Zusammenfassung
Aus der Fülle soziologiegeschichtlicher Publikationen der letzten Jahre, in denen auch wiederholt Bezug auf meine Darstellung der Reichssoziologie genommen wird, werden vier Positionen schwerpunktmäßig ausgewählt, da sie nicht nur einzelne Aspekte meiner Argumentation aufgreifen, sondern jeweils eine Gesamtbeurteilung meiner Sicht vornehmen. Einmal geht es um den Ansatz, der die Deutsche Soziologie, also die mit dem großen „D“, als „spiritus rector der völkischen Wissenschaft“ sieht, während ich genau das Gegenteil vertrete und die Existenz einer weltanschaulich geprägten Deutschen Soziologie negiere und die Existenz einer empirisch-anwendungsbezogenen Reichssoziologie behaupte. Eine andere Position stellt die kritische Frage ob die Soziologie an den Universitäten außerhalb von ihnen anwendungsorientierte Sozialforschung hervorgebracht habe. Ich gehe hingegen davon aus, dass die nationalsozialistische Erscheinungsform des Staatsinterventionismus eben die für Deutschland neue Form empirischer Soziologie generiert hat. Eine weitere Position unterstellt mir eine ex post erfolgende Differenzierung zwischen einer vermeintlichen Realsoziologie auf der einen und einer biologisch-rassischen Volkstumsforschung auf der anderen Seite. Demgegenüber sei Wissenschaft im Dritten Reich gerade durch die Verbindung von tatsächlich oder vermeintlich sachbezogenen Forschungen mit biologisierenden Studien zum deutschen Volkskörper gekennzeichnet. Unklar bleibt dabei, unter welchen Bedingungen tatsächlich sachbezogene Forschungen, wie ich sie thematisiere, stattgefunden haben, denn nur die konnten dem NS-Regime von Nutzen sein, so dass die an empirischer Realitätserfassung orientierten Soziologen auch für dessen maßlose Verbrechen eine Mitverantwortung tragen. Eine letzte Position betont zwar zu Recht, dass nationalsozialistische Machthaber die Bereitstellung sozialwissenschaftlichen Expertenwissens zur Fundierung ihrer verbrecherischen Herrschaftspraxis förderten. Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen. Es müsste nur ergänzt werden, dass sozialwissenschaftliches Wissen nur dann diese Funktion erfüllen konnte, wenn es seinen Wissenschaftscharakter nicht zugunsten einer Weltanschauungsfunktion aufgegeben hat.
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Klingemann, C. (2020). Einleitung. In: Soziologie im Deutschland der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30616-8_1
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