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Kleine Geschichte des Kommunikationsbegriffs

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Kommunikationsmacht

Part of the book series: Wissen, Kommunikation und Gesellschaft ((WISSEN))

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Zusammenfassung

Kommunikation ist einer der wichtigsten Begriffe, die moderne Gesellschaften heute dazu nutzen, um das zu benennen, was sie antreibt. Ohne Kommunikation, so der Grundtenor aktueller Gesellschaftsbeschreibungen, sind weder Gesellschaft noch Organisationen noch menschliche Identität möglich. Allerdings wird der Begriff ‚Kommunikation‘ in solchen Beschreibungen recht unterschiedlich gebraucht. Hier findet sich eine große Vielfalt, die nicht auf einen einzigen Bedeutungskern zurückzuführen ist (beispielhaft für diese Vielfalt: die lesenswerten Arbeiten von Winter/Hepp/Krotz 2008 und Krallmann/Ziemann 2001).

Without communication the mind does not develop a true human nature, but remains in an abnormal and nondescript state neither human nor properly brutal.

Charles Horton Cooley 1909: 62

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Notes

  1. 1.

    Beispielhaft für viele die klassische Formulierung von Simmel: „Wechselwirkung entsteht immer aus bestimmten Trieben heraus oder um bestimmter Zecke willen. Erotische, religiöse oder bloß gesellige Triebe, Zwecke der Verteidigung wie des Angriffs, des Spiels wie des Erwerbes, der Hilfeleistung wie der Belehrung und unzählige andere bewirken es, dass der Mensch in ein Zusammensein, ein Füreinander-, Miteinander-, Gegeneinander-Handeln, in eine Korrelation der Zustände mit anderen tritt, d. h. Wirkungen auf sie ausübt und Wirkungen von ihnen empfängt“ (Simmel 1992: 17 f.).

  2. 2.

    „Um herauszubekommen, ob richtig verstanden wurde, gibt es letztlich nur ein probates Mittel: Man befragt den Empfänger, was er verstanden hat – eine Methode, die ein wenig an die ‚Stille Post‘ erinnert: in einer Reihe von Mitspielern wird ein Wort oder ein Satz weitergeflüstert, und am Ende haben alle Spaß daran, was aus dem Ausgangswort oder -satz geworden ist. Wenn man also Jemanden befragt, ob er richtig verstanden habe, was tut er dann? Er muß kommunizieren, d. h. man muß das Mittel anwenden, das man prüfen will“ (Nassehi 2008: 41).

  3. 3.

    Der Gebrauch des Ausdrucks ‚kommunikatives Tun‘ wird in Abschn. 6.8 ausführlicher erläutert.

  4. 4.

    Dass diese Gemeinsamkeiten zwischen der durkheimschen Soziologie und dem Pragmatismus nicht zufällig sind, sondern auch auf systematischen Gemeinsamkeiten beruhen, darauf hat Hans Joas zu recht hingewiesen (Joas 1987: 261) – nicht nur darauf, dass beide Strömungen Kinder der gleichen Epoche sind, gleiche wissenschaftliche Gegner bekämpften (Apriorismus im Sinne Kants), sondern immer auch die Fragen empirisch und genetisch zu beantworten versuchen (ebd.).

  5. 5.

    Siehe hierzu Brandom: „Eine Theorie der Sprecherakte sollte entscheidend an ihrem Umgang mit dem, was man tut, wenn man eine Behauptung vorbringt, gemessen werden. Diese Herausforderung wird nicht immer angenommen“ (Brandom 2000: 261).

  6. 6.

    So hat Luckmann und auch Berger frühzeitig die Bedeutung der Kommunikation für die gesellschaftliche Konstruktion gesehen und auch gewürdigt und später von einem „kommunikativen Aufbau der sozialen Welt“ und dem „kommunikativen Paradigma der neuen Wissenssoziologie“ gesprochen (Luckmann 2002: 157 ff. und 201 ff.; vgl. auch 2004 und 2007).

  7. 7.

    Interessant ist bei dieser Wortwahl wieder der Vergleich mit dem englischen Original: Dort heißt es „that the conversational apparatus ongoingly maintains [kursivierung von mir – J.R.] reality“ (Berger/Luckmann 1966: 153). Das ‚maintains‘, das man mit ‚aufrechterhalten‘, instandhalten‘ oder auch mit ‚pflegen‘ übersetzen könnte, wird von den Autoren selbst mit dem im Deutschen auf zwei Kontexte verweisenden ‚unterhält‘ übersetzt und die benutzen Anführungszeichen sollen diese doppelte Verweisung auch als beabsichtigte ausweisen: ‚Unterhalten‘ verweist nämlich im Deutschen sowohl auf das Bedeutungsfeld ‚etwas aufrecht erhalten‘ als auch auf das Feld ‚sich unterhalten‘. Somit ist es im Deutschen möglich, den Doppelcharakter der Konversationsmaschine in einen Begriff zu fassen, der beides sagt: Ordnung wird aufrechtgehalten und: diese Aufrechterhaltung geschieht in der Unterhaltung.

  8. 8.

    Peter Berger hat später in einer kleinen Arbeit über die gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion in der Ehe mit Hansfried Kellner diese Spur weiterverfolgt und damit einen Text geschaffen, der ohne Zweifel als eine frühe Version des Kommunikativen Konstruktivismus gelten kann. Dort haben Berger/Kellner am Beispiel der Ehe gezeigt, dass in jeder Ehe die eigene und gemeinsame Wirklichkeit gemeinsam mittels Sprechen aufgebaut werden muss und dass diese gemeinsam aufgebaute Welt kontinuierlich von den Ehepartner aktualisiert und bestätigt werden muss, sodass sie auch ihre Wirklichkeit ist und bleibt (Berger/Kellner 1977: 6). Aber nicht jede Bestätigung zählt gleich viel. Manche, nämlich die von dem signifikanten Gegenüber, zählen mehr. „However, some validations are more significant than others. Every individual requires the ongoing validation of his world, including crucially the validation of his identity and place in this world by those few who are his truly significant others (…). The plausibility and stability of the world, as socially defined, is dependent upon the strength and continuity of significant relationships in which conversation about this world can be continually carried on. Or, to put it a little differently: The reality of the world is sustained through conversation with significant others“ (Berger/Kellner 1977: 7 f.). Aber auch bei Berger/Kellner findet man die Vorstellung von der conversation als appratus – wenn auch mehr die Beteiligten fokussiert werden: „This conversation may be understood as the working away of ordering and typifying apparatus – if one prefers, an objectivating apparatus. Each partner ongoingly contributes his conception of reality, which are than ‚talked through‘, usually not once but many times, and in the process become objectivated by the conversation apparatus. The longer this conversation goes on, the more massively real do the objectivations become to the partners. In the marital conversation a world is not only built, but it is also kept in a state of repair and ongoingly refurnished. (…) Indeed, it may happen eventually that no experience is fully real unless and until it has been thus ‚talked through‘“ (Berger/Kellner 1977:14 f.). Alles muss also immer wieder mit dem signifikanten Gegenüber ‚durchgesprochen‘ werden, damit es wirklich bleibt. Peter Berger und Hansfried Kellner haben diese Spur jedoch nicht weiter verfolgt. Und da Thomas Luckmann sich damals sehr viel mehr für die Sprache interessierte, wurde diese Spur von anderen Überlegungen überdeckt. Spätere empirische Arbeiten im Rahmen der Luckmannschen Sprachsoziologie und Gattungsanalyse (Knoblauch 1995 und 2005, Knoblauch/Luckmann 2000) und Arbeiten im Rahmen der hermeneutischen Wissenssoziologie (Hitzler/Reichertz/Schröer 1999 und 2020, Reichertz 2007a) und der wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller 2005, 2011) haben diese Spur jedoch wieder ausgenommen und weitergeführt.

  9. 9.

    Thomas Luckmann hat sich in seinen späteren Arbeiten nicht mehr die Sprache (und die Konversationsmaschine) interessiert, sondern sehr viel mehr die ‚kommunikativen Gattungen‘ und den aus zahlreichen kommunikativen Gattungen bestehenden ‚kommunikativen Haushalt‘ einer Gesellschaft (Luckmann 2002: 157–211 und 2007: 255–308). Kommunikative Gattungen sind Institutionalisierungen kommunikativer Praxis, – ‚Programme‘ zur kommunikativen Bearbeitung von Problemen, im weiten Verständnis auch kommunikativen Vorgaben von Sinn, die eine Tradition der Sinnsetzung ermöglichen und so und Sinnweitergabe ermöglichen (vgl. auch Schütz/Luckmann 2003: 450). Diese deutliche Hinwendung zum praktischen kommunikativen Handeln hat eine Vielzahl fruchtbarer Arbeiten zur Gattungsanalyse hervorgebracht. Dennoch verbleibt diese Perspektive in dem früheren strukturtheoretischen Ansatz: Ziel solcher Gattungsanalysen ist nicht die Aufdeckung der Dynamik der Mikroorientierung innerhalb kommunikativen Handelns, sondern die Entdeckung der Binnen- und Außenstruktur der Gattungen. Das situierte kommunikative Mit- und Gegeneinander der Menschen bleibt dabei im Dunkeln – allein schon deshalb, weil nicht die Subjekte, ihre Ressourcen und ihre je eigene Kommunikationsmacht interessieren, sondern sie interessieren nur insoweit, als sie als Exekutierer einer gesellschaftlichen Ordnung (= Gattung) begriffen werden, einer Ordnung, die in ihr Handeln eingeschrieben ist und sich deshalb auch doch zeigt und somit sichtbar wird.

  10. 10.

    Aber auch, wenn man Kommunikationstheorie im Rahmen einer Sozialtheorie betreibt, hat man keinen Gewinn, wenn man kontrafaktisch unterstellt und ein entsprechendes Kommunikationsmodell entwickelt, dass die Beteiligten (und die Beteiligten sind in der Regel nicht nur der eine Hörer und der eine Sprecher, sondern alle, die anwesend sind) mit den beiden klassischen, von Alfred Schütz formulierten Idealisierungen (= Austauschbarkeit der Standorte, Kongruenz der Relevanzsysteme) arbeiteten. Im Gegenteil: Man müsste sehr viel mehr bei einer solchen sozialtheoretisch ausgerichteten Kommunikationstheorie solche Modelle entwickeln, die erklären, wie alle Beteiligten gerade in Unkenntnis der Relevanzsysteme des Gegenübers und in Unkenntnis des Standortes der Beteiligten es schaffen, ihr kommunikatives Verhalten so zu gestalten, dass eine Koorientierung des Verhaltens zustande kommt.

  11. 11.

    Der Kommunikative Konstruktivismus wird aktuell vor allem in der wissenssoziologischen Theoriediskussion (z. B. Christmann 2016 und Reichertz/Tuma 2017, Reichertz/Bettmann 2018, Reichertz 2020) und in der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschung zu Medienwandel bzw. Mediatisierung aufgegriffen und weitergeführt (Couldry/Hepp 2017, Hepp 2020). Zur Verortung des Kommunikativen Konstruktivismus in der Diskussion um den Konstruktivismus in Deutschland siehe Hasebrink/Hepp/Loosen/Reichertz 2017. Kritisch zum Kommunikativen Konstruktivismus Kieserling 2018, Kotthaus 2019 und bedingt Kusenbach/von Lehm 2023.

  12. 12.

    „Wenn man erkenntnistheoretische Erwägungen über den Wert soziologischer Erkenntnisse in die Wissenssoziologie miteinbezieht, so ist das, als wenn man einen Bus schieben will, in dem man fährt“ (Berger/Luckmann 1969: 14). Mit dieser Formulierung gaben die Gründerväter der neueren, sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie von Beginn an den Nachdenkern den nicht unklugen Rat mit auf den Weg, erst einmal zwischen Erkenntnistheorie und Wissenssoziologie zu unterscheiden und zweitens beides nicht gleichzeitig zu betreiben. Mit ihrer Metapher von dem Businsassen und dem Busanschieber machen sie darauf aufmerksam, dass man nach ihrer Ansicht die Wissenssoziologie nur mit begrenztem Erfolg wieder auf die Wissenssoziologie anwenden kann. Damals waren Berger/Luckmann der Ansicht, eine solche Selbstanwendung der Wissenssoziologie gehöre nicht mehr in das „empirische Fach Soziologie” (ebd.: 15) hinein, sondern rechtens in die Methodologie der Sozialwissenschaften.

  13. 13.

    Durchaus ähnlich argumentiert auch Kuhn: „Doch von einem Wissenschaftler kann man immer eine Erklärung seiner Wahl verlangen, eine Offenlegung der Grundlagen seiner Urteile. Diese sind sehr wohl diskutierbar, und wer seine eigenen nicht zu diskutieren bereit ist, kann nicht erwachten, dass man ihn ernst nimmt“ (Kuhn 1977: 441 f.). Vgl. hierzu auch eine Formulierung Latours, die allerdings darauf aufmerksam macht, dass nicht nur Einfalt und Unwille Gründe für eine fehlende Selbstaufklärung sein können: „Wer die Umstände des Forschens nicht hinzu verübt, nimmt durch die Behauptung von Eindeutigkeit und Einheitlichkeit eine reine Position der Macht ein“ (Latour 2000: 67).

  14. 14.

    Es gehört mit zu den zweifelhaften ‚Errungenschaften‘ der verschiedenen Spielarten des Konstruktivismus, der in den letzten Jahrzehnten eine große Sichtbarkeit nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im praktischen und politischen Alltag gefunden hat, dass dieses triviale und falsche Verständnis von Konstruktion genutzt wird, um offensichtliche Lügen in „alternative Fakten“ umzutaufen. Dies mit dem Argument: Wenn schon (wie die Wissenschaft sagt) alles Konstruktion sei, mithin nicht wirklich wahr, dann könne man auch jede andere Konstruktion als wahr, als faktisch gegeben ausflaggen. Das läuft dann letztlich darauf hinaus, dass die Triftigkeit von Argumenten keine Rolle mehr spielt, sondern allein die (soziale oder körperliche) Macht derer, welche die alternativen Fakten als Wahrheit als gültig ausgeben wollen. Sozialpsychologisch interessant wäre zu klären, wie oft man selbst (oder ein anderer) eine Lüge als alternatives Faktum aussprechen muss, bevor man vergessen hat, dass das alternative Faktum eine Lüge war, dass man also selbst daran glaubt.

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Reichertz, J. (2024). Kleine Geschichte des Kommunikationsbegriffs. In: Kommunikationsmacht. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31635-8_3

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

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