Zusammenfassung
In diesem Beitrag soll das Bewertungskriterium der Akzeptabilität begrifflich geschärft werden, indem es einerseits gegen andere Bedeutungen von Akzeptabilität (technische oder ökonomische z. B.), andererseits gegen verschiedene Bedeutungen von Akzeptanz abgegrenzt wird. Nach einer Einleitung (1) und grundsätzlichen Begriffsschärfungen (2) wird diese Begriffsklärung durch eine Rekonstruktion der bisherigen deutschsprachigen Debatte um den Gegensatz von Akzeptanz und Akzeptabilität vorgenommen (3). Im Anschluss werden dann jüngere Beiträge zu der Debatte referiert, die eine Neubestimmung des Bewertungskriteriums der Akzeptabilität ermöglichen (4). Schließlich soll auch dieser Begriff noch erweitert werden, da er in seiner bisherigen semantischen Bestimmung einer Engführung unterliegt. Für den erweiterten Begriff wird dann der Ausdruck ‚Ethische Akzeptabilität‘ vorgeschlagen (5). In einem letzten Schritt soll noch die ethische Relevanz von Akzeptanz beleuchtet werden (6).
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kopernikusprojektes „Energiewende-Navigationssystem zur Erfassung, Analyse und Simulation der systemischen Vernetzungen“ (ENavi) im Teilvorhaben L1 mit dem Förderkennzeichen 03SFK4L1 am Philosophischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entstanden.
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Notes
- 1.
Genau genommen lassen sich Präferenzen auch durch aktives Tun aufdecken, allerdings dann nicht bezogen auf die infrage stehende Maßnahme. Insofern steht die Theorie der revealed preference quer zu der Unterscheidung aktiv/passiv.
- 2.
Inakzeptanz ließe sich entsprechend als mündliche Bekundung oder aber aktives Vorgehen gegen das nicht Akzeptierte verstehen.
- 3.
Betrachtet man den multikriteriellen Bewertungsansatz, der im Rahmen von ENavi entwickelt wurde, dann ließe sich etwa jedes Kriterium dadurch darstellen, dass es Akzeptabilität relativ zu dem jeweiligen Maßstab feststellt: 1) Legalität, rechtlich akzeptabel, 2) Legitimität, politisch akzeptabel, 3) Ethisch akzeptabel, 4) Bzgl. Resilienz akzeptabel, 5) Effektivität, relativ zur Wirksamkeit akzeptabel, 6) Bzgl. Kosten-Effizienz/Gesamtkosten von Unternehmen akzeptabel, 7) Bzgl. der Förderung des sozialen Zusammenhalts akzeptabel, 8) Bzgl. wirtschaftlicher Planungssicherheit und dem Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlfahrt akzeptabel, 9) Bzgl. dem Schutz der menschlichen Gesundheit akzeptabel, 10) Bzgl. Umwelt- und Ressourcenschonung akzeptabel. Siehe für den Bewertungsansatz (Quitzow et al. 2018).
- 4.
Hier im Sinne der in der Ökonomie verankerten rational choice theory.
- 5.
Wenn man A B vorzieht und B C vorzieht, dann sollte man auch A C vorziehen.
- 6.
Man sollte dominierte Entscheidungsoptionen nicht beachten. Dominiert ist eine Option, wenn es wenigstens eine Alternative gibt, die bezüglich aller Folgen mindestens genauso gut und bezüglich wenigstens eines Ziels besser abschneidet.
- 7.
- 8.
Ähnlich auch noch in (Gethmann 1993). Anders noch hieß es in der ersten Fassung des Prinzips: „Hat jemand durch die Wahl einer Lebensform den Grad einer Einsatzbereitschaft und eine Präferenzordnung gewählt, dann dürfen diese auch für die zur Debatte stehenden Handlungen unterstellt werden“ (Gethmann 1986, S. 156).
- 9.
Dabei wird unter einem Risiko ein mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretender unerwünschter Nebeneffekt verstanden.
- 10.
Siehe zu Grunwalds Kritik auch (Bangert 2019, in diesem Band).
- 11.
Genaugenommen schränkt man die Menge der Maßnahmen relativ zum Kriterium ‚leicht zu umgehen‘ ein, auf die das Prinzip Anwendung findet.
- 12.
Anders ausgedrückt: die Kostenverteilung einer Energiewendemaßnahme kann durchaus zumutbar sein in dem Sinne, dass sie niemanden ökonomisch in eine prekäre Situation bringt, und dennoch ungerecht sein.
- 13.
Der Unterschied zeigt sich auch daran, dass es bei Gethmann etwa bereits um die Akzeptabilität von Risiken geht, hier hingegen um die ethische Akzeptabilität von Energiewendemaßnahmen, von deren ethischen Dimensionen eine in der Zumutbarkeit von Risiken besteht – aber eben nur eine.
- 14.
Die gleichzeitige Nichtrealisierbarkeit zweier Zwecke bestimmt Gethmann wie folgt: „Zwei Zwecke sind unvereinbar, wenn ihre Realisierung nicht zugleich möglich ist, d. h. selbst dann nicht möglich ist, wenn beide an einem übergeordneten Zweck festhalten.“ (Gethmann 1991, S. 152).
- 15.
Siehe zur Verkehrswende den Beitrag von Becker und Renn (2019, in diesem Band).
- 16.
Hierbei dient der „→“ als Symbol für ein Implikationsverhältnis.
- 17.
So zeigt das bereits erwähnte Nachhaltigkeitsbarometer, dass die Akzeptanz abnimmt, wenn die jeweiligen Instrumente konkreter benannt werden.
- 18.
Dies wäre eine weitere Replikoption auf Grunwalds Kritik an der philosophisch-ethischen Akzeptabilitätskonzeption. Natürlich müsste weiter geprüft werden, in welchem Verhältnis sich die ethische Akzeptabilität zu demokratietheoretischen Überlegungen verhält. Für eine Thematisierung von Akzeptanz aus demokratietheoretischer Perspektive siehe (Geßner und Zeccola 2019, in diesem Band).
- 19.
Für eine klärende Übersicht und kritisch-differenzierende Diskussion des Ansatzes siehe (Düber 2016).
- 20.
Das heißt also, dass auch der libertäre Paternalismus von Thaler und Sunstein kritisch hinterfragt werden muss. Zu dieser Variante des Paternalismus siehe (Thaler und Sunstein 2011, S. 14 ff.).
- 21.
Dies gilt etwaig nicht für mögliche Gesundheitsschäden durch Windkraftanlagen.
Literatur
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Meyer, T. (2019). Zur ethischen Relevanz von Akzeptanz und Akzeptabilität für eine nachhaltige Energiewende. In: Fraune, C., Knodt, M., Gölz, S., Langer, K. (eds) Akzeptanz und politische Partizipation in der Energietransformation. Energietransformation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24760-7_3
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