht, weil sie aus nicht geförderten Regionen verlagert werden.

Soziale Sicherheit und Gesundheit

Der demographische Wandel und die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft stellen Sozial- und Gesundheitspolitik vor schwierige Herausforderungen. Eine Hauptaufgabe besteht darin, die finanzielle Stabilität der Pensionssysteme angesichts steigender Lebenserwartung nachhaltig zu sichern und den Kostenanstieg im Gesundheitssystem zu bremsen.

Deshalb heben viele Länder Europas das Rentenalter schrittweise an, um das Pensionssystem zu entlasten. Allerdings darf man diesen Effekt nicht isoliert betrachtet: So wirkt sich ein späterer Pensionsantritt auch auf die Gesundheit der Betroffenen aus. Tatsächlich zeigt die empirische Evidenz, dass sich die Wahrnehmung der eigenen Gesundheit durch den Pensionsantritt verbessert. Der Anteil der Befragten, die eine schlechte bis durchschnittliche Gesundheit angeben, nimmt um bis zu 35 % ab. Gehen Menschen nun später in Pension, sind Folgekosten im Gesundheitswesen zu erwarten. Es wäre wichtig, mit begleitenden und vorbeugenden Massnahmen solche Folgekosten möglichst zu vermeiden.

Eine Möglichkeit, den Anstieg der Gesundheitskosten zu begrenzen, sind Selbstbehalte. Die Krankenversicherung bietet Schutz vor hohen Kosten und Einkommensverlusten bei Krankheit. Wenn die Versicherten einen Teil der Behandlungskosten selbst zahlen müssen, gehen sie sparsamer mit den Leistungen um. Empirische Schätzungen zeigen, dass die Versicherten die Selbstbehalte durchaus berücksichtigen. Demnach reduzieren Selbstbehalte das Risiko einer Übernutzung von Gesundheitsleistungen. Aber was wäre gewonnen, wenn die Einsparungen auf Kosten der Qualität der Gesundheitsversorgung gingen? Weitere Forschungsarbeiten zeigen, dass die Kosten unter anderem auch deshalb sinken, weil Versicherte bei einem Selbstbehalt teilweise auf medizinisch sinnvolle Leistungen verzichten.

Information als Grundlage der Politik

Die volkswirtschaftliche Forschung liefert wertvolle Grundlagen für eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik. Sie gibt Aufschluss über Wirkungszusammenhänge und über die quantitativen Auswirkungen verschiedener Reformen und Programme. Zwar kann auch sie keine absolute Sicherheit bieten. Denn einmal ermittelte Zusammenhänge müssen unter sich wandelnden Rahmenbedingungen stets neu überprüft und besser verstanden werden. Nur eines ist gewiss: ohne empirische Forschung ist eine evidenzbasierte Politik unmöglich. Es bliebe bloss die Spekulation über mögliche Auswirkungen wirtschaftspolitischer Massnahmen. Die Wirksamkeit der Politik darf nicht dem Zufall überlassen bleiben.

Ebenso sollen die Erkenntnisse der Volkswirtschaftslehre den Wählerinnen und Wählern dabei helfen, sich eine eigenständige und informierte Meinung über die ökonomischen Zusammenhänge und die Folgen wirtschaftspolitischer Massnahmen zu bilden. Deshalb ist es wichtig, dass komplexe Erkenntnisse auf das Wesentliche vereinfacht und allgemein verständlich vermittelt werden. Das ist der wichtige Beitrag der Studierenden im Projekt ‚Next Generation‘. Mit diesem zweiten Sammelband, der eine kleine aber hoffentlich wichtige Auswahl neuer Forschungsergebnisse bietet, lassen Nachwuchskräfte der Volkswirtschaftslehre das interessierte Publikum an ihrem Wissen aus dem Studium teilhaben.