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Der Fremde im Spiegel transnationalisierter Vergesellschaftung

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Book cover Hochqualifizierte Transmigrantinnen

Part of the book series: Interkulturelle Studien ((IKS))

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Zusammenfassung

Unter der Voraussetzung, dass aus Fremden in Zeiten transnationalisierter Vergesellschaftungsprozesse Gesellschaftsmitglieder werden – und das im Sinne von Transmigrant*innen in mehreren Gesellschaftskontexten – stellt sich auch die Frage, wer in einer transnationalisierten Vergesellschaftung überhaupt der Fremde ist. Der Kohärenz der transnationalen Perspektive folgend, betrachte ich die Konstruktion von Fremdheit und die Sozialtypen des Fremden somit im Spiegel transnationaler Vergesellschaftung statt im Rahmen einer postmigrantischen Gesellschaft (Kritik hierzu siehe Abschn. 2.4). In wie weit gelten in einer transnationalisierten Vergesellschaftung Eingewanderte noch als Fremde? Oder werden vielmehr die „Bodenbesitzer“ in einer Gesellschaft zu Fremden, in der zunehmend mehr Menschen Migrationserfahrungen und Migrationsgeschichten als Teil ihrer Biographien auszeichnen? Zunächst sollen die klassischen Sozialtypen des Fremden (Simmel, Park, Schütz und auch der Gastarbeiter nach Siu) erörtert werden, bevor Anschlüsse an die klassischen Figurationen erfolgen (Hüttermann, Pries, Bhabha und Mecheril).

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Notes

  1. 1.

    Die Definition der Kategorien „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ ist auf Ferdinand Tönnies (1887) zurückzuführen. Hierauf aufbauend spricht Max Weber (1972) später von „Vergemeinschaftung“ und „Vergesellschaftung“ als sich flexibel gestaltende Formen menschlichen Zusammenlebens. Bei beiden Kategorien handelt es sich um soziale Beziehungen, jedoch mit entscheidendem Unterschied: Die soziale Beziehung der Vergemeinschaftung basiert auf Affekten, Emotionen oder Traditionen, während Vergesellschaftung wert- oder zweckrational orientiert ist (vgl. Merz-Benz und Wagner 2002, S. 28 f.). Simmel (1908) wiederum untersucht die Formen der Vergesellschaftung als Wechselwirkungen, also soziale Interaktionen zwischen Menschen.

  2. 2.

    Vor allem die türkeistämmige (kopftuchtragende) Frau erfährt extreme Zuschreibungen als „gefährliche Fremde“ und rückt somit ins „Angstzentrum“ des gesellschaftlichen Interesses (vgl. Reuter und Warrach 2015, S. 180 f.).

  3. 3.

    Im Fall von dem Fremden als sozialer Typus und als Konstruktion des Fremden setzt eine gendergerechte Schreibweise aus, gleichwohl der Fremde sämtliche Geschlechter umfasst. Der speziellen Konstruktion „der fremden Frau“ widme ich ein gesondertes Kapitel (siehe hierzu Abschn. 3.4).

  4. 4.

    Park gilt als Begründer der Chicagoer School, eine soziologische Forschungseinrichtung in Chicago (USA), die sich im frühen 20. Jahrhundert etablierte und sich an Vorarbeiten von Max Weber und Georg Simmel orientierte (vgl. Treibel 2003, S. 84 ff.). Die Forschungsarbeiten der Chicagoer School zeichnen v. a. ethnographische Studien aus, die das Zusammenwirken von sozial Marginalisierten (The Hobo von Anderson 1923, oder Outsiders von Becker, 1963 sind hier nur beispielhaft zu nennen) und ihrem Umfeld, der Stadt, fokussieren (darunter The City von Park, 1915 oder The Ghetto von Wirth 1928). Aufgrund dieser Ausrichtung, brachte die Chicagoer School besonders für die Stadtsoziologie und Minderheitenforschung Klassiker hervor (vgl. ebd.).

  5. 5.

    Es ist also zu unterscheiden zwischen der flächenräumlichen und der sozialräumlichen Beweglichkeit (siehe Pries 2010a).

  6. 6.

    Wird der Begriff „Gastarbeiter“ als Typus verwendet, folge ich nicht der gendergerechten Schreibweise.

  7. 7.

    Pries unterscheidet drei Idealtypen von Sozialräumen: Alltagswelten, Organisationen und Institutionen (siehe hierzu Pries 2010a). Durch die Offenhaltung sozialräumlicher Zuordnung konstruieren Transmigranten neue Sozialräume (vgl. ebd., S. 71).

  8. 8.

    Homi K. Bhabha ist ein Theoretiker, sodass eine Kritik an seinen Konzepten häufig darin begründet liegt, dass er seinen Theorien keine Handlungsanweisungen oder empirischen Untersuchungen anschließt.

  9. 9.

    Demnach werden „Kulturen“ bei Bhabha nicht als feststehende Einheiten aufgefasst, sondern als „Kampfplätze“ von Macht und Bedeutung in den Blick genommen (vgl. hierzu Struve 2013, S. 41).

  10. 10.

    Mecheril bezeichnet das Attribut „natio-ethno-kulturell“ auch als „Kunstwort“ (siehe Mecheril 2003, S. 24).

  11. 11.

    Die klassische Definition von „Ethnizität“ lässt sich auf den Soziologen Max Weber (1922) zurückführen: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Aehnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, daß dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht“ (Weber 1972, S. 237, zitiert nach Treibel 2003, S. 186).

  12. 12.

    Als klassisches Modell gilt auch Essers Integrationsmodell, das in Abschn. 4.3 kritisch aufgezeigt wird.

  13. 13.

    Weder gibt es „die“ Einwanderungsgesellschaft noch „die“ Einwander*innen, es soll im Sinne der Kritik am methodologischen Nationalismus nicht der Eindruck von in sich geschlossenen Einheiten entstehen, doch kann auf eine weitere Differenzierung zur Veranschaulichung des komplexen Kontextes nicht näher eingegangen werden. Hiermit sei dennoch darauf verwiesen, dass die Autorin von den aufgeführten Gruppen nicht als homogene Gemeinschaften ausgeht.

  14. 14.

    In ihrem Werk Etablierte und Außenseiter (1993) stellen Elias und Scotson die Beziehung der Etablierten und Außenseiter dar, die sie in einer englischen Arbeitersiedlung (genannt: „Winston Parva“), eruieren. Sie beobachteten die Stigmatisierung der Etablierten gegenüber den Außenseitern. „Der Kern dieser Figuration ist eine ungleiche Machtbalance mit den Spannungen, die daraus erwachsen“ (1993, S. 14). In dieser Figuration kommt der Aspekt der Aufwertung der eigenen Gruppe durch die Abwertung der anderen Gruppe hinzu, sodass den Etablierten per se in ihrer mächtig postulierten Position sowohl die Rechte als auch das Prestige und sämtliche Vorteile vorbehalten bleiben und die Außenseiter fremdstigmatisiert werden (vgl. ebd., S. 12 f.).

  15. 15.

    Gleichwohl es nicht den Islam, sondern unterschiedliche Ausprägungen gibt, soll an dieser Stelle das aufgeführte Beispiel das Konzept anhand unterschiedlicher Religionen (hier das Christentum und der Islam) veranschaulichen.

  16. 16.

    Fremdheit entsteht durch die Abgrenzung zum Vertrauten; hierzu geläufige und nachvollziehbare Grenzziehungen sind die antagonistischen Gegenüberstellungen von Männern und Frauen, von Tag und Nacht, von Innen und Außen und so fort. Gegensätze bedingen einander, Unbekanntes kann nicht ohne Vertrautes bestehen und umgekehrt.

  17. 17.

    Unter „Etikettierung“ versteht Reuter Stigmatisierung (vgl. ebd. 2002, S. 51). Den Etikettierungs-Ansatz (labeling-approach) haben zuvor bereits Bukow und Llaryora auf die Beziehungen zwischen „Einheimischen“ und Eingewanderten übertragen (vgl. ebd. 1998, S. 107 ff.). Dieser Ansatz unterstreicht die These, dass gesellschaftliche Zuschreibungsprozesse für die Befremdung ausschlaggebend sind.

  18. 18.

    Wie aktuelle politische Entwicklungen hin zu neuen populistischen Strömungen in Europa (z. B. die Wahl der AfD in den deutschen Bundestag 2017, die Geflüchtete als „kriminelle Gewalttäter“ instrumentalisieren) und in den USA (Präsident Trump, der gegen Minderheiten hetzt, im Amt seit 2016) auf erschreckende Weise exemplifizieren. Auch Präsident Erdoğan setzt in der Türkei auf die Instrumentalisierung von Minderheiten, hier vor allem gegen Kurden, und stilisiert sie zu Feindbildern.

  19. 19.

    Eine Gruppe von Etablierten exkludiert eine Gruppe als Außenseiter. Kommt nun eine „neue“, unvertraute Personengruppe in diesen Kontext, gewinnen die Außenseiter an Macht gegenüber den Neuzugezogenen. Dabei können die Grenzen zwischen Etablierten und Außenseitern entweder verwischen oder sich gar derart verschieben, dass sie im Kontext der „neuen Fremden“ gemeinsam agieren. Gleichwohl können die Grenzen auch bestehen bleiben und die Außenseiter grenzen sich ebenfalls von den „neuen Fremden“ ab. Je komplexer diese Perspektive auf eine pluralistische Gesellschaft wird, desto erkennbarer wird die Flexibilität und Dynamik von Fremdzuschreibung und Grenzziehung.

  20. 20.

    Eine auffallend hohe Wanderung von Frauen fand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach der Hungerkatastrophe Irlands statt, als zahlreiche junge, arbeitssuchende Frauen in die USA auswanderten (vgl. Han 2018, S. 106). „Die wirtschaftliche Krise, bedrückende Armut und generelle Perspektivlosigkeit der jungen Frauen in der irischen Gesellschaft und die große Nachfrage nach billigen Frauenarbeitskräften der privaten Haushalte in den USA haben diese Massenmigration ausgelöst“ (ebd.).

  21. 21.

    Die Gender- und Migrationsforscherin Mirjana Morokvasic merkt kritisch an, dass die transnationale Migration etablierten Rollenbildern im Arbeitskontext folge, denn Frauen werden weltweit für stereotype Dienstleistungstätigkeiten als „Hilfstätige“ eingesetzt, v. a. als Haushaltshilfen, Kinderbetreuerinnen und Altenpflegerinnen (vgl. ebd. 2009, S. 46). „Diese Tätigkeiten basieren auf gesellschaftlich konstruierten Vorstellungen einer angeborenen Affinität von Frauen zur Arbeit in der reproduktiven Sphäre; daher tragen sie nicht zur Destabilisierung der Geschlechternormen über die Arbeitsteilung im Haushalt bei, vielmehr stärken sie die Geschlechterhierarchien“ (ebd., S. 46).

  22. 22.

    Die Soziologinnen Elisabeth Tuider und Miriam Trzeciak (2015) merken hierzu an, dass die Frage offen bleibt, ob Frauen nicht seit jeher unabhängig migriert sind, dies hingegen in der Forschung unerfasst blieb (vgl. ebd. 2015, S. 363).

  23. 23.

    Auch Ansätze von Queerforschung werden mittlerweile berücksichtigt und rücken somit eine ausgeweitete Betrachtung von Geschlechtern in den Blick, z. B. die Publikation von Jutta Hartmann et al. (2007) Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht, oder auch der Band: Gendering Disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht, herausgegeben von Jutta Jacob et al., (2010).

  24. 24.

    Die Suche nach der Antwort auf die Frage, wer eigentlich wen als fremd wahrnimmt, führt zum Machtdiskurs: Nach Foucault sind Diskurse als Machtphänomene zu verstehen, die subjektkonstituierend wirken (vgl. Mecheril 2010, S. 36). Mecheril verdeutlicht, dass diejenigen, die bestimmen, wer fremd ist, die also den Diskurs produzieren, in dem Beziehungsgefüge die Macht innehaben: „Diskurse über Andere machen die Anderen zu dem, was sie sind, und produzieren zugleich Nicht-Andere“ (ebd.).

  25. 25.

    Im Ergebnis ihrer Studie stellt Gölböl fest, dass „Migrantinnen türkischer Herkunft im bundesdeutschen Diskurs […] meist im Lichte eines multiplen Konflikts wahrgenommen werden: Generationenkonflikte werden generell zu kulturellen Konflikten konstruiert, aus denen scheinbar unauflösbare Identitätsstörungen resultieren und die psychosoziale Situation maßgebend bestimmen“ (ebd. 2007, S. 169). Dadurch erscheinen türkeistämmige Einwander*innen als „Belastungsfaktor“, was als Argumentationsgrundlage für ihre Ausgrenzung dient (vgl. ebd., S. 172).

  26. 26.

    Gümen und Herwartz-Emden sprechen auch vom Traditions- und Modernitätsparadigma (siehe hierzu ebd. 1996).

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Warrach, N. (2020). Der Fremde im Spiegel transnationalisierter Vergesellschaftung. In: Hochqualifizierte Transmigrantinnen. Interkulturelle Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27705-5_3

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