Zusammenfassung
In den Zwanziger Jahren ging in Deutschland eine scherzhafte Anekdote um, die das Verhältnis der Soziologie zum Judentum betraf. Sie stammte aus Heidelberg und wurde dem hervorragenden jüdischen Germanisten Friedrich Gundolf zugeschrieben, so daß wir sie als politisch unverdächtig übernehmen und unseren Erörterungen voranstellen können. Diese Anekdote lautet folgendermaßen: nach einem Soziologenkongreß (wahrscheinlich dem von 1924 in Heidelberg) seufzte Gundolf: „Jetzt weiß ich wenigstens was Soziologie ist! Soziologie ist eine jüdische Sekte.“ Das Wort Sekte steht hier wohl für die Leidenschaftlichkeit der soziologischen Diskussion, für die zeitweilig unübersehbare Esoterik des soziologischen Fachjargons, für den Eifer, mit dem die Soziologie ihre Unterschiedenheit von anderen Wissenschaften betont und eifersüchtig auf ihre Besonderheit pocht, und schließlich auch für die manchmal harte Kritik, welche sie gegen das traditionelle Wissenschaftssystem und gegen die Grundlagen der alten Logik gewendet hat. Das Wort jüdisch steht dagegen ganz zweifellos für die Tatsache, daß unter den bedeutenden Soziologen die Zahl der jüdischen Gelehrten um ein Vielfaches höher ist als sonst der Anteil von Juden am Leben der Wissenschaft und der Kultur. So ist die Frage nach dem Beitrag des Judentums zur Soziologie sicher viel aktueller und berechtigter als in anderen Zusammenhängen.
Diese Abhandlung wurde durch Leonhard Reinisch angeregt und im Bayerischen Rundfunk vorgetragen. Sie erschien in: Leonhard Reinisch, Hg., Die Juden und die Kultur, Stuttgart 1961. Die hier vorgetragene Auffassung vom Sozialen ist die Voraussetzung für das Verständnis der Abhandlung über „Freiheit und Selbstentfremdung in soziologischer Sicht“. Sie wurde zuerst im Zusammenhang mit Max Weber vorgetragen in einer englisch geschriebenen Abhandlung: René König , German Sociology, in: J. Roucek , Contemporary Sociology, New York 1958. Das Thema kehrt auch wieder in René König, Die Situation der emigrierten deutschen Soziologen in Europa, die ich zum 50jährigen Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Jahre 1959 veröffentlichte (in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. XI, 1959)
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König, R. (2021). Die Juden und die Soziologie. In: von Alemann, H. (eds) Soziologie als Oppositionswissenschaft. René König Schriften. Ausgabe letzter Hand, vol 9. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28211-0_12
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