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Zusammenfassung

Die Heim- und Fürsorgeerziehung der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Ende des 3. Reiches nicht grundsätzlich überprüft und neu entwickelt worden, sondern vielmehr aus dem Erbe des nationalsozialistischen Erziehungssystems mit seinem totalitären Erziehungsanspruch entstanden, an dessen Spitze die Anpassung der Kinder und Jugendlichen an die „gesunde Volksgemeinschaft“ stand. Der Neustart 1945 führte zu keinem entscheidenden Wechsel der Verantwortlichen und sonstigen Akteure aus Verwaltung und Praxis, der in der Jugendhilfe involvierten Institutionen (u. a. Jugend- und Landesjugendämter, entsprechenden Ministerien, Polizei, Justiz, Einrichtungsträger, Verbände der Wohlfahrtspflege, Gesundheitswesen, (Kinder- und Jugend-) Psychiatrie, Sozial- und Erziehungswissenschaften) aus der nationalsozialistischen Vergangenheit (Kappeler 2009b). Dies betrifft auch die Verantwortlichen für die Errichtung und Durchführung der Jugendkonzentrationslager während der NS-Zeit aus Politik, Verwaltung und Praxis, von denen viele im Nachkriegsdeutschland Karriere gemacht haben (Kappeler 2017b). Daher kam es zu keinen erkennbaren Veränderungen in den Erziehungspraktiken der Heimerziehung und in den zugrundeliegenden (pädagogischen) Handlungskompetenzen und Sichtweisen. So blieb ein in seinen Grundfesten autoritäres und menschenverachtendes Heimerziehungssystem mit seiner schwarzen Pädagogik und seinen selektierenden Klassifikationen bestehen. Hierzu passend herrschte bis in die 1980er Jahre in der Jugendhilfe eine klassifizierende und diskriminierende Sprache vor, die schon vor dem 1. Weltkrieg gemeinsam von Psychiatrie und Jugendfürsorge zur führenden Fachsprache gemacht worden war (Kappeler 2009b); auch die psychiatrische Wissenschaft wies in der Nachkriegszeit noch sozialrassistische Züge auf (RTH 2010a, Kuhlmann 2010). Ebenso waren weiterhin Strategien und Instrumente der Kontrolle, Disziplinierung und Aussonderung gegen die körperliche, geistige und sittliche Verwahrlosung der Gesellschaft und eine gewaltaffine auf Unterordnung, (absoluten) Gehorsam, Anspruchslosigkeit, Fleiß, Ordnung und Zwang ausgerichtete Straf-, Demütigungs- und „Arbeitspädagogik“ mit strikt vorgegebenen Tagesroutinen, hohen Arbeitsanforderungen und geringen Bildungschancen in der Heimerziehung maßgebend. Es galt noch lange Zeit ein kollektivistisches Erziehungsverständnis, dessen wichtigstes Ziel es war, Kinder und Jugendliche zu tüchtigen und funktionierenden Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen. Dabei wurde in der Regel keine Rücksicht auf die freie Persönlichkeitsentfaltung und die Bedürfnisse der in den Heimen untergebrachten Kinder und Jugendlichen genommen. In den Erziehungsheimen in kirchlicher Trägerschaft, die den Großteil der Einrichtungen stellten, kam es darüber hinaus zu der entsprechenden konfessionellen Zwangsmissionierung vor dem Hintergrund einer konfessionellen Rettungspädagogik mit ihrer problematischen Verbindung aus geforderter hingebender Liebe und autoritär strafender Zucht (RTH 2010a; Kuhlmann 2010).

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Notes

  1. 1.

    In den westlichen Bundesländern trat das KJHG am 01.01.1991 in Kraft, in den neuen Bundesländern erlangte es bereits mit dem Beitrittstermin am 03.10.1990 seine Gültigkeit. https://de.wikipedia.org/wiki/Achtes_Buch_Sozialgesetzbuch (Abruf 04.08.2018).

  2. 2.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Heimkampagne (Abruf 03.08.2018).

  3. 3.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Achtes_Buch_Sozialgesetzbuch (Abruf 04.08.2018).

  4. 4.

    „Die unbarmherzigen Schwestern“ ist der deutsche Titel des britisch-irischen Filmdramas „The Magdalene Sisters“ von Peter Mullan (2002). Der Film thematisiert die Geschichte von drei jungen Frauen, die in den 60er Jahren in einem Magdalenenheim untergebracht waren und die dort herrschenden Zustände mit systematischer Demütigung, harten Züchtigungen und sexuellen Übergriffen. Für den Film wurde Peter Mullan 2002 mit dem Goldenen Löwen der Internationalen Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_unbarmherzigen_Schwestern.

  5. 5.

    Siehe hierzu auch http://heimkindervereinvon2003-2010.blogspot.com/2010/01/der-grundstein-zum-vehev-verein.html (letzter Abruf 08.08.2018).

  6. 6.

    Zu dem Buch gibt es auch eine Website, die von Peter Wensierski in Zusammenarbeit mit der DVA (Verlag des Buches) verantwortet wird und die über Themen, die im Zusammenhang mit dem Buch stehen, viele weitere Informationen bereithält: http://www.wensierski.info/index.html (letzter Abruf 05.08.2018).

  7. 7.

    http://heimkindervereinvon2003-2010.blogspot.com/2010/01/der-grundstein-zum-vehev-verein.html (letzter Aufruf 08.08.2018).

  8. 8.

    Siehe auch: http://www.veh-ev.eu/wiki/Verein_ehemaliger_Heimkinder_e.V. (letzter Aufruf 08.08.2018).

  9. 9.

    http://www.veh-ev.eu/wiki/Verein_ehemaliger_Heimkinder_e.V. (zuletzt abgerufen 08.08.2018); siehe auch Kappeler (2009a).

  10. 10.

    „Dieses Konzept war ergebnisoffen angelegt, alle von den ehemaligen Heimkindern erhobenen Forderungen sollten auf den Tisch kommen, sie selbst sollten an der »Aufarbeitung« mit starker Stimme beteiligt werden, eine Geschäftsstelle zur Organisation des Runden Tisches sollte in Berlin eingerichtet werden, verbunden mit einer Hotline für Ehemalige aus der Heim- und Fürsorgeerziehung und mit dem Angebot von professioneller Unterstützung in Rechts- und Therapiefragen“ (Kappeler 2008a, S. 666).

  11. 11.

    „Empfehlung des Petitionsausschusses in seiner Sitzung am 26. November 2008 zur Petition die Situation von Kindern und Jugendlichen in den Jahren 1949 bis 1975 in der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen öffentlichen Erziehungsheimen betreffend“ Beschluss vgl. lfd. Nr. 1 der Sammelübersicht 16/495 BT – Drs. 16/11102. Online unter: https://www.fonds-heimerziehung.de/fileadmin/de.fonds-heimerziehung/content.de/dokumente/Empfehlung_Petitionsausschuss.pdf (letzter Abruf 12.08.2018).

  12. 12.

    Ebenda.

  13. 13.

    In der Sitzung vom 26.11.2018 bittet der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert die Bundestagsvizepräsidentin a. D. Dr. Antje Vollmer den Vorsitz zu übernehmen. Frau Dr. Vollmer stimmt der Bitte zu.

  14. 14.

    Zur personellen Zusammensetzung des Runden Tisches siehe https://www.fonds-heimerziehung.de/fonds/runder-tisch-heimerziehung/mitglieder-des-rth.html.

  15. 15.

    „Was hilft ehemaligen Heimkindern bei der Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?“ (Gahleitner 2010); „Erziehungsvorstellungen in der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre“ (Kuhlmann 2010) und „Expertise zu Rechtsfragen der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre“ (Wapler 2010).

  16. 16.

    Siehe: http://www.veh-ev-ev.eu/wiki/Verein_ehemaliger_heimkinder_e.V. (letzter Abruf 15.08.2018).

  17. 17.

    Ausführliche Informationen unter: https://www.fonds-heimerziehung.de (letzter Abruf 10.08.2108).

  18. 18.

    Siehe: https://www.bafza.de/aufgaben/fonds-heimerziehung.html (letzter Abruf 14.08.2018).

  19. 19.

    Dies betraf ebenso den Fonds Ost, der anfänglich mit 40 Millionen Euro ausgestattet war. Dieser wurde auf bis zu 364 Millionen Euro aufgestockt. Somit wurden bis zu 666 Millionen Euro für beide Fonds zur Verfügung gestellt anstatt der anfänglichen 160 Millionen Euro für beide Fonds (Rösler 2017).

  20. 20.

    In nachweisbaren Härtefällen (z. B. Krankheit) war auch eine Fristverlängerung möglich.

  21. 21.

    Alle Anträge die bis zur Antragsfrist am 31.12.2014 eingereicht wurden, sollten jetzt bis zum Ende der Fondslaufzeit bearbeitet werden.

  22. 22.

    Siehe hierzu: https://www.fonds-heimerziehung.de/fonds/fonds-heimerziehung-west/errichter-des-fonds-heimerziehung-west/lenkungsauschuss/beschluesse-des-lenkungsausschusses.html (letzter Abruf 15.08.2018).

  23. 23.

    Nach der OEG-Klausel hätten sich Leistungen des Fonds und Leistungen nach den Opferentschädigungsgesetz (OEG) ausgeschlossen.

  24. 24.

    Zentrum Bayern Familie und Soziales.

  25. 25.

    Das bayerische Landesjugendamt war schon längere Zeit mit ehemaligen Heimkindern in Kontakt und wurde schon seit Anfang 2010 von der Staatsregierung zum zentralen Ansprechpartner für ehemalige Heimkinder benannt (Rösler 2012).

  26. 26.

    In nachweisbaren Härtefällen (z. B. Krankheit) war auch eine Fristverlängerung möglich.

  27. 27.

    Weitere Informationen unter: https://www.blja.bayern.de/hilfen/ehemalige-heimkinder/ (letzter Abruf 10.08.2018).

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Caspari, P., Dill, H., Hackenschmied, G., Straus, F. (2021). Der Fonds Heimerziehung. In: Ausgeliefert und verdrängt – Heimkindheiten zwischen 1949 und 1975 und die Auswirkungen auf die Lebensführung Betroffener. Sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend: Forschung als Beitrag zur Aufarbeitung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31476-7_3

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-31476-7_3

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-31475-0

  • Online ISBN: 978-3-658-31476-7

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

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