Im Feld der Innovationsförderung sind finanzstrategische Entscheidungen ein Teil des Erfolgskonzeptes. Wenn Risikokapital für neue innovative Unternehmensgründungen fehlt und auch bei Finanzierungsrunden die Folgeinvestments ausbleiben, ist auch das innovativste Start-Ups schnell am Ende. Zunehmend werden deutsche und europäische Start-Ups von ausländischen Unternehmen und Finanzfirmen aufgekauft. Das ist eine weitere Front, an der wir wachsam bleiben müssen. Unsere klugen Köpfe müssen im Rahmen der Innovationsförderung problemlos Risikokapital akquirieren können.

5.1 Risikokapital für Innovationen

Risikokapital wird von Investoren bereitgestellt, die bewusst in dieser Anlageklasse unterwegs sind und nach hohen Risiken suchen. Die Balance bei Risiken und Chancen spricht unterschiedlichste Anleger an. Das Spektrum geht von „Sparbuchsparern“, die kein Risiko eingehen möchten, bis zu eben Anlegern, die, um potenziell hohe Renditen zu erzielen, ganz bewusst ein hohes Risiko eingehen wollen. Bei Investments in Start-Ups ist der Totalverlust ein realistisches Szenario. Somit sind Risikokapitalgeber, ob in Form von Einzelpersonen, Investmentfonds oder Unternehmen, immer auch Innovationsförderer. Risikokapital ist immer auch eine Investition in die Zukunft.

Gesellschaftlich betrachtet gibt es keinen Fortschritt, wenn Unternehmen, Investmentgesellschaften oder Einzelpersonen keine Risiken eingehen. Es ist eine fast schon philosophische Frage, wie viel Risikobereitschaft eine Gesellschaft braucht, gerade wenn man als etabliertes Industrieland wie Deutschland bereits hohe Standards und ein hohes Gesamtniveau im internationalen Vergleich erreicht hat. Was sollte jetzt noch die Motivation sein, sich finanziell teilweise hohen Risiken auszusetzen und Risikokapital bereitzustellen?

Zu diesem Themenkomplex hat McKinsey & Company in einer Studie (2018) zum Thema „Warum Deutschland nur einen Tech-Titanen hat“ sehr detailliert Stellung genommen. Dort heißt es, ohne deutsche Tech-Titanen riskiert Deutschland seine globale wirtschaftliche Relevanz. Um zu den USA aufzuschließen, seien laut dieser Studie zusätzlich 20 Mrd. US$ Risikokapital erforderlich. Speziell zu Kapital steht dort: „2017 wurde in Deutschland mit ca. 3 Mrd. USD rund achtmal weniger Wagniskapital pro Kopf investiert als in den USA – genug, um vorhandene junge Unternehmen zu finanzieren, jedoch nicht genug, um neue Tech-Titanen hervorzubringen.“ Auch wenn Technologieunternehmen hierzulande derzeit nicht unterfinanziert seien, verringere der große Abstand zu anderen Ländern wie den USA und China die Chancen auf die Entwicklung von Tech-Titanen. Vergleichsweise kleine Tech-Ökosysteme wie Deutschland sei nicht in der Lage, eine ausreichende Anzahl an Unicorns hervorzubringen (Technologieunternehmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. USD), die das Potenzial zum späteren Tech-Titanen haben.

Somit ist die Notwendigkeit formuliert, neben der Förderung junger Innovations-Start-Ups auch das Ziel zu verfolgen, einige „Tech-Titanen“ zu schaffen, um der langfristigen Dominanz der USA und China entgegenzutreten. Es ist eine langfristige Strategie.

Schaut man in unsere Gesetzgebung im Bereich Kapital und Investments, so lässt sich aus dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ableiten, dass das Kapitalmarktrecht, Börsengesetz, Depotgesetz, Wertpapierhandelsgesetz und Wertpapierprospektgesetz auch gerade für Investmentgesellschaften und Investmententscheidungen sehr viele rechtliche Hürden beinhalten. Auch ist die gesellschaftliche Akzeptanz in Zeiten von Negativzinsen bei Banken, sehr hohe Risiken einzugehen, eher als zurückhaltend einzustufen. Wir brauchen aber mehr Risikokapital in Deutschland und eine gesellschaftlich höhere Akzeptanz für diese Anlageklasse. Bei Fachleuten aus der Finanzbranche ist die Portfoliostrategie mit Diversifizierung und einem moderaten Anteil in Venture Capital/Private Equity akzeptiert. Dazu ein Gastkommentar zu Risikokapital von Achim Denkel, Mitgründer von CAPinside:

„Risikokapital ist die bevorzugte deutsche Übersetzung des englischen Begriffs Venture Capital, was sich aber auch mit Wagniskapital übersetzen lässt. Warum wird es so genannt? Man investiert in eine Unternehmung, die tatsächlich weder durch Umsatz noch durch materielle Werte in diesem Stadium als solches definiert werden kann, und erwartet mit einer relativ niedrigen Wahrscheinlichkeit einen enorm hohen Erlös bei Verkauf des Unternehmens.

Um im Vorfeld auf eine rechnerische Rendite bei zukünftigem Verkauf zu kommen, betrachtet der professionelle Anleger dabei analytisch den zu akquirierenden Markt, die handelnden Personen, die Geschäftsidee, die Skalierbarkeit der Idee und das dazu notwendige Gesamtkapital.

Es geht nicht zwingend um die Suche des nächsten Einhorns, denn auch hier hat die Realität in den letzten Jahren Einzug erhalten, und man erwartet bei Investition zwar eine Vervielfachung, aber nicht mehr eine Verhundertfachung wie einige Jahre zuvor. Wer sich in diesem Umfeld bewegt, hört schnell von der Geschichte des Zuckerberg-Putzmannes, der aus temporärem Geldmangel in der Startphase des Zuckerberg-Imperiums mit ein paar Aktien bezahlt wurde und heute Multimillionär ist. Dessen Investment war es, auf sein Gehalt zu verzichten, was für ihn gegebenenfalls ein substanzielleres Investment war als das aller Strategen. Weshalb? Das eingesetzte Kapital zu verlieren, ist ein denkbares, realistisches Szenario. Und das bei jedem denkbaren Venture Investment, weshalb wir es gerne als Risikokapital bezeichnen. Venture Investments sind also keinesfalls ein Investment für Jedermann, sondern eignen sich für versierte, wagnisbereite Unternehmercharaktere.

Getrieben durch das derzeitige Kapitalmarktumfeld besteht für Kapitalanleger jeglicher Herkunft natürlich der Bedarf nach Rendite, was die Bereitschaft zu wagnisreichen Investments erhöht und damit auch Investoren an den Tisch bringt, die sich diesem Thema nicht aus Überzeugung nähern, sondern aus Mangel an Alternativen.“

5.2 Finanzstrategische Angriffe auf Wertschöpfungsketten

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) untersucht in ihrem Gutachten für 2019 die Bereiche Forschung, Innovation und technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands (EFI 2019). Darin heißt es zu Beginn: „Die Bundesregierung hat nach einem verzögerten Start zahlreiche forschungs- und innovationspolitische Pläne für die neue Legislaturperiode vorgelegt.“ Einige der wichtigsten kommentiert die Expertenkommission in ihrem Gutachen deutlich. In der neuen Hightech-Strategie 2025 habe sich die Bundesregierung erneut zu dem Ziel bekannt, bis zum Jahr 2025 Mittel in Höhe von 3,5 % des Bruttoinlandsprodukts für FuE aufzuwenden. „Die derzeit budgetierten Mittel reichen allerdings nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen“, so 2019 die Expertenkommission.

Die Expertenkommission drängt nochmals auf die zügige Einführung einer steuerlichen FuE-Förderung, mit Fokussierung auf KMU. Sie empfiehlt der Bundesregierung zudem, die geplante Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen mit großen Freiräumen auszustatten. Ohne Unabhängigkeit von politischer Steuerung würde die Agentur die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen können.

Neben diesem Hinweis auf Defizite bei der Hightech-Strategie 2025 müssten wir auch verstärkt auf unsere Schlüsseltechnologien und das zunehmende Beteiligungsengagement ausländischer Investoren am deutschen Mittelstand achten. Ein sehr spannender Fernsehbericht des Bayerischen Rundfunks (BR 2019) mit dem Titel „Schluss mit Made in Germany? China kauft den Mittelstand“ thematisiert, dass es keinen Industriezweig in Deutschland mehr gibt, in den China nicht investiert ist. Exemplarisch seien in den Industrien Maschinenbau, Robotik, Energietechnik und Medizintechnik ganze Firmen und Belegschaften bereits zu 100 % in chinesischer Hand.

Im November 2018 stand in einem Zeitungsartikel der Zeit (2018), ein aktivistischer US-Hedgefonds habe die jüngste Kursschwäche der Deutschen Bank genutzt und sei bei den Frankfurtern eingestiegen. Somit sind sowohl die USA als auch China bei uns auf Einkaufstour, was nichts Ungewöhnliches ist, weil es sich finanzstrategisch anbietet. Der freie Kapitalmarkt macht es möglich, aber es gibt auch Länder, die damit anders umgehen und im Falle der Veräußerung eines Unternehmens, welche Schlüssel-, Sicherheits- oder Innovationstechnologien beinhaltet, ein Votum nach einer entsprechenden Prüfung des Falles einlegen können.

Auch Indien investiert in Deutschland. Eine Studie von Bertelsmann Stiftung, Ernst & Young GmbH und Confederation of Indian Industry (CII) mit dem Titel „Indische Investitionen in Deutschland, Perspektiven für einen gemeinsamen Wohlstand“ (2018) zeigt in der Schlussfolgerung, welche Punkte besonders berücksichtigt werden müssen, um indische Investoren und Mitarbeiter nach Deutschland zu holen. Kernschlussfolgerungen dieser Studie sind, dass die Vermarktung Deutschlands sich stärker auf „weiche“ Faktoren wie die erschwinglichen Lebenshaltungskosten und die hohen Standards im Bereich der öffentlichen Sicherheit konzentrieren sollte. Die Studie empfiehlt auch, die Aussicht auf den Zugang zum deutschen Ingenieurwesen und zu deutscher Technologie herauszuarbeiten, da dies ein starkes Motiv für indische Investoren sei. Die Kombination der spezifischen Stärken deutscher Ingenieure mit der Affinität der Inder für den IT-Bereich könnten der Schlüssel für eine fruchtbare Zusammenarbeit sein, insbesondere in einem Umfeld, in dem Kompetenzen im Bereich des Internets der Dinge (IdD) und der Industrie 4.0 zunehmend nachgefragt sind. Die Kooperation mit Indien wird wie folgt beschrieben:

„Die Zusammenarbeit mit führenden indischen IT- und Software-Entwicklern könnte somit zum Erhalt der deutschen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit und des Lebensstandards in einer Zeit des demographischen Wandels beitragen.“

Mit Blick auf die EU wird in der Studie auch festgestellt, dass die pharmazeutische Industrie und andere Sektoren, die in der Europäischen Union stark reguliert sind und in der Vergangenheit Großbritannien als Einfallstor nach Europa nutzten, nach einem „harten“ Brexit mit hohen Kosten für die Zulassung ihrer Produkte in der EU-27 oder in Deutschland konfrontiert sein könnten. Die deutsche Regierung sollte daher eine Lösung entwickeln, die die Zulassung aktuell in Großbritannien zugelassener Produkte von Firmen, die ihren Standort nach Deutschland verlegen wollen, erleichtert.

Für die Zerlegung von Wertschöpfungsketten eines Wettbewerbers gibt es unterschiedliche Strategien. In Zeiten fehlender Unternehmensnachfolger bleibt manchen Alt-Eigentümern in Deutschland zum Teil nur der Verkauf, ein Management-buy-out oder die Schließung. Das Verkaufen von Unternehmen kann auch Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette haben. Die vertikale oder horizontale Integration von Unternehmen und deren Zulieferer ist immer eine Gesamtbetrachtung. Bei so vielen fehlenden Unternehmensnachfolgern sollten Gründer auch über Unternehmensübernahmen als Alternative zu einem klassischen Start-Ups informiert sein.

Was im letzten angeführten Punkt dieser Studie angesprochen wird, ist die EU-Politik. Wir müssen mit Nachdruck und in einer zeitlich überschaubaren Maßnahmenstrategie als vereintes Europa ein Gegengewicht zu China, Indien und USA aufbauen. In der gemeinsamen Bildungs-, Technologie- und Investitionsperspektive liegt das Potenzial, unsere europäische Region als Wirtschaftsstandort mit hohen sozialen Standards konkurrenzfähig aufzustellen und global führend mitzugestalten. Die Innovationen müssen angeschoben werden, auch Infrastrukturen, Bildungsinnovationen und lebenslange Weiterbildungskonzepte sind zu ändern, wenn der globale Wettbewerb unseren Mittelstand auch in 20 Jahren als ernsthaften Wettbewerber wahrnehmen soll. Auch das Gesundheitswesen, welches beitragsfinanziert ist und an der Wirtschaftskraft unseres Landes hängt, wird in der Form, wie wir es heute kennen, die Leistungen nicht unbegrenzt bieten können. Maßnahmen wie Restriktionen von Gesundheitsleistungen, das Absenken der medizinischen Standards und der Aufbau von Wartezeiten für Operationen drohen uns allen, wenn in 10 oder 20 Jahren der Abstieg der internationalen Wirtschaftskraft unseres Landes einsetzt.

5.3 Die unsichtbare Langzeitherausforderung – biologische und synthetische Viren

Bei einer gesamtgesellschaftlichen Risikobetrachtung geht es um Menschenleben, möglicherweise zukünftig global im 7-stelligen Bereich. Viren generell, Pandemien, H1N1-Virus, H5N1-Virus, Ebola-Virus, Coronavirus, multiresistente Keime und eine potenzielle neue Kriegswaffengattung „biologische und/oder synthetische Viren“ bedrohen die Gesundheit der Spezies Mensch möglicherweise zukünftig weltweit. Aus gesundheitlicher Sicht werden wir, ob vor biologischen oder synthetischen Viren, die Bevölkerung präventiv vor diesem Szenario stärker als bisher schützen müssen. Die Herausforderungen haben wir während der noch andauernden Corona-Krise im Jahr 2020 bereits erlebt. Dabei sind strategisch die Entwicklung, Produktion Bereithaltung, geographische Verteilung und die begrenzte Mindesthaltbarkeit von Impfstoffen zu berücksichtigen. Ebenso die Bereitstellung von Schutzmaßnahmen, die im Falle eines solchen Ereignisses durch Krankenhäuser, Praxen und Bürger zu erwarten sind. Es ist nicht auszuschließen, dass in zukünftigen Szenarien Krisen mehrere Jahre dauern könnten. Niemand kann in die Zukunft sehen, aber „alles Menschenmögliche“ bedeutet auch, bessere Szenariokonzepte zu erarbeiten und die Kosten zum Schutz der Bevölkerung zu kommunizieren. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronavirus-Pandemie konnten alle in den Nachrichten sehr gut verfolgen. Durch die globale Vernetzung von Handel und Produktion müssen wir auch von der Weltgesundheitsorganisation eine globale Strategie erwarten dürfen. Eine europäische Gesamtstrategie ist selbstverständlich.

Die Unternehmen für gegenwärtige und zukünftige Impfstoffe sind bei Innovationen besonders förderungswürdig. Die Innovationsförderung von Unternehmen für Impfstoffe ist auch als europäische Gesamtaufgabe einzuordnen, denn ein Ausbruch einer Virenepidemie in einem der Mitgliedsstaaten kann an der Ausbreitung nur durch eine europäische Gesamtleistung mit vorher dafür aufzubauender Infrastruktur und festgelegten Prozessen erfolgreich verhindert werden. In Zeiten, wo jeder Punkt der Erde von überall mit dem Flugzeug oder Schiff erreichbar scheint, müssen wir auch mit der Einreise biologischer oder synthetischer Risikofaktoren rechnen.

Erschwerend kommt hinzu, das sieht man an den unterschiedlichen Reaktionen der Bevölkerung bei uns bei der Thematisierung der Masern-Impfpflicht im Jahr 2019, dass die grundsätzliche Akzeptanz für Impfungen geteilt ist.

5.3.1 Geschichte der Viren

Im Jahr 1918–1920 gab es eine Influenzapandemie, die sog. „Spanische Grippe“, die laut internationalen wissenschaftlichen Publikationen (Jefferey Taubenberger et al. 2005) global bis zu 50.000.000 Tote forderte. Hier sei der Faktor „Letalitätsrate (sog. Sterblichkeitsrate)“ zu berücksichtigen. Dieses Virus hatte mit 1,5–2 % Letalität aller Infizierten, was sich erstmal sehr gering anhören mag, trotzdem 50 Mio. Menschenleben gefordert (Johnson und Mueller 2002). Bei einer Legalitätsrate von 15–20 % wären es eine halbe Milliarde und bei 50 % schon fast knapp 2 Mrd. Menschen gewesen (Tumpey et al. 2005).

Frieder N. C. Bauer (2015) schreibt in seiner Dissertation „Die Spanische Grippe in der deutschen Armee 1918: Verlauf und Reaktionen“ an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf über die hohe Letalität und das ungewöhnliche Altersprofil der Todesopfer:

„Die größte offene Frage bezüglich der Spanischen Grippe ist, warum viele Fälle so tödlich verliefen und warum gerade junge Erwachsene so stark davon betroffen waren. Der amerikanische Autor John M. Barry geht davon aus, dass die jungen Todesopfer der Pandemie vor allem an einer Überreaktion ihres eigenen Immunsystems auf das Virus starben.“ Bauer (2015) hebt in seiner Dissertation heraus, dass im Alter, wo die menschliche Immunabwehr gewöhnlicherweise am stärksten ist, die heftige Reaktion des Körpers auf das neue Grippevirus zu einer massiven Schädigung des Lungengewebes geführt habe, sodass die jungen Menschen schließlich an einem durch die Influenzapneumonie ausgelösten ARDS („acute respiratory distress syndrome“) starben.

Dies zeigt, dass die Sichtweise, nur Kinder oder ältere Menschen wären aufgrund eines möglicherweise geschwächten Immunsystems anfällig, eine falsche Risikobetrachtung ist. Opfer waren Menschen mit den widerstandsfähigsten Immunsystemen weltweit. Die später folgenden Grippen, in Russland und Asien, sicher vielen in Erinnerung die „Schweinegrippe“ oder „Vogelgrippe“, veränderten das Bewusstsein in der Wissenschaft, tierische Viren könnten dem Menschen nichts anhaben. Ganz im Gegenteil, es wurde klar, dass eben von Vögeln und Schweinen Viren auf den Menschen übertragen werden können. Des Weiteren konnten Mischviren aus tierischen und menschlichen Bestandteilen nachgewiesen werden. Die Industrie läuft den Viren quasi hinterher, und bei einer mehrmonatigen Herstellungszeit für Impfstoffe ist die frühe Detektion einer Ausbreitung erfolgsentscheidend. Der Ausbruch des Ebola-Virus in Westafrika in den Jahren 2014–2016 kostete insgesamt knapp 12.000 Menschenleben (CDC 2016). Es wurden auch einzelne wenige Sekundärinfektionen in den USA und Italien berichtet. Sicher ist die Gesundheitsversorgung in Europa im Jahr 2020 auf einem so hohen Niveau und die Kommunikationsmöglichkeiten so eng und gut vernetzt, dass man nicht in eine Grippen-Pandemie-Panik verfallen muss, aber man muss sich für eine stärkere Innovationsförderung der Unternehmen, die Impfstoffe entwickeln, produzieren und bereithalten, einsetzen. Zusätzlich gehören in ein solches „biologisches Bedrohungsszenario“ das Gesamtpaket mit Desinfektionsmitteln, Handschuhen, wirksamen Mundschutzartikeln, Krankenhauskapazitäten, Nahrungsmittelstrategien und einer Klärung, wer im Falle einer Absage von Tausenden von Veranstaltungen weltweit die Kosten trägt. Man lernt natürlich aus jeder Katastrophe, jedoch muss eine Gesellschaft für den Schutz des Lebens der gesamten Bevölkerung Vorkehrungen treffen. Die aktuellen Geschehnisse von China bis Europa im Umgang und der Begegnung des Coronavirus offenbarten eine gewisse Hilflosigkeit auf allen Seiten. Menschen mussten mehrere Wochen zuhause bleiben, die Regelungen für Veranstaltungsabsagen wurden spät und selektiv (ab 1000 Teilnehmern) festgelegt und die im Gesundheitswesen Tätigen konnten weder wirksamen Mundschutz, Desinfektionsmittel noch Kittel nachbestellen. Wir werden ab jetzt sicher besser vorbereitet einem solchen Szenario begegnen. Wir werden mit Pandemien immer wieder Erfahrungen sammeln. Ein größeres Zukunftsproblem sind jedoch absichtlich freigesetzte synthetische oder biologisch-synthetische Viren, dazu mehr im Folgenden. Diese Entwicklungen werden uns in den nächsten Jahrzehnten einem wirklichen Stresstest aussetzen.

5.3.2 Spezies Mensch als Angriffsziel – Innovationsförderung überlebenswichtig

Die US-amerikanische Wissenschaftlerin für Medizinische Anthropologie Monica Schoch-Spana (2000) bringt bereits vor 20 Jahren in ihrem Artikel „Implications of Pandemic Influenza for Bioterrorism Response“ Bioterrorismus der Zukunft mit Viren in Verbindung. Die Herstellung synthetischer oder biologisch-synthetischer Viren in Garagen, Privatlaboratorien oder gar in Räumen auf einem Hochschulcampus mag aus heutiger Sicht wie Science Fiction klingen, ist aber theoretisch in Zukunft bei entsprechender Fachkompetenz, technischer Ausstattung und hoher Eigenmotivation machbar.

Die „German Association for Synthetic Biology“ berichtet 2018 über das Konsenspapier „Biodefense in the Age of Synthetic Biology“ und worum es sich dabei handelt: „Unter dem Titel „Bioverteidigung in der Ära der Synthetischen Biologie“ haben die drei nationalen Akademien für Wissenschaft, Ingenieurwesen und Medizin der USA (National Academies of Sciences, Engineering and Medicine, 2018) einen gemeinsamen Bericht veröffentlicht. Dieser evaluiert das Bedrohungspotenzial, das in Zukunft von der Synthetischen Biologie im Zusammenhang mit anderen Technologien ausgehen kann. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Gefahr nicht akut ist, aber dennoch Vorsicht geboten sei.“ Der o. g. Report weist 3 Gefahrenbereiche durch Missbrauch der Synthetischen Biologie aus:

„…umfassende Bewertung der Nutzung von Biowaffen, die in der Zukunft durch Missbrauch der Synthetischen Biologie hergestellt werden könnten. Die Bedrohungen wurden in drei grundlegende Bereiche unterteilt. Der erste Bereich umfasst die Pathogene.“

Unter diesem Begriff verstehe man, so der Bericht, Bakterien, Pilze und Viren, die Krankheiten im Mensch hervorrufen können. Gefährliche Pathogene, wie z. B. das Pestbakterium oder das Ebola-Virus könnten in Laboren synthetisch hergestellt werden. Zusätzlich könnten Pathogene gefährlicher gemacht werden, indem ihnen z. B. zusätzliche Resistenzen eingebaut werden könnten oder ihr Stoffwechsel optimiert würde. Kombiniert man diese beiden Vorgehensweisen, so könnten in der Zukunft auch komplett neue Pathogene designt und konstruiert werden. Das wäre sogar noch schwieriger zu bewerkstelligen, und das Resultat wäre wohl an sich weniger gefährlich als viele bereits existierende Pathogene. Allerdings, so der Bericht, müssten für diese Pathogene erst neue Detektions- und Behandlungsmethoden entwickelt und getestet werden. Der Bericht hebt hervor: „Und kein Krankheitsausbruch ist so gefährlich wie der, der auf ein unvorbereitetes Gesundheitssystem trifft.“

Ein zweiter Bereich laut Konsensuspapier sei die Produktion toxischer Stoffe durch Mikroorganismen: „Der zweite Bereich seien ‚Giftige Stoffe‘ wie Botulinumtoxin oder Aflatoxine, die von Bakterien und Pilzen natürlich hergestellt werden.“

Synthetische Organismen könnten solche Toxine einfacher bzw. besser produzieren. Daneben könnten Organismen auch gefährliche Chemikalien produzieren, die normalerweise nicht in Organismen produziert werden. In beiden Fällen wären die entstehenden Produkte wohlbekannt. Jedoch, so der Bericht, könnte ihre Produktion durch die Synthetische Biologie einfacher und eventuell kostengünstiger gemacht werden. Daneben könnte die neue biologische Produktion von Chemiewaffen bestehende Gesetze und Überwachungen von Chemiewaffen umgehen.

Schließlich wird der dritte Gefahrenbereich wie folgt beschrieben:

„Der letzte Bereich befasst sich mit der Erzeugung dauerhafter Veränderungen im Menschen.“

Unter dieser Bezeichnung vereinigen sich laut Konsensuspapier zwei Subkategorien. Erstens kann das menschliche Genom durch Eingriffe verändert werden. Dies wird in der sogenannten Gentherapie angewendet, um Erbkrankheiten zu heilen. „Diese Methode könnte man pervertieren, um so Erbkrankheiten oder andere Defizite in gesunden Menschen einzubringen.“

Zweitens können synthetische Bakterien die Mikrobenpopulationen des Menschen schädigen. Betont wird im Bericht, dass sich an vielen Stellen des menschlichen Körpers Mikroorganismen ansiedeln und die Darmflora, welche für die Verdauung essenziell ist, eine Schlüsselrolle einnimmt. Synthetische Mikroorganismen könnten so beschaffen sein, dass sie sich über die Essensaufnahme im Darm ansiedeln und dort andere Mikroorganismen verdrängen. Dies alleine könnte bereits zu Verdauungs- und anderen Problemen führen. Zusätzlich könnten diese Bakterien dann noch Schadstoffe produzieren, welche über den Darm direkt ins Blut aufgenommen werden würden, so die Darlegung in diesem Papier.

Dies ist somit auch ein Zukunftsmarkt, in dem Deutschland technologisch aufgrund seiner Position in der globalen Spitzengruppe für Produktion, Ingenieurwissenschaften und hoffentlich dann auch in Künstlicher Intelligenz (KI) führend sein kann. Es zeigt auch, wie die Bereiche Gesundheit & Pflege, Medizin, Genetik, KI, Ingenieurwissenschaften, Automatisierung, Smart Factory, Robotik, Nanotechnologie und Big Data verschmelzen. Es ist durchaus denkbar, dass Unternehmen, die heute schwerpunktmäßig in der Automatisation, Produktion und Ingenieurwissenschaft tätig sind, sich in den nächsten 20 Jahren zu einem Gesundheitsdienstleister transformieren, von der synthetischen Biologie, über den 3D-Druck von Zellen und Organen bis hin zur personalisierten Medizin einschließlich Genetik und Mikrorobotik. Das bedeutet für die Politik, eine Innovationsförderung zu führen, die den Unternehmen auch finanziellen Spielraum für experimentelle Projekte bietet, die möglicherweise erst in ferner Zukunft positive Deckungsbeiträge generieren werden, aber dafür sorgen können, dass unsere Industrien auch in 20–30 Jahren technologisch global führend bleiben.

Gleichzeitig bauen wir mit den Kompetenzen in diesen Bereichen eine nationale Verteidigungsmöglichkeit für die Risiken auf, die in Zukunft auf uns zukommen. Ein Vorgeschmack bieten bereits heute die Auswüchse der Computerviren mit den tausendfachen täglichen Angriffen auf Infrastrukturen (Black-out, Überhitzung von Generatoren, Straßenampeln usw.), persönliche Computer (Verschlüsselung von Dateien, Erpressung usw.) und Wirtschaftsspionage (Abgreifen von Forschungsergebnissen, Prozessbeschreibungen, Kundendaten, Einkaufskonditionen, Technologien usw.).

DiEuliis (2019) beschreibt die negativen Auswirkungen der Synthetischen Biologie auf die nationale Sicherheit. Da können wir quasi nach Gründung der „Cybersecurity-Sektion“ der Bundeswehr direkt die nächste Sektion gründen, denn es ist eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit. Die Aspekte von Biosicherheit und Bioterrorismus sind Gefahren, die im Rahmen des Fortschrittes der Gentechnikverfahren bei Organismen in Zukunft einkalkuliert werden müssen (Gómez-Tatay und Hernández-Andreu 2019).

5.3.3 Problematik bei der Bewertung und Bepreisung von Leben auf dem Prüfstand

Eine allumfassende Pandemieprävention oder der Schutz vor Missbrauch Synthetischer Biologie sind mit hohen Kosten verbunden. Den Umfang der Vorkehrungen muss jede Volkswirtschaft für sich selbst entscheiden, jedoch scheint eine internationale Regelung die einzig vernünftige Lösung zu sein. Die Kalkulation, wie viel Investitionen legitim und vertretbar sind, werden von Expertengremien, Wissenschaft und Politik gemeinsam eingeschätzt. Doch wie man es auch drehen mag, in dem zugrundeliegenden Algorithmus zur Risiko- und Investitionseinordnung muss zur Berechnung der Variable „1 Menschenleben“ ein mathematischer Wert zugeordnet werden, um überhaupt irgendeine Art der Kalkulation durchführen zu können.

Da frage ich Sie als Leser: „Was ist Ihr Leben wert?“. Man könnte immer weiter gehen: „Was ist das Leben Ihrer Eltern, Großeltern oder Kinder wert, und wie ist es mit den Nachbarn, was ist deren Leben wert?“. Wonach bewertet und bepreist die Gesellschaft ein Menschenleben? Eine kaum zu beantwortende Frage.

Als ich am 31.10.2019 am Max-Planck-Institut (MPI) für Sozialrecht und Sozialpolitik in München einen einstündigen Vortrag zur Gestaltung von Innovationsumgebungen im Gesundheitswesen hielt, sprach ich auch über die aktuelle Selbstmordrate in Deutschland (ca. 10.000 pro Jahr und damit fast 3-mal höher als alle Verkehrstoten zusammen). Der demographische Wandel, der Fachkräftemangel in der Pflege, der medizinische Fortschritt, der Investitionsstau bei Krankenhäusern und die zunehmende Überbelastung von Pflegern und Ärzten bei der ambulanten und stationären Versorgung der Bevölkerung lassen es als unwahrscheinlich erscheinen, im Bereich der Pandemieprävention oder dem Aufbau technologischer Kompetenz zur Vermeidung des Missbrauchs im Bereich der Synthetischen Biologie große Investitionen zur Innovationsförderung bereitgestellt zu bekommen. Es gibt volkswirtschaftliche Zwänge, und der Druck steigt, die finanzielle Wettbewerbsfähigkeit, bei der Gewinnung globaler Investoren, aufrechtzuerhalten. Trotzdem sind der zukünftige Schutz der Bevölkerung und die dafür notwendigen präventiven Maßnahmen unumgänglich. Es ist letztlich eine Rechtsfrage und der Konsens, den die Gesellschaft zur Beantwortung dieser Frage gemeinsam trifft. Es darf an dieser Stelle angeregt werden, neben technologischen Innovationen ebenso den Fokus auf soziale Innovationen zu legen. Die Frage nach dem Wert des Lebens, dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, als buchhalterische Variable und aus sozialrechtlicher Sicht, werden wir im gesellschaftlichen Dialog in Zukunft stärker diskutieren und klären müssen, ansonsten bleibt nur, die Konsequenzen zu ertragen.

Die Innovationsförderung und das Risikomanagement für die langfristige Prävention vor biologischen oder synthetischen Viren werden teuer. Investiert man viel in Prävention, und es passiert wenig, meint man, es wäre Geldverschwendung gewesen. Die Alternative, wenig für die Prävention zu investieren und im Katastrophenfall erst durch die Lernkurve zu gehen, wird ebenfalls einen hohen Preis haben. Somit ist klar: Ob wir Prävention betreiben oder nicht, teuer wird es auf jeden Fall.

5.4 Zukunftsperspektiven

Die Zeiten ändern sich! Nichts bleibt wie es ist! Die Innovationsförderung für die Wirtschaft der Zukunft ist ein multidimensionaler Prozess, der nicht nur von der Politik mitgestaltet und begleitet wird, sondern auch in der Verantwortung der Unternehmen und jedes Einzelnen in der Gesellschaft liegt. Nur nach mehr Finanzmitteln zu rufen ist nicht zielführend, es liegt auch an jedem Individuum und Unternehmen, hier selbst proaktiv tätig zu werden. Wir können auch darüber diskutieren, ob wir in Deutschland weniger ein Geldproblem haben als möglicherweise vielmehr ein Mentalitätsproblem.

Die Zukunftsszenarien zeigen, dass die anderen Länder auf dem Globus wirtschaftlich aufholen, und die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft sind absehbar. China und Indien sind mit über 2,5 Mrd. Einwohnern auf dem technologischen und wirtschaftlichen Vormarsch. Die USA dominieren in vielen digitalen Bereichen die Wirtschaft. Wo werden wir in 20 Jahren stehen? Werden wir weiter im Spitzenfeld bleiben oder nicht? Wie werden wir die Gesundheitsversorgung, Biosicherheit und Umweltthemen in Zukunft nachhaltig gestalten, und werden wir unsere ethischen und sozialen Standards langfristig nachhaltig verteidigen können, auch wenn wir unter Druck geraten? Die Antworten auf diese und andere Fragen werden unsere Kinder und Kindeskinder liefern müssen, und unsere Verantwortung ist es, sie darauf kompromisslos offen und mit dem richtigen Rüstzeug vorzubereiten. Trotz Digitalisierung haben sich die Tugenden wie Fleiß, Disziplin, Verlässlichkeit und Pünktlichkeit als Grundlage für Erfolg nicht geändert. Möglicherweise ein guter Zeitpunkt, diese Werte wieder stärker zu kommunizieren.

Damit die Jugend von heute den Anforderungen der Zukunft standhalten kann, müssen einerseits zeitgemäße, den digitalen Veränderungen angemessene Lernumgebungen (Schule, Hochschule und Unternehmen) gestaltet und andererseits unterstützende Rahmenbedingungen zur Steigerung der psychischen Widerstandsfähigkeit geschaffen werden. Bürokratieabbau auf europäischer Ebene, der Aufbau von Innovationsumgebungen, die Förderung von Gründern, eine Stipendienvergabe, die breiter greift als bisher, und höhere Investitionen in Schlüsseltechnologien sind ein Teil der Innovationsförderung für den Wettbewerb der Zukunft. Ein weiterer Teil sind die Entlastung des Mittelstandes, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, und die Bereitstellung von mehr Risikokapital.

Neben der wirtschaftlichen Zukunftsperspektive müssen wir unsere Gesellschaft fit machen für Spaß am Lernen, eine lebenslange positive Lerneinstellung, die Kompetenz im Umgang mit digitalen Technologien und das Trainieren von Autodidaktik. Die Zukunft, in der Arbeitswelt und privat, wird von stetigen sozialen und technologischen Anpassungen, Veränderungen und neuen Lerninhalten geprägt sein.