Zusammenfassung
Der „Sommer der Migration“ 2015 führte zu einem „Boom“ in der Forschung zu Geflüchteten. Flüchtlingsinitiativen meldeten den Universitäten zurück, dass sie mit der Menge an Anfragen von forschungswilligen Studierenden überfordert seien. Auch für Menschen, die schon länger im Bereich Migration, Flucht und Asyl forschten, stellte sich die Frage, wie mit der Situation angemessen umzugehen sei. In diesem Beitrag wird die eigene Entscheidung, angesichts der Situation und eigener struktureller Rahmenbedingungen nicht mit und zu Geflüchteten zu forschen im Hinblick auf ihre Implikationen und Effekte kritisch reflektiert. Im Zentrum steht eine ethnografische Feldforschung auf Sylt, mit der die Politiken, Praktiken, Ökonomien und Infrastrukturen der Fürsorge in der ehrenamtlichen und professionellen Arbeit mit Geflüchteten untersucht werden sollten. Sehr schnell zeigte sich, dass die konzeptionell beabsichtigte Fokussierung auf die ‚ansässige‘ Bevölkerung nicht funktionierte, da die zu untersuchenden Praktiken in der direkten Interaktion zwischen der Bevölkerung Sylts und den Geflüchteten konkret wurden. In diesem Kontakt wurde Improvisation als das Feld auf allen Ebenen konstituierender Handlungsmodus deutlich und geriet damit in den Fokus meines Forschungsinteresses. Erst durch das Vertrauen von Geflüchteten bekam ich Zugang zu den machtdurchsetzten improvisatorischen Praxen der Behörden und ihren Effekten.
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Betscher, S. (2019). „They come and build their careers upon our shit“ oder warum ich 2014/15 nicht über Geflüchtete geforscht habe und sie dennoch maßgeblich zu meiner Forschung beitrugen. In: Kaufmann, M., Otto, L., Nimführ, S., Schütte, D. (eds) Forschen und Arbeiten im Kontext von Flucht. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28380-3_11
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