Zusammenfassung
Der Beitrag zeichnet den Gebrauch des Selektivitätsbegriffes in seiner gedächtnissoziologischen Bedeutung nach. In den untersuchten sozialwissenschaftlichen Theorien und Beschreibungsformen, die den Begriff explizit verwenden, lassen sich vier Begriffshorizonte unterscheiden: auf der sozialen Makroebene (1) Selektivitätsprozesse in gesellschaftlichen Ordnungsbereichen Mechanismen, (2) die evolutionstheoretische und oftmals biologisch begründete Selektion und Stabilisierung sowie auf der Mikroebene (3) das Wahlhandeln einzelner Akteure, das sich in rationaler Wahl, in Entscheidungen und Interessen, zeigt und schließlich (4) die Selektivität des sinnhaften Weltzuganges mit einem Horizont von Möglichkeiten. In der Zusammenfassung werden die gedächtnissoziologische Bedeutung des Begriffes und die ihm inhärenten Vergangenheitsbezüge herausgearbeitet.
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Notes
- 1.
Im Libet-Experiment wurde gezeigt, dass eine Bewegung im motorischen Zentrum des Gehirns bereits vor der bewusst getroffenen Entscheidung anläuft (vgl. Libet 1999). Damit wird die Entscheidung von einer rein kognitiven auch auf eine körperliche Ebene verlagert. Obwohl die Zeitlichkeit damit differenzierter wird, bleibt die Aktförmigkeit erhalten.
- 2.
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Sebald, G. (2023). Selektivität. In: Sebald, G., et al. Handbuch Sozialwissenschaftliche Gedächtnisforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26556-4_9
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