Zusammenfassung
Die der tariflichen Eingruppierung zugrunde liegenden Arbeitsbewertungen sollen objektiv und diskriminierungsfrei sein. Gerade in Bereichen frauentypischer Beschäftigung wird indessen nach wie vor Entgelt(un)gerechtigkeit festgestellt, die auf Geschlechterstereotype und Regelungslücken in den Tarifverträgen zurückgeführt wird. Der Beitrag untersucht am Beispiel der Sekretariatsarbeit im öffentlichen Dienst, welche Bedeutung den Bewertungsmomenten und Leistungsverständnissen der beteiligten Akteure zukommt und welche Funktion der Anspruch nach Objektivität im Bewertungsverfahren einnimmt. Damit soll der soziologische Blick auf organisationale Leistungsbewertung um die Aspekte Subjektivität und Durchsetzungsmacht in Bewertungskonstellationen ergänzt werden.
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Notes
- 1.
Dieser Zugang bietet Anknüpfungspunkte zu einer dezidiert organisationsoziologischen Perspektive auf Bewertungsprozesse, vgl. Aljets und Meier (2015).
- 2.
Der verbreitete alltagssprachliche Ausdruck bezieht sich auf die in verschiedene Fallgruppen unterteilte Entgeltgruppe 9, welche sich aus der Überleitung von sehr verschiedenen Entgeltgruppen des BAT und MTArb in den TV-L im Jahr 2006 ergeben. Der Begriff hält sich, auch wenn seit der Verhandlungsrunde 2017 eine Dreiteilung durchgesetzt wurde. PersonalrätInnen und GeschwerkschafterInnen sagen dem damit verbundenen langsamen Stufenaufstieg und schwierigen Höhergruppierungen nach, dass diese ‚gläserne Decke‘ die Stufen der Beamtenbesoldungsgruppen nachempfinde, die zwischen mittlerem zu gehobenem Dienst bestehen.
- 3.
Vgl. https://bund-laender-nrw.verdi.de/tarif/tvoed-bund/++co++b2509600-6858-11e5-ac77-525400ed87ba, letzter Zugriff: 26.02.2020.
- 4.
Das Brechen von Verfahrensregeln, z. B. durch willkürliche Zuordnung von Tätigkeiten zu Entgeltgruppen, mag in der Praxis bedeutsam sein. Zentraler für die Analyse der organisationalen Funktion der Leistungsbewertung und die Frage nach mittelbarer Diskriminierung sind hingegen die regelkonformen und dennoch diskriminierenden Bewertungspraxen.
- 5.
Stellungnahme des Beirats der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten zur Initiative des offenen Briefes der Sekretärinnen und Sekretäre an bayerischen Hochschulen 2009.
- 6.
Alle Zitate entstammen den eigenen leitfadengestützten Interviews mit Sekretärinnen.
- 7.
Lediglich 11 Sekretärinnen des vorliegenden Samples haben dies getan. Dieser Befund wird auch durch die interviewten ExpertInnen unterstützt. Statistische Daten liegen über diesen Sachverhalt nicht vor und die Organisationen sind nicht verpflichtet, Auskunft zu geben.
- 8.
Vgl. https://www.bva.bund.de/DE/Services/Behoerden/Beratung/Beratungszentrum/Eingruppierung/_documents/stda_eingruppierung.html, letzter Zugriff: 13.09.2019.
- 9.
„Da die Tarifverträge ein betriebliches System zur Vergabe von Leistungsstufen nicht vorsehen, liegt die Leistungsfeststellung im billigen Ermessen des Arbeitgebers, welches gerichtlich nachprüfbar ist. Dadurch ist es im Interesse des Arbeitgebers für die Leistungsvergabe ein formelles Leistungsbewertungssystem mit objektiven Kriterien zu entwickeln“ (Bellmann 2010, S. 249).
- 10.
Für ProfessorInnen kommen Janßen und Sondermann (2016) auch zu dem Schluss, dass Diskrepanzen zwischen subjektiven und organisationalen – oder in ihren Termini „professionellen“ und „universitären“ (ebd., S. 377) – Leistungsmaßstäben bestehen.
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Westerheide, J.E. (2021). Das Arbeitsplatzinterview als Legitimationsmoment der organisationalen Leistungsbewertung – geteilte Bewertungskriterien und asymmetrische Durchsetzungsmacht. In: Meier, F., Peetz, T. (eds) Organisation und Bewertung. Organisationssoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31549-8_12
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