Zusammenfassung
Der Beitrag widmet sich der Autoethnografie, in der Körper und Leib als zentrale Erkenntnisinstrumente fungieren. Er nimmt eine leibphänomenologische Fundierung autoethnografischer Forschungszugänge vor, die anhand empirischer Erfahrungen und Analysen der Forscherin und Autorin in deren Wert für Prozesse der (Selbst-)Reflexion, des Verstehens und der Wissensgenerierung illustriert wird. Darstellung finden Chancen und Herausforderungen leibsensibler autoethnografischer Forschungsschritte, die hinsichtlich einer Professionalisierung sozialpädagogischer Praxis ausgelotet werden.
Prinz (2014, S. 174).
Ich bedanke mich herzlich bei meinen Kolleg*innen und Denkbegleiter*innen Catrin Heite, Rebecca Mörgen, Veronika Magyar-Haas, Margot Vogel, Simone Brauchli, Franziska Schlattmeier und Patrick Sprecher für die Anregungen und Denkanstösse zu diesem Artikel.
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Notes
- 1.
Gemäss einschlägigen Wörterbüchern wird mit dem englischen Begriff «Posting» das Verfügbarmachen von Inhalten in Online-Kontexten (Sozialen Netzwerken, Foren, Blogs etc.) bezeichnet.
- 2.
Zwar besass ich schon länger ein Facebook-Profil, doch bevorzugte ich es, mich verfremdet darzustellen.
- 3.
- 4.
Bei der sensorischen Ethnografie handelt es sich um einen Zweig der Ethnografie, der seine Forschungspraxis sinnlich anreichert. Deren Vertreter*innen plädieren für eine Reflexion der sinnlichen Erfahrungen der Forscher*innen im Feld und mithin für den Erkenntniswert der Körper und Sinne der Ethnograf*innen (vgl. Arantes 2014).
- 5.
Ich spreche von mir distanziert als der Autoethnografin, der Ethnografin oder der Forscherin im Sinne einer Befremdung der Daten für die Analyse. Weitere Befremdungsschritte wurden z. B. durch den Hinzuzug weiterer Forscher*innen für die Analyse und ein längeres Ruhenlassen des Tagebuches erreicht.
- 6.
Es wäre ein Irrglaube anzunehmen, die Eigensinnigkeit des Leibes vollständig durchdringen und mithin kontrollieren zu können. Eine analytische Annäherung im Sinne einer (Selbst-)Reflexion ermöglicht es aber, Einstellungen und Strukturen mindestens transparenter und etwas kontrollierbarer zu machen.
- 7.
Des Weiteren wurden aber auch zur Intersubjektivierung der Befunde Auswertungen in Interpretationsgruppen vorgenommen.
- 8.
Alle Namen und Orte sind anonymisiert.
- 9.
Übersetzung: „man macht solche Posen oder solche Fotos nur wenn man weiss es sieht einen rundherum niemand (.) weil dann würde ich auch nicht so da stehen“ (Interview mit Iris, Zeilen 1072 f.).
- 10.
Übersetzung: „Ja es kommt ein wenig selbstverliebt rüber @wenn man die ganze Zeit nur Fotos@ von sich selbst raufstellt“ (Interview mit Iris, Zeilen 900 f.).
- 11.
Übersetzung: „nachher nochmal und nochmal und nochmal (.) und dann wechseln wir noch und nachher ist man am Schluss trotzdem wieder mega lange dran für ein Foto“ (Interview mit Iris, Zeilen 1105 f.).
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Schär, C. (2021). Der „sinnlich-sinnstiftende Leib“. Autoethnografische Erfahrungen mit fotografischen Selbstdarstellungen. In: Schär, C., Ganterer, J., Grosse, M. (eds) Erfahren – Widerfahren – Verfahren. Zürcher Begegnungen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30780-6_13
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