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Part of the book series: Sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung ((SPGES))

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Zusammenfassung

Dieses Kapitel ordnet das Konzept des sozialen Habitus bezüglich seiner theoretischen und empirischen Dimensionen ein und erklärt es. Da es eng mit den Begriffen Raum und Feld sowie Kapital verbunden ist, werden auch diese kurz beschrieben.

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Notes

  1. 1.

    Bourdieu steht für ein „dynamisches Verständnis“ (van Essen 2013: 17) seiner theoretischen Konzepte und sieht sie als „Denkwerkzeuge“ (Engler 2003: 231), besonders für die empirische Anwendung, um sich dort, in reflexiver Forschungsabsicht, unter normativer Enthaltsamkeit zu entfalten (vgl. Bourdieu 2006: 261; Engler 2003: 231 f., in der verkürzten Fassung auch Engler 2013). Zur historischen Rekonstruktion des Habituskonzepts im Kontext des Gesamtwerks Bourdieus vgl. Lenger et al. (2013: 15 ff.). Sie betonen die Modifikationen und Weiterentwicklungen zum Habitus im Zuge Bourdieus’ wissenschaftlicher Karriere.

  2. 2.

    Zum (kritischen) Überblick über Rezeptionsmuster von Bourdieu vgl. Kramer (2011: 13 ff., zit. n. van Essen 2013: 38) sowie Engler/Zimmermann (2002).

  3. 3.

    Bourdieu verwendet für die Räume jenseits des Raumes der Positionen unterschiedliche Begriffe. In der eingangs erwähnten Studie (Bourdieu 1987) verwendet er den Begriff des Raums der Lebensstile, der die Ebene der sozialen Praxisformen ausdrückt, die über den Habitus generiert werden. Mit dem später verwendeten Begriff des Raums der Perspektiven (vgl. z. B. Bourdieu 2009) fasst Bourdieu subjektive Sichtweisen, Orientierungen und Haltungen, die durch den Habitus hervorgebracht sind und auf diesen ebenso wieder zurückschließen lassen (vgl. dazu auch van Essen 2013: 40 ff.).

  4. 4.

    In diesem Zusammenhang wird die Aktualität des Habituskonzepts auch kritisch gesehen, z. B. bei Bittlingmayer (2002: 240) in Bezug auf die moderne Wissensgesellschaft.

  5. 5.

    Vester et al. (2001) sowie Vester (2002) haben Bourdieus Theorien entsprechend deutscher gesellschaftlicher Verhältnisse ausdifferenziert und in Milieulandkarten zusammengefasst. Deren Konzeption der sozialen Milieus soll hier nicht entfaltet werden.

  6. 6.

    Zur Diskordanz vgl. auch Bourdieu (1987: 188).

  7. 7.

    Bourdieu (2011/1998) selbst hat sich zur sozialen Konstruktion der Biographie eher kritisch positioniert. Peter Alheit greift aus biographietheoretischer Sicht die Position Bourdieus kontrovers auf, in systematischer Auseinandersetzung um die je individuell konstruierten biographischen Erfahrungsaufschichtungen mit zwar begrenzten, aber doch so großen Handlungsspielräumen, dass sie individuell nicht vollends genutzt werden können. Vgl. auch FN 15.

  8. 8.

    Ihre herausgearbeiteten zwei Formen des medizinischen Habitus kennzeichnet Reimann (2013: 258 ff.) mit 1) rationaler Orientierung (i. S. der Medizinalität bei Wettreck (1998)) und 2) Beziehungs-Orientierung (i. S. der Ärztlichkeit bei Wettreck (1998)). Da sie habituelle Gemeinsamkeiten aufweisen, fasst sie sie als zwei Formen einer Basistypik (vgl. Reimann 2013: 271 f.). Die rationale Orientierung in seiner konservativen Ausformung ist gekennzeichnet durch eine funktionale Übernahme medizinischer Wissensbestände, um sich schnell und medizinisch richtig verhalten zu können, sowie eine hohe Anpassungsfähigkeit an umgebende hierarchische Strukturen. Ein über Härte und Ehrgeiz wahrgenommener medizinischer Habitus stellt die Sicherung der Position innerhalb der ärztlichen Hierarchie vor ein die Hilfesuchenden unterstützendes Verhalten. Beziehungsfehler werden in Kauf genommen, medizinische Fehler jedoch nicht. In der „modernenForm dieser Orientierung wird, insbesondere in weniger komplexen Situationen, das Soziale, die Reflexion des Arztes als Mensch, bedeutsamer, was mit der Infragestellung der vorab als nützlich erachteten Hierarchien einhergeht.

    Der beziehungsorientierte Typ ist mit seiner Arbeit für die Patienten da. Alltägliche Kommunikationssituationen werden als „Kernmerkmale der idealen ärztlichen Tätigkeit“ (Reimann 2013: 261) entfaltet. Das Gespräch hat Priorität vor dem Einsatz von Arzneimitteln oder dem chirurgischen Eingriff. Die Fähigkeit zur Empathie (Rogers) ist zentrales Professionalitätsmerkmal dieses Typs. Er agiert aus einer Haltung heraus, „die den Anderen als Mensch wahrnimmt und […] sich selber auch als Mensch zu erkennen gibt“ (Reimann 2013: 261). Dabei können medizinische Fehler akzeptiert werden, Beziehungsfehler jedoch nicht. Die Patientenzufriedenheit ist Kriterium der Anerkennung der eigenen Arbeit.

  9. 9.

    Zum methodischen Vorgehen vgl. Müller/Becker-Lenz (2008: 30 f.).

  10. 10.

    Dies bestätigt die bis zu dem Zeitpunkt vorliegende Studienlage für die Soziale Arbeit (vgl. Müller/Becker-Lenz 2008: 27 ff.).

  11. 11.

    Im Gegensatz zum Erwerb standardisierbaren Wissens über Lehr-/Lern-Prozesse.

  12. 12.

    Rationaler Orientierung und Beziehungs-Orientierung. Beide Typen weisen habituelle Gemeinsamkeiten auf (vgl. FN 8).

  13. 13.

    Alheit (1995b: 65 ff.) entfaltet seinen theoretischen Erklärungsansatz für die spezifische Problemlage, die hinter dem „biographischen Patchworking“ (Alheit 1995b: 65) steht, entlang der These der Erosion biographischer Handlungsumwelten. Dabei bedient er sich der Anregungen von Jeffrey Alexander (1993: 196 ff.) und stellt kontingentes biographisches Handeln als Prozess der Interaktion mit den Handlungsumwelten Kultur, Gesellschaft und Persönlichkeit dar, die wiederum Erzeugnis biographischen Handelns sind. Die Bildungsreform der BRD führte seit den 1970er Jahren zunächst zu einer Öffnung des sozialen Raums. Dies war verbunden mit bildungsbedingten Aufstiegsprozessen von Arbeiterkindern, der Förderung akademischer Bildung für Frauen und der Entwicklung neuer Berufe. Hier ist die erfolgreiche Kohorte des ersten Falltypus einzuordnen. „Öffnungs-Verlierer“ (Alheit 1995b: 67) oder nach Bourdieu (1987: 241 ff.) die „geprellte Generation“ ist hingegen die nachfolgende Generation, die von einer Schließung des sozialen Raums aufgrund knapper Arbeitsmarktchancen betroffen ist. Ihr Titelerwerb ist gleichzeitig mit dessen Entwertung verbunden, der Aufstiegsprozess fraglich und instabil. Alheit (1995b: 69) folgert: „Patchworking ist eine biographische Strategie, ein fortbestehendes soziales Aufstiegsversprechen mit der Erfahrung faktischer Schließung zu verknüpfen.“

  14. 14.

    Vgl. ausführlich Alheit/Dausien (2009) zum Überblick über die historische Entwicklung, theoretische und methodische Ausdifferenzierung und Chance der Zusammenführung entlang empirischer Analysen mit dem Ziel gegenstandsbezogener Theoriebildung vs. der Bildung abstrakter Großtheorien.

  15. 15.

    Vgl. zugespitzt Bourdieu (2011/1998) in der Kontroverse um Biographie und Laufbahnen/Verläufe („trajectoire“). Vgl. Griese/Schiebel (2018) zur Aufarbeitung der theoretischen, methodologischen und empirischen Auseinandersetzung um die „Biographische Illusion“ (Bourdieu 2011/1998) entlang der These der interaktiven (Sinn-)Konstruktion der Biographie durch den Rahmen einer Interviewsituation (vgl. Griese/Schiebel 2018: 117). Vgl. zur Kritik und Befürwortung der Position Bourdieus zur Illusion des konstruierten Lebenslaufes auch Schweiger (2011).

  16. 16.

    Zur biographietheoretischen Fundierung des Alltags-/Lebensweltansatzes von Alfred Schütz (sowie seiner wissenssoziologischen Fortführung im sozialkonstruktivistischen Ansatz von Berger und Luckmann) nach Auseinandersetzung mit der Kritik an der handlungstheoretischen Konzeption, die sich, unter Einbezug von Habermas (1981), insbesondere um die Überbetonung der Subjekt- bzw. individuellen Seite des Handelns vs. eines im wechselseitigen Austausch mit sozialen Praktiken und Strukturen erfolgenden sozialen Handelns dreht, vgl. Schiebel (2003: 2 ff.).

    Die Verbindung der Biographieorientierung zu den Heuristiken Bourdieus ergibt sich daraus, dass „Habitusformationen, biographisches Wissen und Mentalitäten als Hintergrundstrukturen der Erfahrung fungieren“ (Griese/Schiebel 2018: 119, mit Bezug auf Alheit 1995: 296).

  17. 17.

    Mit Bezug auf Alheit (1997) und Hanses (2008).

  18. 18.

    Alheit schlägt in Modifizierung des Grammatik-Modells von Chomsky unter Verwendung der wechselseitigen Bezüge von Kompetenz und Performanz ein methodisches Modell der narrativen Rekonstruktion von Lebenserfahrungen vor. Er unterscheidet I) die Ebene der Performanz (konkrete Lebensgeschichten); II) die Ebene der performativen Kompetenz (Biographizität als individueller Erfahrungscode) und III) die Ebene der Hintergrundkompetenz (kulturelle Mentalitäten und soziale Habitusformen als Hintergrundmuster).

  19. 19.

    Ähnliche Eigenschaften zeigt das Gewohnheitswissen, das uns bereits „im Horizont des Erfahrungsablaufs mitgegeben“ (Schütz/Luckmann 1979, zit. n. Alheit/Hoerning 1989: 10) ist.

  20. 20.

    Vgl. Leonhard (2018) zu kultur- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen des sozialen/kollektiven Gedächtnisses und ihrer Bezüge zur Biographie. Das soziale Gedächtnis wird entweder als Form des bewussten Erinnerns mit der Möglichkeit der Reflexion von Vergangenem, oder aber der latenten, nicht-deklarativen Formen der Tradierung von Wissensbeständen, wie sie sich in Bourdieus’ sozialem Habituskonzept in inkorporierten Gewohnheiten widerspiegeln, dargestellt (vgl. Leonhard 2018: 512 ff.). Das ‚soziale Gedächtnis‘ in seinem Gewordensein knüpft unmittelbar an biographische Wissensformen und soziale Praktiken an (vgl. Leonhard 2018: 515 ff.). Durch die handelnden Akteure, die an ihm partizipieren, wandelt es sich permanent (vgl. Alheit 1989: 139).

  21. 21.

    In den hier geführten biographischen Interviews lassen sich Hinweise auf Gegenwissensprofile vermuten, ist doch der Heilpraktikerberuf auf der Gegenseite der Deutungshoheit und gesellschaftlichen Legitimation der klassischen Schulmedizin angesiedelt. Nicht zuletzt ist zu vermuten, dass auch verschiedenartige individuelle und kollektive Sichtweisen auf Krankheit und Gesundungsprozesse zum Tragen kommen. Im Gegenzug lassen sich jedoch auch Durchdringungen der Wissensprofile erwarten, angefangen beim erforderlichen abrufbereiten medizinischen Wissen für die amtsärztliche Überprüfung der Heilpraktikeranwärterinnen. Dass der oben beschriebene Erfahrungsüberhang von Gegenwissen das herrschende Wissensprofil der Schulmedizin durchdringt, zeigt sich z. B. daran, dass die vom Mediziner Samuel Hahnemann entwickelte alternative Medizin der Klassischen Homöopathie verstärkt von Medizinerinnen mit anerkannter Zusatzbezeichnung praktiziert und von der GKV vergütet wird, dies trotz fehlender methodisch anerkannter Evidenzbasierung, wie Norbert Schmacke (2015) kritisch hervorhebt. Alheit (1989: 145) spricht von Symptomen der „Umgruppierung von Wissensprofilen im „sozialen Gedächtnis“ unserer Gesellschaft“.

    Wie nun die Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker konkret mit den weitgehend konträr liegenden Wissensprofilen umgehen bzw. ob und wie diese sie in ihrem eigenen Leben berührt haben und sich auf die Berufswahl und -aneignung auswirken, wird im empirischen Teil aufzuzeigen sein.

  22. 22.

    Zur Kritik und Modellierung des Konzepts des (dreiphasigen) institutionalisierten Lebenslaufs vgl. Riley/Riley (1994) und Sackmann (2013: 25 ff.).

  23. 23.

    Sackmann (2013: 53 ff.) spricht im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Anforderungen an die handelnden Akteure im Prozess ihres Lebens und ihrer Ausgestaltung der eigenen Biographie von biographischer Kompetenz, als „praktische, meist nur halbbewusste Steuerung des Prozesses biografischen Handelns“ (Sackmann 2013: 53). Die biographische Kompetenz vermittelt zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen und den individuellen Handlungsweisen und Fertigkeiten, die im Lebensablauf erworben werden. Sie berührt z. B. das Wahrnehmen von Gelegenheiten im Ringen um begehrte Positionen auf dem Arbeitsmarkt.

  24. 24.

    Die beachtlichen Unterschiede in der persönlichen Betroffenheit durch die ‚Wende‘ sollen nicht nivelliert werden. Zoll (1999a: 324) spricht z. B. von den „Krisengewinnlern“ am anderen Ende des Spannungsfeldes. Die vorgestellten Befunde der Transformationsforschung, die sich vorrangig auf biographieanalytische Studien der 1990er und 2000er beziehen, in denen die Erforschung des Transformationsprozesses einen zentralen Fokus bildete, mögen pessimistisch klingen. Da erzählte Lebensgeschichten immer aus einer Jetzt-Perspektive (re-) konstruiert werden, können heute weitere und positivere Dimensionen in den Blick rücken, zumal bei Menschen, die diese biographische Phase erfolgreich innerlich bearbeitet haben und dies auch nach außen hin präsentieren können (vgl. auch Alheit (1995, 2010) zur biographie- und bildungstheoretischen Bedeutung der subjektiven Integrations- und Identitätsleistung im lebensgeschichtlichen Prozess). Allerdings mögen insbesondere die positiven Sichtweisen in den Studien unterrepräsentiert sein, da die modernisierungswilligen, oft jungen Menschen die Region verließen und somit für die Studien fehlten (vgl. Alheit 2019: 43 ff.).

    Im empirischen Teil dieser Studie wird der Bezug auf diese Umbruchsituation noch einmal deutlich. Sie spiegelt sich in den Erzählungen der hier präsentierten Fälle der Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker wider und trägt maßgeblich zur Neuorganisation ihres beruflichen Lebens bei.

  25. 25.

    Peter Alheit (2019) bezieht sich in seinem aktuellen Werk zu einer Theorie der Biographizität (als bildungswissenschaftlicher Rahmenkonzeption, vgl. Alheit 2019: 43 ff.) auf selbst veröffentlichte deutsch-, englisch- und französischsprachige Arbeiten der Jahre 1983 bis 2016. Er zeigt die Entwicklung des Konzepts auf und verdichtet es theoretisch, unter Bezugnahme auf verwandte konzeptionelle Traditionen wie der Phänomenologie, dem Symbolischen Interaktionismus, Sozialkonstruktivismus, der Figurationstheorie sowie praxistheoretischen Überlegungen Bourdieus. Zudem kontrastiert er es mit empirischen Befunden aus verschiedenen Kulturen und Milieus. Somit entsteht ein Verständnis über das Lernen in postmodernen Gesellschaften. (vgl. Alheit 2019: 15) Da mir Peter Alheit sein deutsches Manuskript vor Übersetzung ins Katalanische zur Verfügung gestellt hat, wofür ich ihm sehr danke, finden sich hier verwendete Zitierungen in Deutsch – im Originalwerk in katalanisch.

  26. 26.

    Nicole Witte belegt die biographische Überformung alltäglichen Praxishandelns anhand berufsbiographischer Interviews mit Hausärzten und Hausärztinnen sowie Interaktionsanalysen dieser in ihren Arzt-Patient-Begegnungen in der hausärztlichen Praxis.

  27. 27.

    Im Kontext einer reflexiven Professionalität ist Anspruch, expertokratischem Wissen und effizienzorientierten Praxismaßstäben an professionelles Handeln (vgl. Lorenz/Schwarz 2014: 413; Dewe/Otto 2012: 203 f., 207 f.) ein diskursives Wissen entgegenzusetzen, „das nicht nur wissenschaftlich, sondern immer auch soziokulturell und lebenspraktisch rückzubinden ist an die situativen Bedingungen der sozialen Handlungsvollzüge und Handlungsprobleme“ (Dewe/Otto 2012: 197) der Klientinnen. Im Zentrum professionellen Handelns steht nicht Expertise oder Autorität, „sondern die Fähigkeit der Relationierung und Deutung von lebensweltlichen Schwierigkeiten in Einzelfällen mit dem Ziel der Perspektiveneröffnung bzw. einer Entscheidungsbegründung unter Ungewissheitsbedingungen“ (Dewe/Otto 2012: 197 f.).

  28. 28.

    In seiner revidierten Professionalisierungstheorie nach Parsons (1968).

  29. 29.

    Nittel (2000: 71) konstatiert: „Wissen und Können bilden die beiden Quellen von Professionalität, allerdings beschränkt sie sich weder auf das Fachwissen einer akademischen Disziplin noch auf die bloße Intuition oder die reine Erfahrung des virtuosen Praktikers [Hervorh. i. O.]. Professionalität stellt vielmehr eine nur schwer bestimmbare Kombination, eine Schnittmenge aus beidem dar.“

    Zum Fachwissen der eigenen Disziplin, dem Erfahrungswissen und der Intuition münden weitere „Varianten des Wissens“ (Nittel 2000: 72) in das Professionswissen ein, wie z. B. das höhersymbolische Wissen, das Werte und Normen spiegelt (vgl. Nittel 2000: 72).

  30. 30.

    Die interaktionstheoretische Perspektive in der Tradition der Chicago School betrachtet die konkreten Arbeitsbedingungen und -vollzüge sowie die paradoxen Anforderungen professioneller Berufsarbeit in ihren organisationalen Kontexten (vgl. Pfadenhauer/Sander 2010: 367), aber auch in sensibler Beziehung zum sozialen Wandel (vgl. Nittel 2000: 35).

  31. 31.

    Bernd Dewe rückt in seinen wissenssoziologischen Überlegungen zur reflexiven Professionalität systematisch die Strukturlogiken professionellen Handelns zwischen allgemeiner Wissensapplikation und individuellem Fallverstehen unter Berücksichtigung organisationaler Kontexte von Institution und Handlungspraxis in den Fokus und konstatiert eine Differenz der Wissensformen der Praxis (praktisches Handlungswissen) und Theorie (Wissenschaftswissen) (vgl. Dewe 2009: 48 f.). Reflexive Professionalität findet ihre Entsprechung in einer „professionellen Relationierung differenter Wissensformen, die sich als reflektierte Deutung und routinisierte Reflexivität bezeichnen lässt“ (Lorenz/Schwarz 2014: 413). Nicht die wissenschaftsbasierte Kompetenz an sich ist konstitutiv für professionalisiertes Handeln, sondern „die jeweils situativ aufzubringende reflexive Fähigkeit, einen lebenspraktischen Problemfall kommunikativ auszulegen, indem soziale Verursachungen rekonstruiert werden, um den AdressatInnen aufgeklärte Begründungen für selbst zu verantwortende lebenspraktische Entscheidungen anzubieten und subjektive Handlungsmöglichkeiten zu steigern“ (Dewe/Otto 2012: 205). Reflexive Kompetenz beinhaltet also ein deutendes Verstehen, ein reflektiertes Ringen um eine tragbare Bewältigungsstrategie in der Logik der Klientinnen in der jeweiligen Situation und eingepasst in deren soziale Kontexte (vgl. Dewe/Otto 2012: 204 ff.). Professionelles Wissen ist demnach ein „eigenständiger Bereich zwischen praktischem Handlungswissen, mit dem es den permanenten Entscheidungsdruck teilt, und dem systematischen Wissenschaftswissen, mit dem es einem gesteigerten Begründungszwang unterliegt. Im professionellen Handeln begegnen sich wissenschaftliches und praktisches Handlungswissen und machen die Professionalität zu einem Bezugspunkt, an dem die Kontrastierung und Relationierung beider Wissenstypen stattfindet“ (Dewe/Otto 2012: 209).

    Die Reflexivität als selbstverständliches Grundcharakteristikum einer Professionalität beschreibt die Prozesse der Selbstreferenz eines referierenden Selbst im Handlungsvollzug über eine Rekursivität hinaus (entgegen der distanzierten Form der Bezugnahme auf ein Tun i. S. einer Rückwirkung), um die unauflösbaren Paradoxien von professionellem Handeln und Konstitutionsbedingungen zu bearbeiten. Sie manifestiert sich auf den Ebenen der Verfügbarkeit im Handeln sowie der Reflexion über das Handeln (vgl. Lorenz/Schwarz 2014: 419; Schön 1983, 1987).

  32. 32.

    Dieser mündete für die (heilkundliche, nicht-ärztliche) Psychotherapie zunächst erfolgreich in einem eigenen Berufsgesetz mit Inkrafttreten zum 01.01.1999 (Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz – PsychThG)). Allerdings fasst dieses Gesetz explizit nur die beiden genannten Berufe, was zum einen die Behandlungsverfahren einschränkt und einen Kampf um die Erweiterung angewandter Therapieverfahren nach sich zog, zum anderen zu jahrelangen Forderungen nach einer Ausbildungsreform führte, die aktuell in einem Gesetzentwurf zur Reform der Psychotherapeutenausbildung mündeten (vgl. BPtK 2019; BMG 2019). In diesem Sinne ist der Professionalisierungsprozess bis heute unabgeschlossen bzw. belegt die Notwendigkeit ständiger Weiterentwicklung einer Profession. Der Professionalisierungsprozess der Psychotherapie soll hier nicht entfaltet werden, auch wenn sich die nicht-ärztliche Psychotherapie in formaler Emanzipierung von der ärztlichen Deutungshoheit über einen langen Zeitraum der ‚Hilfskonstruktion‘ des Heilpraktikerabschlusses bedienen musste.

  33. 33.

    Vgl. dazu Schön (1983, 1987), der dies mit Rückgriff auf Polanyi (1967) an verfügbares implizites Wissen (knowing-in-action) und die Fähigkeit selbstreflexiver und -reflektierender Prozesse des reflection-in-action und reflection on reflection-in-action bindet.

  34. 34.

    In seiner Untersuchung nähert sich Nittel dem Gegenstandsbereich der Professionalität aus differenztheoretischer Perspektive. Damit möchte er aufzeigen, dass Professionalität auch erzeugt und aufrechterhalten werden kann, ohne einer Profession anzugehören (vgl. Nittel 2002: 284). Gleichzeitig stellt Nittel den differenztheoretischen Zugang dem kompetenztheoretischen gegenüber und grenzt sich von Letzterem ab. Während das kompetenztheoretische Verständnis von einem harmonistischen Modell der Professionalität ausgeht und die Frage bearbeitet, welche Fertigkeiten und Fähigkeiten der berufliche Rollenträger benötigt, um seiner Aufgabenstruktur (zukünftig) gerecht zu werden, unter der Annahme, die Elemente der Kompetenzprofile auch miteinander vereinen zu können (vgl. Nittel 2002: 255 f.), betont das differenztheoretische Verständnis substanzielle Unterschiede wie die Differenz zwischen Wissen und Können, aber auch Unterschiede zwischen einer wissenschaftlichen und technischen Rationalität (vgl. Nittel 2000: 73). Damit schließt der differenztheoretische Zugang an Positionen sozial- und erziehungswissenschaftlicher Professionstheorie an.

  35. 35.

    Viktor von Weizsäckers gesammelte Schriften sind in zehn Bänden von Achilles et al. (1986–2005) verfügbar. Nach von Weizsäcker ausgewertete Fallbeispiele finden sich z. B. in Raabe (2000) und Hanses (1996).

  36. 36.

    Auch bei Schütze (1995) findet sich ein Bezug auf das ungelebte Leben, das unter dem Konzept der Verlaufskurven des Erleidens (vgl. dazu auch Strauss 1975: 47 ff.) gefasst ist (vgl. Griese/Griesehop 2007: 109).

  37. 37.

    Auch im biopsychosozialen Krankheitsmodell, das psychische und soziale Dimensionen berücksichtigt und das biomedizinische Krankheitsmodell erweitert (vgl. Faltermaier 2017: 56 ff.), erfolgt keine systematische Einbindung biographischer Dimensionen. Zudem orientieren sich beide Modelle am Krankheitsbegriff und nehmen damit Bezug auf Defizite vs. Ressourcen. Ein biographisch orientiertes Gesundheitskonzept (gleichwohl es als solches noch nicht ausführlich expliziert bzw. ausformuliert wurde) versucht, systematisch die Ressourcen der Subjekte zu befördern, einzubinden und für selbstbestimmte aktive Gesundungsprozesse nutzbar zu machen.

  38. 38.

    Zum medizinischen Sinn der Erzählanalyse vgl. Schütze (2016b: 135 f.).

  39. 39.

    Zum Begriff der Diagnose sowie Stand der Diagnostik im Kontext rekonstruktiver (biographischer) Fallanalysen vgl. Griese/Griesehop (2007: 81 ff.).

  40. 40.

    Dabei sind die Konzepte konsequent auf die medizinische Versorgung oder gesundheitsbezogene Dienstleistung zu beziehen und methodisch aufzubereiten. Dies ist zum einen aufgrund des je spezifischen Gegenstandsbereiches (Heilung/Gesundheit) mit den eigenen disziplinären Bezügen, zum anderen aus Gründen der Zeitökonomie bzw. „Praktikabilität des Arbeitsalltags bei gleichzeitiger Eröffnung eines methodisch kontrollierten verstehenden Zugangs“ (Hanses 2000: 365 zu den Patienten vonnöten (vgl. Hanses 2000: 365; Schütze 2016b).

  41. 41.

    Die beiden letztgenannten Kompetenzen finden sich als biographische Zugangs- und Rekonstruktionskompetenz auch im Modell biographischer Kompetenz bei Herzberg (2013).

  42. 42.

    Zudem beziehen sich die dargestellten empirischen Ergebnisse und theoretischen Grundlagen auf hochschulisch angesiedelte Ausbildungsgänge, die mit dem Erwerb wissenschaftlicher Wissensbestände und eigener Disziplinbildung einhergehen. Dies ist für den Heilpraktikerberuf in naher Zukunft nicht zu erwarten, kann jedoch eine ernstzunehmende Perspektive darstellen, entlang der Professionalisierungsprozesse der anderen nicht-ärztlichen Heilberufe.

  43. 43.

    Allerdings ist davon auszugehen, dass die berufstätigen Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker, so reflektiert und kunstfertig sie auch agieren mögen, das Strukturproblem fehlender Professionalisierung nicht individuell kompensieren können.

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Bernateck, K. (2020). Theoretische Bezüge. In: Der biographische Habitus von Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern. Sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31356-2_3

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