Zusammenfassung
Die Frage, ob sich Deutschland als dezidiertes Einwanderungsland verstehen soll, sorgt in der deutschen Politik in regelmäßigen Abständen für Zerwürfnisse zwischen den Parteien. Vor diesem Hintergrund stellt die Auseinandersetzung zwischen den beiden Schwesterparteien CDU und CSU über zukünftige Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung somit nur den neuesten Konflikt bezüglich der von Klaus Bade umschriebenen und lange Zeit parteiübergreifenden Lebenslüge „Die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland!“ dar (Bade, Migration, Flucht, Integration. Kritische Politikbegleitung von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“: Erinnerungen und Beiträge, Universitätsbibliothek, Osnabrück, https://repositorium.uni-osnabrueck.de/handle/urn:nbn:de:gbv:700-2017042015828). Gemeinsam war und ist dieser Diskussion bisweilen, dass sie sich weniger um eine faktische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Einwanderung bzw. der Migration dreht, als vielmehr um eine programmatische Debatte, die das vermeintlich politisch Wünschenswerte, die Vermeidung von dauerhafter Zuwanderung nach Deutschland, postuliert.
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Notes
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Letztere betrug zu Beginn maximal zwölf Monate, womit dem Anspruch Rechnung getragen wurde, dass sich die Anwerbung streng an den deutschen Arbeitsmarktinteressen orientieren sollte. Im weiteren Verlauf stellte sich diese Praxis allerdings als nicht effizient heraus, da Unternehmen neue Arbeitskräfte immer wieder einlernen mussten. Daher wurden die Vertragslaufzeiten verlängert bzw. sogar auf unbefristete Zeit ausgestellt.
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Diese Aussage Conradis steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass eines solches Recht nicht nur die Integration in Deutschland erleichtere, sondern überhaupt nur auf diese Weise eine Perspektive geschaffen werden könne, die für eine spätere Rückkehr der Kinder ausländischer Arbeitnehmer in ihre Heimatländer eine reale Option schaffe.
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Die Kritik, dass sich der Begriff der „Zwangsgermanisierung“, der als Vokabel für die gewaltsame Unterwerfung fremder Völker aus dem nationalsozialistischen Gedankengut stamme, in einem solchen Kontext verbiete, folgte vonseiten der SPD auf dem Fuß.
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In der bereits angesprochenen Ausstattung und Stellung des Bundesbeauftragen Heinz Kühn lag somit bereits vor der inhaltlichen Ausarbeitung ein enormer Stolperstein im Weg, insofern „die Vorschläge des Memorandums zwar im Zuge der Sondierungen mit verschiedenen Gesprächspartnern erörtert wurden, jedoch – auch innerhalb der Bundesregierung – nicht ressortmäßig abgestimmt“ (Kühn 1979, S. 5) waren. Entsprechend seines Mandates sollte Kühn mit seiner Denkschrift somit vor allem Anstöße und Arbeitsgrundlagen für die weiteren Entscheidungen liefern. Unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf Gesetzgebung und Verwaltung waren nie vorgesehen und eine Unterstützung der erarbeiteten Leitlinien und Ansätze durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung angesichts der Konkurrenz-Papiere von vorneherein unwahrscheinlich.
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Dies spiegelte sich auch 1983 in der Zahlung der zeitlich befristeten Rückkehrprämie wider.
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Im heutigen Vergleich würden sich die Kosten, unter Annahme der historischen Inflationsrate, auf etwa 672,5 Mio. EUR belaufen.
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Rudolf, D.B. (2019). Neue Lehren aus alten Fehlern? Das Kühn-Memorandum als Fingerzeig für die gegenwärtige Integrationsdebatte. In: Bizeul, Y., Rudolf, D. (eds) Politische Debatten um Migration und Integration. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23963-3_3
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