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Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit im Diskurs über die Digitalisierung im Bildungssystem

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Nachhaltigkeit, Postwachstum, Transformation
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Zusammenfassung

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Digitalisierungsreform im deutschen Bildungssystem im Kontext von ökonomischem Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit. Zur Annäherung an das Thema werden die bisherige Entwicklung des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht sowie zugrunde liegende bildungspolitische Zielsetzungen untersucht. Die Forschende greift dazu auf das Forschungsprogramm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse zurück. Nach einer sequenzanalytischen Auswertung von Texten und Interviews mithilfe der Grounded Theory konnten folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Erstens, dass Wachstum ein zentrales Gesellschaftsziel darstellt und dies auch im Zuge der Digitalreform verfolgt wird und zweitens Nachhaltigkeit dem hingegen kein primäres Ziel ist. Und schließlich, dass die Machtmechanismen, die hinter dem Wachstumszwang stehen, eine Ausrichtung auf Nachhaltigkeit verhindern.

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Notes

  1. 1.

    Die Rede vor dem Deutschen Bundestag wurde zitiert durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2018).

  2. 2.

    Die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development, dt. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) ist eine 1961 gegründete Organisation mit 36 Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland sowie weitere, vor allem wirtschaftlich starke Länder, mit dem Ziel, wirtschaftlichen Wohlstand zu fördern (vgl. OECD 2018). Dabei ist auch wirtschaftliches Wachstum ein maßgebliches Ziel. Die verwendete Studie soll hier vor allem aufzeigen, wie der Einsatz digitaler Lernmedien seinen Anfang nahm. Da in der Studie eine grundlegend positive Haltung zur Digitalisierung im Bildungssystem vorherrschend ist, wird hier nur auf die Erfassung des Umfangs des Einsatzes von IT zurückgegriffen. Neben der Dokumentation des aktuellen Standes der Digitalisierung im Bildungswesen zielte die Studie auch auf die „erhebliche[n] Möglichkeiten zur Verbesserung des Bildungswesens“ (OECD 1991, S. 16) und den Aufruf an die OECD-Mitgliedsstaaten, den Einsatz von Computern im Bildungswesen zeitnah zu fördern (vgl. OECD 1991, S. 162).

  3. 3.

    Auf mögliche negative Folgen des Einsatzes digitaler Lernmedien wurde dabei weder in der aufgezeigten Studie der OECD noch in der Bildungsoffensive noch in der Technikfolgenabschätzung eingegangen. Alle drei befürworten den Einsatz digitaler Medien im Bildungssystem.

  4. 4.

    Im aktuellen Bericht des Club of Rome werden auch die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 in den Blick genommen. Nach deren Berechnungen ist das Erreichen der Ziele, insbesondere der ökologischen, aufgrund der Wechselwirkungen mit dem durch Wirtschaftswachstum zu realisierenden Wohlstand unmöglich (vgl. Weizsäcker et al. 2017, S. 92 ff.).

  5. 5.

    Die fünf Kernziele lauten „Beschäftigung fördern“, „Bedingungen für Innovationen, Forschung und Entwicklung verbessern“, „Treibhausgasemissionen reduzieren, erneuerbare Energien sowie Energie- und Ressourceneffizienz vorantreiben, Mobilität nachhaltig gestalten“, „Bildungsniveau verbessern“ und „Soziale Eingliederung vor allem durch die Verringerung von Armut fördern“ (Deutscher Bundestag 2018, S. 26–45).

  6. 6.

    Eine eindeutige Definition von ‚nachhaltigem Wachstum‘ liegt hier von Seiten der Bundesregierung nicht vor. Im Rahmen des Reformprogramms wird jedoch auch auf die Zielsetzung der Agenda 2030 der UNO eingegangen. Dass die Bundesregierung ein vergleichbares Verständnis von ‚nachhaltigem Wachstum‘ hat, zeigt sich auch dadurch, dass das Nationale Reformprogramm sich auch nachhaltige Ziele vornimmt (vgl. dazu die vorangegangene Fußnote zu den fünf Kernzielen), aber gleichzeitig Wirtschaftswachstum als klares und unhinterfragtes Ziel setzt (s. o.).

  7. 7.

    Der ‚homo oeconomicus‘ bezeichnet den völlig rationalisierten wirtschaftlich denkenden Menschen, der als Konsument Nutzenmaximierung und als Unternehmer Gewinnmaximierung jeweils in eigener Sache (Eigeninteresse) anstrebt (vgl. Suchanek et al. 2018). Das Konzept beschreibt den Idealtypus eines Individuums, worauf auch Marktanalysen und Berechnungen der BWL (z. B. in der Mikroökonomik) aufbauen.

  8. 8.

    Dabei warnen zahlreiche Klimaforschende sowie auch der Weltklimarat IPCC in seinem 2018 veröffentlichten Sonderbericht vor den bereits drastischen Folgen einer Klimaerwärmung über 1,5 Grad Celsius im Vergleich zu vorindustriellen Verhältnissen (vgl. IPCC 2018).

  9. 9.

    Eine Postwachstumsgesellschaft stellt für die Bewältigung insbesondere der ökologischen Krise einen möglichen Ausweg dar, die gerade deshalb so interessant ist, weil sie eine reale Problemlösung verspricht und sich dabei auch in das weltweite wie nationale kapitalistisch organisierte Wirtschaftssystem fügt und deshalb als ein erster Schritt realistischer als die Abkehr von der Marktwirtschaft selbst erscheint (vgl. u. a. Latouche 2010). Postwachstum ist meines Erachtens ganz klar unabwendbar, wenn wir weiterhin Bestand auf dieser Welt haben wollen. Es bleibt dann zu beobachten, ob dieser Schritt ausreicht, oder ob wir nicht doch an der strukturellen Funktionsform unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems arbeiten müssen.

  10. 10.

    Für diese Denkrichtung stehen insbesondere Peter L. Berger und Thomas Luckmann mit ihrem Werk ‚Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit‘ (2013 [1966]).

  11. 11.

    Dass Wissen und Wirklichkeit relativ sind, widerspricht meines Erachtens nicht der vorangegangenen Definition von Wissen als Gewissheit, dass etwas real ist. Dass eine solche Gewissheit relativ ist, bedeutet dabei nur, dass sie abhängig von dem ist, was als real aufgefasst wird.

  12. 12.

    Der Ausdruck ‚Wissenssoziologie‘ wurde von Max Scheler geprägt und von Berger und Luckmann aufgegriffen (vgl. Berger und Luckmann 2013, S. 3). In ihrer erkenntnistheoretischen Tradition befindet sich auch die Wissenssoziologische Diskursanalyse.

  13. 13.

    Im Zuge der Forschung werden die untersuchten kollektiven Akteure mehrfach als Strukturen kollektiven Handelns (SKH) bezeichnet. Damit greife ich zurück auf die Verwendung der Begrifflichkeit durch Ulrich Roos (Roos 2013), welcher sich dabei auf soziale Institutionen bezieht, „die das kollektive Handeln mehrerer Personen mit dem Ziel der Regulierung der Folgen der Auswirkungen des kollektiven Handelns ermöglichen sollen“ (Roos 2013, S. 314).

  14. 14.

    Die beteiligten Stiftungen sind: „Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung und Stiftung Mercator“ (ForumBD 2019a). Genauer mit Stiftungen, speziell der Bertelsmann Stiftung, beschäftigt sich Yannic Hollstein in dem Beitrag ‚Das hegemoniale Projekt der Bertelsmann Stiftung im Wachstumsdiskurs‘ in diesem Sammelband.

  15. 15.

    Würde die ganze Welt mit Ressourcen so wirtschaften wie Deutschland, dann würden wir drei Planeten Erde benötigen (vgl. Fehr 2018), Deutschland verbraucht im EU-Vergleich den meisten Verpackungsmüll (vgl. ZEIT ONLINE 2018) und wurde erst 2018 von der EU-Kommission für die Überschreitung zulässiger Werte für Luftverschmutzung vor dem Europäischen Gerichtshof angeklagt (vgl. Norddeutscher Rundfunk 2018).

  16. 16.

    Die Interviews wurden im Januar und Februar 2019 geführt mit dem Leiter der Bildungsforschung des mmb Instituts, dem Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung und zwei Beratenden des BMBF zum Thema Bildung und Digitalisierung – unter anderem bei der Projektträgerschaft „Digitaler Wandel in Bildung, Wissenschaft und Forschung“.

  17. 17.

    Hier beziehe ich mich bewusst nur auf das öffentlich verfügbare Textmaterial der SKHs und nicht auf die durchgeführten Interviews, da in letzteren eine Verwendung alogischer Aussagen einer Nachfrage zugänglich wären und das Verständnis teils in nonverbaler Kommunikation vermittelt geglaubt werden könnte. Besonders in öffentlichen Textquellen sind solche alogischen Aussagen, auf die ich mich beziehe, jedoch interessant, da sie spezifische Wissens- und Definitionsverhältnisse (voraus-)setzen, die Aufschluss auf tiefergehende Ziele und Wertevorstellungen geben können.

  18. 18.

    Zwar handelt es sich hierbei um eine eigentlich zu vermeidende Suggestivfrage, doch angesichts der Offensichtlichkeit dessen sind die darauf gegebenen Antworten dennoch relevant, da eine derart unverhohlene Suggestion in besonderer Weise zum Widerspruch einlädt. Dieser blieb jedoch aus.

  19. 19.

    Dieser Teil der Befunde resultiert aus einer Kombination der Materialanalyse sowie eigenen weiterreichenden Überlegungen, deren Grundlage in der weiter oben skizzierten ethischen Positionierung dieser Forschungsarbeit zu finden ist.

  20. 20.

    Wobei auch beachtet werden muss, dass zivilgesellschaftliche Institutionen teils auch im Einklang mit ökonomischen Interessen und Logiken handeln, was das dargestellte Kräfteverhältnis zusätzlich verstärkt.

  21. 21.

    Ich führe diese These insbesondere darauf zurück, dass die Thematik der Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren mehr in Medien und Öffentlichkeit thematisiert wurde, als dies noch zuvor geschah. Indizien dafür sind beispielsweise die Zunahme der Wähler*innenzahlen ‚grüner‘ Parteien (vgl. Neuhaus 2018), die Klima- und Umweltschutz als maßgebliches politisches Ziel setzen, die im Teilkapitel 2 aufgezeigte Agenda 2030 der UNO, sowie die weltweiten ‚Fridays for Future‘-Proteste, die derzeit breite Aufmerksamkeit erlangen (vgl. Thein 2019).

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Rahman, L. (2020). Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit im Diskurs über die Digitalisierung im Bildungssystem. In: Roos, U. (eds) Nachhaltigkeit, Postwachstum, Transformation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29973-6_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-29973-6_5

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-29972-9

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