Zusammenfassung
Wolfgang Donsbach (1949–2015) sah den Journalismus kritisch: zu viel Macht, zu wenig Professionalität, kaum Verbindung zum Publikum und zur öffentlichen Meinung. In seinem hier vorgestellten frühen Werk „Legitimationsprobleme des Journalismus“ (1982) versuchte Donsbach, seine These mit empirischen Studien zu belegen: Journalisten besäßen Privilegien und hätten großen Einfluss auf die „öffentliche Meinung“; diese Macht sei aber nicht demokratisch legitimiert. Journalisten unterschieden sich in Status und Einstellungen deutlich von der Mehrheit der Bevölkerung. Fehlendes Interesse am Publikum führe dazu, dass Journalisten die Gesellschaft nicht repräsentierten, sondern eigene (Macht-)Interessen verfolgten. Donsbachs Bemühen, seine Thesen mit empirischen Studien zu untermauern, war in der Journalismusforschung neu, auch wenn er die Methoden nicht offenlegte. Das Werk löste Kontroversen aus und forderte noch Jahrzehnte später andere Journalismusforscher*innen dazu heraus, seine Thesen genauer zu untersuchen. Später zeigte sich, dass die von Donsbach vermutete Macht von Journalist*innen durch ihre Rolle in Medienorganisationen stark relativiert werden muss, und dass sie sich gar nicht so sehr als „Missionare“ sehen, wie Donsbach annahm. Verändert hat sich, dass die „öffentliche Meinung“ längst nicht mehr nur vom Journalismus verbreitet wird. Nach wie vor diskutiert wird mangelnde Vielfalt unter Journalist*innen, wenn auch in anderem Sinne als bei Donsbach 1982.
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Notes
- 1.
Die biografischen Daten sind der Webseite www.donsbach.net (Abruf Oktober 2019) und der Festschrift Jandura et al. (2015) entnommen.
- 2.
Bei der Rekonstruktion des Werkes verzichte ich auf eine gendersensitive Berufsbezeichnung, weil diese zu Zeiten des Schlüsselwerks noch keine Rolle spielte.
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Czepek, A. (2023). Welche Macht haben die ‚Missionare‘?. In: Loosen, W., Scholl, A. (eds) Schlüsselwerke der Journalismusforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25867-2_21
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