Zusammenfassung
Im Zug der Kommodifizierung des (inner-)städtischen Raums wird vermehrt auf Gefahrenabwehrverordnungen sowie kommunale Sicherheitsdienste zurückgegriffen, mithilfe derer auf Kontrollpraktiken legalisiert und niedrigschwellig durchgeführt werden. Die Verordnungen erweisen sich als rechtlich äußerst unbestimmt, während die Betroffenen, welche als „Stammsteher*innen“ oder etwa anhand antiziganistischer Diskurse gelabelt werden, sich einer intensivierten Verdrängung ausgesetzt sehen. Im vorliegenden Beitrag wird dies anhand der Bettel- und Alkoholverbote und deren Durchsetzung durch den Kommunalen Außendienst in München näher ausgeführt und zuletzt im Sinn einer Ideologiekritik als Sicherheitsfetischismus dargestellt.
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Notes
- 1.
So der Titel einer Veranstaltungsreihe des Lehrstuhls für Politische Soziologie sozialer Ungleichheit der LMU München in den Jahren 2018/2019.
- 2.
Der Begriff der Beschwerdemacht muss hier weiter gefasst werden, nämlich nicht nur als diejenige Macht sich wirksam über die Polizei, sondern auch über etwaige andere Personen(gruppen) zu beschweren Feest und Blankenburg 1972.
- 3.
„In welchen Grenzen dürfen junge Leute sich etwa auf dem beliebten Augustinerplatz niederlassen, um gemeinsam Alkohol zu trinken? Inwieweit werden feucht-fröhliche Abiturfeiern oder Junggesellenabschiedsfeiern auf öffentlichen Plätzen toleriert, wenn das Feiern im wesentlichen (sic) aus Alkoholtrinken besteht?“, Rn. 35.
- 4.
Es gibt eine Reihe gewichtiger und richtiger Einwände gegen eine systemtheoretische Rechtssoziologie; vgl. etwa Nocke 1986; Frankenberg 2003: 250 ff.. Dennoch: Die Sprache der Systemtheorie erlaubt es nicht nur die intersubjektive Geltung (oder in diesem Falle auch: Nichtgeltung) des Rechts auf den Begriff zu bringen. In ihr drückt sich auch die Erfahrung der materialistischen Dialektik aus, dass „die bürgerliche Gesellschaft anstatt auf der konkreten Arbeit oder dem Bedürfnis auf der Abstraktion von der Arbeit und vom Bedürfnis beruht, auf Verhältnissen also, die sich hinter dem Rücken der handelnden Personen herausbilden“ (Breuer 1993: 73).
- 5.
Codes sind aufgrund ihrer Binarität nicht in der Lage, einen Sachverhalt in ihrer Umwelt eindeutig der je einen oder anderen Seite zuzuordnen. Erst durch Programme, ihrerseits durch den Code konstituiert, ermöglichen die Beobachtung der systemexternen Umwelt (Luhmann 2013: 189 ff.); etwa, indem in der Neuzeit „gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten“ über den Begriff des Naturrechts in das juristische Programm überführt worden sind (ebd.: 191).
- 6.
Anne-Marlen Engler kritisiert an den Beiträgen von Kretschmann/Legnaro und Frankenberg, dass diese eine erst zu beweisende Verfallsdiagnose aussprechen würden, sowie dass die normativen Implikationen gegenüber dem Rechtsstaat, also des Regelfalls im Gegensatz zur Ausnahme ihrerseits einer kritischen Betrachtung bedürften (Engler 2019). Mir scheint insbesondere der erste Einwand einen wichtigen Punkt zu treffen. In der vorliegenden Arbeit wird daher auch nicht der Verfall der Rechtsstaatlichkeit diagnostiziert, sondern vielmehr, dass die Logik der Ausnahme kapitalistischen Verhältnissen inhärent ist und demgegenüber eher eine gesteigerte Reflexion des Rechts auf eben diesen Umstand konstatiert werden kann: Insbesondere die Politik versucht die ‚gewohnheitsmäßige‘ Abwertung der Subalternen in positives Recht zu überführen.
- 7.
Der Symbolbegriff ist hierbei ernstzunehmen: Es geht nicht allein um eine diskursive Raumproduktion, sondern insofern um eine symbolische, als die von den Behörden verwendete Sprache auf der syntagmatischen Ebene kaum begreiflich wäre: Was das Bürgertum als ‚normal‘ empfindet(!) ist ohne den Rekurs auf die leibliche, physisch-sinnliche Empfindung, bspw. den Ekel vor dem Geruch von Urin nicht begreifbar. Ich bin der Auffassung, dass das sträflich vernachlässigte linguistische Werk Henri Lefèbvres hier Aufschluss gibt und ein wichtiges Korrektiv gegenüber poststrukturalistisch inspirierten Ansätzen bildet: Es handelt sich bei Symbolen nach Lefèbvre um Sinneswahrnehmungen und Eindrücke, welche sich zwar zeichenhaft verdichten, dabei aber noch nicht in die sprachlichen syntagmatischen und paradigmatischen Oppositionen eingereiht haben. Erst bei der Durchquerung durch die Sprache hin zum Sinn werden diese begreifbar und intersubjektiv vermittelbar (Lefèbvre 1973: 145 f.).
- 8.
Der Begriff taucht in den Diskursen um den HBF München m. W. nicht auf. Dennoch soll hier die Auffassung vertreten werden, dass es sich bei der Vertreibungspolitik der sog. Stammsteher um eine Fortsetzung der Politik handelt, die sich gegen sog. ‚Asoziale‘ richtete. Der Begriff des ‚Asozialen‘ ist freilich unbestimmt. Deshalb baten im Nationalsozialismus einige Kriminalpolizeistellen im Jahr 1940 um eine Definition des Begriffs, worauf der damalige Herausgeber der Zeitschrift Kriminalistik Max Hagemann antwortete: „Asozial = gemeinschaftsfremd ist, wer gemäß seiner ganzen inneren Einstellung um des lieben Ichs willen dauernd gegen die zum Wohle der Volksgemeinschaft ergangenen Anordnungen verstößt“ (Hagemann; zit. n. Lieske 2016: 33). Die Vergehen, aufgrund derer als ‚asozial‘ verfolgte Personen wegen verhaftet wurden, umfassten überwiegend Wohnungslosigkeit, Bettelei und Zuhälterei (ebd.: 34).
- 9.
Stephanie Schmidt und ich argumentierten, dass diese Abstraktion nichts mit der ‚abstrakten Gefahr‘ im polizeirechtlichen Sinn zu tun habe (Schmidt und Thurn 2019: 160). Der begrifflichen Identität entspricht aber auch eine Konvergenz in den Dingen, wenn etwa aufgrund einer abstrakten Gefahr sehr konkrete Individuen mit Maßnahmen konfrontiert werden; etwa wenn, wie aus Interviews hervorgeht, im Zeitraum der Wies’n Szeneangehörige wegen kleinerer Delikte schneller in Untersuchungshaft genommen werden als sonst.
- 10.
In Hinblick auf den Wertfetischismus bedeutet das die widersprüchliche Gleichzeitigkeit von subjektiven und objektiven Werttheorien, wie dies Hans-Georg Backhaus (2011: 449) herausgearbeitet hat.
- 11.
Akzeptanzorientierte Ansätze in der sozialen Arbeit stellen hierzu bisweilen eine Ausnahme dar.
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OP_1_Transkript: Interviewtranskript kommunale Ordnungspolizist*in.
S_1_Transkript: Interviewtranskript Streetworker*in.
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Thurn, R. (2020). „… wollen nicht verstehen, was der Bürger als normal ansieht“. Das Policing von Armut durch Alkohol- und Bettelverbote am Münchner Hauptbahnhof. In: Hunold, D., Ruch, A. (eds) Polizeiarbeit zwischen Praxishandeln und Rechtsordnung. Edition Forschung und Entwicklung in der Strafrechtspflege. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30727-1_15
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