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Die Revitalisierung der Idee der Sozialen Marktwirtschaft

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Zusammenfassung

Um das Jahr 1980 herum wurde die überall in den entwickelten Volkswirtschaften der Nachkriegszeit etablierte Soziale Marktwirtschaft von einem neoliberalen Regime abgelöst. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2008 mehren sich heute, mit einiger Verspätung, die Stimmen, die für eine Revitalisierung der Idee der Sozialen Marktwirtschaft plädieren. Eine solche Renaissance bedeutet nicht Restauration, sondern Fortsetzung des lange zuvor begonnenen progressiven Projekts der demokratischen Einbettung, Bändigung und Dienstbarmachung der Marktkräfte. Der Gedanke einer sozialen, ethisch qualifizierten Marktwirtschaft bedarf der fortwährenden Erneuerung und Anpassung. Er basiert im Kern auf drei Pfeilern, die in verschiedenen Graden und Mischungsverhältnissen verwirklicht sein mögen: 1) der Zähmung der Marktdynamik durch Regulierung, 2) der verteilungspolitischen Abmilderung der Folgen des Wettbewerbs sowie 3) der Entwicklung und Pflege einer Wirtschaftskultur der Mäßigung und der Fairness im Umgang miteinander.

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Notes

  1. 1.

    Das Beharrungsvermögen und die tiefe Verwurzelung des neoliberalen Denkens innerhalb der Wirtschaftswissenschaften und im Kreise politischer Experten und Berater hat Philip Mirowski (2013) prägnant herausgearbeitet (vgl. auch Crouch 2011; Butterwegge et al. 2017). Stephan Kaufmann (2015) macht darauf aufmerksam, dass die neoliberale Politik „ausgerechnet durch ihr Scheitern: durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise … radikalisiert“ wurde, nämlich durch die Austeritätspolitik der „Troika“ im Zusammenhang der Eurokrise, deren Ausbruch wiederum eine direkte Folge jener Krise ist.

  2. 2.

    In seiner Rede zur Handelspolitik als Präsidentschaftskandidat sagte Donald Trump: „Our politicians have aggressively pursued a policy of globalization, moving our jobs, our wealth and our factories to Mexico and overseas.“ Time Staff (2016).

  3. 3.

    gl. zur Begriffsgeschichte Spier (2010, S. 57).

  4. 4.

    Bude (2014, S. 58, 2016). Vgl. auch Poutvaara und Steinhardt (2015).

  5. 5.

    Hilmer et al. (2017) stellen fest, dass AfD-Wähler häufiger als Wähler anderer Parteien von Abstiegsängsten geprägt sind, sich zurückgesetzt fühlen, Kontrollverluste empfinden und angeben, im Vergleich zu ihren Eltern einen sozialen Abstieg erlebt zu haben.

  6. 6.

    Vgl. für die USA Christansen (2015); für Deutschland Hiß (2009).

  7. 7.

    Vgl. zu Quellen und Einordnung Thielemann (2009, S. 17).

  8. 8.

    Der skeptischen Auffassung Münchs, dass diese Zweifel damals „sehr wahrscheinlich zu spät“ kamen und die Menschheit damit für alle Zeiten als der Marktherrschaft unterworfen vorgestellt werden muss, wird hier allerdings aus systematischen Gründen nicht gefolgt.

  9. 9.

    Vgl. den Überblick in Huffschmid (2002, S. 108–119).

  10. 10.

    Vgl. Abelshauser (2009, S. 23–24). Vgl. zur Gegnerschaft der Neo- bzw. Ordoliberalen gegen die von Adenauer 1953 angekündigten „umfassenden Sozialreformen“ im Allgemeinen sowie gegen die große Rentenreform von 1957 im Besonderen Hockerts (1980, S. 242–246, 336–351), sowie Hockerts (1977, S. 367–372); vgl. zu den Auseinandersetzungen über die ebenfalls 1957 eingeführten Arbeitslosenhilfe Bollmann (2008).

  11. 11.

    Vgl. zu weiteren Kräften Katterle (2001, S. 733).

  12. 12.

    Vgl. für Deutschland Bude (2015, S. 31–32). Für die USA Stiglitz (2015, S. 184).

  13. 13.

    Vgl. für Deutschland Abelshauser (2011, S. 87).

  14. 14.

    Vgl. auch Ulrich (2010) mit dem programmatischen Titel „Zivilisierte Marktwirtschaft“.

  15. 15.

    Vgl. zum letzten Punkt beispielsweise Ulrich (2016, S. 361); Collier (2018, S. 34–35, 38); exemplarisch erhellend Sennett (2008, S. 43–48).

  16. 16.

    In seinem Vortrag an der Evangelischen Akademie Tutzing, gehalten am 4. Februar 2017. Zuvor bereits am CSU-Neujahrsempfang 2017, vgl. Schiegl (2017). Weitere Plädoyers finden sich etwa bei Meurer et al. (2014); Collier (2018); Judt (2010).

  17. 17.

    Dies verbietet allein schon die technokratische, geradezu menschenverachtende Stadt- und Wohnungsbaupolitik der damaligen Zeit (u. a. „autogerechte Stadt“), vgl. Judt (2010, S. 81–84).

  18. 18.

    Vgl. für Deutschland Jahnke (2014). (Joachim Jahnke war u. a. Ministerialrat im Bundeswirtschaftsministerium unter Karl Schiller.) Vgl. vor allem für die USA Judt (2010).

  19. 19.

    „Every worker could have a high-wage middle-skilled job.“ Friedman (2017). Es ist schwer nachvollziehbar, wie Friedman meinen kann, eine Rückkehr zu einer entsprechenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung würde die Welt in einen „finsteren Ort“ verwandeln.

  20. 20.

    Damit soll keineswegs nahegelegt werden, es sei wünschbar, zu diesen Wachstumsraten zurückzukehren.

  21. 21.

    Vgl. für die USA Davis (2009, S. 74, 90). Erlinghagen (2017, S. 3, 36–37) hält es allerdings für einen „Mythos“, dass die Wirtschaft der Nachkriegszeit von einer höheren Beschäftigungssicherheit geprägt war. Empirisch-qualitative Daten zur gewährten Beschäftigungssicherheit (die von selbst gewählten Beschäftigungswechseln zu unterscheiden ist) liegen für (West-)Deutschland allerdings erst ab 1985 vor.

  22. 22.

    Die Situation Nachkriegsdeutschlands muss allerdings differenzierter betrachtet werden (vgl. Alvaredo et al. 2018, S. 155–162; Bartels 2017, S. 13–17). So stieg der Anteil der Top-Ein-Prozent Markteinkommen (Einkommen vor Steuern und Transfers) in der Nachkriegszeit und sank nicht etwa wie in vergleichbaren entwickelten Volkswirtschaften. Auch war er höher als dort. Der Anteil der unteren Hälfte der Einkommensbezieher am Volkseinkommen sank von 1960 bis Mitte der 1970er Jahre deutlich, im Unterscheid etwa zu den USA, wo er stieg, oder zu Frankreich, wo er gleichblieb. Allerdings startete die ärmere Hälfte Deutschlands auch von einem deutlich höheren Niveau. Sie erhielt im Jahre 1960 30 % des BIP, in den USA ebenso wie in Frankreich waren es nur 20 %.

  23. 23.

    Vgl. für die USA Reich (2008, S. 16–18, 38–43).

  24. 24.

    Vgl. Reich (2008, S. 42–43, 66); Mizruchi und Marshall (2016, S. 146); Christiansen (2015, S. 80, 88, 93).

  25. 25.

    Vgl. auch die interessanten Einblicke von Bognanni und Pennekamp (2011).

  26. 26.

    Vgl. zum letzten Punkt Thielemann (2015).

  27. 27.

    Der Vermögenspreisindex des Flossbach von Storch Instituts weist seit vielen Jahren eine gegenüber dem Wachstum der Wirtschaftsleistung weit überproportionale Steigerung der Marktpreise für Vermögenswerte (Finanz- und Sachvermögen, inkl. Betriebsvermögen) aus. Vgl. https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/vermoegenspreisindex/deutschland/. Zugegriffen: 7. Juli 2019.

  28. 28.

    Grabka und Goebel (2017, S. 75–78); Sachverständigenrat (2017, S. 408–425). Vgl. relativierend das abweichende Votum von Peter Bofinger im gleichen Jahresgutachten, S. 426–428.

  29. 29.

    Vgl. zu diesem Phänomen des „Coping“ Lengfeld (2017, S. 8).

  30. 30.

    Sauer et al. (2018, S. 13–14) machen bei Teilen der Anhängerschaft sog. rechtspopulistischer Parteien eine „adressatenlose Wut“ aus.

  31. 31.

    Die Thematisierung dieses Freiheitsverlustes umtrieb bereits Max Weber zu Beginn des 20sten Jahrhunderts. Vgl. Thielemann (2008a).

  32. 32.

    Diese Formulierung findet sich in (Wood 1994, S. 6). Vgl. zu diesen „Kosten“ Thielemann (2010, S. 329–357).

  33. 33.

    Vgl. den Kommentar eines Vertreters des Chinesischen Handelsministeriums zur Politik Trumps (Hua und Stahl 2018).

  34. 34.

    Vgl. kritisch Séville (2017).

  35. 35.

    Vgl. zur empirisch zur Verbreitung dieses Denkens Lohmeyer (2018). Vgl. zur systematischen Kritik Thielemann (2008b). Der Business Case läuft auf eine Ethik des Rechts des Stärkeren hinaus. Gewinnmaximierung bzw. allgemeiner Nutzenmaximierung ist, im Unterschied zum Gewinn- bzw. Nutzenstreben, nicht rechtfertigungsfähig und verletzt das Moralprinzip unmittelbar und frontal. Vgl. Thielemann (2009, S. 66–69); Ulrich (2016, S. 450).

  36. 36.

    Wilhelm Röpke (1946, S. 85) forderte eine „widergelagerte Gesellschaftspolitik“ – allerdings um der Erhaltung „der Marktwirtschaft“ willen, statt zu fragen: der Ausgestaltung welcher Vision von Marktwirtschaft.

  37. 37.

    Vgl. den Vorschlag von Peter Bofinger (2017).

  38. 38.

    Vgl. mit exemplarischem (derzeit teilweise kontrafaktischem) Blick auf China Fletcher (2009, S. 28): „If China had to rely upon domestic demand to drive its economy, locking up its population as factory slaves would not be such a viable strategy.“ Derzeit zielt China allerdings darauf ab, die Binnennachfrage zu stärken (vgl. Hua und Häring 2018).

  39. 39.

    Vgl. zur Problematisierung des seit der neoliberalen Revolution stark angestiegenen gesamtwirtschaftlichen „Kapital-Einkommens-Verhältnisses“ Piketty (2014, S. 217–263).

  40. 40.

    Dies macht sich im zwischenstaatlichen Verhältnis in Leistungsbilanzüberschüssen und -defiziten bemerkbar, d. h. einerseits in der wachsenden Verschuldung derjenigen Länder, die im Wettbewerb verlieren, und andererseits im Aufbau von Vermögenspositionen aufseiten der in den wettbewerbsstarken Ländern beheimateten Nettosparer gegenüber den Wettbewerbsverlierern.

  41. 41.

    So die Beamten des ehemaligen EU-Wirtschaftskommissars Oli Rehn. Vgl. Schumann und Simantke (2017). Der zynische Begriff der „Beschäftigungsfreundlichkeit“ des Abbaus von sozialen Schutzstandards soll die Hinnahme der tatsächlichen oder vermeintlichen Macht der Investoren politisch besiegeln.

  42. 42.

    Wolfgang Streeck (2011) führt die wachsende Staatsverschuldung, die ab Ende der 1970er Jahre einsetzte, darauf zurück, dass „Forderungen nach sozialer Sicherung und Besserstellung …nicht mehr innerhalb der Wirtschaft“, also nicht prädistributiv, realisiert wurden.

  43. 43.

    Vgl. Thielemann (2014) und die dort angegebenen Quellen.

  44. 44.

    „Für die tradierte Wirtschaftswissenschaft ist die Einführung des Mindestlohnes ein wissenschaftliches Waterloo.“ Heise (2018).

  45. 45.

    Vgl. beispielsweise Guschanski und Onaran (2018).

  46. 46.

    Vgl. Rodrik (2011, insbesondere S. 325, 358–359). Vgl. auch Ulrich (2018); Flechter (2009); Wade (2017).

  47. 47.

    Vgl. Streeck (2013, S. 106); Aldred (2009, S. 76, 238) (ohne Bezug auf Wagner).

  48. 48.

    Vgl. die fortlaufenden Monatsberichte des Bundesministeriums der Finanzen.

  49. 49.

    Insofern ist zumindest ein Teil der Finanzvermögensbestände der Vermögenden als „vermiedene Steuerschuld“ zu deuten. Vgl. Peukert (2015, S. 18). Vgl. auch Piketty (2014, S. 174, 737, 777); Streeck (2015, S. 104). Vgl. zur Transformation des Steuerstaates in einen Schuldenstaat Streeck (2013, S. 109–113).

  50. 50.

    Vgl. Thielemann (2012b); Chang (2010, S. 53–54); Flassbeck und Steinhardt (2018, S. 170–171).

  51. 51.

    Vgl. für Deutschland Bach et al. (2016); für entwickelte Volkswirtschaften IMF (2017).

  52. 52.

    Vgl. für die Unternehmensbesteuerung Jarass und Obermair (2017) sowie ICRICT (2018, S. 11–12).

  53. 53.

    Ermutigend dürfte diesbezüglich sein, dass eine Mehrheit von 59 % der Amerikaner eine Rückkehr zu Grenzsteuersätzen von 70 %, wie sie bis in die frühen 1980er Jahre für Jahreseinkommen ab 200.000 US$ galten, befürworten. Vgl. Goodkind (2019).

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Thielemann, U. (2020). Die Revitalisierung der Idee der Sozialen Marktwirtschaft. In: Meinzer, M., Pohl, M. (eds) Finanzethik und Steuergerechtigkeit. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27783-3_4

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