11.1 Stärken und Chancen, Schwächen und Risiken

Vorliegende Arbeit hat in mehreren Schritten und Teiluntersuchungen die Stärken und Chancen, aber auch die Schwächen und Risiken der Öffnung des öffentlichen Einkaufs erörtert. Sie werden an dieser Stelle nochmals zusammengefasst und illustriert (siehe Abbildung 11.1).

Abbildung 11.1
figure 1

SWOT-Analyse Öffnung des öffentlichen Einkaufs

Die Stärken der Öffnung des öffentlichen Einkaufs liegen zuvorderst im wirtschaftlichen Potential. Die skizzierten Beispiele anderer Länder, die (wenngleich zaghaften) Ansätze der (Bundes-)Länder und Kommunen sowie die Aussagen von Experten in der durchgeführten Befragung sind motivierend. Die Befragten befürworten eine weitere Öffnung entlang des gesamten Einkaufsprozesses und liefern zahlreiche Geschäftsideen. Die Technologien hierfür inklusive eines zentralen Portals über GovData sind bereits vorhanden und können ebenenübergreifend genutzt werden. Auch die Daten sind zumindest für die Teilprozesse Ausschreibung und Vergabe vorhanden und könnten (unter dem Vorbehalt der Datenqualität) ebenfalls verwendet werden.

Als Chance kann die ausstehende Verankerung der Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten im dritten NAP gesehen werden, mit der die Selbstverpflichtung zur Umsetzung des Themas zum Tragen käme. Hiermit könnte Deutschland von einer eher passiven Rolle in die eines echten Mitgestalters wechseln. Moderne Konzepte wie agile Arbeitsweisen können die Verstetigung der Ergebnisse absichern und so eine vorzeitige Ermüdung der Beteiligten abwenden. Die sichtbarste Chance ist jene auf Darstellung der Umwidmung von Steuermitteln über zum Beispiel eine bessere Qualität oder Nachhaltigkeit oder ihren optimierten Einsatz. Darüber hinaus bietet sich die Möglichkeit an, die öffentlichen Einkaufsdaten als hochwertiges Datenset in der PSI-Richtlinie sowie als Teil einer „Smart City“ einzubinden.

Jedoch müssen auch die Schwächen benannt werden. Sie liegen in der starken Fragmentierung mit zahlreichen Ansprechpartnern und unterschiedlichen Interessenslagen. Alle auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören bei gleichzeitiger Berücksichtigung der jeweiligen Bedürfnisse, ist eine der zentralen Herausforderungen. Die Komplexität des öffentlichen Einkaufs mit seinen zahlreichen Rechtsvorschriften ist eine weitere Schwäche bei der Erarbeitung zentraler Konzepte und Standards. So ist auch nicht anzunehmen, dass eine schnelle Veränderung des Vergaberechts oder eine flächige Anwendung ohne deutliche Vorschriften erfolgt. Daher ist es nötig, in Alternativen zu denken. Diese Möglichkeit ist gegeben, da das Vergaberecht kein Veröffentlichungsverbot beinhaltet (lediglich andere Gesetze erfordern die Berücksichtigung entsprechender Vorgaben). Darüber hinaus sind die Kommunen die öffentlichen Stellen, über die die Mehrheit des öffentlichen Einkaufs abgewickelt wird. Ihre lokale Mitarbeit wird essentiell sein, könnte sich aber aufgrund mangelnder Kapazitäten verzögern.

Ein maßgebliches Risiko zur Umsetzung liegt im zu geringen politischen Interesse und Willen zur Transparenz, beispielsweise, weil die Offenlegung sensibler Daten erfolgen könnte, was mit einem Verlust von Glaubwürdigkeit verbunden wäre. Die Akzeptanz muss von allen Seiten hoch sein, um einer übergreifenden Koordination den Weg zu bereiten. Trotz aller Bemühungen kann es sein, dass die Nachfrage der Öffentlichkeit und ihr Interesse an dem Thema gering bleibt. Schließlich ist noch anzuführen, dass eine mangelnde Datenqualität Fehlinterpretationen zur Folge hat. Diese Risiken müssen frühzeitig adressiert werden, was im Folgenden aufgegriffen wird.

11.2 Optimierungsansätze

Optimierungsansätze können an drei Stellen ansetzen: erstens an der Reduktion von Schwächen, um Chancen besser zu nutzen. Zweitens können Stärken verwendet werden, um Risiken in Chancen zu verwandeln. Und drittens können Risiken rechtzeitig adressiert werden, um sie nach Möglichkeit von vornherein zu vermeiden.

Reduktion von Schwächen zur Nutzung von Chancen

Um vorhandene Schwächen zu reduzieren, muss die starke, dem Föderalismus geschuldete Fragmentierung der bestehenden Verwaltungsstrukturen in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt werden. Es bietet sich an, Vertreter der verschiedenen Ebenen zusammenzubringen, um so ein möglichst umfassendes Abbild der Realität bei der Erarbeitung notwendiger Konzepte zu erhalten und damit die Umsetzungsfähigkeit abzusichern. Eine notwendige Erweiterung ist die Integration anderer Akteure, die nicht aus der Verwaltung kommen, zum Beispiel Vertreter der Wissenschaft oder der Wirtschaft. Nur so kann sich ein zielführender Diskurs ergeben, der die unterschiedlichen Bedarfe angemessen berücksichtigt. Damit die jeweiligen Arbeitsgruppen nicht zu groß sind, sollte auch hier nochmals abgewogen und strukturiert werden: Welche Gremien sind solche mit Entscheidungsfunktion, wer unterstützt mit Führungskompetenz und wer eher mit Expertenwissen?

Die Komplexität des öffentlichen Einkaufs verlangt eine Klärung von Gemeinsamkeiten und Differenzen. Ein grundlegendes Verständnis aufzubauen wird gerade am Anfang Zeit kosten, die aber genutzt werden kann, um aus den Erkenntnissen des laufenden Klärungsprozesses nach und nach aktualisierbare Wissensdokumentationen zu entwickeln. Diese können dann im Projektverlauf weiteren Teilnehmern oder sogar der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Bezüglich eventuell mangelnder Kapazität in den Kommunen sollte das Vorgehensmodell ausreichend diskutiert werden. Es bieten sich zum Beispiel Modellkommunen, Pilotprojekte oder die Nutzung von Innovation Labs als Einstieg in die agile Erarbeitung von Standards an (Hill, 2018a, S. 162 f.), die dann anschließend über mehrere Wellen ausgerollt werden. Möglicherweise können Multiplikatoren aufgebaut werden, die dem Projekt übergreifend für den Wissensaustausch zur Verfügung stehen.

Nutzung von Stärken zur Verwandlung von Risiken in Chancen

Die vorhandenen Geschäftsideen geben Anregungen und ihre Umsetzung kann den Effekt haben, dass „durch Taten Fakten geschaffen werden“. Der Appell lautet also, die bereits vorhandenen Daten für erste Auswertungen und Visualisierungen zu nutzen. Kritisch hervorzuheben ist: Obwohl sie eine Öffnung des öffentlichen Einkaufs befürworten, scheinen viele Experten das Hamburger Transparenzportal nicht hinreichend zu kennen (auf die Frage, inwieweit das Hamburger Transparenzportal ein Vorbild für weitere Umsetzungen sei, nutzten 61 % der Teilnehmer die Antwortoption „keine Angabe“, siehe Abschnitt 8.2.3, Frage 35). Dies legt die Vermutung nahe, dass selbst das spärlich Vorhandene noch zu wenig genutzt und/oder vermarktet wird.

Die ersten Ansätze der Länder und Kommunen müssen weiter unterstützt werden, um daraus Standards zu entwickeln, die dann sukzessive flächendeckend verwendet werden können.

Schutz vor Risiken

Ein probates Mittel gegen geringes politisches Interesse ist die Kommunikation über Multiplikatoren wie NGOs oder Medienvertreter innerhalb und außerhalb des politischen Systems. Dies betrifft auch die nochmalige Forderung nach Aufnahme der Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten in den dritten NAP. Um Handlungsdruck aufzubauen, könnte auch eine zunehmende Berichterstattung anhand bereits bestehender Daten und deren Auswertung genutzt werden. In diesem Punkt würde man sich bestehende Stärken zu eigen machen, um Risiken in Chancen zu verwandeln. Die zunehmende Nachfrage nach Einsicht in öffentliche Verträge unter Nutzung der IFGs kann ein weiteres deutliches Signal setzen. Zusammengefasst ist es erforderlich, die Aufmerksamkeit von mehreren Seiten aktiv auf die Öffnung des öffentlichen Einkaufs zu lenken.

Die Gefahr einer Offenlegung sensibler Daten muss durch eine sorgfältige Begutachtung vor Veröffentlichung und Schwärzung entsprechender Passagen oder Anonymisierung personenbezogener Daten verlässlich gebannt werden (siehe Abschnitt 7.1.3 und 7.3.5). Hierzu ist es nötig, begleitend Schulungen durchzuführen und die Überprüfung personenbezogener und sensibler Daten in den Verwaltungsprozessen als eigenen Schritt aufzunehmen, gegebenenfalls unter Nutzung von Software-Automatismen, um den Arbeitsaufwand einzugrenzen.

Um eine übergreifende Koordination zu ermöglichen, könnten die Arbeitsgruppen sowie Entscheidungsgremien aus verschiedenen Repräsentanten zusammengesetzt sein, um so nach allen Seiten eine möglichst hohe Akzeptanz sicherzustellen.

Um die Nachfrage der Öffentlichkeit nach diesem Thema zu bewerten, sollte, wie in Abschnitt 10.2.6 in den Handlungsfeldern 14 und 15 erwähnt, frühzeitig eine Strategie zur Partizipation und Kollaboration entwickelt werden.

11.3 Abschließende Bewertung der Arbeitshypothesen

Mit dieser Arbeit sollten vier Arbeitshypothesen überprüft werden. Auf das Ergebnis wird nun eingegangen.

Arbeitshypothese 1: Öffentliche Einkaufsdaten sind grundsätzlich vorhanden und können für eine Veröffentlichung genutzt werden.

Gemäß der Portalanalyse in Abschnitt 7.3.9 und der Online-Befragung in Kapitel 8 sind bereits heute Einkaufsdaten vorhanden, die für die Veröffentlichung genutzt werden können. Wenngleich sich diese Daten bislang nur auf die Teilprozesse der Ausschreibung und Vergabe beziehen, lassen sich damit erste Resultate erzielen und weitere Schritte können sich anschließen. Für entsprechende Aktivitäten gibt es bereits Beispiele auf Ebene des Bundes, einiger Länder (Hamburg, Bremen, NRW) sowie einiger Kommunen (Köln, Bonn, Wuppertal). Eine Ausdehnung auf den gesamten öffentlichen Einkaufsprozess wäre später denkbar. Doch ist wiederum auf den Differenzierungsbedarf zu verweisen: Welche Daten sollen zuerst veröffentlicht werden? Gibt es Daten, die gar nicht veröffentlicht werden sollen? Hinzu kommen mögliche Einschränkungen durch das Gesetz (personenbezogene Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse) und die Notwendigkeit, viele Aspekte in den täglichen Verwaltungsprozessen zu verankern, zum Beispiel die Überprüfung der Verträge auf schützenswerte Daten oder die Aufnahme entsprechender Klauseln zur Offenlegung von Daten.

Trotz möglicherweise operativer Herausforderungen kann die Arbeitshypothese insgesamt bestätigt werden.

Arbeitshypothese 2: Mit der Bereitstellung offener öffentlicher Einkaufsdaten auf einem Portal können attraktive Geschäftsmodelle Anwendung finden.

In Abschnitt 7.2.2, Kapitel 8 und 9 wurden theoretisch diskutierte Ansätze und tatsächlich existente Beispiele für Geschäftsmodelle im Umfeld der Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten aufgezeigt. So kann aufgrund der Komplexität des Themas für die Allgemeinheit ein Bedarf an Schulungen zur Vertiefung des Fachwissens zum öffentlichen Einkauf sowie die angemessene Auswertung der Daten entstehen. Für Unternehmen besteht sicher ein Bedarf an „Smart Assistance“, wenn es darum geht, effizient passende Ausschreibungen zu finden, durchschnittliche Marktpreise zu ermitteln oder die Wahrscheinlichkeit eines Vergabeerfolgs vorab über einen Algorithmus bewerten zu lassen. Für Verwaltungen kann die Notwendigkeit der Ermittlung angemessener Einkaufspreise und des Abgleichs sowie der schnelleren Erstellung von Ausschreibungsunterlagen entstehen. Ausgeweitet auf Statistikämter und Rechnungshöfe sind diverse Auswertungs- und Visualisierungsmöglichkeiten sowie Berichte interessant.

Da der Markt insgesamt stark fragmentiert ist und sich noch keine durchgängigen Präferenzen ausgebildet haben (siehe Abschnitt 8.2.1), besteht sowohl für neue als auch bestehende Marktteilnehmer deutliches Geschäftsentwicklungspotential. Die Arbeitshypothese kann somit bestätigt werden.

Arbeitshypothese 3: Durch eine erhöhte Transparenz ist es möglich, den Einkaufsgrundsätzen gemäß Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Rechnung zu tragen (unter anderem Wettbewerb, Korruptionsbekämpfung und Wirtschaftlichkeit).

Es erwies sich, dass die Anforderungen der Rechtsprechung durch eine erhöhte Transparenz nicht korrumpiert, sondern im Gegenteil unterstützt werden können. So kann durch eine erhöhte Transparenz im Rahmen der Offenlegung öffentlicher Einkaufsdaten mehr Wettbewerb entstehen und ein Beitrag zur Korruptionsbekämpfung geleistet werden, wie die in Kapitel 9 skizzierten internationalen Best Practices und die theoretischen Erkenntnisse aus Abschnitt 6.5.1 verdeutlichen. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass neue Formen der Korruption entstehen können, denen möglicherweise durch andere Mittel begegnet werden muss. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass Korruption langfristig nur durch ein Bündel an Maßnahmen eingedämmt werden kann, zum Beispiel indem Negativfälle auch nach außen publik gemacht werden und sichtbare Konsequenzen erfahren. Das bedeutet, dass erhöhte Transparenz einen Beitrag zur Korruptionsprävention leisten kann, jedoch nicht alleinig.

Unter dieser Einschränkung kann die Arbeitshypothese bestätigt werden.

Arbeitshypothese 4: Offene öffentliche Einkaufsdaten tragen zu optimierten Entscheidungen in der Wirtschaft und in der Verwaltung bei.

Zu dieser Arbeitshypothese finden sich zwar internationale Hinweise und Bestätigungen (siehe unter anderem Abschnitt 6.5, 7.4 und Kapitel 9), allerdings besteht mit Blick auf Deutschland Vertiefungsbedarf. Das bedeutet, dass im Zuge der weiteren Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten zunächst Fälle definiert werden sollten, für die optimierte Entscheidungen erwartet werden. Die Art der erwarteten Optimierung muss dann mithilfe von messbaren Leistungsindikatoren festgelegt werden, zum Beispiel mit Blick auf reduzierte Preise, eine verbesserte Qualität, eine erhöhte Innovationsfähigkeit oder eine optimierte Nachhaltigkeit. Erst durch eine engmaschige Beobachtung und Überprüfung wird es möglich, Effekte abzuschätzen und transparent darzulegen, zum Beispiel eine Umwidmung von Steuermitteln oder erzielte Qualitätsverbesserungen zu verdeutlichen.

Somit kann hier aktuell ein positiver Zusammenhang vermutet werden, der Nachweis für Deutschland wäre noch zu erbringen.

11.4 Beantwortung der leitenden Forschungsfragen

Auf Basis der Arbeitshypothesen werden nun die leitenden Forschungsfragen zusammenfassend beantwortet.

Ob, warum und für wen kann eine Öffnung der öffentlichen Einkaufsdaten im Unterschwellenbereich in Deutschland sinnvoll sein?

Die Auswertung der Arbeitshypothesen zeigt, dass eine Öffnung der öffentlichen Einkaufsdaten im Unterschwellenbereich für Deutschland sinnvoll sein kann: Eine erhöhte Transparenz unter Nutzung der vorhandenen Technologie kann zu einem optimierten Steuermitteleinsatz führen. Somit können bereits vorhandene Mittel effizienter eingesetzt und an die Stellen gelenkt werden, an denen aktuell Missstände beklagt werden. Profiteure können dabei sowohl die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Medien, die Politik, der Bürger wie auch die Verwaltung selbst sein, also alle Akteure. Dies gilt unter dem Vorbehalt einer differenzierten Betrachtung der Erfordernisse (welche Daten sollen für wen und wann bereitgestellt werden) und der Beachtung der geltenden Rahmenbedingungen.

Wie kann dies praktisch und technisch unter Berücksichtigung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen erfolgen?

Das dargelegte Leitbild und die aufgezeigten Handlungsfelder können Impulse geben, um von einem Transformations- zu einem Implementierungsfahrplan zu gelangen. Um den Fokus auf die praktischen Erfordernisse zu halten, sind dabei insbesondere Partizipation und Kollaboration mit Dritten wichtige Begleitelemente. Die „Dritten“ können ein wichtiges Korrektiv darstellen, wenn es darum geht, geeignete Leuchtturmprojekte auszuwählen, die Umsetzung sicherzustellen sowie als Kontrollinstanz zu dienen. Trotz geltender Rahmenbedingungen ist es wichtig, das Gestaltungspotential zu erkennen und Gestaltungswillen zu besitzen. Technologisch steht das Portal GovData zur Nutzung bereit, rechtlich gibt es zwar zu beachtende Grundsätze, aber keine Verbote. Bei der konkreten Gestaltung und Ausprägung können die identifizierten internationalen Best Practices, aber auch die durch die Studienteilnehmer dargelegten Ideen sowie bereits existenten Geschäftsmodelle helfen. Die beschriebenen Erfolge unterstützen dabei, die Initiative für die Öffnung des öffentlichen Einkaufs zu ergreifen.

11.5 Unerwartete Forschungsergebnisse

Als ein unerwartetes Ergebnis der Arbeit stach in der Online-Befragung die klare Befürwortung der Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten über den Gesamtprozess des Einkaufs hervor, mit einer besonders deutlichen Befürwortung des Teilprozesses der Ausführung. Ebenfalls unerwartet war die Vielzahl der Ideen für Geschäftsmodelle (siehe Abschnitt 8.2.2, Fragen 19, 20 und Abschnitt 8.2.3, Frage 36) sowie die beträchtliche Anzahl internationaler Best Practices, die in Tabelle 9.1 zusammengetragen und für zwei Länder ausführlich erläutert werden konnten. Es gibt interessanterweise bereits einige Vergabestellen in Deutschland, die Daten für den Unterschwellenbereich analog zum Oberschwellenbereich erheben. Die Gleichartigkeit der Erhebung wird auch durch Experten des Projektes zur Vergabestatistik befürwortet (siehe Abschnitt 6.2.2). Erstaunlich deutlich wurde schließlich der fehlende politische Wille als das größte Hindernis in der Offenlegung der öffentlichen Einkaufsdaten bezeichnet. Durch die Portalanalyse in Abschnitt 7.3.9, aber auch die Online-Befragung (Abschnitt 8.2.1, Fragen 9 und 10), wurde abermals die Fragmentierung der Anbieter und Portale ersichtlich, für die es trotz Initiativen wie FITKO immer noch keine gemeinsame Stoßrichtung zu geben scheint.

11.6 Methodenkritik

Methodenmix

Einerseits zeigte die Literaturrecherche die Forschungslücken rund um den öffentlichen Einkauf. Andererseits erschien es aufgrund der Komplexität des Themas sinnvoll, mehrere Perspektiven einzufangen und sich nicht vorschnell zu beschränken. Aus diesen Gründen wurde auf einen Methodenmix zurückgegriffen, der neben qualitativen auch quantitative Erhebungen beinhaltete. Gleichwohl brachte die Anwendung verschiedener Methoden den Nachteil mit sich, dass mehrere Stränge verfolgt wurden, die hintereinander behandelt werden mussten. Der Aufwand und der Umfang an Material erwiesen sich als immens. Es war eine besondere Herausforderung, hieraus eine breite und zugleich auch ausreichend tiefe Betrachtung auf das vorliegende Thema zu generieren.

Technikfolgenabschätzung

Die TFA als theoretischer Rahmen für die Arbeit bot ein gutes Fundament für eine breite Analyse. Sie erlaubte ein hohes Maß an Interdisziplinarität, begrenzte aber in einzelnen Bereichen die Tiefe.

Online-Befragung

Als positiv neben der umfangreichen Literaturrecherche kann die gute Rücklaufquote von 22,5 % bei der Online-Befragung trotz der Vielschichtigkeit des Themas hervorgehoben werden. Es hat sich bestätigt, dass der Fragebogen eine umfängliche Erhebung in einem überschaubaren Zeitraum und mit einem absehbar zeitlichen Aufwand zuließ. Gleichzeitig zeigt das Verfahren aber auch seine Flexibilität für den Durchführenden, bei Bedarf eine weitere Befragungswelle unkompliziert hinzuzufügen und Erinnerungen zu versenden, sowie für die Teilnehmer, sich einen für sie geeigneten Antwortzeitpunkt zu suchen. Hierauf zahlte auch die Möglichkeit ein, den Fragebogen zu einem beliebigen Zeitpunkt unterbrechen und später fortsetzen zu können. Es gab nur wenige Fragen, bei denen der Anteil bei den Antwortmöglichkeiten „keine Angabe“ über 10 % lag (Fragen 10, 16, 17, 28, 31, 35, 37). Daraus kann man schließen, dass sowohl der Fragenkatalog wie auch die Antwortmöglichkeiten ausreichend umfangreich definiert waren.

Selbstkritisch muss angemerkt werden, dass die Ausfülldauer des Fragebogens mit 30–40 Minuten sicher zu lang gewesen ist (trotz Hinweis bei der Einladung). Dies kann daraus geschlossen werden, dass einige Teilnehmer den Fragebogen begonnen, aber nicht abgeschlossen haben. Weiters kamen einige Teilnehmer aus NRW, was möglicherweise einen Einfluss auf die Antworten gehabt haben kann, da NRW in seinen Bemühungen rund um die Öffnung offener Verwaltungs- und Einkaufsdaten bereits einige Fortschritte erzielt hat (Krabina & Wiedemann, 2019; Tursics, 2019). Bei der Online-Befragung wurde ein praktikables Datenschema verwendet – im Verlauf weiterer Forschung oder auch in der realen Umsetzung der Ergebnisse in Projekten sollten weitere Datenfelder des öffentlichen Einkaufs in Bezug auf ihre Öffnung bewertet werden.

Zusammengefasst hat die Methodik die an sie gestellten Erwartungen trotz der Komplexität des Themas sehr gut erfüllt – bei künftiger Wiedernutzung sollten allerdings Frageumfang und -dauer zugunsten einer höheren Antwortquote reduziert werden. Die Problematik der fehlenden Rückfragemöglichkeit stellte kein Hindernis für die aktuelle Auswertung dar, da nur jene Fragen offene Antwortmöglichkeiten enthielten, bei denen eine gewisse Interpretation durch die Teilnehmer tatsächlich gewünscht war. Eine möglicherweise nicht ganz überschneidungsfreie oder nicht vollständig logische Einordnung der Antworten wurde an dieser Stelle in Kauf genommen.

Portalanalyse

Ebenfalls positiv zu werten ist die Korrelation der Ergebnisse zwischen Portalanalyse und Online-Befragung, obschon die Stichproben pro Portal möglicherweise nicht repräsentativ waren. Dies wäre bei künftiger Forschung eine Optimierungsmöglichkeit: Sofern bei einer Portalanalyse ein anderer Umfang in die Bewertung einfließen soll, sollte eine andere Methode wie zum Beispiel Web-CrawlingFootnote 1 eingesetzt werden. Ein weiterer Vorteil wäre, dass hiermit noch differenzierter nach Vergabeverfahren unterschieden werden könnte.

Best Practices

Die Identifikation und Einordnung der Best Practices erfolgte generisch entlang der Kategorien Strategie, Organisation, Recht, Technologie, Transparenz, Partizipation und Kollaboration, um auch hier einen zunächst breiten Blick auf das Thema zu gewinnen. Die Detaillierung eines Bewertungsschemas für die Länderbeispiele bot die Möglichkeit eines differenzierteren Vergleichs. Um künftig Best Practices noch zielgerichteter als solche zu erkennen, bietet es sich an, das Identifikationsschema zu verfeinern.

11.7 Wissenschaftliche Lücken und weiterführende Fragestellungen

Forschung soll die Zukunft in den Blick fassen, den Horizont erweitern und Denkanstöße für die Praxis liefern. Die Forschung rund um die Öffnung des öffentlichen Einkaufs ist in Deutschland insgesamt ausbaufähig, um hier in die Rolle eines Vorbilds oder Treibers zu kommen. Mangels eigener Literatur musste die vorliegende Arbeit auf eine Vielzahl fremdsprachiger Literatur sowie eigene Datenerhebungen zurückgreifen. Dies betrifft vor allem den Unterschwellenbereich, der im Unterschied zum Oberschwellenbereich nur wenig Betrachtung findet, aber auch den gesamten Prozess des öffentlichen Einkaufs.

Darüber hinaus ist das zeitnahe Aufschließen zu bereits bestehenden Entwicklungen in anderen Ländern wie der Slowakei oder Frankreich wichtig, die belegen, dass eine Öffnung trotz Schwierigkeiten möglich ist und nachvollziehbare qualitative und quantitative Effekte aufzeigen kann. Die Ergänzung der internationalen Wissenschaft um quantitative Belege wie zum Beispiel die Erforschung des Nutzens von Partizipations- und Kollaborationsmöglichkeiten sowie der Effekte der Datenöffnung auf die Reduktion von Korruption entlang des gesamten Einkaufsprozesses und die reale Umwidmung von Steuermitteln wäre ein weiterer wichtiger Beitrag. Bei der weiteren Vertiefung von Best Practices wäre es wichtig, Muster (Gemeinsamkeiten und Unterschiede) zu erforschen und zu erkennen, was hiervon für Deutschland anwendbar ist.

Etwas weiter in die Zukunft gedacht sollte insbesondere der Nutzen aus der Verbindung öffentlicher Einkaufsdaten mit anderen Regierungsdaten (LOGD) und die Integration neuer Technologien wie Blockchain und KI erforscht und angegangen werden. Hier besteht erheblicher Aufholbedarf.

Weiterführende Fragestellungen beziehen sich auf die Fortführung dieses Themas. Sie können durch Forschungsbeiträge oder durch die Praxis aufgegriffen werden und sollen konkrete Anregungen für flankierende Schritte geben. Nicht abschließend ergeben sich folgende Fragen, die den bekannten Wirkungsdimensionen zugeordnet wurden:

Strategie

  • Welche quantitativen, wirtschaftlichen Potentiale können konkret aus der Öffnung des öffentlichen Einkaufs für Deutschland entstehen?

  • Inwieweit unterstützt dies die Entwicklung hin zu einem strategischen öffentlichen Einkauf?

Organisation

  • Wie kann die FITKO die ebenenübergreifende Bereitstellung offener öffentlicher Einkaufsdaten unterstützen? Welche anderen flankierenden Organisationen, Behörden, Programme und Gremien gibt es in Deutschland, die hier einen Beitrag leisten könnten? Wie kann dieser Beitrag aussehen?

Recht

  • Wie kann der Unterschwellenbereich in die Vergabestatistik einfließen? Wie ist der aktuelle Stand der Umsetzung der eVergabe für den Unterschwellenbereich?

  • Wie sehen aktuelle Rechtsprechungen rund um die Informationsfreiheits- und Transparenzgesetze aus? Was lässt sich daraus, auch im Vergleich der Länder, ableiten?

Technologie

  • Wie sieht die Landschaft der Verwaltungsportale in Deutschland heute aus und was bedeutet dies für den Ansatz einer föderalen Portalstrategie (basierend auf dem ersten geschilderten Eindruck in Abschnitt 7.3.9.3.5)?

  • Wie kann ein auf Deutschland angepasstes Datenschema unter Beachtung der bestehenden Systemlandschaft aussehen?

  • Welche Anwendungsfälle im öffentlichen Einkauf eignen sich für den Einsatz von Prozessautomatisierung, künstlicher Intelligenz und Blockchain? Wie können „Smart Contracts“ optimal genutzt werden? Wie wirken sich die neuen Technologien auf Führungskonzepte und Entscheidungsfindung aus?

Transparenz

  • Wie können die Reduktion von Korruption, aber auch die Verbesserung von Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit durch die Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten konkret gemessen werden? Welche Schäden konnten konkret durch eine Öffnung der Daten abgewendet werden im Verhältnis zu den Nachteilen, die aus einer proaktiven Datenbereitstellung entstanden sind? In welchem Teil des Einkaufsprozesses kann Korruption besonders erfolgreich reduziert werden?

  • Wie kann die Vermarktung von schon existierenden erfolgreichen Projekten verbessert werden? Wie kann deren Weiterentwicklung betrieben werden?

Partizipation und Kollaboration

  • Wie wird sichergestellt, dass der zeitliche Vorlauf für den dritten NAP ausreichend für eine Beteiligung und Kommentierung ist und eine Erörterung der Vorschläge nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich in entscheidungsrelevanten Gremien erfolgen kann?

  • Wie kann Kollaboration gegenüber anderen Zusammenarbeitsformen klarer abgegrenzt und bezüglich ihrer Mehrwerte quantifiziert werden?

11.8 Einschätzung der Verfasserin und Ausblick

Die Öffnung des öffentlichen Einkaufs ist ein sensibles Thema, welches viele Akteure und Interessen betrifft und allein deshalb eine differenzierte Betrachtung erfordert. Der gemeinsame Nenner aller verschiedenen Interessen sollte aber das Gemeinwohl für unsere Gesellschaft und Demokratie sein. Unstrittig sind die hiermit verbundenen Chancen. Aktuell scheint es jedoch so, dass vor einer übergreifenden Auseinandersetzung mit diesem Thema zurückgeschreckt wird. So gehen die Impulse zur Öffnung des öffentlichen Einkaufs überwiegend von NGOs aus. Jedoch wäre genau diese übergreifende Auseinandersetzung essentiell, um die vorhandenen Herausforderungen und Risiken auszuloten und in Chancen zu verwandeln. Die Gefahr besteht, dass in der Zwischenzeit andere Länder nach vorn schreiten, während Deutschland das Potential in diesem Bereich nicht ausschöpft. Motivierend ist die Einschätzung der Studienteilnehmer, wonach eine Öffnung innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre denkbar sei. Die in der Befragung festgestellte Bereitschaft für eine weitere Öffnung legt nahe, sich mit diesem Thema zukünftig ausführlich zu befassen. Die Politik sollte dieses Momentum aufgreifen, denn nur – und auch das hat die Studie bestätigt – mit einem politischen Willen zur Transparenz kann die Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten Realität werden: „Open contracting is no technocratic fix. It strikes at the very heart of politics. It threatens powerful networks of corruption“ (Sanjay Pradhan zitiert in Kluttz et al., 2017, S. 8). Die Technologie ist längst vorhanden – für den nächsten Schritt sind nun ein klares politisches Bekenntnis, die Verankerung im dritten NAP und ein Impuls zur Umsetzung erforderlich.